Gnade und Friede von Gott, unserem Vater,
und von unserem Herrn Jesus Christus sei mit uns allen. Amen
"Ihr trugt die Schande nicht, Ihr wehrtet Euch,
Ihr gabt das große ewig wache Zeichen der Umkehr,
opfernd Euer heißes Leben für Freiheit, Recht und Ehre".
So steht es auf dem Ehrenmal an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, liebe Gemeinde.
Der etwas pathetische Ton gehört vielleicht zu einem Ehrenmal.
Er mag auch ein Reflex sein auf die Schwierigkeiten, die viele Menschen in der jungen Bundesrepublik Deutschland mit den Attentätern des 20. Juli hatten. Die Frauen und Männer des aktiven Widerstandes gegen Hitler und seine Schergen mussten lange darauf warten, nicht mehr als Verräter, sondern als Gerechte angesehen zu werden.
Heute ist uns die Ehrung der Frauen und Männer des Widerstandes ein wichtiges Anliegen geworden.
Auch weil es uns entlastet, daran zu erinnern:
Nicht alle Deutschen haben tatenlos zugesehen, sind mitgelaufen oder haben begeistert mitgemacht, als die Nationalsozialisten das eigene Land und weite Teile der Welt mit Krieg und Terror überzogen.
Nicht alle Deutschen sind der Stimme der Nazi-Barbarei gefolgt.
Es gab Menschen in unserem Land, die auf eine andere Stimme gehört haben – im Getöse des Gebrülls am Volksgerichtshof, im Geschrei der großen Aufmärsche und Hallen, inmitten der Lügen und der Propaganda in den Medien.
Auf eine Stimme, die dem Leben dient und nicht dem millionenfachen Tod.
Auf eine Stimme, die Menschen zu Frieden und Gerechtigkeit ruft und nicht zu Terror, Gewalt und Barbarei.
Auf Gottes Stimme!
Und ich freue mich, dass unter uns heute auch Angehörige derer sind, die damals auf diese Stimme gehört und sich zum Widerstand entschlossen haben".
Biblische Texte versuchen die Herzen der Menschen für diese Stimme Gottes zu öffnen. So heißt es im Predigttext aus dem Hebräerbrief:
"Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht…".
Denn das gab es schon zu biblischen Zeiten, das gab es im nationalsozialistischen Deutschland vor 70 Jahren und das gibt es heute:
Menschen verstocken ihre Herzen gegenüber den Stimmen des Lebens.
Im griechischen Originaltext des Neuen Testamentes steht für "verstocken" das Wort sklero’o. Sklerose kennen wir als ein lebensbedrohliches Krankheitsbild. Sklerotische Herzen sind Herzen mit verengten Blutgefäßen.
Verstockte Herzen sind eine Todesgefahr.
Sie sind so eng, dass Mitgefühl und Mitmenschlichkeit keinen Raum haben.
Es fehlt der lebensnotwendige Sinn für Anstand, Recht, Demut und Barmherzigkeit.
Die Herzen sind verstopft von verkehrten Idealen und Überheblichkeit – aber auch von Hass, Angst oder Unsicherheiten.
Verstockte Herzen verbiegen unsere Gewissen.
Verstockte Herzen führen zum Tod.
Der Hebräerbrief nennt diese Herzen böse und ungläubig.
Weil sie sich gegenüber der Stimme Gottes verschließen.
Die Stimme, die uns dazu ruft und befähigt, dem Bösen zu widerstehen.
Es gehört ja zu den wirklich erschreckenden Erfahrungen unserer Geschichte, dass wir Menschen zu schlimmen Taten fähig sind und uns dabei selbst ein gutes Gewissen machen.
"Ich konnte ja nicht anders." "Ich kann mich doch nicht um alles kümmern." "Und überhaupt: die anderen machen das ja auch so."
Wir haben die Sätze am Beginn des Gottesdienstes gehört und wir kennen sie alle – auch von uns selbst.
Viele, die im zweiten Weltkrieg Kriegsverbrechen begangen haben, haben ihre Herzen verstockt und ihre Gewissen verbogen, obwohl sie die 10 Gebote kannten und sich auch als Glieder der Kirche verstanden. Das menschliche Gewissen braucht das immer neue Hören auf die Stimme Gottes. Damit es als korrigierende Kraft wirken kann – und nicht als Selbstbestätigung in bösem Tun.
Unser Gewissen kann irren, wenn unsere Herzen verstockt sind.
Darum schreibt der Hebräerbrief:
heute – wenn ihr seine Stimme hören werdet – verstockt eure Herzen nicht.
Unsere Bindung an Gott und an sein lebendiges Wort – das ist die wirksame Arznei gegen die Verstockung unserer Herzen!
Mit Dietrich Bonhoeffers Hilfe will ich dem genauer nachdenken.
An der Wende zum Jahr 1943 hat er sich Rechenschaft darüber gegeben, wer dem Bösen der Nazizeit standhalten kann.
Dietrich Bonhoeffer geht dabei verschiedene Lebenshaltungen durch, die alle nicht tragen. Und er kommt zu dem Ergebnis:
"Wer hält stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist, der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf." (D.Bonhoeffer, Nach zehn Jahren, in: Christian Gremmls und Wolfgang Huber, Dietrich Bonhoeffer Auswahl, Band 4, Konspiration, 1939 – 1943, Gütersloh 2006, S. 215)
Es kommt also alles darauf an, Gottes Stimme zu hören.
Sich von Gott rufen zu lassen.
Und dann auf diesen Ruf mit eigener und tätiger Verantwortung zu antworten.
Dazu brauchen Menschen eine innere Freiheit von äußeren Zwängen und äußeren Bedrohungen.
Eine solche Freiheit erwächst uns aus der Bindung an Gott.
Auch heute. In unserer jeweiligen Gegenwart.
Wie unsere Bindung an Gott gestärkt und gelebt werden kann – darüber können wir in "normalen" Zeiten viel nachdenken, reden und predigen.
In entscheidenden Momenten aber, gerade wenn die Bosheit regiert und triumphiert, wird sich das Hören auf Gottes Wort und das Tun des Gerechten für uns gleichsam "ereignen".
Dann kann nicht mehr erwogen und das Für und Wider in Ruhe bedacht werden. Dann ist ohne "wenn und aber" die gehorsame Entscheidung des gläubigen Herzens notwendig.
Und sie ist auch möglich. "Heute, wenn ihr seine Stimme hört" wird sie dann dem gläubigen Herzen geschenkt. Durch alles Erwägen, Nachdenken, Beraten, Beten und Hören auf Gottes Wort hindurch.
"Heute" – das war für die Frauen und Männer des Widerstandes beides:
eine Zeitspanne der Gespräche und Beratungen im Kreis der Vertrauten.
Aber auch ein Zeitpunkt – etwa vor dem Volksgerichtshof.
Auch für uns gibt es manchmal ganz besondere Zeitspannen und Zeitpunkte, in denen wir von Gott angesprochen werden. Verpassen wir sie nicht!
Damit wir nicht um unserer eigenen Karriere willen zu Ungerechtigkeiten an unserem Arbeitsplatz schweigen.
Damit wir nicht in unserer eigenen Alltagsgeschäftigkeit die Nöte unserer fernen und nahen Mitmenschen übersehen und verdrängen.
"Solange es heute heißt…", so mahnt uns der Predigttext.
Auch wir werden in unserer Lebenszeit von Gott angesprochen.
Jeder und jede Einzelne von uns.
Begabt und befähigt zum Hören und zum verantwortlichen Tun.
Verstocken wir unsere Herzen nicht!
Lassen wir unser Herz durch Gottes Stimme berühren!
Im Südportal des Berliner Doms befindet sich seit 1992 eine eindrucksvolle Bronzetür, von dem Künstler Siegfried Krepp gestaltet.
Wir sehen, wie eine Menschenmenge einem Redner zuhört, wie Fahnen fliegen und die Hände zum Hitlergruß gereckt sind.
Und wir sehen die Schrecken dieser bösen Zeit: die Gitterstäbe der Kerker, die Opfer und die Flammen. Wir ahnen die ausgebrannten Städte und sehen am rechten Rand, wie ein Mensch den anderen erschlägt. Wir denken an Kain und Abel und sehen: Die Gewaltgeschichte geht weiter, bis heute. Wir erkennen den Zug der Flüchtenden, der Ausgebombten und Entwurzelten. Mitten im Elend eine Gestalt, den Kopf in die Hände gestützt. Kommt jede Besinnung zu spät?
Doch ganz vorn in einer zentralen Szene lädt uns eine entscheidende Begegnung zu Umkehr ein: erschüttert und auf Knien erbittet ein Mensch Vergebung – und der andere ist sichtlich berührt und streckt seine Hand aus. Der Verlorene wird zum Gefundenen. Der Haltlose gewinnt Halt. Der Schwankende wird fest.
Jesus hat diese Geschichte als ein Gleichnis für die Barmherzigkeit Gottes erzählt.
Das Wort Herz steckt in Barmherzigkeit – ein weites Herz voller Liebe, ohne Enge, ohne Verstockung.
Es ist die Barmherzigkeit Gottes, die unsere Menschen-Herzen erreichen und ihnen die Enge nehmen will.
Auch "heute". Auch in unserer Zeit mit ihren Bosheiten, ihrem Irrsinn und ihrer Verachtung der Würde von Menschen an so vielen Orten unserer Erde.
Wir erinnern heute an die mutigen Taten von Menschen, die Hitler und seinen Schergen widerstanden haben. Am 20. Juli 1944. Wir wollen uns von ihrem Weg inspirieren lassen.
Wir wollen hören, wenn Gottes Stimme uns heute ruft.
Amen