4. Advent: "O Zedernbaum!" - Predigt über Hesekiel 17, 22-24 von Astrid Schlüter

O Zedernbaum!
  
  In unserem Predigttext geht es heute, so kurz vor Weihnachten, passenderweise um einen Baum, nein, keine Tanne, aber einen Nadelbaum immerhin, eine Zeder:
  Im Buch des Propheten Ezechiel, im 17. Kapitel, lesen wir:
  
  Ezekiel 17, 22-24
   22 So spricht Gott der HERR: Dann will ich selbst von dem Wipfel der Zeder die Spitze wegnehmen und ihr einen Platz geben; ich will oben von ihren Zweigen ein zartes Reis brechen und will's auf einen hohen und erhabenen Berg pflanzen.  23 Auf den hohen Berg Israels will ich's pflanzen, daß es Zweige gewinnt und Früchte bringt und ein herrlicher Zedernbaum wird, so daß Vögel aller Art in ihm wohnen und alles, was fliegt, im Schatten seiner Zweige bleiben kann.  24 Und alle Bäume auf dem Felde sollen erkennen, daß ich der HERR bin: Ich erniedrige den hohen Baum und erhöhe den niedrigen; ich lasse den grünen Baum verdorren, und den dürren Baum lasse ich grünen. Ich, der HERR, rede es und tue es auch.
  
  Von draus vom Walde komm ich her...
  In der Tat: es weihnachtet sehr ! Überall Tannen und Zedernspitzen  —  es ist die Zeit für immergrüne Hoffnungsträger mitten im kalten Winter.
  
  Zeit an den Christbaum zu denken. Ich hoffe Ihr habt Euren schon. Sonst wird es langsam knapp.
  Alle Jahre wieder stellt sich uns die Frage: ein echter Baum, oder ein künstlicher ? Was ist praktischer, was ist umweltverträglicher?! Brauchen wir überhaupt einen Baum?
  “Die Hoffnung und Beständigkeit” soll er symbolisieren, der Tannenbaum, die Verläßlichkeit von Gottes Versprechen, auch wenn wir schon längst nicht mehr daran glauben.
  
  Ich für mein Teil, ich brauche einen Weihnachtsbaum, alle Jahre wieder. Ich brauche etwas, das meine Hoffnung, meinen Glauben stärkt.
  Und darum werde ich auch dieses Jahr wieder einen Baum aufstellen und schmücken, einen echten Baum übrigens.
  Und während ich das tue und den Tannenduft genieße, da kann ich noch ein wenig über Ezechiels Zeder nachsinnen:
  Wie unsere Tanne ist auch die Zeder ein Nadelbaum. Mit duftendem, würzigem Harz, weshalb Zedernholz gern für Schränke verwendet wird: da bringt das Möbel den Mottenschutz gleich selber mit.
  
  Und doch ist so eine Zeder des Libanon etwas ganz anderes als unser Tannenbaum im heimischen Wohnzimmer: bis zu 50 Meter groß  kann eine Zeder werden, vorausgesetzt, sie hat genug Wasser, genug Boden für ihre Wurzeln und genug Nährstoffe darin. Und vorausgesetzt, man läßt sie wachsen!
  Dann kann sie bis zu 1000 Jahre alt werden, ein wahrhaft majestätischer Baum! Bis heute ist die Zeder auf der Fahne des Libanon zu sehen.
  
  In der Bibel gilt die Zeder als Symbol der Stärke, als königlicher Baum — ein ungewohnt friedliches Bild für Königtum: der große, starke Baum, der Schutz und Schatten bietet. Aber doch sehr passend für den gottgesandten König, den Messias, der so anders ist als die Könige dieser Welt.
  
  Hesekiel spricht hier von der Spitze der Zeder, von einem zarten Reis, einem Erben und Thronfolger vielleicht für das Haus Davids.
  
  So mancher hoffte zu jener Zeit auf so einen Königssprößling, der sein Volk in die Freiheit und zu alter Herrlichkeit führen würde.
  Wir kennen dieses Bild vom Sproß: Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. (Jesaja 11,1)
  Das ist uns aus den weihnachtlichen Prophetenlesungen wohlvertraut. Und ich habe es darum auch hier auf meiner Stola: ein paar winzige grüne Blättchen, die aus einem alten Baumstumpf kommen und beweisen, daß da doch noch Leben ist, und darum auch Hoffnung.
  
  Auch unsere heutige Lesung aus dem Buch des Propheten Ezechiel benutzt dies schöne alte Wort ‘Reis’, aber ... das Bild ist doch ein anderes:
  Da bricht kein Leben aus dem Tod hervor, sondern ab-gebrochen wird das Reis, die Spitze der Zeder!
  
  Ist es nicht eine seltsame Idee, daß ausgerechnet Gott, den wir doch als Schöpfer und Erhalter allen Lebens kennen –  und außerdem als guten Gärtner – , daß ausgerechnet Gott so ein Bäumchen köpfen sollte?!
  
  Ursprünglich, damals, als Ezechiels Weissagung aufgeschrieben wurde, da sah es nicht gut aus für Israel, das alte Gottesvolk:
  Im Jahre 587 vor Christi Geburt hatten die Babylonier Jerusalem erobert, und die Bewohner ins Exil nach Babylon gebracht. Königsfamilie und Oberschicht waren sogar schon 10 Jahre früher verschleppt worden.
  Gab es noch eine Zukunft für Gottes Volk?
  Und wie mochte sie aussehen?
  Was war nun mit Gottes Versprechen einer immerwährenden Davididen-Dynastie?
  Hatte Gott sein Volk verlassen?
  War dies das Ende von allem?
  
  Große Teile des Buches Ezechiel kreisen um diese Fragen. So auch unser Text heute, die Parabel von der Zeder.
  Und die Antwort, die Ezechiel bietet, ist keine einfache, ist nicht einfach “ja” oder “nein”.
  Der Prophet spricht von Zukunft, Gottes Zukunft mit seinem Volk.
  Doch diese Zukunft ist nicht einfach eine Fortsetzung der Vergangenheit, nicht eine Wiederherstellung des Altgewohnten, der “guten alten Zeit”. Da ist ein Bruch zwischen Vergangenheit und Zukunft, wenn das Reis abgebrochen wird vom Baum, ein notwendiger Bruch.  Denn die Vergangenheit war aus der Sicht Gottes keineswegs die “gute” alte Zeit.
  Und doch markiert das Abbrechen der Zedernspitze nicht das Ende, sondern einen neuen Anfang.
  
  Der Prophet Jeremiah, der zur selben Zeit wirkte wie Ezechiel, der wurde mit den Worten berufen:
  Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche,
  daß du ausreißen und einreißen,
  zerstören und verderben sollst
  und bauen und pflanzen. (Jeremiah 1:10)
  
  Abbrechen und einpflanzen. Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, ob das bei Zedern funktioniert. Aber ich erinnere mich, wie meine Mutter auf ganz dieselbe Art und Weise neue Geranienschößlinge zog aus alten Pflanzen, die schon ganz vertrocknet und verknöchert aussahen. Und dann brachten sie doch tatsächlich knackiges junges Grün hervor!
  
  Ich erniedrige den hohen Baum und erhöhe den niedrigen;
  ich lasse den grünen Baum verdorren, und den dürren Baum lasse ich grünen.
  Abschlagen und einpflanzen, Gericht und Schöpfung, Ende und Neuanfang, und wie beides zusammenhängt, ist traditionell ein Thema im Advent.
  Gott fängt noch mal von vorne an.
  Und doch greift er dabei auf das zurück, was schon da ist, was er einst geschaffen hat.
  Mitten in der alten Schöpfung beginnt die neue.
  
  Siehe, ich mache alles neu! (Offenbarung21,5), spricht der Herr. Ich, der HERR, rede es und tue es auch. (Ezechiel17, 24) Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2 Corinthians 5:17)
  
  Steht das nun nicht in einer gewissen Spannung zu unserem immergrünen Baum, der ja immer grün bleibt? —
  
  Da wächst nun ein neuer Baum, ein Klon sozusagen, aus ganz genau demselben Holz wie der alte Baum.
  Ein neuer Sproß vom alten Stamm.
  Kann das funktionieren??? Oder werden dieselben alten Probleme wiederkommen? Die Probleme, die Gott schon immer mit seinem Volk hatte: daß sie murren, und ihn ignorieren, und nicht auf seine Boten hören.
  Schließlich hat der neue Baum ganz genau dasselbe Erbgut wie der alte. Was sollte sich also verändert haben?
  
  Tatsächlich kehrte das Volk Israel nach 70 Jahren im Exil nach Judah zurück. Grundlegend verändert, in ihrer Kultur, in ihrem Glauben, und doch dasselbe Volk.
  
  Es war nicht das letzte Mal, daß Gottes Zedernbaum, Gottes Volk, vor dem Ende zu stehen schien:
  Um die Zeit Jesu, da predigte Johannes der Täufer:Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. (Lukas 3:9)
  Und Jesus selbst erzählte die Geschichte vom Feigenbaum, der nicht tragen wollte. Und dennoch gab Gott ihm noch eine Chance, wie Jesus erzählt.
  
  Die Zedernspitze des Baumes, den Gott gepflanzt hatte, war nun ein anderer. Einer, der nicht nur Davidssohn, sondern zugleich Gottes Sohn war.
  Auf ihm ruht die Hoffnung von uns allen.
  Und es ist nur angemessen für das Fest seiner Geburt einen Baum aufzustellen:
  Ähnlich wie Ezechiels Zeder wird auch unser Weihnachtsbaum abgehauen und an anderer Stelle wieder aufgestellt. In unserem Fall meist im Wohnzimmer, aber manchmal auch im Vorgarten. Wo man ihn dann sehen kann, in aller seiner Pracht. Manche Leute bohren ja auch noch Löcher in den Stamm und befestigen so extra-Zweige, auf daß es ein besonders schöner Baum werden möge, daß es Zweige gewinnt und Früchte bringt und ein herrlicher Zedernbaum wird.
  Apropos Früchte: was für Früchte soll so eine Zeder denn bringen? — Wie jeder Nadelbaum bringt sie Zapfen – gut, die hänge ich auch an meinen Baum – aber sollen das wirklich die Früchte sein, von denen Ezechiel spricht? Das Fruchtbringen in der Bibel läuft doch eher auf Feigen und Weintrauben hinaus... Leckere, süße und nahrhafte Früchte. Und die Zweige, auf denen die Weintrauben wachsen, die heißen Reben. Von denen sagte Jesus einmal: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. (Johannes 15,5)  
  
  Bei uns zu hause gehörten zum Baumschmuck sogar einige Vögel (kunstvoll und lebensecht aus gefärbter Watte), die in den Zweigen des Weihnachtsbaumes saßen. So daß Vögel aller Art in ihm wohnten und alles, was fliegt, im Schatten seiner Zweige bleiben konnte. Ich hatte sogar einmal einen Weihnachtsbaum, der Vögeln noch Schutz bot, lange nachdem ich ihn ausrangiert hatte: ich hatte den Tannenbaumabholungstermin verpaßt und stellte ihn erstmal auf den Balkon. Und siehe, bevor ich dazu kam, ihn ordnungsgemäß zu entsorgen, hatte eine frühe Amsel ihr Nest darin gebaut. Aus drei Eiern schlüpften drei Junge, und ich mußte warten, bis sie flügge waren, bevor ich dem Baum endgültig wegschaffen konnte.
  
  Und der alte Baum, von dem Gott  die Spitze abbrach, hat er den aufgegeben?!
  Nein, nicht damals, als die Babylonier das Volk Israel verschleppten, und auch nicht, als wenige Jahrzehnte nach Jesu Tod die Römer Jerusalem eroberten und die Juden vertrieben.
  Nein, der alte Stamm starb nicht ab, und bringt heute noch Frucht, im Land Israel und überall auf  der Welt.
  Nur hat Gott nun neben dem alten Gottesvolk zusätzlich ein neues, neben dem alten Baum einen neuen, der aus der abgebrochenen Spitze herauswächst.
  
  Die Geschichte, wie dieser Baum aufwuchs und sich ausbreitete, vom schwachen jungen Reis zum ehrfurchtgebietenden majestätischen Zedernbaum, diese Geschichte werden wir in den nächsten Wochen und Monaten hören, von Weihnachten bis Karfreitag und Ostern.
  
  Am Ende der Geschichte – wie ihr wißt – am Ende stirbt der König, der immergrüne Baum, unter dem Urteil  »Verflucht ist jeder, der am Holz hängt« (Galater  3,13), stirbt und und bleibt doch nicht tot, kommt zurück und bringt neues Leben, ein Baum, der Zweige gewinnt und Früchte bringt und ein herrlicher Zedernbaum wird, so daß Vögel aller Art in ihm wohnen und alles, was fliegt, im Schatten seiner Zweige bleiben kann, spricht der Herr. Und alle Bäume auf dem Felde sollen erkennen, daß ich der HERR bin. Alle Bäume und alle Menschen und alle Welt.
  
  Wenn Ihr also heute oder morgen zuhause Euren Baum aufstellt, dann denkt auch einmal an die Zeder.
  Besonders falls Ihr auch auf die seltsame Idee kommt, dem Baum die Spitze abzuschneiden...
  
  Amen