alles neu - Predigt zu Johannes 3,1–15 von Reiner Kalmbach
3,1-15

alles neu - Predigt zu Johannes 3,1–15 von Reiner Kalmbach

alles neu

Liebe Gemeinde,

heute beginnt ein neuer Abschnitt im Kirchenkalender. Nach Weihnachten, Passion, Ostern und Pfingsten, wichtige Stationen, die selbst nicht so eifrige Kirchgänger in der Regel nicht versäumen möchten. Heute beginnt Trinitatis. Während wir uns mit den traditionellen Festen leicht tun, schliesslich ist die Krippe etwas konkretes, auch das Kreuz ist für uns weit mehr als ein Symbol, hapert es mit der Vorstellung eines „dreieinigen Gottes“, ein Gott mit drei Gesichtern...? Das Thema ist eher etwas für diskussionsfreudige Philosophen oder Theologen.

Ach ja, wie gerne würde ich mal wieder eine Nacht lang „theologisieren“, mit einem lieben Freund und Kollegen und einer guten Flasche Roten..., so wie wir es früher öfter getan hatten. Nun sitze ich im fernen Patagonien, der nächste Kollege wohnt über 1500 km entfernt und ansonsten ist die nichtlutherische Kirchenlandschaft mit neopfingstlerischen und charismatischen Kirchen und Gruppen gepflastert, die eine Wohlstandstheologie verkünden, dass einem Angst und Bange wird.

Wenn man, so wie ich, in der „Diaspora“ lebt und dann auch noch „protestantisch“ lehren und predigen soll, wird einem die Tradition zu einer wichtigen Stütze: was mir einst meine pietistischen Grosseltern beigebracht haben, das Leben in der kleinen und ländlichen Gemeinde tief im Württembergischen, der Konfirmandenunterricht, später dann die Kirchentage, Friedensbewegung..., damals hatte ich mich oft gegen eben jene Tradition aufgelehnt, die mir heute so wichtig geworden ist.

Und gerade darin liegt auch eine Gefahr: man erhebt sie, ohne es zu wollen, zu einem Dogma, zu einer „Wahrheit“, bleibt in der Vergangenheit gefangen. So geht es auch manchen meiner Gemeindeglieder, sie verwechseln Tradition mit Glaube.

Allein schon deshalb sehne ich mich nach einer richtig erfrischenden theologischen Auseinandersetzung..., wie es uns Nikodemos und Jesus vormachen.

Textlesung: Johannes 3, 1 – 15

Wer ist denn dieser Nikodemus? Er ist der Vertreter des „offiziellen“ Judentums. Deshalb sollten wir uns nicht auf seine Person konzentrieren, sondern auf seine Funktion. Nikodemus vertritt die offizielle Lehrmeinung, d.h. die jüdische Tradition.

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Lehrer aneinander vorbeizureden, sie argumentieren auf zwei verschiedenen Ebenen. Was für Nikodemus geschichtliche Wahrheit ist, das ist für Jesus gerade das Hindernis..., Hindernis weswegen? Es geht ums Heil, um das Reich Gottes und um die Frage des „wie“ (bekomme ich Zugang zum Heil). Was Jesus hier behauptet, sollte Nikodemus sich überzeugen lassen, würde das gesamte jüdische Traditionsgebäude zum Einsturz bringen: der Abstand zu Gott ist für alle Menschen gleich, Religiöse und Atheisten, dieser Abstand kann nur durch das von Gott selbst bewirkte Geistwunder aufgehoben werden. Deshalb kann man den Glauben nicht „begreifen“, man kann ihn nur „erfahren“...

1)      ...in einem neuen Anfang

Wir sind Zeugen eines Nachtgesprächs, und zwar unter „Fachleuten“: Nikodemus, „Lehrer Israels“ und Jesus, ein „Lehrer von Gott gekommen“, wie Nikodemus selbst anerkennend ausspricht. Er ist durch die „Zeichen“ auf ihn aufmerksam geworden, sie sind für ihn eine Art „göttliche Beglaubigung“. Jedoch: Jesus ist nicht der einzige Wanderprediger seiner Zeit, er steht damit nur für eine Linie einer bestimmten rabbinischen Tradition. Dennoch, so scheint es, muss es da noch etwas anderes geben, Jesus ist nicht nur..., sondern viel mehr..., und Nikodemus will der Sache auf den Grund gehen. Ohne Umschweife legt Jesus gleich den Finger in die Wunde: die Frage nach dem Reich Gottes, die wir über die ganzen Evangelien verstreut finden, etwa wenn, wie bei Lukas, die Jünger fragen „wann kommt das Reich Gottes?“, oder bei Matthäus „welches ist das vornehmste Gebot?“, und: „was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe...?“

Ohne es zu erwähnen, redet Jesus vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Ein tiefer Schnitt wird vollzogen zwischen der rabbinischen Tradition und dem was Jesus sagen will. Eigentlich gibt es gar keine Debatte. Für einen frommen Juden ist es die Aufgabe des Menschen das Reich Gottes herbeizuführen, durch strikte Gesetzesbefolgung und ständige Perfektionierung. Erinnern wir uns an die Frage bei Matthäus: „...das alles habe ich gehalten, was fehlt mir jetzt noch...?“

In Argentinien wachsen die neopfingstlerischen Kirchen und Gruppen wie die Pilze nach einem warmen Herbstregen. Um was geht es ihnen? Wer dazugehören will, der „tut“ bestimmte Dinge einfach nicht mehr, er wird sein persönliches und tägliches Leben einer bestimmten Moral unterordnen. Eine fundamentalistische Bibelauslegung ist die Grundlage dafür. So hat sich die Frau dem Manne unterzuordnen, schliesslich ist er das „Haupt“ der Ehe. So verzichtet sie bereitwillig auf das was ihr vom (weltlichen) Gesetz her zusteht. Und wenn „ihm“ dann mal die Hand ausrutscht, so wird sie es ihm verzeihen, immer und immer wieder...Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt, dass in Argentinien alle 32 Stunden eine Frau von ihrem wildgewordenen Ehemann, oder Ex zu Tode geprügelt wird.

Aber zurück zu unserem Nachtgespräch: was meint Jesus, wenn er sagt, dass „nur wer von neuem geboren wird, das Reich Gottes sehen kann? Ein heikles Thema, ein heisses Eisen, auch für unsere Volkskirche: sichert mir der Taufschein das ewige Leben?, die simple Zugehörigkeit zu einer Struktur und Tradition...?

Ob es uns gefällt, oder nicht: Jesus sagt mit seinem ersten Satz, dass wir alle, so wie wir sind, überhaupt nicht für das Reich Gottes geeignet sind. Da helfen uns auch keine noch so gut gemeinten Anstrengungen im rabbinischen Sinne. Niemand kann, so wie er ist, Gott finden, es sei denn, Gott selbst stellt diesen Kontakt her, Gott selbst schafft in uns einen radikalen Neuanfang, quasi von einem Nullpunkt aus.

Das ist ziemlich stark. Wollen wir Jesu Vorstellung vom Reich Gottes hier folgen, geht es auch bei uns nicht ohne ein „Erschrecken“. Denn er meint eben nicht einen neuen Anstrich unseres Glaubensgebäudes, sondern den kompletten Abbruch und Neuaufbau! Es geht um den Neuen Menschen, geboren aus Wasser und Geist. Es geht auch hier nicht um Symbolik, wie viele Christen ihre eigene Taufe verstehen. Mit Geist ist Gott selbst gemeint!, der Schöpfer!

Heute feiern wir Trinitatis, den Dreieinigen Gott. Jesus spricht also von jenem dritten der heiligen Angesichter Gottes. Gott selbst will Wohnung nehmen in uns. Es ist der Schöpfergott und die Schöpfung hat immer mit der Zukunft zu tun. Ist uns also der Geist gegeben, sind wir neue Geschöpfe. Der alte Mensch ist zwar noch da, und wir sehen, spüren und erleiden dies täglich, aber eigentlich lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir, wie es Paulus formuliert. Man könnte auch so sagen: der Geist macht den neuen Anfang, ich kann nichts dazutun, wer hat sich schon selbst geboren...?

Ich kann und soll das neue Leben annehmen, wenn Gott es mir gibt. Wie aber gibt er es?, mit Wasser, heisst es da, das weißt auf die Taufe. Also: Gott wirkt in uns durch die Taufe.

Noch einmal: wollen wir Jesu Rede ernst nehmen, wird ein Zusammenzucken, ein Unwohlsein, nicht ausbleiben. Jesu Rede ist reines Evangelium, das alles auf den Kopf stellt. Sie scheint uns den Atem zu nehmen, schenkt uns aber in Wirklichkeit befreites Aufatmen. Jesus stellt hier nicht unsere biologische Herkunft, unser biologisches Sein in Frage. Auch nicht unsere Fähigkeiten die Welt zu gestalten, zum Guten oder zum Bösen, es geht hier ganz einfach um unser Heil. Wiedergeburt meint „Vertauschung“ des „woher“, von oben geboren werden. Denn der Sünder (im Fleisch geboren) kann nur Sünde produzieren und der Lohn der Sünde ist der Tod. Altgewordene Begriffe, aber wir wissen nur zu gut, was sie bedeuten...In der Stunde unserer Geburt wird der Pfeil abgeschossen, der uns in der Stunde unsere Todes erreicht. Unsere Biologie hat den Tod zum Ziel. Gott aber das Leben!

2)      ...aus einem neuen Ursprung

Auf den „Ursprung“ kommt es an, aber, was ist das?, wie erkenne ich ihn? Wir sind von untern, d.h. wir haben nur unsere irdischen Fähigkeiten, die uns, - im Bezug auf das Reich Gottes – überhaupt nichts nützen. Das sollte ein Fachmann wie Nikodemus eigentlich wissen. Aber er kann nicht, denn dazu müsste er eben von „oben“ geboren sein. Und jetzt spitzt sich die ganze Sache auch noch zu: Jesus redet vom „wir“, wir reden und bezeugen, was wir gesehen haben..., es geht um die unverbrüchliche Zugehörigkeit zum Vater. Jesus allein ist, wenn es um Gott geht, der Fachmann. Weil er vom Vater kommt: sein Woher, sein Ursprung ist bei Gott!

Diesen neuen Ursprung kann ich nicht erzwingen, er kann auch nicht mit meiner Vernunft oder meinem Willen erfasst noch beeinflusst werden. Ich spüre ihn nur, ich weiss, dass der Wind existiert, dass er weht, aber ich kann ihn nicht sehen. Der Wind bewegt die Blätter am Baum vor meinem Fenster, er kann diesen Baum sogar entwurzeln, aber ich kann ihn weder sehen, noch schmecken, tasten...

Nun aber geschieht das „Unglaubliche“: wenn es so ist, dass Gottes Geist von oben kommt und in mir Wohnung nimmt, dann heisst das, dass Gott bei mir ist. Dass ich nicht alleine bin in dieser dunklen Welt, dass ich mich an ihn halten kann, dass ich, gegen mein ständiges Versagen und Verzweifeln auf sein Wort vertrauen darf, das Wort das mir zusagt, wie lieb ich ihm bin und wieviel Gefallen er um Christi willen an mir findet.

3)      ...in einem neuen Leben

Nun fehlt uns noch ein Element: Jesus redet, was er weiss, denn er stammt aus der Wirklichkeit Gottes. Seine Sendung beschränkt sich aber nicht darauf. Er ist kein besonders charismatischer Rabbi, der eben mehr weiss, als der grosse Lehrer Nikodemus.

In einer grösseren Stadt ganz in der Nähe (500 km entfernt) wird gerade eine neue Kirche gebaut. Der vollklimatisierte Innenraum soll einst 8500 Personen Platz geben, die beste Akustik im Land haben, ausgestattet mit der modernsten Technik. Rockbands werden das Volk anheizen, ein Fachmann in Beleuchtung wird die entsprechende Atmosphäre zaubern und dann wird der Showman in einem weissen Leinenanzug auf der Bühne erscheinen und viele werden bereits in Ohnmacht fallen. Was wird er predigen?, warum werden die Menschen ihm glauben und nicht „mir“ der doch auch sonntäglich das Evangelium verkündet...? Vielleicht ist das der Punkt: sie glauben an ihn, den charismatischen, gut aussehenden, erfolgreichen (und damit gesegneten!) Prediger. Ich dagegen kann nur hoffen und beten, dass die Menschen Jesus begegnen. hn, die beste Akustik im Land haizen, ein Fachmann in Beleuchtung wird die entsprechende Atmosphen, die beste Akustik im Land hJesus kommt mit Wasser und Geist und tut damit, wozu der Vater ihn gesandt hat: er holt uns in sein Reich! Aber damit hat er es schwer „ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an.“ Es ist schon merkwürdig: unsere Verschlossenheit gegen den Gott, bei dem wir doch das Leben haben könnten.

Der Abschnitt endet mit dem Hinweis auf Jesu Kreuz: der Menschensohn muss erhöht werden, er kam vom Himmel und wird nun von der Erde (buchstäblich) erhöht.

Und genau um das geht es: der Glaube kommt am Kreuz nicht vorbei!, es ist die Konsequenz unserer Abweisung, aber das bedeutet auch gleichzeitig: Glauben heisst „aufsehen auf den gekreuzigten Jesus“ und „erkennen“, „erfahren“: das hat er für mich getan!

Wenn Nikodemus wüsste, was ihm hier angeboten wird!

Amen.