Arm oder reich? - Predigt zu 2. Korinther 8,9 von Stefan Knobloch
8,9

Arm oder reich? - Predigt zu 2. Korinther 8,9 von Stefan Knobloch

Arm oder reich?

Ohne Geschenke – kein Weihnachten! Ohne Geschenke – kein Heiliger Abend! Manche sehen darin eine Kommerzialisierung und Materialisierung des Weihnachtsfestes, seine Verflachung und Überlagerung von fremden Interessen. Gewiss, alles hat seine zwei Seiten. Man darf aber die positive Seite daran nicht übersehen. Geschenke sind Zeichen der Aufmerksamkeit, des Dankes, der Wertschätzung und Zuwendung. In ihnen durchbrechen wir die alltäglichen Gedankenlosigkeiten, die verweigerten Aufmerksamkeiten, die unterlassenen Gefälligkeiten bis hin zu Verletzungen. In Geschenken zeigen wir, dass wir auch anders können, dass wir anders wollen, dass wir auch anders sind.

Und das greift in der vorweihnachtlichen Zeit weiter aus. Man denke an die Hilfsbereitschaft so vieler Menschen. Sie fühlen sich angesprochen und berührt von der Not von Kindern, von kranken Kindern, von allen Formen weltweiter Not. Die Solidarität ist groß in unserem Land. Das erinnert an die Hilfsaktionen, die die ersten hellenistischen christlichen Gemeinden von Korinth, von Thessalonich, von Galatien für die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem, über kulturelle Gräben hinweg, auf die Beine stellten. Hauptinitiator dabei war Paulus mit seinen Mitarbeitern. Einen Widerhall dessen vernehmen wir heute am 2. Weihnachtstag aus der Lesung aus dem 2. Korintherbrief.

Nöte allenthalben
Paulus ruft die hellenistischen Gemeinden zu einer Spendenaktion für Jerusalem auf und formuliert dabei einen Satz, der eine eigenartige Dichte hat, die uns möglicherweise nicht gleich auffällt. Ihr wisst doch, sagt Paulus den Korinthern, dass euch unser Herr Jesus Christus ein Geschenk gemacht hat. Welcher Art? Euretwegen ist er, reich wie er war, arm geworden, damit ihr an jener Armut reich werdet. Also, so legt er die Schlussfolgerung nahe: Gebt auch ihr von eurem Reichtum, gebt von dem, was ihr habt. Gebt es der notleidenden Gemeinde von Jerusalem.

Wenn wir heute das Wort Jerusalem hören, dann wandern unsere Gedanken weiter nach Syrien, nach Damaskus, nach Homs, nach Aleppo. Dann haben wir die Bilder sinnloser Zerstörung vor Augen, und mitten drin verstörte Menschen, Jugendliche, Kinder. Dann sehen wir die überfüllten Flüchtlingslager im Libanon, in Jordanien, in der Türkei. Und stellen uns die in Syrien selbst umherirrenden Familien vor, die kein Dach mehr über dem Kopf haben, die ums Überleben kämpfen, die verzweifelt sind.  Gewiss, international organisierte Hilfskräfte versuchen zu helfen, gewiss können wir auch selber durch Spenden helfen. Aber letztlich lähmt einen die Machtlosigkeit, die Aussichtslosigkeit, hier etwas Entscheidendes bewegen zu können.  Zusehen zu müssen, wie Menschen, nun über Jahre schon,  einem Elend ausgesetzt sind, das den Hunger und die Entbehrungen der Menschen im damaligen Jerusalem wohl weit übertrifft.

Ein Geschenk?
Von welchem Geschenk sprach Paulus, das Jesus Christus den Korinthern gemacht hat? Hat es auch eine Bedeutung für uns bewahrt? Indem wir uns dieser Frage zuwenden, vergessen wir die eben genannten Probleme nicht und flüchten wir uns vor ihnen nicht in eine wohlige Weihnachtsstimmung.
Das Geschenk, von dem Paulus spricht und an dem sich auch unser Glaube zu orientieren versucht, reicht in eine tiefere Wahrheit hinab als die Schreckensbilder und Schreckensmeldungen unserer Tage. Es ist das Geschenk der Präsenz, der Gegenwart der Liebe Gottes in seinem auferstandenen Sohn. Sagen lässt sich das leicht, aber was ist daran?

Erwägen wir die Paulusstelle. Jesus, der Herr, hat sich unsertwegen arm gemacht, er, der reich war. Diese ungewöhnliche Aussage versucht die Menschwerdung des Gottessohnes ins Wort zu fassen. Aber wie? Wurde Gott in der Menschwerdung arm? Inwiefern denn? Indem er Mensch wurde? Indem er, wie es im Prolog des Johannesevangeliums heißt, in sein Eigentum kam? Ist jemand arm, der in sein Eigentum kommt? Hier trifft das Wort arm eigentlich nicht. Zumindest ist es nur eine  Zugangsweise, die Menschwerdung des Gottessohnes zu deuten. Eine andere ist, die Menschwerdung wie das Johannesevangelium als Eingehen, als Eintreten in sein Eigentum zu deuten. Das bedeutet dann, dass die Welt, dass die Schöpfung, die nach Genesis 1 von Anfang an Werk und Eigentum Gottes ist und über der von Anfang an der Geist Gottes schwebt, in der Menschwerdung des Gottessohnes ihren eigentlichen Zielpunkt erreicht, auf den sie immer schon zustrebte. Die Welt ist der Ort, mit dem sich Gott in seinem Sohn bis ins Menschsein hinein verbunden hat.

Menschsein ist keine Armut
Wir können dafür auch sagen: Das ewige Wort ging mit seinem göttlichen Reichtum in unser Menschsein ein, damit wir begreifen, dass Menschsein keine Armut ist, sondern ein von Gott durchwirkter Reichtum, eine von Gott durchwirkte Wirklichkeit. Die vermeintliche Armut des Menschgewordenen bringt den Reichtum unserer menschlichen Existenz zum Leuchten. Reichtum ist das, Reichtum, keine Armut! Deshalb spottet es jeder Beschreibung, wenn menschliches Leben, das von Gott her, bestätigt in der Menschwerdung seines Sohnes, einen solchen Reichtum darstellt, faktisch in Dreck und Elend, in Hunger und Menschenverachtung, in Entrechtung und Unterdrückung geführt wird. Er kam in sein Eigentum. Daran sollen wir den Reichtum unseres Lebens erkennen. Und dies soll nicht bloß ein theoretischer Gedanke bleiben, den wir zu Weihnachten unter dem Christbaum neben der Krippe ablegen. Dieser Reichtum soll in unserem Leben zum Ausdruck kommen. Im Umgang von Mensch zu Mensch, von Gesellschaften zu Gesellschaften, von Völkern zu Völkern, von Staaten zu Staaten, von Kulturen zu Kulturen, von Religionen zu Religionen.

Das ist alles andere als ein Traum. Es ist der Impuls aus der Menschwerdung des Gottessohnes, in der zum Leuchten kommt, was es mit der Welt, was es mit dem Leben auf sich hat. Er ist präsent, der Auferstandene ist präsent. Sein Geist treibt uns an. Er spricht zu uns in den Ereignissen, aus den Bedürfnissen und Wünschen unseres Lebens (wie die Pastoralkonstitution Gaudium et spes 11 sagt). Wir müssen nur auf ihn hören. Unser Leben ist so wenig ein trostloser Wüstenzug wie es der Durchzug der Mose-Leute durch das Meer war. Die Wolke Gottes begleitete und rettete sie. Er begleitet auch uns.

Der Auferstandene, als Mensch in sein Eigentum gekommen, hat sich nicht wieder verflüchtigt. Er ist präsent, er ist da, wie Gott im brennenden Dornbusch da war. „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘.“ Das ist der Grund, warum wir ihn feiern, warum wir seine Geburt feiern, warum wir Weihnachten, Ostern und Pfingsten feiern, warum wir Abendmahl bzw. Eucharistie feiern. Wir sind von seiner Gegenwart beschenkt. Aus ihr heraus sollen die Menschen aller Zeiten, aller Kulturen, soll die ganze Schöpfung ihr Leben leben. So kann Friede werden. Friede, der die Sehnsucht der Menschen, die Sehnsucht der Schöpfung ist. Im Rhythmus dieser Sehnsucht tickt die Uhr der Schöpfung, der Schöpfung als einem Werk der Liebe Gottes.

„Wir wissen,“ heißt es im Römerbrief, „dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22). Sie wird zur Gänze werden, was sie schon ist: Eigentum des Herrn. Und wir sind die Beschenkten.