Aufstehen zu Ostern - Predigt zu Markus 16,1-8 von Margot Runge
16,1-8

Aufstehen zu Ostern - Predigt zu Markus 16,1-8 von Margot Runge

Aufstehen zu Ostern

(Die Osterkerze leuchtet noch nicht.
Der übliche Gottesdienstablauf ist verändert.)

Begrüßung

Ich begrüße Sie heute am Ostermorgen in der Jacobikirche mit dem alten Osterruf: Jesus ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden.

Ostern beginnt das große Aufstehen. Heute ist der Ablauf anders als sonst. Die Predigt kommt am Anfang, das Abendmahl gleich nach dem Evangelium. Heute ist alles ein wenig anders. Denn Ostern gerät der gewohnte Ablauf der Dinge durcheinander.
So sind wir’s gewohnt: Was zu Fall kommt, bleibt liegen. Wer obenauf ist, triumphiert. Was tot ist, bleibt tot. Gott wirbelt unsere Ordnung gehörig durcheinander.
Heute geht es ums Auferstehen, ums Aufstehen. Heute geht es ans Aufstehen – und wir sind dabei. Lassen Sie uns singen: Wir wollen alle fröhlich sein.

Lied: EG 100, Psalm

Auf-er-stehen?

Gott rüttelt an der Ordnung der Dinge und ver-rückt sie. Deshalb passieren zu Ostern auch lauter verrückte Sachen. Schwerbewaffnete Sicherheitskräfte fallen wie vom Blitz getroffen zu Boden, obwohl niemand auf sie geschossen hat.  Leute haben Erscheinungen und behaupten, sie  wären real. Zwei Leute gehen in ein Dorf und kehren wieder um. Tote stehen auf.

Aufstehen, auferstehen, das ist im Neuen Testament dasselbe Wort (anhistemi).*  Menschen stehen auf, nachdem sie gegessen haben, wenn sie krank waren oder wenn sie zu einer Reise aufbrechen. Aufstehen, das ist ein Alltagswort.
Mit diesem Wort beschreibt die Bibel, wie Menschen heil werden. Die kranke Schwiegermutter des Petrus steht auf oder der Gelähmte, die Tochter des Jairus oder Maria, die um ihren toten Bruder Lazarus trauert und hört, daß Jesus kommt: Sie steht schnell auf und geht ihm entgegen.  Und mit diesem Wort erzählt die Bibel, was zu Ostern passiert: Jesus steht auf. 
Wir sagen meistens „auferstehen“. In der Kirche schieben wir eine Silbe in das Alltagswort und trennen es von dem, was wir täglich erleben. Aus „aufstehen“ wird „auferstehen“ und aus „aufwecken“ „auferweckt“.

Aber in der Bibel gehört es zusammen. Es ist dieselbe Erfahrung, die sich durch die ganze Bibel zieht: Gottes Lebenskraft reicht über unsere Grenzen hinaus, selbst dorthin, wo Tod und Ausweglosigkeit und Gewalt regieren. Die Bibel erzählt, wie Menschen immer wieder aufgestanden sind. Sie macht uns Mut, daß auch wir uns von dieser Kraft anstecken und uns in sie hineinziehen lassen. Rose Ausländer schreibt in einem Gedicht:

Auferstehung

Vor seiner Geburt
war Jesus
auferstanden

Sterben gilt
nicht für Gott und
seine Kinder
Wir sind Auferstandene
vor unserer Geburt

Jesus ist aufgestanden. Vom Tod, gegen den Tod. Die Mächtigen, die ihn „ermordet haben, behalten nicht das letzte Wort.“ **
Ostern beginnt das große Aufstehen. Aber wie ist aufstehen?

Aufrichten (in völliger Stille)

Eine Frau hockt völlig zusammengekauert neben der Osterkerze und richtet sich sehr, sehr langsam auf, bis sie schließlich die Arme nach oben ausstreckt.
Danach entzündet sie die Osterkerze.

Ostern beginnt das große Aufstehen. Aber wie ist aufstehen?

Erfahrungen des Aufstehens

Verschiedene Gemeindemitglieder erzählen von Menschen, die aufgestanden sind (möglichst auf die eigene Gemeinde hin aktualisieren).

Jede Erfahrung endet mit  dem Satz „Ich bin aufgestanden“. Danach wird jeweils eine Kerze an der Osterkerze angezündet.

Heute Morgen war ich zum Osterspaziergang auf der Moltkewarte. Um 5.45 Uhr haben wir uns getroffen. Das Aufstehen war schrecklich. Ich frage ich mich jedes Jahr: Warum schlafe ich nicht gemütlich aus am Ostersonntag? Warum tue ich mir das an?  Doch wenn wir auf der Moltkewarte angekommen sind, sage ich jedes Mal: es lohnt sich und es ist sehr schön. Ich bin aufgestanden.

Ich bin Samuel Müller, Superintendent und Stadtchronist. Im 30-jährigen Krieg sollte ein Lokalpolitiker – der Oberaufseher Jacob Grünthal - hier mit militärischen Ehren beigesetzt werden. Sogar seine Kriegsfahne sollten vorangetragen werden. Ich habe mich geweigert. Kriegsfahnen und Personenkult haben in der Kirche nichts zu suchen. Doch seine Verwandten haben ihren Einfluß geltend gemacht. Bis zur Landesregierung sind sie gegangen. Ich habe mich gewehrt, aber ich mußte klein beigeben. Auf dem Epitaph kniet er in voller Rüstung unter dem Kreuz. Trotzdem, ich bin dagegen aufgestanden.

Ich bin der Gelähmte aus der Bibel. Freunde habe mich zu Jesus getragen. Ich konnte überhaupt nicht mehr laufen, nur liegen. Jesus hat zu mir gesagt: Steh auf, nimm dein Bett und geh. So bin ich aufgestanden.

Ich bin Erich Gubalke und war  in den 1920-er Jahren Pfarrer an der Ulrichskirche. Ich habe mir Gedanken zur Nutzung des Gemeindehauses gemacht. Nur Bibelstunden fand ich zu wenig. Ich fand, die Kirche soll sich auch sozial engagieren. Ich habe zwei alte Eisenbahnwaggons für obdachlose Familien im Hof aufgestellt. Dann habe ich den Kindergarten gegründet. 1933 wurde mir die Pfarrstelle entzogen, denn in meiner Zeitschrift „Die Unruhe“ habe ich vor dem Nationalsozialismus gewarnt. Ich bin aufgestanden.

Ich bin Alban Hess. Ich habe die Sankt-Michael-Buchhandlung gegründet. Doch das Buch von Adolf Hitler, „Mein Kampf“, ging nicht über meine Ladentheke. Stattdessen habe ich die Bekennende Kirche in Sangerhausen gegründet. Mehrere Jahre saß ich im Gefängnis und im KZ Buchenwald. Auch in der DDR wurde ich mehrmals inhaftiert, weil ich öffentlich für freie Wahlen eingetreten bin. Ich bin aufgestanden.

Ich war im letzten Jahr schwer krank. Ganz plötzlich habe ich die Diagnose bekommen: Du hast Krebs. Von einem Tag auf den anderen war alles anders: Untersuchungen, Krankenhaus, Chemotherapie. Ich habe alle Kräfte verloren und oft auch meinen Mut. Es hat lange gedauert, bis ich mich erholt habe. Aber jetzt bin ich aufgestanden.

Meinen Namen kennt bis heute niemand, nicht einmal die Staatssicherheit. Als in den 80-er Jahren Atomraketen auf beiden Seiten der Grenze aufgestellt wurden, wurde auch in Sangerhausen über das Bibelwort „Schwerter zu Pflugscharen“ diskutiert. Ich habe mir heimlich weiße Farbe und einen Malerpinsel organisiert. In einer Nacht- und Nebelaktion habe ich auf dem Markt am Haus Nr. 11 einen Spruch aus der kirchlichen Friedensbewegung angebracht: „Frieden schaffen ohne Waffen  -  in Ost und West“.
Die Staatssicherheit hat am Morgen sofort den Markt abgesperrt und den Spruch übermalt. Niemand sollte ihn sehen. Dann haben sie unzählige Leute befragt. Aber es ist nie herausgekommen. Frieden schaffen ohne Waffen in Ost und West, dafür bin ich aufgestanden.

Ich bin Maria aus Magdala. Wir Frauen haben uns am Ostersonntag zeitig zum Grab aufgemacht. So wurden wir zu ersten Zeuginnen von Ostern. Jesus ist nicht bei den Toten. Jesus ist aufgestanden.

Evangelium Markus 16,1-8
(Wenn es üblich ist, kann sich die Gemeinde an dieser Stelle das Osterlicht weitergeben.)
 

Lied: Wir wollen aufstehn, aufeinander zugehn, voneinander lernen, miteinander umzugehn (Clemens Bittlinger)

Die Gemeinde steht auf: Feier des Abendmahls

* Glossar zum Verb „kum“ / „anhistemi“ in der Bibel in gerechter Sprache,,Gütersloh 2011 (Taschenausgabe), 1814

** Claudia Janssen: Endlich lebendig. Die Kraft der Auferstehung erfahren. Vortrag am 29.3.2014 beim Norddeutschen Forum Feministische Theologie