Begierde und Versuchung oder Lebenslust und Glaube - Predigt zu Jakobus 1,12-18 von Christoph Maier
1,12-18

Begierde und Versuchung oder Lebenslust und Glaube - Predigt zu Jakobus 1,12-18 von Christoph Maier

Begierde und Versuchung oder Lebenslust und Glaube

Liebe Gemeinde,

„Versuchung du bist grell geschminkt,
verwegen lächelst du mich an,
und wenn´s dir erst einmal gelingt,
dass mich´s zum Widerlächeln bringt,
dann bin ich dran.
Oh, wärst du nicht so schön,
es wär so leicht, dir zu widerstehn.“

Seit gut drei Wochen probt der Chor jetzt an dem Josefmusical von Jürgen Werth. Einmal im Jahr finden sich junge Menschen zu einem Musikprojekt zusammen, ob sie dem Glauben nahe stehen oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Allerdings reizt der biblische Stoff, der in den Vertonungen zum Klingen kommt regelmäßig zum Gespräch und sorgt im Anschluss an die Proben immer wieder für angeregte Diskussionen. So auch an diesem Abend:

„Die muss ja hübsch gewesen sein, die Frau vom Pharao, dass der Josef so in Versuchung gekommen ist.“
„Und zielstrebig dazu. Die wollte den Burschen unbedingt vernaschen.“
„Also ich hätte da wahrscheinlich gar nichts dagegen gehabt. Ihr Christen seid da echt verspannt. Der Josef war doch solo, da ist doch gegen ein kleines Abenteuer nichts einzuwenden. Ich finde, ihr holt da viel zu schnell die große Sündenkeule aus der Tasche. Versuchung! Versuchung überall! - nur keinen Spaß haben im Leben. Das geht mir echt auf die Nerven.“
„Wir vertreten halt klare Werte und haben unsere Prinzipien. Das würde dir auch gut stehen, Klaus. Versuchs doch zur Abwechslung mal mit Treue!“
„Lass gut sein, Vera. Klaus hat ja irgendwie auch recht. Wer nicht irgendwann einmal auch in die Nähe der Versuchung kommt, hat nicht gelebt. Wer sich immer ängstlich aus allem raus hält, weil hinter jedem Baum die Sünde lauert, kann sich gleich auf dem Sofa zu Hause einsalzen lassen. Hat nicht Luther mal gesagt: Sündige tapfer?“

„Mag schon sein, dass Versuchung auch was mit Abenteuer und Lebenslust zu tun hat. Aber ich denke, in der Geschichte von Josef steckt noch mehr dahinter. Es geht doch nicht darum, ob ich mal ´ne Schokolade mehr oder weniger esse, oder ob ich mich mit Keuschheitsgelübde, Armut und Enthaltsamkeit selbst kasteie und dann schwach werde. Ich glaube, im Kern geht es nicht um Moral oder Gebote, sonder um Vertrauen. Der Pharao hat Josef doch vertraut und Josef hat Gott vertraut, dass er auf dem richtigen Weg ist, auch in der fremden Umgebung.“
„Stimmt, du hast recht. Vielleicht sollte man wirklich nur dann von Versuchung sprechen, wenn es ums Ganze geht. Um unsere Lebenshaltung, unser Vertrauen auf Gott, unseren Glauben.“

Begierde und Versuchung oder Lebenslust und Glaube? Hören wird den heutigen Predigttext aus dem Brief des Jakobus im 1. Kapitel:
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, die Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.
Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.
Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.
Irrt euch nicht, meine lieben Brüder.
Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.
Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.

Als müsste das Mal klargestellt werden: Gott führt nicht in Versuchung. Immer wieder hören wir in der Bibel die Verheißung, dass Gott mit uns geht, uns führt und uns mit seiner Gegenwart segnend begleitet. [So haben wünschen Sie sich das, liebe Eltern, ja auch für M. Der Taufspruch, den Sie ausgewählt haben, macht das deutlich: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir und will dich segnen.“ (Gen 26,24b)
Wer sich Gottes seiner Führung anvertraut, dem ist Segen verheißen und nicht Anfechtung und Versuchung. Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde.“(V. 13)]

Und trotzdem wird sich der aufmerksame Bibelleser an dieser Stelle über Jakobus wundern. Wenn man die Bibel liest, finden sich neben den zahlreichen Segensgeschichten auch ebenso zahlreiche Versuchungsgeschichten. Es scheint fast so, dass Glaubensgeschichte und Versuchungsgeschichten eng miteinander verknüpft sind. Jesus wird genauso wie das Volk Israel in der Wüste versucht. Abraham soll seinen Sohn opfern, den Einzigen, dem der Segen Gottes verheißen war. Im 22. Kapitel des 1. Mosebuches heißt es im ausdrücklichen Widerspruch zum Jakobusbrief: „Gott versuchte Abraham“. Und schließlich beten wir im bekanntesten Gebet der Christen immer auch: „… und führe uns nicht in Versuchung?“

Hier ergibt sich eine Spannung, die es sich lohnt anzuschauen, denn wo Spannungen sind, wird es spannend. Beim zweiten Blick auf den Predigttext des Jakobusbriefes fällt mir auf, dass schon der Texte selbst eine gewisse Spannung in sich birgt. Da ist die Versuchung einerseits ein tödliches Spiel mit der Sünde andererseits Grund zur Seligpreisung: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet“, - der ihr über bleibt (upomenei). Noch deutlicher ist Jakobus gleich zu Anfang seines Briefes. Dort heißt es im 2. Vers: „Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt“.
Martin Luther hat hier in unserer deutschen Übersetzung versucht, diese Spannung etwas abzubauen. Immer dort, wo Jakobus im positiven Sinn von der Bewährung in der Versuchung spricht, verwendet Luther in seiner Übersetzung das Wort „Anfechtung“. Aber dort, wo die negativen Folgen aufgezählt werden, übersetzt er mit Versuchung. Im griechischen Text ist aber an beiden Stellen dieselbe Wortgruppe verwendet – peirasmos die Versuchung, von der auch im Alten Testament berichtet wird und die auch im Vaterunser vorkommt.

Sollen wir uns nun über die Versuchung freuen, weil sie - wenn wir sie bestehen - Geduld und Seligkeit bewirkt, oder sollen wir uns vor ihr in acht nehmen, weil sie Sünde und Tod bewirkt? Irgendwo in der Spannung zwischen unserer irdischen Begierde - die nach Jakobus den Tod gebiert - und unserer himmlischen Neuerschaffung in der Taufe: „nach Gottes Willen durch das Wort der Wahrheit“ - wie Jakobus später weiter schreibt - entspannt sich die Möglichkeit der Bewährung.
Versuchung, Lebenslust, Glaube und Anfechtung. Irgendwo hier dazwischen läuft der Grat, auf dem wir in unserem Leben im Vertrauen auf Gottes Führung leben.
Gottesvertrauen schließt Lebenslust keinesfalls aus. Jedoch sind Lust und Gier enge Nachbarn. Gier aber führt in die Versuchung und Versuchung gefährdet Glauben.
Wer die Versuchung vermeiden will, der will es vermeiden zu leben. Und doch gebiert die Versuchung den Tod.

Bewährung! Das ist der Perspektivwechsel, zu dem uns Jakobus einlädt. Bewährung mit diesem Blickwinkel können wir vertrauensvoll auf die Versuchungen des Lebens blicken und die Klippe zwischen Versuchung und Lebenslust, zwischen Glaube und Anfechtung meistern. Nicht der lähmende Blick des Kaninchens auf die Schlange, sondern der vertrauensvolle Blick der Getauften auf das, was uns das Leben zu bieten hat, dazu ermutigt uns Jakobus.
Pecca fortiter: „Sei ein Sünder und sündige kräftig, aber vertraue noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt! (Martin Luther)[i]
Bewährung in der Versuchung bedeutet, um noch einmal mit Luther zu sprechen in die Taufe kriechen. Unsere Begierden, die Versuchung bewährt sich dann, wenn wir spüren, wie uns die Versuchung als Lebenslust und Lebenskraft auf Gott verweist, wie wir durch die Versuchung in eine tiefere Beziehung zu ihm geworfen werden. Das können wir erfahren, wenn wir unseren Versuchungen begegnen, wenn wir sie nicht leugnen, sondern für wahr nehmen und vor ihr und mit ihr und in ihr in unsere Taufe kriechen.

Die Passionszeit ist eine gute Zeit, um sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Sich einmal zu fragen: Was macht eigentlich die Versuchung bei mir aus. Sich einmal in dieses Spannungsfeld der eigenen Begierden hineinzubegeben und zu spüren welche Kräfte auf der einen, wie auf der anderen Seite wirken. Viele tun das ja in der Fastenzeit, indem sie ganz bewusst auf etwas verzichten, sich den eigenen Begierden stellen und versuchen, für 40 Tage Herr über sie zu sein. Der eigentliche Sinn des Fastens ist ja weder der, dass man den Winterspeck abhungert, noch sich selbst die Lebenslust zu verbieten. Fasten in der Passionszeit als religiöse Übung soll erfahrbar machen, wie wir im Vertrauen auf Gott, den eigenen Begierden und Begehrlichkeiten die Stirn bieten können. Die Passionszeit soll uns helfen einzuüben, wie das geht, im Gebet in die Taufe zu kriechen, in der Anfechtung auf Christus und seine Anfechtung zu schauen. Die Bewährung seiner Anfechtung, die Auferstehung, gilt in der Taufe auch mir.

1943 verfasst Dietrich Bonhoeffer in dem Essay „Nach zehn Jahren“ ein Glaubensbekenntnis, das eindrucksvoll von Bewährung, vom vertrauensvollen Blick auf Gott in schwierigen Zeiten voller Anfechtung, spricht. Eberhard Bethge stellt es der Sammlung von Briefen Bonhoeffers aus dem Gefängnis voran und macht diesen Text damit auch zum Zeugnis für die Glaubensgewissheit eines Menschen, der überzeugt war, „dass Gott kein zeitloses Fatum ist“, der Versuchung und Prüfung oder Glück und Segen blind über uns schüttet, sondern dass Gott auf unsere „aufrichtigen Gebete und verantwortlichen Taten wartet und antwortet.“[ii]

Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
soviel Widerstandskraft geben will,
wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst
vor der Zukunft überwunden sein.

Amen



[ii] D. Bonhoeffer: Nach zehn Jahren. In: Widerstand und Ergebung. Hrsg von Eberhard Bethge. Kaiser Taschenbücher, 16. Aufl. 1997, S.19.