Bin ich zu laut? – Predigt zu Lukas 10,38-42 von Eberhard Busch
10,38-42

Bin ich zu laut? – Predigt zu Lukas 10,38-42 von Eberhard Busch

„Eins ist not", sagt Jesus. Aber vermutlich haben auch die zwei Schwestern Maria und Martha so gedacht, wie wir gern denken: Wir benötigten nicht nur Eines, sondern Vieles. Wir sollten eigentlich immer noch mehr haben: Geld und sonst Nützliches. Uns fehlt ja noch manche Bequemlichkeit, die unser Nachbar schon hat. Wir haben auch allerhand Überzeugungen, religiöse oder politische oder pädagogische, die wir unseren Mitmenschen an-wünschen. Wenn wir es näher überlegen, steht es bei uns so, wie vielleicht auch Maria und Martha meinten: Wir bräuchten Vieles, nicht nur Eines. Ist es nicht so?

Doch jetzt tritt Jesus mitten dahinein, wo diese Beiden wohnen und sich um Vieles sorgen und mühen. Er kommt zu ihnen mit der sie gänzlich überraschenden Botschaft: Nicht Vieles, Eines ist euch not! Diese Botschaft besagt: Ist nur Eines wichtig, dann ist das Viele, das uns beschäftigt, nicht mehr so vordringlich nötig. Dann sind wir frei von dem Zwang und Krampf all dessen, was uns sonst so überaus in Atem hält. So gesehen, ist diese Botschaft für uns auch hilfreich. Denn bei dem, was wir gewöhnlich für nötig halten, geht es so wie bei Manchen, die ihre Wohnung neu möblieren und die dann die Möbel nach einiger Zeit wieder abstoßen. Jenes Eine Nötige ist hingegen wie die eine köstliche Perle, von der Jesus geredet hat, hinter die einer alles Andre zurückgestellt hat (Mt 13,45f.).

Was ist dieses Eine, das Nötige, das uns wirklich nottut? Nun, wir müssen da nicht lange suchen, in irgendeiner Himmelshöhe oder Seelentiefe. Denn genau der, der uns sagt: Eins ist not, der ist auch das Eine, was uns nottut. Er teilt uns in immer neuen Variationen das Eine mit: Gott hat uns lieb. Und er sagt das nicht nur so dahin. In ihm geschieht das, was er sagt. In allem, was er redet und tut und bis in sein Leiden am Kreuz, ist er der Beweis der Liebe Gottes, - der Beweis, den Gott führt, um uns und allen Anderen vor Augen zu führen und es in unsere Köpfe und Herzen zu bringen: Euch habe ich herzlich gern. Ich bin euer Freund, trotz allem, was gegen euch spricht. Ihr seid bis in die verstecktesten Schlupfwinkel meine Geliebten. Ich trete für euch ein, dass ihr nicht zu kurz kommt.

Eben dies, dass Gott uns liebt, ist wichtiger als alles Andere. An diesem zarten, aber unzerreißbaren Faden hängt für uns Alles Weitere. „Gottes Güte ist‘s, das es mit uns nicht aus ist. Sie ist alle Morgen neu“, heißt es in der Bibel (Klgl 3,21f). Es wäre in der Tat aus mit uns, wenn Gott uns nicht lieb hat. Dieses Eine ist notwendig, weil es allemal Not wendet. Wir können vieles entbehren, aber wir können nicht die Liebe Gottes entbehren. Und wir entbehren sie auch gar nicht, auch wenn uns das verdunkelt ist. Und sie kommt auch nicht mit leeren Händen zu uns, sondern will, dass wir von ihr reichlich erfüllt und gesättigt werden. „Wie sollte Gott uns mit ihm nicht alles schenken!“ hat Paulus geradezu ausgerufen (Röm 8,32)

Aber woher wissen wir das?  Wir wissen es darum, weil es uns gesagt wird. Wir wissen das nicht von selber, nicht, weil wir uns das ausgedacht haben. Wir wissen es darum nicht von uns aus, weil es gar nie selbstverständlich ist, dass Gott uns liebt. Wenn uns das je selbstverständlich wäre, dann hätten wir keine Ahnung von dem Wunder seiner Liebe. Er könnte uns ja sehr wohl auch nicht lieben. Und wenn man einmal vor Augen hat, was wir Menschen alles anstellen an Murks und Unfug in Gottes Schöpfung, dann bekommen wir eine Ahnung, dass Gott es sehr wohl reuen könnte, reuen müsste, uns Menschen in das irdische Paradies gesetzt zu haben. Nein, es ist und es bleibt eine Überraschung sondergleichen, wenn es gleichwohl zu uns gesagt wird: Gott hat uns lieb! Dass wir das jeden Tag neu hören, das gehört mit zu dem Einen, was uns nottut!

In unserer Geschichte ist es Jesus, dem zuzuhören ist. Auf ihn gilt es zu hören, weil er das eine Notwendige mitzuteilen hat. Und jetzt verstehen wir, weshalb Martha das schlechte Teil erwählt hat. Sie hat zweifellos Vieles getan, Vieles geleistet, Vieles zustande gebracht. Sie bekäme dafür von anderen Stellen dafür ein Verdienstkreuz oder wäre von Weiteren als Vorbild gepriesen worden. Aber Eines hat sie entschieden nicht getan – und das wäre gerade das Entscheidende gewesen. Sie hat sich bei aller Mühe nicht die Mühe gemacht, auf Jesus zu hören.

Sie ist in all ihrem verdienstvollen Fleiß nicht fleißig gewesen, an der Botschaft von der Liebe Gottes zu hängen, an der doch alles hängt Sie hat vor lauter Eifer, etwas Anständiges zu vollbringen, verpasst, dass es für sie darauf angekommen wäre, dabei von dem zu leben, was Gott in seiner Liebe für sie und für alle Menschen tut. Sie war so überaus beschäftigt mit dem Vielen, das doch vergeht, wie die Blumen verwelken – und so hat sie es verpasst, das Wort Gottes zu hören, das in Ewigkeit bleibt. Arme Martha!

Anders Maria. Sie ist nicht weniger fleißig als Martha. Doch sie ist anders fleißig. Sie ist fleißig im Hinhören auf das, was Jesus zu sagen hat. Für sie ist er einer, den wir nicht besser ehren können, als dass wir einmal all das auf sich beruhen lassen, was uns vordringlich dünkt. Sie hat verstanden, dass durch Jesus in unser Leben eine andere Reihenfolge kommt bei dem, was für uns wichtig ist. Sie hat begriffen, dass wir eben etwas Anderes zu tun haben, wenn Jesus in unser Leben tritt. Und das ist das Andere, was sie jetzt als ihre Aufgabe erkennt und zu tun bekommt: auf Jesus hören, auf das Eine Notwendige aufmerksam sein, auf das, was kein Mensch sich selber sagen kann. Aber es sich von ihm sagen lassen, das ist‘s.

Hören ist auch eine Tätigkeit und bekanntlich eine ziemlich schwere Arbeit, eine, bei der man allzu leicht abschweift, bei der es vorkommt, dass das Gehörte zum einen Ohr hineingeht und durchs andere wieder hinausgeht. Aber wer einmal mit dieser Arbeit begonnen hat, kann die Erfahrung machen, dass sie von sich aus einen nicht mehr loslässt. So dass wir mit dem Hören nicht mehr auf-hören mögen. Keine Sorge, dass wir dabei borniert werden. Im Gegenteil, wir bekommen dabei Einsichten und Ausblicke in die Nähe und Ferne, wie wir sie zuvor nicht hatten. Wer mit dem Hören nicht aufhört auf das, was Jesus uns zu sagen hat, der wird auch auf Andere hören, auf Worte selbst von ganz unerwarteter Seite. Und der wird auch selber Anderen etwas zu sagen haben und wird es sagen, sogar wenn er gegen den Wind zu reden meint.

So wie Samuel im Alten Testament, der Vieles gesagt und getan hat, aber alles unter dem Vorzeichen des Gebets, mit dem alles bei ihm anfing: „Rede Herr, denn dein Knecht hört“ (1Sam 3,10). Diese Bitte und die Erfüllung dieser Bitte geht all dem Folgenden voran. Denn das, was Gott zu sagen hat, das muss immer wieder all dem vorangehen, was wir zu sagen haben. Nicht unsre Meinung, Sein Wort muss vor allem laut werden, und was wir in Wort und Tat zu bemerken haben, kann nur ein stiller, bescheidener Beitrag dazu sein. Das muss uns nicht entmutigen, diesen Beitrag zu liefern. Recht verstanden, wird uns das sogar ermutigen, mit unseren „gedämpften, schwachen Stimmen“ (Joh. Seb. Bach) seinem Wort beizupflichten.

Vor einiger Zeit erschien ein Buch von dem Pianisten Gerald Moore, der stets mit berühmten Sängern aufgetreten ist.  Das Buch trägt den hübschen Titel: „Bin ich zu laut? Erinnerungen eines Begleiters.“ Er hat nicht nichts getan. Er hatte auf seinen Tasten einiges zu leisten. Aber er hat bei dem allen ständig und bis in die kleinsten Nuancen zugleich gehört auf den Einen, den er mit seinem Spiel nur zu begleiten hatte. Darum hat er sich möglichst zurückgehalten. Ebenso sollen auch wir bei allem, was wir tun und denken und sagen, zugleich auch ganz Ohr sein. Ebenso sollen wir mitten in alle dem, was uns beschäftigt, unaufhörlich hören, auf Ihn, den Herrn, um ihn mit unseren kleinen oder größeren Gaben zu begleiten. So wird es recht zur Geltung kommen „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ (Lk 11,28)