„Christenmensch – Draußen, im Herzen“ – Predigt zu Apostelgeschichte 16,14-15 von Friederike Erichsen-Wendt
16,14-15

„Christenmensch – Draußen, im Herzen“ – Predigt zu Apostelgeschichte 16,14-15 von Friederike Erichsen-Wendt

Auch eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurfärberin aus Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; ihr tat der Herr das Herz auf, und sie ließ sich auf die Worte des Paulus ein. Nachdem sie sich samt ihrem Haus hatte taufen lassen, bat sie: Wenn ihr überzeugt seid, dass ich glaube, so kommt in mein Haus hinein und bleibt da. Und sie bestand darauf. (Apg 16,14f)

A Europa wird christlich
I Unser Bild und was es nicht sieht

Wenn ich die Geschichte erzählen sollte, wie es kam, dass Europa christlich wurde - dann fällt mir Karl der Große ein, der als Begründer des christlichen Abendlandes gilt.
Und natürlich würde ich erstmal nicht sagen, dass dafür 4500 Menschen starben.
Dann fällt mir Bonifatius ein, der als Missionar durch unsere Lande zog.
Und ich würde natürlich erstmal nicht sagen, dass auch dafür viele starben.
Und die frühen Mönche fallen mir ein, und unser Bild ihrer tiefen Spiritualität, ihrer Verbundenheit mit den Dingen, und ihre Gelehrsamkeit.
Und ich erzählte von der Bewunderung für die, die so entschieden alles aufgaben, um etwas am christlichen Glauben zu leben. Und sage natürlich erstmal nicht, dass viele auch einfach nicht die Wahl hatten.

II Europa wird christlich – wie es die Apostelgeschichte sieht
Die Apostelgeschichte erzählt erst einmal, wie weite Landstriche Asiens nicht christlich geworden sind. Bei Paulus haben die meisten ja erstmal das Bild eines überzeugten, wenngleich gebrochenen Eiferers für das Christentum, eines klugen Theologen und umtriebigen Netzwerker, der immer und überall seinen christlichen Kontakte hat – und hier: Wochen-, vermutlich eher monatelang durchzieht er mit seinen Begleitern ganze Landstriche, ohne irgendeinen Erfolg für den christlichen Glauben zu erzielen. Von strategischer Planung keine Spur, oder eben keine, die zum Erfolg führt. Das Evangelium tut eben, was es will.

III Die unwirtliche Welt: Meer und mehr, Nichts und Rand und sein Klischee
Und dann ist da das Meer. Und Paulus und die Seinen trauen den Geschichten mehr als dem, was man sehen kann.
Rege Handelsbeziehungen gibt es zwar zwischen Asien und Europa. Mit wirklich allem, was der Andere nicht hat, wird gehandelt. Das Meer verbindet.
Für Paulus hingehen ist es eine riesige, eigentlich unüberwindliche Hürde. Eine Gegenwelt. Eine Übermacht. Ort von Mächten, die sich nicht berechnen lassen.
„Komm und hilf uns!“
Ein schlichter Hilferuf, dazu noch im Traum, lässt Paulus losfahren. Dann doch. Das riesige Meer und so wenige Worte. Tage, vielleicht Wochen wird die Überfahrt gedauert haben.

Die Anfangsgeschichten der christlichen Kirche haben ihren Ort in abweisenden Umwelten und einfachen Sätzen, von denen wir gar nicht mal sagen können, wie wirklich sie eigentlich sind.

So dann auch in Philippi. In der Stadt lässt sich keine Synagoge finden. Im jüdischen Gotteshaus pflegte Paulus in fremden Städten Kontakte zu knüpfen, zu lehren und zu predigen. Irgendeiner wird ihm den Hinweis gegeben haben, wo sich die Gottesfürchtigen treffen – Sympathisanten des jüdischen Glaubens. Draußen, vor der Stadt. Wo das Recht nicht gilt.
Draußen, am Fluss. Wo Du ans Meer erinnert wirst.
Draußen, wo die Dinge geschehen, die in der geordneten Welt der Stadt keinen Platz haben.
Das Christentum wurzelt in einer Kultur derer, die in der geordneten Welt am Rande sitzen. Das ist ein Teil unserer Glaubenstradition.

Und natürlich könnte ich jetzt erzählen, was man dann immer so sagt:Dass der Verfasser der Apostelgeschichte die Armen ins Licht des Evangeliums stellt und die Frauen und die Fremden.
Und dass er vermutlich deshalb kaum anders konnte, als die Geschichte so zu erzählen, wie er sie erzählt.

IV Frau übers Meer, mit Träumen und Namen und Wurzeln
Von einer Frau, die übers Meer kam.
Aus Thyatira - dorther, wo Paulus gerade vergeblich war. Und auch sie brachte ihre Träume mit, vielleicht von einem, der sagte: Komm, hier ist Hilfe. Komm, hier ist Arbeit. Komm, hier ist ein besseres Leben.
Sie bringt ihre Träume mit. Und ihren Namen, Lydia, nach der Gegend, in der sie aufwuchs. So machten das die Armen: Vergiss nicht, wo Deine Wurzeln sind. Immer wirst Du ja hören, wie Du beim Namen gerufen bist.
Und sie bringt ihre Kenntnisse im Färben mit. Das Wissen einer fremden Kultur. Eine Arbeit, die stinkt und schmutzig ist, schlecht bezahlt und verachtet.
Eine Arbeit, die den klaren Fluss blutrot färbt. Damit will wirklich keiner was zu tun haben. Diese Dinge gibt es immer, womit wirklich niemand zu schaffen haben will.

V Unwirtliches verbindet
Auch deshalb haben sie miteinander zu tun, die dies tun. Sie leben und arbeiten zusammen. Sie streiten. Und manchmal wissen sie auch zu viel übereinander.
Sie ertragen einander. Sie teilen, was sie haben und die schmerzenden Knie.
Und sie erzählen sich, dass das, was ist, nicht alles ist. Dass einer aus dem Osten kommen wird, der Gerechtigkeit bringen wird. Davon singen sie. Mindestens am Schabbat. Wenn die Welt zur Ruhe kommt.
Wenn auch Deine Welt zur Ruhe kommt.
Wenn die Sonne den Fluss zum Glänzen bringt und alle Last leichter wird.
Sie singen.

VI Teilen verbindet
Auch, als die Fremden kommen. Männer, die nach nichts von all dem fragen. Paulus und seine Gefährten, die ihre Hände zum Gebet erheben wie sie. Die die Stille teilen. Und das Gebet. Und Wein und Fisch und Brote und die davon erzählen, dass da etwas ist, was noch nicht ist. Und sich doch zeigt: in geöffneten Herzen und geachteten Worten.

B Die christliche Gemeinde
I Geschichte nach Zahlen
Wenn ich die Geschichte erzählen sollte, wie in unseren Gemeinden christlicher Glaube weitergegeben wird, dann fielen mir die doch immer noch vergleichsweise hohen Zahlen in den Statistiken unserer Kirchengemeinden ein:
die alles in allem 250 Gottesdienste pro Jahr, die unsere Gemeinden feiern, an die hohe Konfirmationsquote und an die „Kirche der Freiheit“ und die „Bezeugung des Evangeliums“, die demokratische Kultur unserer Kirche und dass es doch immer zuerst Pfarrerinnen und Pfarrer sind, die im öffentlichen Leben gefragt werden, wenn ein zuverlässiges Gegenüber in umstrittenen Fragen gesucht wird.

II Unvernünftiges
Und dann gibt es doch auch und vor allem die vielen Geschichten, wo nicht Christliches ist, wo es doch besser wäre, es sei so.
Wo Menschen unvernünftigerweise den Glauben ablehnen, weil sie die Vernunft für unkorrumpierbar halten.
Wo Menschen eben ignorieren, dass sie nicht alles selbst geschaffen haben und auch nicht ewig leben werden.

Und man muss ja nicht einmal Leute wie Paulus in den Kirchengemeinden haben,
um zu erleben, dass es lange Durststrecken im Leben mit dem christlichen Glauben gibt.
Wie sehenden Auges Argumente und Überzeugungen zurücktreten, weil sie sich verbergen wie Gott verborgen ist. Und längst nicht alles christlich ist, was sich so nennt.
Das Evangelium tut, was es will.

III Meer
Und dann ist da das Meer. Scheinbar unüberwindliche Grenzen in fremde Welten anderer Ansichten, anderer Kulturen, anderer Sprachen und anderer Lebensweisen.
Da muss Dir erst einer im Traum erscheinen und sagen: „Komm und hilf uns!“
Und es kann Tage und Wochen dauern, bis Du da wirklich ankommst. Und bis Du den Ort findest, wo jemand betet, Stille aushält, und Lieder singt.
Und wann die Sonne die Angesichter zum Glänzen bringt und alle Last leichter wird.
Und Ihr erzählt, dass das, was ist, nicht alles ist. Dass einer kommen wird, der Gerechtigkeit bringt.

C Ich bin getauft. Ich habe einen Namen. Dort sollt Ihr bleiben
Lydia lässt sich taufen. Und all die Ihren.
Einer kommt über das Meer und bis an ihren Fluss. Legt ihr die Hände auf und tauft sie in den Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Im Wasser, das in seiner Klarheit vom Ruhen der Arbeit zeugt, vom Ruhen der Welt, und der Muße in Dir.
Und im Sonnenlicht etwas vom Himmel spiegelt.
Lydia, die Christin. Ein Name für das Woher und ein Name für das Wohin.
Ein aufgetanes Herz voller Risse, Hände voller blutroter Spuren, Haut, von einem Leben vor der Stadt gezeichnet.
Kommt. Bleibt da. Sagt sie.
Genau hier ist der Ort des christlichen Glaubens. Kein kleines Nebenbei-Ereignis jenseits der großen strategischen Missionen des Paulus, seinen Aufträgen, den eigenen, und denen, von denen er sagt, der Herr selbst habe sie ihm gegeben.
Sondern: Erkennt an, dass ich an den Herrn glaube.
Wer mit dem Herzen bekennt, dass Jesus Christus der Herr ist, hört Paulus sich selbst sagen, und denkt an seine eigene Geschichte: damals, vor Damaskus, vor der Stadt, vom Pferd gefallen.

Christen lassen sich taufen. Tragen Namen, die bezeugen, dass das, was ist, nicht alles ist. Dass einer kommen wird, der Gerechtigkeit bringt.
Folgen Gewissheiten, die sich einstellen, als spräche jemand im Traum zu mir.
Gehen herüber oder bleiben.
Erkennen die Glaubensgeschichte der Anderen an.

Kehrvers: Anfängliches Christentum
Damit fängt es an.
Das Christentum in Europa
Der Glaube in unseren Gemeinden.
Die Gewissheit in meiner eigenen Geschichte.
Davon singen wir.
Mindestens in den Gottesdiensten in unseren Kirchen. Wenn die Sonne das Leben zum Glänzen bringt und alle Last leichter wird.
Wir singen und erzählen davon. Vertrauten und Fremden. Menschen, die beten und solchen, die sich danach sehnen, beten zu können. Die die Stille teilen. Und das gesprochene Wort. Und Wein und Fisch und Brote.
Die wir davon erzählen, dass da etwas ist, was noch nicht ist. Stärker als das Leben, das uns aufgetragen ist und dauernder als die Namen, derer wir uns erinnern.
Amen.