Da ist mehr als großer Hut und schöner heller Mantel - Predigt zu Hebräer 4,14-16 von Heinz Janssen
4,14-16

Da ist mehr als großer Hut und schöner heller Mantel - Predigt zu Hebräer 4,14-16 von Heinz Janssen

Da ist mehr als großer Hut und schöner heller Mantel

14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes,
der die Himmel durchschritten hat, so laßt uns festhalten an dem Bekenntnis.
15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der
versucht worden ist in allem, wie wir, doch ohne Sünde.
16 Darum laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen
und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.

Lied vor der Predigt: „Gott liebt diese Welt“ (EG 409,1-3)

Liebe Gemeinde,

ein Kind fragte mich in der Religionsstunde, ob ich den großen alten Pfarrer kenne, der so oft im Fernsehen kommt. Ich stutzte einen Augenblick, weil ich nicht gleich verstand, wen das Kind meinte.

I.

"Weißt du", sagte das Kind, "der mit dem großen Hut und dem schönen hellen Mantel". Andere Kinder stimmten mit ein, und wir kamen ins Gespräch über Papst und Kirche und warum es überhaupt katholische und evangelische Christen gebe sowie katholischen und evangelischen Religionsunterricht. Ich erklärte den Kindern, dass dies ein Thema mit einer langen Geschichte sei und es bis heute darüber keine Einigkeit gebe, was es heißt, wie der Glaube angemessen zum Ausdruck gebracht werden solle. Ich erzählte den Kindern von jenem jungen Priester / Pfarrer und Theologieprofessor, Martin Luther, wie er um die Erneuerung / Reformation seiner, damals katholischen, Kirche rang und es, entgegen seiner Absicht, zur Spaltung der Kirche kam. Seither gebe es evangelische und katholische Christen. Warum die Evangelischen auch „Protestanten“ genannt werden, bedurfte noch einer Erklärung. Mir war dabei wichtig, die Kinder darüber zu informieren, daß es außer katholischen und evangelischen noch andere Christen gebe, auch andere Religionen, die ihren Glauben auf andere, uns vielleicht fremde Weise zum Ausdruck bringen.

Mit dem Bild der Familie verband ich vor meinen Schülerinnen und Schülern den Wunsch, alle Christen mögen sich stets von neuem auf ihre gemeinsame Herkunft besinnen: auf einen, der noch viel bedeutender sei als der, den sie im Fernsehen so bewunderten: auf Jesus, jenen Zimmermannssohn aus Nazareth. Zu solcher Besinnung lädt uns der Predigttext ein, Worte aus dem Hebräerbrief.

(Lesung des Predigttextes)

II.

"Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben", so beginnt der Briefauszug. Kurz zur geschichtlichen Einordung des Hebräerbriefes. Der Brief wurde etwa um 56 n.Chr. geschrieben, gewöhnlich wird der Brief später, etwa um 90 n.Chr. datiert). "Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus". Man muss das Engagement und die Leidenschaft dieser Worte mithören. Denn es ging darum, die Menschen damals in den noch jungen christlichen Gemeinden daran zu erinnern, was sie an Jesus haben. Sie waren nach anfänglicher Begeisterung schnell müde geworden, und sie hatten bald vergessen, wie Alles begann: Als ihnen Augenzeugen Jesu ein Evangelium verkündeten, das sie heilsam veränderte, ihnen eine neue Sicht auf ihr Leben gab, sie Wunderzeichen erleben ließ und in ihnen bisher unbekannte  Gaben / Charismen weckte (Hebräer 2,3f.). War das Ganze nur ein Strohfeuer? Neue Impulse wurden nötig. Ist es heute in unseren Gemeinden anders? Haben wir es weniger nötig? Vom Traditionsabbruch ist seit langem und oft die Rede. Den Glauben weiter zu geben, von den Eltern zu den Kindern, von der einen zur anderen Generation, ist schwieriger geworden.

Eindringlich ruft der Verfasser (bzw. die Verfasserin, vgl. Hebräer 11 und: Das NT und frühchristliche Schriften, 1999, S.182f.) zum Festhalten an dem Bekenntnis zu Jesus auf. Der Aufruf bleibt er nicht unbegründet stehen. Hören wir: „Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde“. Damit wird ein grundsätzlicher Unterschied zu den Hohenpriestern der israelitisch-jüdischen Geschichte benannt.

Die Adressaten des Hebräerbriefes kannten das Amt eines Hohenpriesters aus eigener Erfahrung. Sie konnten darum den gravierenden Unterschied verstehen, wenn sie im Brief von Jesus als dem „großen Hohenpriester“ hören. Jesus beanspruchte nicht wie ein Hoherpriester die höchste geistliche und politische Autorität im jüdischen Volk. Darauf wies schon rein äußerlich die kostbare Kleidung des Hohenpriesters aus Gold, blauem und rotem Purpur, feinster Leinwand und mit Edelsteinen geschmückt. Von Jesus ist eine solche pompöse Bekleidung nicht bekannt. Im Gegensatz zum Hohenpriester Kaiphas, der den Vorsitz im Prozess gegen Jesus innehatte, führte Jesus keinen Prozess gegen irgendeinen Menschen. Die Art seines Urteilens findet ihren Ausdruck in seinen Worten: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein (auf sie)“ (Johannes 8,7).

Mit dem Fall Jerusalems und der Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahre 70 n.Chr. endete das Amt des Hohenpriesters. Aber durch den Hebräerbrief gibt es eine besondere Fortsetzung, indem es auf Jesus übertragen wird und damit sein wesenhafter Inhalt zum Vorschein kommt: das Ganz-auf der-Seite-des-Menschen-Stehen, das Vor-Gott-für-ihn-Eintreten, das Mitleiden-können mit der menschlichen Schwachheit, der Verletzlichkeit, der Angst, der Verzweiflung. Das sind die Kennzeichen dieses großen Hohenpriesters, Jesus. Auf den mit uns leidenden Jesus – und damit zugleich auf den mitleidenden Gott – will der Hebräerbrief unsere Aufmerksamkeit lenken. Jesus verkündet einen Gott, der an unserer Seite mitgeht und das Leben mit uns teilt. "Gott liebt diese Welt. Ihre Dunkelheiten hat er selbst erhellt: im Zenit der Zeiten kam sein Sohn zur Welt!“, heißt es in einem Lied. Gottes umfassende Zuwendung zu uns Menschen, zu seiner ganzen Schöpfung, wird darin besungen. Stimmen wir ein!

(Lied „Gott liebt diese Welt“, EG 409,4)

Von diesem Gott, dem uns Menschen und seiner Welt in unergründlicher Güte nahen Gott, hat Jesus gepredigt, ihm lebte er, im Vertrauen auf ihn bestand er die Anfechtungen, nahm Leid, zuletzt auch Spott und Tod am Kreuz auf sich. Für uns, damit wir in den dunklen Stunden unseres Lebens nicht verzagen. Wichtig ist es dem Briefautor zu betonen: "Jesus ist versucht worden in allem wie wir, doch ohne Sünde".

III.

„Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat …“ Jesus hat nicht nur die Erde, sondern er hat auch „die Himmel durchschritten“, hören wir in unserem Briefauszug. „Die Himmel“ – das ist ein Bild für Weite, für die Unendlichkeit des Kosmos, ein Bild für Gott, für Gottes unsichtbare Welt, in der Leid und Tod überwunden sind. „Durchschreiten“ konnte Jesus die himmlische Welt nur, weil Jesus auf Erden Gott wie kein anderer nahe war und Gott Jesus nicht im Tod gelassen, sondern zum ewigen Leben auferweckt hat. „Geheimnis des Glaubens!“

Christen können seither nicht von Gott reden, ohne zugleich auf Jesus hinzuweisen. Darum ist das wichtigste Symbol der christlichen Kirche das Kreuz, es ist Zeichen des Leidens und zugleich Zeichen der Hoffnung. Am Fuß des Kreuzes die aufgeschlagene Bibel, die Einladung, auf das Wort Gottes zu hören und es zu bewahren.

In Jesus zeigt Gott uns sein gütig zugewandtes Gesicht, sein glühendes Herz, mitfühlend und sein voller Liebe. Sehnt sich nicht jeder Mensch nach solcher Zuwendung, angenommen und verstanden zu werden? Wie hat sich Jesus um die Menschen gesorgt! Wie lagen ihm die Kranken, die Trauernden, alle Notleidenden am Herzen. Sollten wir nicht festhalten an dem Bekenntnis zu Jesus oder uns wieder ganz neu zu ihm bekennen?
 

In jedem Gottesdienst stimmen wir auf vielfältige Weise in dieses Bekenntnis ein: anhand der Jahrhunderte alten Bekenntnissen, des apostolischen und nizänischen Glaubensbekenntnis, der Gebete und Lieder, der zu Gottes Ehre erklingenden Musik. Auch unsere Teilnahme am Gottesdienst und am kirchlichen Leben ist Ausdruck unseres Glaubens, unseres Bekenntnisses (Beispiele)

IV.

Die alten christlichen Glaubensbekenntnisse – sie sind hilfreich. Sie verbinden mich mit den Christen vor mir und heute, wo immer sie in den verschiedenen Sprachen gesprochen werden, auf der ganzen Welt. Sie sind mir immer ein Stück voraus. Sie geben mir zuweilen auch Anlass, mich daran zu stoßen, weil mir manche traditionellen Aussagen fremd vorkommen oder meinen Widerspruch hervorrufen. Sie stellen mich aber besonders vor die Frage: Was ist dein Bekenntnis? Hören wir eine Stimme aus unseren Tagen. Da sagt jemand: „Wie ein Pendeln zwischen Distanz und Nähe empfinde ich mein Verhältnis zu Gott und zur Welt. Manchmal schwanke ich zwischen dem Empfinden, Gott in meinem Leben überhaupt nicht nötig zu haben, und der Unsicherheit, allein auf eigenen Füßen stehen zu müssen, und zuweilen überkommt mich das Gefühl, von Gott und der Welt verlassen zu sein“. Oft kommt mir das Bekenntnis eines jüdischen Jugendlichen aus der Zeit des Judenpogroms in den Sinn: „Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint. Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre. Ich glaube an Gott, auch wenn ich ihn nicht sehe“.

Ich will es mir von neuem sagen lassen: Es ist gut, an dem Bekenntnis zu Jesus, zu Gott, festzuhalten, und ich will mich heute wieder fragen lassen: „Was ist dein Bekenntnis?“ Wird mir heute im Sinne Jesu ein kleiner „priesterlicher“ Dienst gelingen? Der große Hohenpriester wird meine Gedanken und mein Wollen verstehen, auch meine leisesten Regungen und meinen noch so schwachen Glauben. Von diesem großen Hohenpriester will ich den Kindern in der nächsten Religionsstunde erzählen und ihnen sagen, was mich an ihm so beeindruckt: nicht "der große Hut und der schöne helle Mantel", sondern dass ich ihn zu jeder Zeit und in Allem, was ich erlebe, wohlwollend an meiner Seite wissen darf und er mir Mut macht, immer und überall auf Gott zu vertrauen. „Darum“, so werden wir heute wie damals eingeladen, „laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben“.

(Als Amen-Strophe:) „Amen, das ist: es werde wahr“ (EG 344,9) bzw. „Sei Lob und Preis“ (EG 289,5).

Gebet (gemeinsam sprechen): „O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens“ (EG 416).