"... damit dein Glaube nicht aufhöre!" - Predigt über Lukas 22, 31-34 von Rolf Wischnath
22,31

"... damit dein Glaube nicht aufhöre!" - Predigt über Lukas 22, 31-34 von Rolf Wischnath

…. damit dein Glaube nicht aufhöre!

Das entscheidende Wort dieses Tages ist das Wort Jesu an Simon Petrus. Gesprochen wurde es am Gründonnerstag, am Vorabend des Karfreitags in der Zeit des Jesus von Nazareth:
Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre (Lukas 22, 32).
Der biblische Abschnitt, in dem dieses Wort als Leitwort steht in dem vom Evangelisten Lukas überlieferten Gespräch Jesu mit den Jüngern: ein Abschiedsgespräch, das herkommt von der Erfahrung des gemeinsamen Abendmahls und das gewärtig ist des kom­men­den Freundesverrats, der Angst und der Nacht im Garten Gethsemane und des Kreuzes auf dem Hügel Golgatha:
Jesus sprach zu Petrus: Simon, Simon, siehe der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. (V. 31+32)
I
Ganz schön wichtig, liebe Schwestern und Brüder, ganz schön wichtig klingt dieses Wort, wird es doch gesagt von Jesus zu Simon Pe­trus, dem Fischer und Kirchengründer, dem Verleugner und Begnadigten. Auf dem Holzschnitt des zeitgenössischen Künstlers Robert Hammerstiel, den Sie in den Händen halten, ist Petrus der Einzige, der die Augen noch deutlich geöffnet hat. Und er ist der Größte von allen Jüngern, ganz vorn: kniend vor seinem Herrn, dem er seine Bereitschaft beteuert, mit ihm ins Gefängnis und in den Tod zu ge­hen.
Und das ist nun sogleich das Erste und Wichtigste, was wir heute Morgen festhalten wollen: Wir sind es nicht, die die wahre kirchliche Einheit machen und organi­sieren. Auch Benedict XVI. ist es nicht. In dieser Woche hat dieser herausragende christliche Theologe in einem geradezu beispiellosem Akt der Demut und in der Einsicht seiner altersbedingten Schwäche auf den Stuhl Petri verzichtet. Ich habe aus theologischen Gründen einen großen Respekt vor diesem Mann in Rom. Ich erachte ihn einen der allerbesten Theologen dieses und des vergangenen Jahrhunderts. Und über sein Pontifikat wird einmal noch ein sehr anderes Urteil gesprochen werden als das, was glaubt sich erschöpfen zu dürfen in der Kritik an seiner konservativen Kirchenpolitik und seiner ökumenischen Zurückhaltung.
Aber nun ist er, sind seine Vorgänger und sein Nachfolger es eben nicht, die die die Kirche bauen und abbauen, ihr aufhelfen oder sie verhindern. Auch Er war es nicht, der den Zusammenhalt von Katholiken und Protestanten ermöglichte oder verhinderte. Und er ist es auch nicht, der bei uns Christen den Glauben weckt und den Gehorsam gegen Gottes Gebot gebiert.
Es ist vielmehr der auf der Zeichnung, vor dem Petrus kniet und zu dem hin sich alle anderen Jünger im Kreis nei­gen und an den sie sich anlehnen, ja anschmiegen und der sie eint im Glau­ben – an ihn. In der Anfechtung seiner Jünger, in der übergroßen Schwäche seiner Kirche, in der Mitte von uns Verzagenden: ER, der für uns Leidende und Sterbende, ER, der immer noch da ist und hält, wenn alles Menschenwerk, insbesondere das kirchliche, zerborsten und zerfallen ist. Wenn es dennoch zum Aufatmen kommt, wenn wir in diesem Augenblick aufleben dürfen und das wackelige Gemäuer sei­ner Kirche beieinander halten können, dann ist dies das Werk seines Gebets, die Frucht seines Kreuzes und der lebendige Atem seiner Auferstehung.
Sind wir in der großen Kirchengemeinde Gütersloh eine solche Frucht? Seid Ihr hier in Sundern ein Beispiel dafür, etwa ein solcher wohlschmeckender Apfel? Sind wir in unseren derzeitigen Strukturen eine Gebetserhörung? Atmet der real existierende Protestantismus in Deutschland die Auferstehung? Dienen all die vielen organisatorischen Reformen in der EKD oder in der EKvW der Verkündigung dessen, der hier in der Mitte seiner verzagenden Jünger umringt wird? Das ist es, worauf es vor allem anderen ankommt: ob und wie wir Gütersloher, wir westfälischen, deutschen und ökumenisch-weltweiten Christen einen Kreis um den Gekreuzigten und Auferstandenen bilden - und wir in diesem Kreis bleiben, dass nur ja der Glaube, unser Glaube, nicht aufhöre. Alles Andere ist Ne­bensa­che und darf nie mehr sein und bleiben als Nebensache. Auch der Rücktritt des Papstes Benedikt XVI. ist im Vergleich dazu Nebensache, auch wenn die meisten Fernsehanstalten und Zeitungen so senden und schreiben, als geschähe für die Kirche in diesen Tagen etwas Sensationelles, etwas noch nie Dagewesenes.
Schauen wir darum noch einmal auf die Hauptsache, wie sie in der Perspektive dieses Holschnitts uns gezeigt wird:
Was für eine ungewohnte Darstellung des letzten Abends vor dem Ende! Nicht die Einsetzung des Abendmahls wird gezeigt, sondern der Abschied Jesu von den Zwölfen. Sie sitzen nicht zu Tisch – beherrscht und wohlgestaltet – wie auf dem Abendmahlsbild des Leonardo da Vinci oder auf Pressefotos von Würdenträgern, Bischöfen, Superintendenten, Präsides, Theologieprofessoren und Gemeindeleitern. Vielmehr drängen sich die Jünger an Jesus heran, müde und verzagt, knieend, halb liegend, zu Boden gestürzt, alle in schwarz (als trügen sie alle den schlichten, schwarzen, preußischen Talar) und ER - ER allein! Und nicht der Papst) ganz in weiß. So suchen sie seine Nähe, seine Gemeinschaft. Und so sieht er aus: der erste Zusammenschluss von Kir­chenkreisen – wenn man die Jünger und ihr Gefolge einmal so bezeichnen darf: eben so wie sich eine angsterfüllte Herde um den Hirten drängt, wenn ihr Gefahr droht. Das also war der erste „Kirchenkreis“ in der Geschichte der Kirche. Und das ist die Hauptsache: Bei dir, Jesu will ich bleiben, stets in deinem Dienste stehn …. Deines Winks bin ich gewärtig, auch des Rufs aus dieser Welt; denn der ist zum Sterben fertig, der sich le­bend zu dir hält. (EG 406, 1+4)
II
In der Stunde des an Ihn ergehenden Rufs aus dieser Welt sagt Jesus zu seinen Jüngern: Der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen, und ER weist damit hin auf die eigentliche Gefahr, die jenseits aller Strukturverände­run­gen, Mitglieder- und Geldsorgen seiner Kirche drohen, nämlich durchzufallen, nicht zu bleiben in seinem Sieb, im Sieb des Herrn über Leben und Tod, das der Satan, der große Gefährder seiner Kirche, schüt­telt, um uns durchfallen zu lassen. Wobei das Schütteln des Satans eine glänzende und wohlhabende, eine sehr verführerische und vornehme, eine sehr fromme und machtverlockende Weise singen kann.
Das Gleichnis vom Sieb bezieht sich auf den Vorgang, der in der Agrargesellschaft unmittelbar vor dem Mahlen stattfand: Nachdem durch Dreschen und Worfeln die Spreu entfernt wurde, müssen noch die Getreidekörner von verbliebenen Verun­rei­nigungen (Erde, kleine Steine) getrennt werden, damit diese nicht in das Mahlgut geraten. So weist dieses Bild nachdrücklich hin auf das Geschehen der letzten Ernte des Men­schensohns: von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die To­te; dann wird offenbar, was in Kirche und Welt Spreu und Weizen war.
III
Kann von dieser Ankündigung her das Werk kirchlicher Reformen und der Veränderung kirchlicher Strukturen bestehen? Was bedeutet es, wenn Gemeinden zusammengelegt, Kirchenkreise aufgelöst und unter ein neues Dach kriechen müssen? Was bedeutet es, wenn Landeskirche zu klein werden und sich anschließen müssen, selbst wenn ihren Grenzen jahrhunderte alt sind? Was bedeutet es, wenn kirchliche Körperschaften strukturkonservativ sich gegen alle Veränderung sperren und dies der wesentliche Grund ist – nämlich Besitzstandswahrung. Ich darf das Urteil des von seinen Jüngern umringten Menschensohns und Weltenrichters nicht vorwegnehmen, möchte aber hier einmal mehr erinnern – Sie mögen das möglicherweise schon erwartet haben - an Johannes Calvin, den frommen, strengen und so nachhaltig gewirkt habenden Genfer Reformator:.
Calvin sagt einmal in äußerster, illusionsloser Nüchternheit: Bei der Erneuerung der Kir­che han­delt es sich um ein Werk Got­tes, das von menschlichem Erwarten und Gutdünken so wenig abhängt wie die Auferstehung der Toten oder ein anderes Wunder solcher Art.
Man beachte: Der Mann wartete in Genf nicht träge auf das Wunder der Kirchenreform von oben, er ist vielmehr unablässig befasst mit dem Bau und den Verände­rungen in seiner Genfer Kirche – und nicht nur in der Stadt am See. Auch ist er – einem guten Bischof oder Präses oder Generalsuperintendenten ähnlich - nicht frei davon, berechtigterweise Gemeinden und Amts­trä­ger zur pastoralen Eile und zum Einhalten ihrer Dienstpflichten zu drän­gen. Aber der Re­formator Johannes weiß immer um den Vor­be­halt jener Bitte des Gekreu­zigten, dass unser Glaube nur ja nicht aufhöre; er weiß deshalb um die Vorläufigkeit, die bei aller Akti­vität jedes kirch­liche Handeln bestimmen und befreien muss. Denn bei allem kirchlichen Machen und Tun, Rennen und Jagen gibt es eine notwen­di­ge reservatio mentalis, d.h. einen notwendigen geistigen und geistlichen Vorbehalt in Kir­chen­dingen, der weit mehr ist als ein bloß gedankli­cher Vor­behalt. Dieser Vorbehalt lautet: Es ist alles – wirklich: alles – nur eben vorläufig. Eine Kirche dagegen, die sich einrichtet, Konsistorien und Landeskirchenämter und Verwaltungsgebäude, Kirchen und Gemeindehäuser, Kapellen und Dome wie Schlösser baut und ihr evan­g­e­lisch durch das Wunschwort Ef­fi­zienz ersetzt, wie die Frankfurter Allge­meine Zeitung dieser Tage spottet, und solcherart Effizienz das Andere unterordnet, - sie ist von jener befreienden Vorläufigkeit und von jenem Gebet des Gekreuzigten für Simon, Si­mon weit entfernt.
IV
Es ist seltsam, der heutige Predigttext, der uns in der Woche nach jenem bemerkenswerten Rücktritt des römischen Bischof beschert worden ist, macht klar: Nicht der Glaube an die Lei­stungsstärke der menschlichen Natur und kirchlicher Ämter, der menschlichen Organisationen und kirch­lichen Gebilde macht uns stark; son­dern die Verheißung der von Jesus für uns erbetenen Gnade Gottes: Gottes freie Erwählung in IHM mit der Gabe des Glaubens, zu der niemand von uns auch nur ein My, d.h. ein ganz klein Bisschen beigesteuert hat. Hier allein liegt der Grund des Wach­sens oder Schwin­dens der kirchli­chen Mitglieder – in Gottes un­wan­delbarer Treue, die uns in der Treue des Gekreuzigten gezeigt ist – beispielsweise darin, dass er, der Auferstandene den versagenden Petrus dennoch wieder beruft. Diese gnädige Freiheit macht auch uns zu frei­en Men­schen und zu einer Kirche der Freiheit. Ohne Sorge um die letzte Zu­kunft der Kir­che dürften wir leben und die Gemeinde und ihre Zusammenschlüsse ordnen - wissend, dass es sich bei kirchli­chen Ordnungen und Ver­wal­tungen und Strukturen bestenfalls um Halbheiten und Provisorien handelt, von de­nen Johannes Calvin einmal sagt: sie seien wohl mit einer frommen und willigen Neigung zum Ge­hor­sam einzuhalten, bei ihnen handelt es sich aber keineswegs um unveränderliche und ewige Festlegungen, an die wir gebunden sind, son­dern um äußere Übungen der menschlichen Schwachheit, die wir nicht alle nötig haben, aber doch alle gebrau­chen, weil wir einander die Liebe schuldig sind.
Man stelle sich vor, auf jedem Briefbogen unserer Gemeinden und Landeskirchen, auf jedem Schreiben unserer Kirchenkreise und Gemeindeverbände, und schließlich auf jeder Anweisung des Ökumenischen Rates der Kirche und eben auch auf jeder Kundgebung des Stuhles Petri zu Rom, auf ihnen allen, also auf jedem ihrer Schriftstücke, von denen es so atembe­raubend viele gibt, auf jedem dieser Papiere stünde fortan oben über: Vorläufige, äußere Übung der menschlichen Schwachheit und unten drunter – auch von Calvin -: Gottes Güte geht nicht so weit, dass er sich unseren Launen unterwirft, und dann würde der Brieftext noch da­rum bitten,das Anliegen ernst zu nehmen, weil wir einander die Liebe schuldig sind!
Im Ernst: Wir Heutigen, und besonders wir Evangelische, sind wohl gefragt, ob unser Glaube und unser kirchliches Handeln noch aus dieser Ge­wissheit und Gebundenheit an die Erwählung und Berufung Gottes lebt. Aus einer stau­nen­den und demütigen Beugung un­ter die Bitte Jesu, dass dein Glaube nicht aufhören möge. Oder ist unser Glaube al­len­falls noch christliche Weltanschauung, die sogenannte „Wer­te“ ver­teidigt. Diese Weltanschauung greift zurück auf eine Werte-Bean­spru­chung herrisch oder diplomatisch – je nach dem; sie verlangt das öffentliche Mit­spra­cherecht und die gebührende Berücksichtigung, welche mit dem großen christlichen Wort „Freiheit“ doch nur mühsam die Selbst­behaup­tung und den Kulturkampf ver­deckt, um den es hier ei­gentlich geht. Ja, wir sind heute von jenem Gebet Jesu her in großer Strenge gefragt, ob wir statt­dessen nicht unsere Prob­leme und Programme und Ansprüche entschieden relati­vie­ren und einfach in jener Frei­heit in Christus stehen und bestehen wollen, von der wir in unserem Glauben leben und von der aus die Kir­che in Wahrheit zu bewahren und zu bauen ist und von der aus sie gewiss nicht unterge­hen wird.
V
Schauen wir zum Schluss noch einmal auf den Holzschnitt Robert Hammerstiels:
Nicht nur Jesus trägt einen Glorienschein, der das Licht der Auferstehung vorweg nimmt. Auch von den Jüngern geht in einem seltsamen Gegensatz zu ihren angstgezeichneten Gesich­tern ein Strahlen aus. Die Schar der Jünger, die das Wort Jesu hört und das Abend­mahl mit ihm feiert, ist ein Bild der Gemeinde Christi durch alle Tage. Sie ist nicht heldisch, nicht großartig, nicht angesehen und hofiert von jenen Großen und Mächtigen, die sich am lieb­sten in der Zeitung oder im Fernsehen und im eigenen Licht sehen. Sondern sie wird gewürdigt, ja erleuchtet durch die Lichtgemeinschaft mit ihrem gekreuzigten und in der Auferstehung verklärten Herrn. Diese Gemeinschaft wird in Wort und Taufe und Abendmahl vorwegge­nom­men. Und darüber werden wir immer wieder froh werden. Diese Gemeinschaft aber wird in unserer Lebenszeit immer wieder auch im Schatten des Kreuzes stehen. Jedoch schon jetzt - und einmal erst recht - wird gewiss und un­wi­dersprechlich er­füllt, was der Genfer Prophet Johannes Calvin in soviel eigenen Depressionen, in den Wirren und Verdunkelungen seiner Zeit ge­se­hen hat und was heute uns allen - und erst recht den Mü­den und Erschöpften unter uns - zuge­sprochen werden darf:
Obwohl die Kirche zur Zeit kaum zu unterscheiden ist von einem toten oder doch invaliden Man­ne, so darf  man doch nicht verzweifeln. Denn auf einmal richtet der Herr die Seinigen auf, wie wenn er Tote aus dem Grabe erweckte. Das ist wohl zu beachten; denn wenn die Kir­che nicht leuchtet, halten wir sie schnell für erloschen und erledigt. Aber so wird die Kirche in der Welt erhalten, dass sie auf einmal vom Tode aufersteht. Ja, am Ende geschieht die­se ih­re Erhaltung jeden Tag, geschieht unter vielen solchen Wundern. Halten wir fest: Das Le­ben der Kirche ist nicht ohne Auferstehung, noch mehr: es ist nicht ohne viele Auferste­hun­gen.