Das Evangelium wird überleben - Predigt zu Offenbarung 12,1-6 von Christine Hubka
12,1-6

Das Evangelium wird überleben - Predigt zu Offenbarung 12,1-6 von Christine Hubka

(Tag der unschuldigen Kinder)

Das Evangelium wird überleben

Diesem Abschnitt aus der Offenbarung haben wohl auch die Bibelfesten unter euch
bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Ich selber hatte ihn noch nie als Predigttext.
Aber die Ordnung der Predigttexte sieht ihn für den heutigen Sonntag vor.
Machen wir uns also gemeinsam daran, diesen Bildern nachzuspüren,
die Johannes uns hier anbietet.
Er greift tief in die Schatzkiste der antiken Mythologie.
Den Adressaten dieses Rundbriefes
waren die Bilder aus der griechisch-hellenistischen Welt geläufig.
Sie haben einfach verstanden, was Johannes ihnen sagen will.
Wir müssen es Stück für Stück buchstabieren, um die Botschaft zu hören.

Ich lese aus dem Buch der Offenbarung im 12. Kapitel:
Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.
Und sie war schwanger und schrie in Kindsnöten und hatte große Qual bei der Geburt.
Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer, roter Drache, der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen, und sein Schwanz fegte den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde. Und der Drache trat vor die Frau, die gebären sollte, damit er, wenn sie geboren hätte, ihr Kind fräße.
Und sie gebar einen Sohn, einen Knaben, der alle Völker weiden sollte mit eisernem Stabe. Und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und seinem Thron.
Und die Frau entfloh in die Wüste, wo sie einen Ort hatte, bereitet von Gott, dass sie dort ernährt werde tausendzweihundertundsechzig Tage.


Eine Frau ist schwanger.
Sie scheint nicht irgendeine zu sein, sondern eine bedeutende. Eine vor Gott wichtige.
Sonne, Mond und Sterne huldigen ihr,

Jetzt klingelts bei den Bibelkundigen und Weihnachtsfesten unter uns:
Die schwangere Frau, das kennen wir:
Jesaja verheißt, dass eine Jungfrau schwanger wird.
Und in Bethlehem kündet ein Engel einer jungen Frau
die bevorstehende Schwangerschaft an.
Johannes denkt jedoch eher an die Kirche, an die Christenheit seiner Zeit.
Immer schon hat die bildende Kunst die Kirche als schöne Frau dargestellt.
Ein paar Jahrhunderte nach Johannes finden wir sie auf elfenbeinernen Buchdeckeln,
die das Evangelienbuch schmücken.

Zurück zur Offenbarung:
Wir werden Zeugen eines Dramas.
Die Frau, also die Kirche, und ihr Kind, das Evangelium, spielen darin die Hauptrolle.
Hier wird es richtig irdisch.
Denn die Frau durchlebt eine richtige Geburt.
Sie schreit. Sie hat Schmerzen.
Das ist anders als wir es aus den apokryphen Evangelien kennen.
Diese späten Schriften, die keinen Eingang ins Neue Testament bekommen haben,
tun so, als hätte Maria einen Wellnesstag gehabt,
als sie ihr erstes Kind geboren hat.

Wir erinnern uns: Die Kirche ist es, die hier in den Wehen liegt.
Die Frau hat geboren.
Das Evangelium, die Botschaft von Gottes Zuneigung zu allen Menschen, ist in der Welt.
Jetzt kommt dramaturgisch punktgenau ein böser Feind.

Die Frau und ihr Neugeborenes sind in höchster Gefahr.
Die Kirche und das Evangelium sind in höchster Gefahr.
Denn dieses Kind ist der Konkurrent des siebenköpfigen Drachen.
Dieser gefährdet das Evangelium.
Das Evangelium ist in Lebensgefahr.
In Todesnot.

Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort, und steure deiner Feinde Mord,
die Jesus Christus, deinen Sohn, wollen stürzen von seinem Thron.
Viele Jahrhunderte später hat Martin Luther dasselbe erlebt.
Das Ende der Mythen haben wir erreicht.
Unumkehrbar.
Das ist nicht Mythos sondern Realität.
Die Botschaft Jesu ist auch heute, auch unter uns gefährdet.

Wo Menschen in Not sind und ander, Wohlhabendere, unbewegt zusehen.
Wo der Satz: „Wir können nicht allen helfen“, locker von den Lippen fließt,
da ist die Botschaft von der Liebe Gottes in Lebensgefahr.
In Todesnot.

Hier halte ich inne. Schaue wieder, was Johannes schreibt.
Der erste Trostgedanke ist da.
Jeder Unmenschlichkeit
ist nicht irgendeine kleine, unbedeutende Begebenheit im großen Welttheater.
Jede Unmenschlichkeit hat vor Gott kosmische Bedeutung.
Die Verachtung eines einzelnen, kleinen, unbedeutenden Menschen
ist vor Gott welterschütterndes Unrecht.
Wieso ich das aus diesem Abschnitt heraus lese?
Johannes wendet sich in seinem Schreiben an die Kleinen und Unbedeutenden,
an die Verachteten seiner Zeit.

Der Drache hat
sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen.
Der siebenköpfige Drache will die Botschaft von der Menschlichkeit Gottes verschlingen.

Das Evangelium des Tages hat uns durch die Bedrohung des neugeborenen Jesuskindes durch Herodes erzählt.
Das Jesuskind ist dem Mörder entkommen.
Andere Mütter hatten keinen Engel, der sie rechtzeitig gewarnt hätte.
Ihre Kinder wurden getötet.
Ich bin sicher, dass Johannes damals nicht so weit gedacht hat.
Aber ich meine, dass wir heute auch ein Stück weiter denken dürfen
als der Presbyter und Autor dieser Schrift.

Euch fallen wohl auch andere Drachenköpfe ein,
die heute Menschen hier aber auch anderswo ihren heißen Atem ins Gesicht blasen.
Nicht nur den Neugeborenen. Auch den Erwachsenen.

Wir leben in einem Land,
wo die christlichen Kirchen großes Ansehen genießen.
Und dennoch scheint mir, dass die Kirche bedroht ist.
Nicht physisch. Nicht, weil ihr das Geld ausgeht.
Nicht weil der Staat sie verfolgt, wie es zur Zeit des Johannes war.

Nicht Hunger, sondern Sattheit.
Nicht Not und Tod sondern das Vergessen,
wie unendlich zerbrechlich menschliches Leben ist.
Nicht Vertreibung sondern träge Sesshaftigkeit
bedrohen die Kirchen der westlichen Welt.
Gleichgültigkeit. Selbstzufriedenheit.
Und das Schlimmste: Der Drache hat auch Köpfe, die sich christlich  gebärden.
Auch hier nur ein Stichwort zum Weiter-Denken:
PEGIDA.
Die Gefahr sind nicht die angeblich so bösen Muslime.
Den biblischen Text so zu verstehen wäre kein Missverständnis sondern Missbrauch.
Der giftige Hauch des Drachen kommt mit der Melodie von Weihnachtsliedern zu uns.

Schauen das Drama weiter an:
Der Drache spielt sich auf mit seinen vielen Häuptern und 70 Hörnern.
Und dann fürchtet er sich vor dem Evangelium, das die Gestalt eines kleinen Buben hat.
Seine einzige Möglichkeit zu wirken, ist das Wort.
Das Wort von Gottes Herrschaft auch über die Tyrannen dieser Welt.
Auch über diejenigen, die Angst und Schrecken unter den Menschen verbreiten.
Hier ist für mich der Moment, wo der Drache einen Teil seiner Großartigkeit verliert.
Hier ist der  Moment, wo dieser Drache ein wenig lächerlich wirkt.
„So steht es also um dich“, möchte ich ihm und allen seinen Köpfen zurufen:
„In Wahrheit bist du gar nicht groß und stark und mächtig.
Deine momentane Kraft kommt nicht aus deiner Lebendigkeit.
Dein heißer Atem kommt daher, weil du so große Angst hast, die Macht zu verlieren.
Eigentlich brauchst du in deiner panischen Angst Windeln viel dringender als der Knabe.
Du kämpfst mit siebzig Hörnern gegen ein einziges Kind.
Eine ganze Armee gegen die Botschaft von Gottes umfassender Liebe.“

Gott rettet das Kind vor dem Zugriff des Drachen.
Gott rettet damit die Zukunft der Glaubenden, die diesen Offenbarungsbrief empfangen.
Gott rettet die Botschaft des Evangeliums durch alle Bedrohungen zu allen Zeiten.

Das ist es, was Johannes seinen bedrohten und bedrängten Mitchristen damals sagt.
Gott rettet die Zukunft – nicht nur der Kirche, sondern auch der Welt.
So höre ich die Botschaft heute.
Manch Gesangbuchvers singt seit Jahrhunderten genau dasselbe:
Befiehl du deine Wege …
Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn …

O ja, die Zukunft der Kirche und des Evangeliums liegt noch immer
gut und warm gehalten in Gottes Hand.

Auch wenn die damals und wir heute, so wie die Frau noch auf der Erde sind.
Auch wenn die Kirche noch in der Wüste lebt, wie  Johannes sagt.
Ganz gleich, ob es im wüsten Überfluss oder im Mangel ist.
Auch der Überfluss kann zur Wüste werden.
Johannes gibt an, wie lange der Zustand dauern wird:
eintausendzweihundertundsechzig Tage.
Nicht unendlich lang wird es dauern. Es wird ein Ende haben, höre ich hier
und zähle mit allen Gefangenen dieser Erde die Tage bis zur Befreiung.

So führt uns dieser Mythos, diese unwirkliche Geschichte zuletzt ganz behutsam
und tröstend in die Wirklichkeit zurück:
Lieber Mensch, lieber Hörer, liebe Hörerin, liebe Gemeinde, liebe Kirche, liebe Christenheit:
Gott weiß um eure Nöte.
Gott sieht, dass ihr bedrängt seid.
Gott wird nicht zulassen, dass das ewig dauert.
Seine Herrschaft ist unangefochten.
Der Drache kann eure Zukunft  nicht fressen.
Die ist gut aufgehoben bei Gott, der seine schützende Hand über sie hält.
In der Zwischenzeit habt ihr manch Schweres zu erleben und zu erleiden.
Aber in alldem wird Gott euch beistehen und für euch sorgen.

Wenn man mitten drin steckt in den Turbulenzen,
ist es schwer, sich auf diese Botschaft einzulassen.
Aber wir haben es hier leichter als die Empfänger dieses Offenbarungsbriefes.
Wir können auf die lange Geschichte der Kirche zurücksehen.
Wir wissen bereits, aus wie viel Not Gott die Christenheit gerettet hat.
Und wenn wir im eigenen Leben zurück schauen, nur wenig Jahrzehnte zurück,
dann sind auch hier Spuren von Gottes bewahrender Nähe zu erkennen.

Genau das aber ist die Botschaft des Johannes.
Georg Neumann hat es in Versen gesagt:
Denk nicht in deiner Drangsalhitze, dass du von Gott verlassen seist.
Und dass ihm der im Schoße sitze, der sich mit stetem Glücke speist.
Die Folgezeit verändert viel und setzte jeglichem sein Ziel.
(EG 369,5 – Wer nur den lieben Gott lässt walten.)