Das Licht für die Völker - Predigt zu Jesaja 42,1–4(5–9) von Mira Stare
42,1-9

Das Licht für die Völker - Predigt zu Jesaja 42,1–4(5–9) von Mira Stare

Das Licht für die Völker

Liebe Glaubende,

die Weltnachrichten, die uns vor allem über die Medien täglich mitgeteilt werden, bringen uns positive und schöne Nachrichten, aber noch häufiger schwere, traurige und dunkle Ereignisse aus der ganzen Welt. In ihnen können wir die Sehnsucht vieler Menschen wahrnehmen, aus verschiedener Situationen der Unterdrückung und Gewalt gerettet zu werden. Der Blick in die Geschichte der Menschheit zeigt, dass diese Sehnsucht nach der Befreiung zu allen Epochen der Menschheitsgeschichte gehört.

Die  heutige Lesung aus dem zweiten Teil des Jesajabuches (Deuterojesaja, Jes 40-55) berührt eine besonders schwere Zeit der Heilsgeschichte, nämlich die Exilszeit.  Im Jahr 586 v. Chr. zerstörte Nebukadnezar Jerusalem und sogar den Tempel und führte vor allen die jüdische Oberschicht in die babylonische Gefangenschaft. Diese Gefangenschaft dauerte weder einige Monate noch einige Jahre, sondern eine viel längere Zeit, etwa fünfzig Jahre. Erst der Perserkönig Kyros II., der das babylonische Reich 539. v. Chr. eroberte, erlaubte den Exilanten den Rückkehr in ihre Heimat (das Kyros-Edikt). So will der zweite Teil des Jesajabuches den Juden in Babel vor allem Mut und Hoffnung machen. Ihre Gefangenschaft in Babel wird ein Ende haben. Gott wird sie wieder nach Zion zurückführen.  Er wird sie durch seinen Knecht retten und den Bund mit ihnen erneuern.
Der Prophet kündigt an, dass Gott nicht allein handelt, sondern durch seinen Knecht. Die heutige Lesung ist das erste der vier Gottesknechtslieder bei Deuterojesaja und stellt uns die Gestalt des Gottesknechtes vor Augen. Der Gottesknecht ist von Gott geschaffen und erwählt. Gott hat gefallen an ihm und stützt ihn, auch durch die Gabe seines Geistes. Gott gibt seinem Knecht eine wichtige Sendung. Diese ist mit dem Wort „Recht“, das wiederholt vorkommt, definiert. Der Gottesknecht wird auf die Erde und den Völkern das Recht, das von Gott kommt, bringen. Er wird blinde Augen öffnen, Gefangene aus dem Kerker holen und alle, die im Dunkel sitzen, aus ihrer Haft befreien. Konkret geht es hier um die Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft. Man kann aber diese Formulierungen auch symbolisch lesen. Dann kann man noch viele andere Formen der Gefangenschaften erkennen sowohl damals als auch heute. Auch diese werden mit Hilfe des Gottesknechtes überwunden. Es fällt weiter das Verhalten des Gottesknechtes auf. Er schreit und lärmt nicht. Er handelt gewaltlos:
„Das geknickte Rohr zerbricht er nicht
und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“ (Jes 42,3)
In seinen Bemühungen ist der Gottesknecht unermüdlich, konsequent und zielstrebig:
„Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen,
bis er auf der Erde das Recht begründet.“ (Jes 42,4)
Der Gottesknecht und sein Verhalten hat eine universale Bedeutung. Er begründet das Recht auf der Erde. Er ist das Licht für die Völker und nicht nur für das Volk Israel.

Gott hat die Gefangenen aus dem babylonischen Exil befreit und heimgeführt und damit einen schweren und dunklen Abschnitt der Heilsgeschichte bewältigt. Gott handelt aber weiter. In Jesus Christus, seinem Sohn, verwirklicht sich noch radikaler das, was Jesaja angekündigt hat. Jesus Christus ist der Gottesknecht entsprechend den Vorstellungen des Jesaja schlechthin (vgl. Mit 12,18-21). Er setzt sich ein für das Recht und die Gerechtigkeit Gottes gewaltlos, konsequent, unermüdlich. In ihm und seinem Verhalten wird Gott selber sichtbar und wird Gottes Reich und seine Gabe des ewigen Lebens erfahrbar. Auf diese Weise ist er „das Licht für die Völker“ (vgl. Lk 2,32).

Liebe Glaubende, Gott handelt in seinem Sohn auch in unserem Leben gewaltlos, unermüdlich, konsequent. Wir sind eingeladen, unser Leben zu betrachten und dankbar seine befreiende Wirkung zu erkennen. Er wirkt auch an unseren Mitmenschen, in unseren Familien, in der Gesellschaft, in der Welt. Wenn wir neben diesem Licht zugleich aber auch die Dunkelheit in uns und in der Welt von heute erfahren, dann sind wir durch die Heilsgeschichte ermutigt, an das Licht zu glauben und unsere Hoffnung zu stärken. Das letzte Wort wird Gott haben, in seinem Knecht / in seinem Sohn, im Licht für die Völker und für uns alle. Und dort, wo wir dieses Licht erfahren, dort sind wir aufgefordert, es an unsere Mitmenschen und Völker weiter zu geben – gewaltlos, unermüdlich, konsequent.