"Das Licht genießen!" - Predigt über Johannes 12, 34-36 von Bogislav Burandt
12,34
Das Licht genießen!
Liebe Gemeinde,
„Es gibt keine dummen Fragen!“ Meistens stimmt dieser Satz. Oft verwenden Lehrer, Professoren oder Pastoren diesen Satz, um Mut zu machen, Fragen zu stellen. „Es gibt keine dummen Fragen!“ Zu Recht heißt es im Titelsong der Kinderfernsehsendung Sesamstraße: „Wer nicht fragt bleibt dumm!“ So weit so gut. Der Psychoanalytiker Aron Bodenheimer hat allerdings nachgewiesen, dass meistens auch ein anderer Satz gilt: „Es gibt keine unschuldigen Fragen.“[i]
Die Jugendlichen, die frühmorgens Radio hören, wissen das: Immer wenn es die Pisa-Polizei gibt, das heißt, wenn die Radioreporterin mit dem Decknamen Sergeant Onken auf Streife im Norden unterwegs ist, immer dann ist äußerste Vorsicht geboten. Denn oft sind die Fragen falsch gestellt und darauf angelegt, Jugendliche auf’s Glatteis zu führen – mit dem Ziel der morgendlichen Erheiterung. Vorletzten Freitag etwa mit der Frage, ob Biathlon nicht die Sportart sei, bei der Frauen und Männer die gleiche Umkleide benutzen würden.
Es gibt keine dummen Fragen, es gibt keine unschuldigen Fragen. Von daher ist es nicht einfach, in unserem Predigttext die Fragen der Menschen einzuschätzen, die sich im Gespräch an Jesus wenden: ‚Wieso muss der Menschensohn erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?’ Immerhin haben die Menschen, die fragen, schon eine Vorstellung. Für sie ist der Menschensohn der Erlöser und Retter, von dem Gott in der Bibel sagt: „Seine Nachkommenschaft wird in Ewigkeit bleiben und sein Thron wie die Sonne vor mir.“ (Ps 88,37 LXX). Die Menschen haben gehört, dass Jesus von Erhöhung spricht. Erhöhung setzt ein sich Entfernen voraus, das aber verträgt sich schlecht mit einem Bleiben in Ewigkeit!
Die Frage, wieso muss der Menschensohn erhöht werden?, kann als Frage nach besserer Belehrung verstanden werden, so wie es sich ein Lehrer wünscht.
Wer ist dieser Menschensohn? Diese Frage wäre eine Frage nach besserer Belehrung, wenn es z.B. um eine Gesteinsart ginge. Wenn ich die richtige Gesteinsart gelehrt bekomme, dann verstehe ich womöglich etwas mehr von der Welt, aber wenn ich es nicht wüsste, wäre das auch kein großer Schaden für mich. Fehlende Kenntnisse auf dem Gebiet der Gesteinskunde lösen keine seelischen Krisen aus.
Anders wäre es, wenn mit der Frage nach dem Menschensohn etwas auf dem Spiel steht. Wenn ich mein Leben darauf gründe, dass der Menschsohn mir den Weg zu Gott weist, wenn ich den Sinn meines Lebens in Verbindung mit dem Menschensohn sehe, wenn ich den Menschensohn als Quelle der Liebe schlechthin wahrnehme, dann ist es lebenswichtig für mich zu erfahren, wer dieser Menschensohn ist! Denn dann geht es mit dieser Frage unmittelbar auch um mich! Dann geht es - in der Sprache der Tradition geredet - um meine Seele! Dann steht mit dieser Frage mein Sein auf dem Spiel!
Jesus antwortet so: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. Jesus antwortet nicht so, wie es die Fragesteller erwarten. Er beginnt nicht ein Streitgespräch darüber, welche Erlöser- und Rettervorstellung die Menschen haben. Darüber könnten wir an anderer Stelle im Johannesevangelium nachlesen. Hier jedenfalls findet das gelehrte Gespräch über die Menschensohn-Erwartung im Alten Testament nicht statt.
Aber das ist kein Zufall. Denn Jesus nimmt die unmittelbare Betroffenheit der Fragenden ernst. Menschen, die innerlich zutiefst unruhig und aufgewühlt sind, kann man nicht mit sachlichen Auskünften zufrieden stellen. Jesus nimmt wahr, dass er mit aufgewühlten Menschen zu tun hat, für die das Heil der Welt mit der Frage nach dem Menschensohn steht und fällt. Und so antwortet er, indem er der gestellten Frage einen anderen Rahmen gibt. Den beunruhigten Menschen spricht er zunächst die Nähe des Lichtes zu: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Nehmt wahr, dass Gotteserkenntnis unter euch vorhanden ist! Es gibt Liebe, die weiter trägt als euer Leben dauert! Freut euch daran!
Jesus macht die verunsicherten Frager auf das Licht aufmerksam. Licht. Damit beginnt Gottes Schöpfung. Licht ist Lebenselixier für Pflanzen, Tiere und Menschen. Licht ist von vornherein ein Hoffnungsstrahl. Manchmal sehen wir vor lauter Sorgen, Nöten und Ängsten die Sonne nicht. Und manchmal bringen wir uns vor lauter Fragen um jenes besondere Erleben, das Fragen überflüssig macht: ein Händedruck, eine Umarmung, eine Aussicht von oben, ein Musikstück, ein Kirchenraum.
Licht schenkt Leben. Licht macht munter. Licht aktiviert. Jesus sagt: Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Die Aufforderung leuchtet ein. In diesen nicht besonders sonnigen Wintertagen umso mehr. Licht gilt es zu nutzen! Also los! Aber wohin sollen wir Menschen gehen oder wandeln? Das wird besonders dann zur dringenden Frage, wenn es dämmert und das Licht unterzugehen droht! Aber Jesus hatte noch etwas gesagt: Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.
An welches Licht sollen wir glauben? An erneuerbare Energie, an Sparlampen, an Sonnenlicht? Spätestens an dieser Stelle kann vertieftes Nachdenken wieder einsetzen. Die tiefe Beunruhigung und Verunsicherung der fragenden Menschen hatte Jesusgespürt und überführt mit Hinweis auf das Licht. Wer innerlich unruhig ist, braucht Bewegung. Jesus hatte die Fragesteller dann in Bewegung gesetzt.
Jetzt sind die Menschen wieder bereit nachzudenken und zu fragen, wohin denn der Weg gehen soll. Licht. Hatte Jesus nicht auch schon früher etwas gesagt über das Licht? Da fällt es dem einen oder der anderen ein. Früher schon hatte Jesus gesagt: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12).
Licht der Welt. Wenn Jesus das Licht der Welt ist, dann ist in ihm Gott ganz nah, der Gott, der Leben schenkt. Dann aber ist Jesus der Menschensohn, der erlöst, rettet und zum Leben befreit! Dann ist es lebensförderlich, sich an ihm zu orientieren und ihm nachzufolgen!
Wenn aber Jesus der Menschensohn ist, an dem wir uns orientieren dürfen, dann ist er es, der uns in Tat und Wort zeigt, was es mit dem Menschensohn auf sich hat. – Das, liebe Gemeinde, ist offensichtlich nicht leicht: nicht für die Menschen damals und nicht für uns heute. Wir haben es lieber, wenn sich alles so abspielt, wie wir es möchten, wenn das Leben nach unserem Drehbuch abläuft. – Darum wollen die Jünger im Evangelium, in der Geschichte von der Verklärung (Mt 17,1-9), den besonderen lichten Moment mit Jesus festhalten, ihn zur Ewigkeit werden lassen. Und darum wollen die Menschen in unserem Evangelium nach ihren Vorstellungen den Menschensohn festhalten. Jesus aber ist Licht. Licht kann man nicht festhalten. Jesus wird erhöht werden ans Kreuz und erhöht in die Herrlichkeit Gottes, anders als wir es uns vorstellen mögen.
Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Welche Fragen auch immer uns beschäftigen, quälen oder bedrängen - Jesus macht uns Mut, seine Nähe zu suchen. Finsternis schlägt uns oft genug auf unserem Lebens- und Glaubensweg entgegen. Aber Lichtblicke gibt es immer wieder für unseren Glauben. Und die gilt es zuzulassen, zu genießen und zu nutzen, wo und wann auch immer: in Gottesdiensten, bei Begegnungen mit christlicher Kunst und Musik, in der Gemeinschaft mit anderen Christen.
Jesus Christus,
Sei uns willkommen, lieber Tag,
vor dir die Nacht nicht bleiben mag.
Leucht uns in unsere Herzen fein,
mit deinem himmelischen Schein.
(EG 442,6)
[i] Nach GPM 67/1 S.100. Der Meditation von Harald Schroeter-Wittke (S.99-104) verdanke ich die wesentlichen Ideen.
Liebe Gemeinde,
„Es gibt keine dummen Fragen!“ Meistens stimmt dieser Satz. Oft verwenden Lehrer, Professoren oder Pastoren diesen Satz, um Mut zu machen, Fragen zu stellen. „Es gibt keine dummen Fragen!“ Zu Recht heißt es im Titelsong der Kinderfernsehsendung Sesamstraße: „Wer nicht fragt bleibt dumm!“ So weit so gut. Der Psychoanalytiker Aron Bodenheimer hat allerdings nachgewiesen, dass meistens auch ein anderer Satz gilt: „Es gibt keine unschuldigen Fragen.“[i]
Die Jugendlichen, die frühmorgens Radio hören, wissen das: Immer wenn es die Pisa-Polizei gibt, das heißt, wenn die Radioreporterin mit dem Decknamen Sergeant Onken auf Streife im Norden unterwegs ist, immer dann ist äußerste Vorsicht geboten. Denn oft sind die Fragen falsch gestellt und darauf angelegt, Jugendliche auf’s Glatteis zu führen – mit dem Ziel der morgendlichen Erheiterung. Vorletzten Freitag etwa mit der Frage, ob Biathlon nicht die Sportart sei, bei der Frauen und Männer die gleiche Umkleide benutzen würden.
Es gibt keine dummen Fragen, es gibt keine unschuldigen Fragen. Von daher ist es nicht einfach, in unserem Predigttext die Fragen der Menschen einzuschätzen, die sich im Gespräch an Jesus wenden: ‚Wieso muss der Menschensohn erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?’ Immerhin haben die Menschen, die fragen, schon eine Vorstellung. Für sie ist der Menschensohn der Erlöser und Retter, von dem Gott in der Bibel sagt: „Seine Nachkommenschaft wird in Ewigkeit bleiben und sein Thron wie die Sonne vor mir.“ (Ps 88,37 LXX). Die Menschen haben gehört, dass Jesus von Erhöhung spricht. Erhöhung setzt ein sich Entfernen voraus, das aber verträgt sich schlecht mit einem Bleiben in Ewigkeit!
Die Frage, wieso muss der Menschensohn erhöht werden?, kann als Frage nach besserer Belehrung verstanden werden, so wie es sich ein Lehrer wünscht.
Wer ist dieser Menschensohn? Diese Frage wäre eine Frage nach besserer Belehrung, wenn es z.B. um eine Gesteinsart ginge. Wenn ich die richtige Gesteinsart gelehrt bekomme, dann verstehe ich womöglich etwas mehr von der Welt, aber wenn ich es nicht wüsste, wäre das auch kein großer Schaden für mich. Fehlende Kenntnisse auf dem Gebiet der Gesteinskunde lösen keine seelischen Krisen aus.
Anders wäre es, wenn mit der Frage nach dem Menschensohn etwas auf dem Spiel steht. Wenn ich mein Leben darauf gründe, dass der Menschsohn mir den Weg zu Gott weist, wenn ich den Sinn meines Lebens in Verbindung mit dem Menschensohn sehe, wenn ich den Menschensohn als Quelle der Liebe schlechthin wahrnehme, dann ist es lebenswichtig für mich zu erfahren, wer dieser Menschensohn ist! Denn dann geht es mit dieser Frage unmittelbar auch um mich! Dann geht es - in der Sprache der Tradition geredet - um meine Seele! Dann steht mit dieser Frage mein Sein auf dem Spiel!
Jesus antwortet so: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. Jesus antwortet nicht so, wie es die Fragesteller erwarten. Er beginnt nicht ein Streitgespräch darüber, welche Erlöser- und Rettervorstellung die Menschen haben. Darüber könnten wir an anderer Stelle im Johannesevangelium nachlesen. Hier jedenfalls findet das gelehrte Gespräch über die Menschensohn-Erwartung im Alten Testament nicht statt.
Aber das ist kein Zufall. Denn Jesus nimmt die unmittelbare Betroffenheit der Fragenden ernst. Menschen, die innerlich zutiefst unruhig und aufgewühlt sind, kann man nicht mit sachlichen Auskünften zufrieden stellen. Jesus nimmt wahr, dass er mit aufgewühlten Menschen zu tun hat, für die das Heil der Welt mit der Frage nach dem Menschensohn steht und fällt. Und so antwortet er, indem er der gestellten Frage einen anderen Rahmen gibt. Den beunruhigten Menschen spricht er zunächst die Nähe des Lichtes zu: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Nehmt wahr, dass Gotteserkenntnis unter euch vorhanden ist! Es gibt Liebe, die weiter trägt als euer Leben dauert! Freut euch daran!
Jesus macht die verunsicherten Frager auf das Licht aufmerksam. Licht. Damit beginnt Gottes Schöpfung. Licht ist Lebenselixier für Pflanzen, Tiere und Menschen. Licht ist von vornherein ein Hoffnungsstrahl. Manchmal sehen wir vor lauter Sorgen, Nöten und Ängsten die Sonne nicht. Und manchmal bringen wir uns vor lauter Fragen um jenes besondere Erleben, das Fragen überflüssig macht: ein Händedruck, eine Umarmung, eine Aussicht von oben, ein Musikstück, ein Kirchenraum.
Licht schenkt Leben. Licht macht munter. Licht aktiviert. Jesus sagt: Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Die Aufforderung leuchtet ein. In diesen nicht besonders sonnigen Wintertagen umso mehr. Licht gilt es zu nutzen! Also los! Aber wohin sollen wir Menschen gehen oder wandeln? Das wird besonders dann zur dringenden Frage, wenn es dämmert und das Licht unterzugehen droht! Aber Jesus hatte noch etwas gesagt: Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet.
An welches Licht sollen wir glauben? An erneuerbare Energie, an Sparlampen, an Sonnenlicht? Spätestens an dieser Stelle kann vertieftes Nachdenken wieder einsetzen. Die tiefe Beunruhigung und Verunsicherung der fragenden Menschen hatte Jesusgespürt und überführt mit Hinweis auf das Licht. Wer innerlich unruhig ist, braucht Bewegung. Jesus hatte die Fragesteller dann in Bewegung gesetzt.
Jetzt sind die Menschen wieder bereit nachzudenken und zu fragen, wohin denn der Weg gehen soll. Licht. Hatte Jesus nicht auch schon früher etwas gesagt über das Licht? Da fällt es dem einen oder der anderen ein. Früher schon hatte Jesus gesagt: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12).
Licht der Welt. Wenn Jesus das Licht der Welt ist, dann ist in ihm Gott ganz nah, der Gott, der Leben schenkt. Dann aber ist Jesus der Menschensohn, der erlöst, rettet und zum Leben befreit! Dann ist es lebensförderlich, sich an ihm zu orientieren und ihm nachzufolgen!
Wenn aber Jesus der Menschensohn ist, an dem wir uns orientieren dürfen, dann ist er es, der uns in Tat und Wort zeigt, was es mit dem Menschensohn auf sich hat. – Das, liebe Gemeinde, ist offensichtlich nicht leicht: nicht für die Menschen damals und nicht für uns heute. Wir haben es lieber, wenn sich alles so abspielt, wie wir es möchten, wenn das Leben nach unserem Drehbuch abläuft. – Darum wollen die Jünger im Evangelium, in der Geschichte von der Verklärung (Mt 17,1-9), den besonderen lichten Moment mit Jesus festhalten, ihn zur Ewigkeit werden lassen. Und darum wollen die Menschen in unserem Evangelium nach ihren Vorstellungen den Menschensohn festhalten. Jesus aber ist Licht. Licht kann man nicht festhalten. Jesus wird erhöht werden ans Kreuz und erhöht in die Herrlichkeit Gottes, anders als wir es uns vorstellen mögen.
Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Welche Fragen auch immer uns beschäftigen, quälen oder bedrängen - Jesus macht uns Mut, seine Nähe zu suchen. Finsternis schlägt uns oft genug auf unserem Lebens- und Glaubensweg entgegen. Aber Lichtblicke gibt es immer wieder für unseren Glauben. Und die gilt es zuzulassen, zu genießen und zu nutzen, wo und wann auch immer: in Gottesdiensten, bei Begegnungen mit christlicher Kunst und Musik, in der Gemeinschaft mit anderen Christen.
Jesus Christus,
Sei uns willkommen, lieber Tag,
vor dir die Nacht nicht bleiben mag.
Leucht uns in unsere Herzen fein,
mit deinem himmelischen Schein.
(EG 442,6)
[i] Nach GPM 67/1 S.100. Der Meditation von Harald Schroeter-Wittke (S.99-104) verdanke ich die wesentlichen Ideen.
Perikope