Der freundlich flüchtige Invasor - oder - Getwitterkinder am Ladelimit - Predigt zu Lukas 17,20-24(25-30) von Markus Kreis
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Der freundlich flüchtige Invasor - oder - Getwitterkinder am Ladelimit - Predigt zu Lukas 17,20-24(25-30) von Markus Kreis

Der freundlich flüchtige Invasor - oder - Getwitterkinder am Ladelimit

Der freundlich flüchtige Invasor – oder – Getwitterkinder am Ladelimit. So möchte ich meine Predigt betiteln, liebe Gemeinde. Ja, Gott ist ein freundlicher Invasor. „Halt! Stopp!“, werden einige sagen: Gott ein Invasor? Ein eindringender Eroberer? Einer, der sich ausbreitet, ohne sich um unsere Grenzen zu scheren? Gar eine Art Besatzungsmacht? Das klingt befremdlich und nicht freundlich.

Die Bibel berichtet, dass Gott mit seinem Denken und Machen alles gottlose und  widergöttliche Denken und Machen aus einem Menschen vertreiben kann. Es gibt zweierlei Besessenheit, es gibt dämonische und göttliche Besatzung, gottlose fixe Ideen und Gott Vertrauen, für jedwede Sünde blind bei jeglichen Unternehmungen.

Unser menschliches Leben zeigt sich, öfter als uns lieb und bewusst ist, von gottlosen fixen Ideen beherrscht. Da kann uns die gute Besatzungsmacht Gottes nur anfeinden. Wie gut, dass Gott als Invasor sich mit uns angefreundet hat.

Denn Gott weiß um unsere Grenzen. Er kennt die Angst, dass eine Grenzüberschreitung uns verletzt, die Angst, dass wir dabei Kontrolle über unser Leben verlieren. Und er kennt unsere damit verbundene Wunschphantasie nach Grenzkontrolle, unüberwindbaren Zäunen, Todesstreifen, die schon einmal zur grausamen Realität wurden.

Mehr noch: Unsere Verlustangst macht nicht davor halt, die für uns unüberwindbare Grenze kontrollieren zu wollen, die Grenze der Lebenszeit, den Tod. Spätestens hier werden all diese Versuche scheitern, werden wir dem Kontrollverlust ausgeliefert sein.  

Wie gut, dass Gott uns die vergeblichen Kontrollversuche in Jesu Kreuz abgenommen hat. Er hütet jegliche Grenze, auch den Tod. Und das kann angesichts von Jesu Auferstehung nur eines heißen. Wenn Gott die Grenze durchlässig macht, dann einzig um den Lebensspielraum seiner geliebten Geschöpfe, der Menschen, zu erweitern. Denn Grenzkontrolle, das heißt nicht nur abschotten und mauern. Sondern ebenso Grenzverschiebung nach außen, also Ausbau des eigenen Einfluss- und Machtbereichs.

Ein Beispiel: Es gibt Leute, die an der sogenannten Flugangst gelitten haben, die also nicht mit dem Flieger auf Reise gehen konnten, die man nur mit roher Gewalt in die Maschine hätte zwingen können. Und die haben gelernt, meist mit fremder Hilfe, diese Angst in den Griff zu kriegen, diese Grenze zu überwinden.  Also begeben sie sich in den Flieger und vertrauen sich dem Geschehen an; auch wenn ein Bauchgrummeln dabei bleibt. Sie überwinden dabei nicht nur neue Ländergrenzen sondern auch innere seelische Limits. Sie können den begrenzten Kontrollverlust akzeptieren, also die Kontrolle an Leitsystem und Piloten übergeben.

Um neues Leben zu gewinnen, gibt auch ein jeder Partner eines Paares lieb gewonnene Grenzen auf, körperliche und geistige, manchmal bewusst, manchmal unbemerkt. Was körperliche Grenzverletzung und Grenzverschiebung bedeutet, das muss man heute keinem mehr erklären.

Vielleicht aber geistig, seelische Grenzüberschreitung im Zusammenleben. So zum Beispiel. Die Kritik des einen wird nicht als Angriff interpretiert, sondern als Aufklärung und Hilfe durch den anderen. Vergebende Worte werden nicht als Zeichen von Schwäche ausgelegt, sondern als aus einem unerklärlichen Kraftreservoir geschöpft. Des einen Bitte um Vergebung wird nicht genutzt, um alte Vorwürfe erneuern, sondern vom Adressat als echte Reue erachtet. Allesamt Grenzüberschreitungen und -verschiebungen, die neues Leben ermöglichen, Vertrautheit und Vertrauen vergrößern.       

Halt! „Stopp!“, werden andere einwerfen. Freundlicher Invasor, ja, von mir aus, meinetwegen. Aber Invasor und flüchtig? Was ist denn jetzt gemeint? Ist Gott nun dieses oder jenes? Beides zusammen geht schlecht. Invasoren jagen Menschen in die Flucht, fliehen aber selber nicht. Und Flüchtige machen sich aus dem Staub, machen die Biege, verlassen ein Gebiet und nehmen es nicht in Besitz.

Gott ist beides. Dieser Widerspruch ist ihm und seinem Tun nicht abträglich. Er kann zugleich flüchtig und Invasor sein. Als Gläubige haben wir es genau besehen oft mit Widersprüchen zu tun. In Jesu Worten unseres Bibeltextes steckt zum Beispiel einer. Vielleicht ist es ihnen aufgefallen.

Einerseits verbietet Jesus es, den kommenden Menschensohn leibhaftig mit irgendwelchen weltlichen Objekten oder Ereignissen gleich zu setzen. Andererseits zieht er kurzerhand den Blitzschlag heran, um die Vergegenwärtigung des Menschensohns zu versinnbildlichen. Ja, gibt es nun doch ein weltliches Anzeichen? Oder muss jedwedes Anzeichen auf den Index? Ein Schluss daraus bleibt uns im Heiligen Geist überlassen.

Gott als flüchtig freundlicher Eroberer, dieser Widerspruch lässt sich auflösen. Als die Wehrmacht vor 75 Jahren die Sowjetunion attackierte, erschienen die Deutschen mancherlei dort Ansässigen als flüchtig freundliche Eroberer. So schnell kamen sie heran. Nahmen nur kurz oder gar nicht vom dargebotenen Brot und Salz. Rauschten vorbei und rückten schnell weiter vor. Denn lieber noch nahmen sie mehr Gebiete in Besitz als das angebotene Willkommen.

Im folgenden Rückzug waren sie auch flüchtig - allerdings ohne noch Eroberer geschweige denn willkommen zu sein. Sondern flüchtige Menschen, die den Krieg und zuweilen jede Menschlichkeit verloren hatten. In diesem Sinne ist Gott natürlich kein flüchtiger Invasor. Gott hat in Jesus am Kreuz seine volle Menschenfreundlichkeit gerade gewonnen. Hat er doch dort Leid und Tod auf sich genommen und im Gegensatz zu uns überwunden und besiegt.

Halten wir es wie das Lukasevangelium. Ziehen wir ein Beispiel aus der Physik heran, um Gottes flüchtiges Wirken zu schildern. Es ist aber kein Beispiel aus der Wetterkunde, sondern aus der Teilchenphysik. Keine Sorge, völlig unkompliziert. Gottes flüchtiges Wesen ist vergleichbar mit dem Auftauchen und Verschwinden von atomaren Teilchen.

Vielleicht erinnern sie sich noch an das Higgs Boson. Um es zu erhaschen, brauchte und baute man in Genf unterirdische Beschleuniger und Messapparaturen. Zwar wies der Detektor am CERN erfolgreich das Higgs Boson nach.

Doch die Teilchen und ihr Wirken liegen deshalb noch lange nicht unserer Hand. Sie entziehen sich uns, stehen außerhalb unserer Verfügbarkeit. Wir bieten letztlich nur die äußeren Bedingungen zu ihrem Erscheinen. Und auch unser aktiver Anteil an diesem Bieten, all unser Aufbieten, ist uns von Gott geschenkt. Nicht anders als das, was uns dabei widerfährt.  

Wie das Higgs Boson versenkt Gott sich ins Nichts. Er schaltet sich sozusagen weg, fährt sich runter. Und schaltet sich wieder zu, fährt sich hoch. Nicht wie ein willkürlicher Gott, sondern ganz gemäß seiner Liebe und Freundlichkeit für die Menschen. Gott schaltet sich in freundlicher Menschenliebe ein, ohne dass ein Mensch ihn dabei ausschalten kann. Darin liegt seine flüchtige und unwiderstehliche Macht. So zeigt sich seine Qualität als der nur nachträglich zu fassende freundliche Invasor.

Unser Lukastext formuliert eine weitere Ansage: Es wird Tage geben, da werden wir wünschen, dass Gott sich uns zeigen möge. Vielleicht haben sie schon die Erfahrung gemacht, liebe Gemeinde: Es lässt sich auch leben, wenn sich Gott in unserem Leben als versunken oder abgeschaltet erweist. Wenn es läuft, dann läuft es, es ist wie es ist, eins kommt zum anderen. Alles geht fraglos seinen Gang. Das mag so sein. Aber: Es wird Tage geben, da werden wir wünschen, dass Gott sich zuschalte, dass er sich uns Kontrollverlustkontrolleur zeige.

Warum wir das begehren, darüber verliert das Lukasevangelium an dieser Stelle kein Wort. Es wird kein Grund genannt, warum wir Gottes Gegenwart gewahr werden wollen. Werden wir in Bedrängnis geraten? Läuft es nicht mehr? Kommt keines mehr zum anderen? Stellen sich einem vormals verdrängte, unabweisbare Fragen und Entscheidungen? Stellt sich das Versinken Gottes in unserem Leben nunmehr als Problem dar? Wünschen wir, dass Gott sich zuschaltet, mitten in unser Leben hinein?   

Oder geht es gar nicht um uns dabei? Wünschen wir uns Gottes Gegenwart, weil es für andere nicht gut läuft? Weil bei Ihnen nur ein Problem zum anderen kommt. Stehen sie vor unabweisbaren Fragen und Entscheidungen? Stellt sich das Versinken Gottes in deren Leben nunmehr als Problem dar? Wollen wir, dass Gott sich wieder hoch lädt, mitten in deren Leben hinein? Wünschen wir, dass Gott sich diesen anderen erweisen möge in Liebe und Menschenfreundlichkeit?

Wie dem auch sei, ob für unser Leben oder für andere: Der flüchtige Gott gerät plötzlich in eines Menschen Herz, Hirn und Leib. Sowie ein Blitz das Dunkel schwerer Wolken, oder das Dunkel der Nacht erhellt, so erleuchtet Gott des Menschen dunkles Herz oder getrübtes Gehirn, seine ausgeblendete Einsicht oder sein diffuses Wissen. Und so wie ein Blitz eine ungeheure Menge an Energie in die Erde entlädt, so überträgt Gott sich in Hirn, Herz und Leib, in das Wollen, Wissen und Handeln eines Menschen.

Der flüchtige Gott beherrscht derart den ganzen Menschen. Jedoch nie nur den ganzen Menschen für sich allein, sondern immer zusammen mit anderen Menschen. Und so verschmelzen Hirne, Herzen und Körper im göttlichen Blitz zu einem Leib und einer Seele. Sie verfließen zu einem Tun und einem Lassen, zu einem Handeln und Widerfahren, zu einem Reden, Hören und Entgegnen, das zusammen passt, das sich untereinander ergänzt.

Gott als Blitz verdonnert uns mit seinem Wort, ohne dass wir zwangsläufig taub oder erschrocken werden. Vom Propheten Elia ist das zu lernen. Gott kann sich auf mehrfache Weise mitteilen, unter anderen auch leise, sehr, sehr, leise. Oder durch ein nur kleines unbedeutendes Naturereignis wie z.B. einen Vogel. Also durch Flattern, Zwitschern, Flüstern.

Gott twittert uns unvermutet sein lebendig machendes Wort ins Gemüt, auf dass wir ihm und seinem Wort folgen. Gott teilt sich uns häufig beiläufig mit. Je beiläufiger, desto häufiger unbemerkt. So wie uns viele entscheidende Informationen heute eher unterschwellig und indirekt beigebogen werden – und umso wirksamer. Als flüchtiger Invasor macht er uns als Einzelne und in Gemeinschaft leiselaut aufmerksam auf seine Wahrheit.

Gott ist der Twitterer, will sagen, der eine Twitterer, der selber und wahrhaft kein Follower ist. Der keinem folgt, außer sich selbst in seiner Menschenfreundlichkeit. Daran teilen wir mit ihm als seine Getwitterkinder. In der Heiligen Schrift wird dies aufgezeigt.

Das Alte Testament kennt den Propheten Elia nicht nur als Windflüsterer. Denken sie an das Gipfeltreffen mit den brandopferwilligen Baalspriestern. Da zeigt sich Elia als echtes Gewitterkind mit Blitz und Donnerkeil. Und das Neue Testament kennt die Donnersöhne Jakobus und Johannes, zwei der Jünger Jesu, deren Rede- und Überzeugungsaktivität besonders nachhallend gewesen sein soll.

Der Menschen Geistesblitz entspringt dem Wort Gottes in der Heiligen Schrift. Es lässt Gott in uns Menschen auftauchen. Als wahre Follower sind wir von Gottes Licht und Energie durchdrungen. In verborgener Nachhaltigkeit donnern oder twittern wir - je nach dem, was grad nötig ist angesichts des Gehörs unserer Mitmenschen.

Und wie die allermeisten Twitterer wissen wir gar nicht, wer unsere wahren Follower und damit Gottes Nachfolger sind. Damit müssen wir leben. Damit dürfen wir leben. Und damit können wir leben. Denn der freundliche Donnerwettergott kennt unsere Grenzen und scheut sich nicht, sich auf sie einzulassen.

Und so gelingt es ihm immer wieder, sich gegen alles menschliche Kontrollgebaren in eines jeden Hirn, Herz und Leib zu schalten und zu twittern. Dank unserer Nachfolge leuchtet bei Mitmenschen dieser eine Blitz auf. Dieser Informations- und Energievorschub, der gottlos Widergöttliches in Schall und Rauch aufgehen. Und neues Leben in jede kleinste Ader strömen lässt - auch wenn sie aus Glasfaser oder Kupfer ist. Amen