Der Himmel voller Tränen - Predigt zu Offenbarung 21,1-7 von Daniela Hammelsbeck
21,1-7

Der Himmel voller Tränen - Predigt zu Offenbarung 21,1-7 von Daniela Hammelsbeck

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein. (Off 21,1-7)

Liebe Gemeinde,

„Sie ist immer noch da!“, der alte Herr traut sich kaum, das zu sagen. Der Tod seiner Frau liegt ja schon so viele Jahre zurück.
„Sie ist immer noch da, hier in der Wohnung, ich kann sie richtig spüren, und dann spreche ich mit ihr.“
Während er das erzählt, kommen ihm die Tränen. Und seine Tochter streicht ihm über das Gesicht, eine kleine zärtliche Handbewegung, und wischt die Tränen ab. Fast intim wirkt sie, diese Geste.

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.
Das ist der intimste Moment in dem so gewaltigen Predigttext.
Denn mächtig ist sie, die Vision, die da gemalt wird.
Großformatige Bilder standen dem Johannes vor Augen – damals, als die erste Verfolgung über die christlichen Gemeinden herein brach.
Bedroht, verfolgt, bestraft, Johannes wurde verbannt auf die Insel Patmos. Dort im Exil empfing er Visionen und schrieb sie auf. Für alle die anderen, die in Bedrängnis waren, in Angst, in Verzweiflung. Auch für uns heute.
Bilder, die uns hinein schauen lassen in die Zukunft. In die Ewigkeit. In der alles ganz anders sein wird.

Siehe, ich mache alles neu.
Nicht das Alte wird repariert, da entsteht etwas völlig Neues.
Ein neuer Himmel, eine neue Erde, das himmlische Jerusalem, geschmückt wie eine Braut und vom Himmel herabkommend.

Neu, ganz neu, ganz anders wird es da sein.
Kein Hass, keine Gewalt, kein Geschrei, kein Leid, kein Schmerz, kein Tod.
Ein neuer Himmel, eine neue Erde, völlig anders als das, was wir hier erleben.

Siehe, das Alte ist vergangen.

Aber dann: diese Tränen!
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Alles ist anders, aber die Tränen, die sind noch da.
Auch im neuen Himmel wird geweint.
Das verbindet uns mit unseren Toten.
Das verbindet unsere und die neue Welt.
Hier und dort, jetzt und dann.

Viele von uns hier haben Tränen vergossen in den letzten Wochen und Monaten. Haben geweint. Am Bett. Am Grab. Ganz im Verborgenen oder gemeinsam mit anderen. Still und leise oder laut und heftig.
Tränen um einen Menschen, der nun fehlt.
Tränen vor Erleichterung, weil das unerträgliche Leiden endlich vorbei ist.
Tränen, weil es so furchtbar weh tut.
Tränen der Verzweiflung: Wie soll es weiter gehen?
Tränen um versäumte Momente, um das, was nicht war und was doch hätte sein können.
Tränen, die nicht aufhören wollen zu fließen.
Tränen vielleicht auch, die noch nicht nach draußen können.
Ungeweinte Tränen.

Es ist gut, wenn wir weinen können. Tränen müssen fließen, damit der Schmerz sich nicht festsetzt. Und die Trauer nicht erstarrt. Tränen, die fließen, helfen, im Schmerz lebendig zu bleiben.
Darum ist es gut, dass auch im neuen Himmel Tränen fließen werden.
Dass auch die neue Welt etwas davon weiß, wie heilsam Tränen sein können.

Der Himmel voller Tränen – und Gott wird da sein.

Wir trauern, wir weinen. Viele Tränen sind geflossen und fließen noch.
Wir fragen: Warum? Warum dieser Tod? Wie soll es werden? Wie soll ich das schaffen?
Und die Antwort, die Gott gibt, ist vielleicht anders als wir erwarten: „Jede Träne will ich aus deinen Augen wischen!“ Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. (Jes 66,13)

Wie das wohl ist?
Wie sich das wohl anfühlt, wenn Gott mir die Tränen abwischte?
Wenn Gott mich in den Arm nähme, ganz sanft und behutsam.
Wenn er mich womöglich fragte: Warum weinst du?
Und dann kommt der Schmerz aus den Tiefen meines Herzens heraus und mit den Tränen löst sich all das, was mich so lange festgehalten hat. Nicht eine einzige Träne ginge verloren. Jede einzelne würde von Gott gesehen. Auch die ungeweinten Tränen. Und die unterdrückten.
Wie das wohl ist, wenn Gott uns über die feuchten Wangen striche?
So vertraut, so nah, so zärtlich, so liebevoll.

So zugewandt kann nur einer sein, der behutsam und vorsichtig ist.
Der um meine Verletzlichkeit weiß. Der mir wirklich nahe ist. Der sich selber berühren lässt.
Das kann keiner sein, der unberührbar ist.
Kein mächtiger König, kein Herrscher auf einem Thron.

Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen.

Gott wohnt bei uns. Gott richtet sich bei uns ein. In einer Hütte. Wörtlich steht da: in einem „Zelt“. Gott schlägt mitten unter uns sein Zelt auf. Da ist keine Mauer mehr zwischen uns. Durch eine Zeltwand kann ich sogar Atemgeräusche hören. Gottes Atem.
Und Gott hört meinen Atem. Hört mein Schluchzen, und sei es noch so leise.
Näher geht es eigentlich nicht. Näher kann mir dieser Gott nicht kommen.

Der Seher Johannes sitzt weit weg – da auf der Insel, verbannt und verzweifelt, bedrängt, traurig, voller Angst.
Von da blickt er in den neuen Himmel und auf die neue Erde. Und spürt doch ganz real, hier und jetzt, wie Gott seine Tränen abwischt. Dieser Gott, der sein Zelt nebenan aufschlägt. Und der seine verletzten Menschenkinder in den Arm nimmt.

Wir sitzen hier mit unserer Trauer, unseren Tränen, unseren Fragen: Möge es doch so sein, dass auch wir etwas davon spüren: Wie die Ewigkeit uns berührt. Wie Gottes zärtliche Hand uns über die Backe streicht.

„Sie ist immer noch da, ich kann sie richtig spüren“, sagt der alte Herr.
Manchmal sind die Menschen, die gegangen sind, einfach wieder da. Niemand ist ganz weg.
Das kann man so oder so sehen. Aber egal, wie man das sieht: Auf jeden Fall ist einer immer noch da. Und der bleibt. Und wird immer noch da sein, am Ende.
A und O, Anfang und Ende, und eben der, der alle meine Tränen abwischen wird.
Amen.