Der Vater und der Sohn und die Worte, die raus müssen - Predigt zu 5. Mose 6,4-9 von Wolfgang Petrak
6,4-9

Der Vater und der Sohn und die Worte, die raus müssen - Predigt zu 5. Mose 6,4-9 von Wolfgang Petrak

Der Vater und der Sohn und die Worte, die raus müssen

Liebe Gemeinde ,

was müssen wir sagen? Und wann? Und wie? Und was müssen wir dann tun? So fragen wir uns. Und so hatte sich Menachim gefragt.

Es war fast Abend geworden. Menachim hatte sich auf seinen Stein gesetzt, der am Rande seines Weingartens stand. So pflegte er es immer zu tun, wenn der Rücken schmerzte. Menachim hatte gelernt, dieses Signal zu deuten.  So wie er es auch eigentlich verstand, anderes, was außerhalb seiner Gedanken vor sich ging, zu verstehen, um dann seinen weiten Gedanken Worte geben zu können. Da drüben, lag Ehud im Gras. Heute war er endlich mal mit dabei gewesen. Es hatte Menachim einige Überwindung gekostet, Ehud zu überzeugen, dass er ihn heute bei der Arbeit auf dem Felde brauchen würde. Aber dann war er mitgekommen, hatte sich auch den ganzen Tag über verständig bei der Arbeit angestellt, doch nun, da die Sonne sich neigte, hatte Ehud die Arme unter seinem Kopf verschränkt und sah den gen Abend ziehenden Wolken nach.

Unweit von ihm, im weiten Schatten der Zeder, graste der Esel. Ach, Menachim konnte gar nicht zählen, wie oft sie den schmalen Weg vom Dorf hinauf und abends vor Einbruch der Dunkelheit zurück stetig-gemächlichen Schrittes gegangen waren; und so manches Mal, wenn sein müder Körper von der Arbeit auf dem Feld sich schmerzvoll gekrümmt hatte, hatte er sich oben auf die Last gesetzt und war von dem Tier geduldig getragen worden. Natürlich: zuweilen hatten sie dabei die Wand des Hohlweges berührt, auch so, dass sein Fuß sich zwischen Fell und Fels einzuklemmen drohte, doch eigentlich war es, wie jenes Sprichwort sagt, immer gut gegangen. Dieses Tier: es einfach da, verlässlich und klug, ja natürlich auch eigensinnig. aber zuverlässig. Soll es doch noch etwas fressen und sich stärken. Soll Ehud seinen Gedanken und Träumen doch einfach nachgehen, den ziehenden Wolken nachsehen, liegt in ihnen doch jene Wahrheit, die nur in der Stille für sich aufgeschlossen werden kann. Der Höchste gepriesen sei sein Name: gewiss, er mag dort thronen, bis in Ewigkeit.

Doch die Arbeit der Erde verlangt anderes. Wie hart sie ist, verrät die Sprache des Körpers nur zu beredt.  Die Reben zurückschneiden, daneben den Acker vom Unkraut reinigen, denn sie kennen keine Grenzen, diese Disteln und bitteren Kräuter, deren Name er nicht kannte im Gegensatz zu Abigail, seiner Frau, die für alles einen Namen hatte und oft genug über die Unwissenheit der Männer hell zu lachen pflegte. Menachim musste in Gedanken dabei selbst lächeln, denn es gibt einen, den Abigail von ihren spitzigen Wortpfeilen verschont, und das ist Ehud, ihr Sohn. Zum elften Mal hatten sie das Erntefest mit ihm gefeiert: ach ja, er hatte sich gemacht, der Junge, der zusehends zum Mann heranwuchs. Und wenn Menachim mal  eher im Scherz vom kleinen, feinen Herrchen sprach, zum Beispiel beim Essen, wenn Ehud das einfache Brot zurückwies und stattdessen nur den Honig erbat, nein: verlangte, um dann nochmals beim Fleisch zuzugreifen, dann pflegte Abigail nicht Ehud, sondern ihn, ihren alten Menachim schmallippig anzusehen, wobei sich immer ihre Augenbrauen sich zu seinem dunklen Strich zusammen zogen. Während Ehud dann durchaus wissend fein zu lächeln pflegte. Also doch ein feines Herrchen. Doch Menachim war immer klug genug, sich in solchen Fällen weitere Bemerkungen zu versagen, selbst wenn sie auf der Zunge gelegen hatten; selbst dann, wenn es so schien, als ob Mutter und Sohn die ihre Köpfe zusammenstecken würden. Nicht, dass sie über ihn lachen würden. Wohl aber wussten sie offensichtlich, irgendwelche Geheimnisse miteinander zu teilen. Menachim ließ es dabei und fragte nicht nach. Auch nicht, ob sie mit ihm schon mal darüber gesprochen hatte, wie es mit der Liebe zu gehen pflegt. Er für seinen Teil hatte sich immer zurück gehalten. Will es der eigenen Entwicklung überlassen. Nur nicht zerreden. Gewiss hat Ehud  alles, was die Mutter ihm an Wissen, an Begriffen, an Kniffen gezeigt hatte, aufgenommen, als ob es ein Leichtes ist. Er war ja auch wie selbstverständlich immer in der Nähe des Vaters geblieben, war ihm von klein auf zur Hand gegangen, hatte ihm das Werkzeug gereicht, wenn es etwas zu sägen, zu nageln, zu verleimen und verzapfen gab, hatte früh gelernt, umsichtig zu halten, mal hier ein Brett, dort einen Balken, der in der Stallwand zu verarbeiten war. Oder dort das Seil, dass, um die Spitze der Zeder geschlungen, dem zu fällenden Baum die notwendige Richtung geben sollte: Ehud ist verständig - nun gut, seine Stimme ist noch hoch und kindlich, doch Menachim ist sich sicher, dass sie bald brüchig werden wird. Wie der Jungen an den Reben steht, mit federnden Beinen, mit sich herausbildenden Muskeln, braungebrannt das Gesicht: ja, er wird früh ein Mann sein, ein richtiges Herr. Und das Mädchen, das er sich wählen wird, wird sich glücklich  schätzen dürfen… Heute Abend, so denkt Menachim unvermittelt, müsste er es eigentlich ihm endlich sagen, gewissermaßen von Mann zu Mann, wie sehr er …

Was müssen wir sagen? Und wann? Und wie? Und was müssen wir dann tun?

 Ach was, es ist jetzt Zeit, die Arbeit und den Gedankenflug zu beenden, die Abfälle sind zu bündeln und dem Esel aufzuladen, und dann könnten wir das Essen zu genießen, das Abigail uns beiden bereitet haben wird, und dann wird Zeit sein.

„Ehud, wir hören auf. Binde das Gestrüpp zusammen, lade  es dem Esel auf, vergiss nicht, ihn zuvor vom Baum loszubinden, damit er etwas Frisches grasen kann, denn auch er hat gearbeitet. Und dann geht es los. Ich glaube, es gibt…“. Lächelnd sieht Menachim, wie der Junge schier in Windeseile die Reisigzweige gebündelt hat, wie er sich eilt, um fertig zu werden. Der Vater vermeint das Knurren des Magens seines Sohnes zu hören, weiß er doch zu genau, wie die Worte: „Ich glaube, es gibt“ seine Gedanken in Richtung gebackene Weizenfladen, die in Öl getunkt waren, beflügeln; dazu frischen Käse und die Feigen vom alten Baum im Garten, o ja: so viel haben sie doch. Obwohl: es scheint ja im Leben immer Grenzen zu geben. Allein wenn man bedenkt, wie die Nachbarn leben, wie die tafeln können. Sind ja auch Herren. Wie sie arbeiten lassen können. Da braucht keiner seinen Sohn einzuspannen.

„Ehud! Was machst du da mit dem Esel“?

Erschrocken starrt Menachim in Richtung  Zeder. Wie abgemacht, hatte Ehud den Esel losgebunden, nicht aber, um ihn noch mal neu am Wiesenrand grasen zu lassen, sondern um ihn in den Weinberg zu treiben, wohl um dort ihm das Reisig aufzuladen und so die mühsame Zuwegung sich zu ersparen. Hell, nein schrill und scharf hört Menachim Ehuds Stimme, dieses „Wirst du wohl! Mach jetzt hin! Ich zeig dir, wer hier der Herr ist und wer hier das Sagen hat“! Dazu prügelt der Junge das Tier mit einer Gerte, aus der er sich doch in der Mittagspause einen Bogen hat fertigen wollen, es aber nicht geschafft hatte, weil es Zeit gewesen war, mit der Arbeit fortzufahren. „Hier“, schreit das Kind, „nimm das. Und das. Und das“. Und haut mit dem Stecken dem Tier auf den Rücken, nach dem die vorgehenden Schläge an die Fersen nur das zornige Auskeilen des Esels bewirkt hatten. Behände ist der Junge vor den Esel gesprungen, um jetzt zum Schlage auf den Kopf des Tieres auszuholen, genau zwischen die Augen. Schrecklich gellen die Schreie des Tieres, so wie es Menachim noch nie gehört hatte; unbeholfen seine Versuche, durch einen Sprung auszuweichen: der Junge ist einfach zu schnell, er beherrscht im Voraus jede Bewegung des Tieres, die letztlich ein nur unzureichendes Ausweichen vor der jähen Pein bedeuten könnte.

„Hier, nimm das. Und das. Und das dafür, weil du nicht hören kannst“.

„Ehud“!

 Menachim ist aufgesprungen und läuft los, ohne auf den stechenden Schmerz seines Rückens zu achten; die Anhöhe hinauf, auf den prügelnden Knaben und das gequälte Tier zu. Und wenn es den Rücken zerreißt, der Schmerz seines Herzens ist größer. Er achtet nicht auf sein Stolpern, sondern beschleunigt trotzdem seine Schritte und den Lauf seiner Gedanken. Wo sind die Worte, die jetzt raus müssen?

„Ehud“. Menachim weiß, dass er so nie mit seinem Sohn geredet hat. vielleicht, weil er sich nie getraut hat. Aber jetzt muss es sein. Und was? Und wie?

„Ehud, du sollst den Herrn, deinen Gott, lieb haben“.  Gehört das hierher? Es ist doch alles, was Menachim gelernt hat. „Du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allem Vermögen“.

Das ist alles.

Ehud lässt den Stock fallen und sieht zu seinem Vater auf.

Ja, das ist wirklich alles, denn es geht unter die Haut, prägt sich ein bis ins Herz.

„Komm, wir können gehen“.