Die Angst vor den Fremden und unser Glaube
1. Johannes 5,1-4

Die Angst vor den Fremden und unser Glaube

Predigttext:

Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist. Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. 1. Johannes 5,1-4

 

Liebe Gemeinde!

„Ich bin nicht mehr einverstanden damit, was die Kirche zu den Flüchtlingen sagt. Natürlich soll Menschen in Not geholfen werden. Aber Deutschland kann nicht alle aufnehmen. Und sehen Sie denn nicht, was das bedeutet, wenn immer mehr Muslime nach Deutschland kommen. Irgendwann werden die in der Mehrheit sein. Ich will nicht, dass meine Enkelinnen irgendwann ein Kopftuch tragen müssen.“ So hat mir vor wenigen Tagen eine 70-jährige Frau geschrieben. In ihrem mehrseitigen Brief erzählt sie, dass sie in ihrem Leben der evangelischen Kirche immer sehr verbunden gewesen sei. Das falle ihr aber immer schwerer. Sie würde jetzt ernsthaft über einen Austritt nachdenken. Sie macht auch kein Hehl daraus, was sie erwartet. Sie erwartet, dass die christlichen Kirchen dem Islam deutlich entgegentreten. Sie unterscheidet dabei nicht zwischen extremen Islamisten und normalen Muslimen. Sie hält den Islam generell für gefährlich.

Der Brief ist kein Einzelfall. Die Briefe kommen nicht in Massen. Vielleicht fünf bis zehn solcher Briefe oder Mails im Monat, die direkt an die EKHN in Darmstadt gerichtet sind. Manche wenden sich sicher auch an die Pfarrerinnen und Pfarrer oder die Dekaninnen und Dekane. Das ist – wie Sie sich denken können – nicht auf die EKHN beschränkt. Andere leitende Geistliche erhalten zurzeit ebenfalls solche Briefe – auch in der katholischen Kirche. Und nicht alle sind im Ton so moderat wie der, den ich zitiert habe.

Da haben Menschen Angst vor religiöser und kultureller Überfremdung und ziehen daraus die Konsequenz: Dagegen müssen wir vorgehen. Sie wissen, dass manche sagen: Das christliche Abendland muss verteidigt werden. Und dass manche auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.

In der letzten Woche hat mir ein katholischer Bischof in einem Gespräch gesagt: „Mich berührt am meisten, dass die Menschen schreiben, dass sie Christen sind und zugleich so voller Angst und manchmal auch Hass und Gewaltbereitschaft sind.“ Ja – das ist so. Und mitten in diese Spannung treffen die Worte hinein, die wir heute als Predigttext gehört haben. Es lohnt sich darum gerade in unserer jetzigen Situation – und ganz besonders mitten in diesen Tagen der „Wormser Religionsgespräche“ - , darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn da gesagt wird: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

Ein kurzer Blick zurück: Was war damals los - am Anfang des 2. Jahrhunderts, als der Johannesbrief geschrieben wurde? Es gab große Auseinandersetzungen in den christlichen Gemeinden. Gestritten wurde um die Frage, welche Bedeutung es für den Glauben hat, dass Jesus wirklich Mensch war – und nicht nur ein Mensch dem Anschein nach. Darüber und auch über manch andere Fragen gab es Streit. Manche verließen die Gemeinden. Und wie das in solchen Situationen immer ist: Mit Streit sind Verdächtigungen, Intrigen, scharfe Worte und manches mehr verbunden. In dieser Situation ist der Johannesbrief ein energischer Appell, das Wichtigste des Glaubens nicht aus dem Blick zu verlieren.

Und was ist das Wichtigste? Gott ist die Liebe. Und diese Liebe ist uns in ganz besonderer Weise in Jesus Christus begegnet. Er bringt Menschen nah, dass sie Gottes geliebte Kinder sind. Dass sie getragen und gehalten sind von Gottes Liebe. Und damit ist untrennbar die Aufforderung verbunden, aus Gottes Liebe zu leben und seine Gebote zu halten. Und seine Gebote sind zusammengefasst in dem Gebot, Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst.

Mit anderen Worten: Der Johannesbrief versucht die Gemeinde zusammenzuhalten, indem gesagt wird: Ihr könnt nicht übereinander herfallen, euch gegenseitig verdächtigen oder euch das Gastrecht nicht mehr gewähren - solche Dinge sind damals offenbar passiert, und dann zugleich von Gottes Liebe reden. Unmissverständlich wird klargestellt: Es gibt keine Gottesliebe ohne Menschenliebe!

Alle, die so denken, sind auf einem Irrweg, und zwar in welcher Religion auch immer. Das sind die entsetzlichen Irrwege der Geschichte, wo Menschen im Namen der Wahrheit Gottes andere Menschen ermordet haben. Und natürlich ist das den islamischen Extremisten genauso zu sagen. Aber auch allen anderen, die meinen, dies sei ihre religiöse Pflicht.

Im Johannesbrief wird das noch einmal vertieft, indem gesagt wird: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

Das ist jetzt nicht so ganz einfach. „Unser Glaube“ – das ist nicht unsere Glaubensstärke. „Unser Glaube“ ist auch nicht der Glaube, der sich über anderen Glauben, über andere Religionen stellt. „Unser Glaube“ – das ist hier das, woran wir glauben. Nämlich: Dass Jesus in diese Welt kam und Hass und Gewalt, Verdächtigungen und Anklage, Folter und Tod ertragen hat. Wirklich ertragen hat und es überwunden hat, indem er vom Tod auferstanden ist. Seine Botschaft heißt: Das Menschenverachtende, das Gewaltvolle und der Tod haben nicht das letzte Wort.

Und jetzt wendet der Johannesbrief diesen Gedanken: Und weil das so ist, lasst euch nicht wieder hineinziehen in die Logik dieser Welt. Das aber macht ihr, wenn ihr so in Streit miteinander geratet, dass ihr einander verdächtigt, einander hasst, vielleicht euch sogar Gewalt antut.

Diese Gedanken orientieren sich an Worten, die Jesus gesagt hat, und die im Johannesevangelium aufgeschrieben sind: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

So ist diese Botschaft auch eine Botschaft für unsere Tage. Ja – natürlich gibt es immer wieder vieles im Leben, was uns Angst macht. Das kann die Lebensangst im ganz persönlichen Leben sein: die Angst vor Krankheit, Angst vor einer unsicheren persönlichen Zukunft, Angst vor Einsamkeit, Angst vor dem Tod. Und es kann die Angst vor gesellschaftlichen Entwicklungen sein. Wie wird es sein, wenn noch mehr Fremde zu uns kommen? Wird Integration wirklich gelingen? Was bedeutet das wirtschaftlich, religiös, kulturell? Es wäre völlig falsch zu sagen: Alles kein Problem. Schwierig wird es aber immer dann, wenn Menschen auf die Ängste ganz in der Logik der Welt reagieren. Und diese Logik heißt: Was mich bedroht, muss ich abwehren – notfalls mit Gewalt. Wer dieser Logik folgt, kann sich nicht auf Christus berufen. Wer Menschen in Not abweist, weist Christus ab.

Von Jesus Christus geht die Einladung aus, sich ihm anzuvertrauen – gerade auch in allem, was uns Angst macht. Das ist in den persönlichen Ängsten so. Und das ist auch in dem so, was uns gesellschaftlich und politisch Angst macht. Und den Weg, den er uns da weist, ist der Weg der Liebe, der in allen Menschen Gottes Kinder sieht.

In allen Menschen? Hier könnt jetzt noch jemand einwenden: Ja, aber im Johannesbrief ist doch nur von den Geschwistern, den Mitchristen die Rede. Das ist in der Tat so. Adressaten des Briefes sind in der Tat nur die Christinnen und Christen. Aber die Sache reicht weiter: Was Christus getan hat und wovon er redet, von der Liebe Gottes, das ist etwas, was allen Menschen gilt. Das hätte der Schreiber dieses Briefes wohl uns geschrieben, wenn er ihn an uns adressiert hätte.

Wer sich an Christus orientieren mag, dem ist dieser Weg gewiesen. Dieser Weg ist aber mehr als die Anweisung, was zu tun ist und was nicht. Es ist zugleich die Einladung, auf die Kraft Gottes zu vertrauen. Und diese Kraft ist eben größer als alles, was Menschen vernichtet und ihnen den Tod bringt.

Martin Luther hat in einer Predigt zu unserer Bibelstelle gesagt: Weil Christus von den Toten auferstanden ist, deshalb „darfst du ihn mehr lieben ihm mehr zutrauen als allen Waffen der Fürsten. Das heißt mit Ernst glauben.“ (Epistelausl. V, 344) Christus mehr trauen als allen Waffen der Fürsten, das hat Luther die Kraft gegeben, seinem Gewissen zu folgen – auch auf die Gefahr hin, dabei selbst das Leben zu verlieren. Christus mehr trauen als allen Waffen der Fürsten, das kann uns heute die Kraft geben, fremde Menschen bei uns willkommen zu heißen. In einer pluralen Gesellschaft können wir das nicht zum Maßstab für alle erheben, aber wir können als Christinnen und Christen leben und auch fordern, wovon wir aus Gewissensgründen überzeugt sind.

Liebe Gemeinde, in den Briefen, von denen ich eingangs erzählt habe, ist viel Angst zu spüren. In den Antworten auf die Briefe versuchen wir darzustellen, warum wir als Kirchen die Position vertreten, dass wir uns um Jesu willen vor der Not von flüchtenden Menschen nicht verschließen sollten. Und wir sagen auch, dass wir uns gerufen sehen, auch denen von Mensch zu Mensch zu begegnen, die nicht unseren Glauben teilen. Damit versuchen wir unseren Beitrag zu leisten – zu einem guten, friedlichen Leben in einer vielfältigen Gesellschaft. Ja – und wir sagen auch, dass wir dabei auf Gottes Kraft und seinen Geist vertrauen. Die mögen auch uns erfüllen - hier in diesem Gottesdienst und in den Religionsgesprächen dieser Tage und auf unseren weiteren Wegen.

Amen.