Die Heilung eines Aussätzigen – einander wahrnehmen, einander annehmen! - Predigt zu Markus 1, 40 – 45 von Paul Geiß
1,40-45

Die Heilung eines Aussätzigen – einander wahrnehmen, einander annehmen! - Predigt zu Markus 1, 40 – 45 von Paul Geiß

Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen. Und es jammerte ihn, und er streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will's tun; sei rein! Und alsbald wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein.

Und Jesus bedrohte ihn und trieb ihn alsbald von sich und sprach zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst; sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis.

Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekannt zu machen, sodass Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; und sie kamen zu ihm von allen Enden.

 

Liebe Gemeinde,

in Indien habe ich das erlebt: In einer Lepra-Klinik besuchten wir englische Freunde. Der Chefarzt von der methodistischen Missionsgesellschaft kam aus der Klinik und ging mit uns zu seinem Wohnhaus.

Plötzlich drängte sich ein Mann mit Verbänden an Händen und an einem Fuß zu ihm, beugte sich nieder und warf sich vor ihm nieder, direkt auf die Straße in den Staub. Er dankte ihm von Herzen für die Heilung vom Aussatz, von der Lepra, für die Reinigung von dieser bösartigen Krankheit, - in Indien immer noch eine furchtbare Heimsuchung, die mit der Isolierung des Kranken aus allem sozialen Leben einhergeht.

Dem Arzt war das sichtlich unangenehm und er hob den Patienten auf, sagte ihm ein paar aufmunternde Worte und schickte ihn weiter. Der Mann war vor einiger Zeit  zu ihm in das Krankenhaus gekommen, wurde mit Medikamenten behandelt, mit Operationen an den Händen und anschließender Physiotherapie.  Er war sichtlich auf dem Weg der Genesung und war von Herzen dankbar. Er wollte es dem Chefarzt auf diese Weise zeigen.

Zum Glück gibt es heute viele Behandlungsmethoden für diese furchtbare Krankheit, die die Nerven angreift und bei der die Kranken, die kein Gefühl mehr für ihre Glieder haben, sich unbemerkt schwer verletzen. Die moderne Medizin kann da tatsächlich Wunder bewirken.

Einen solchen Menschen trifft Jesus. Jesus ist seine Hoffnung. Er hat von ihm gehört. Er hofft, dass er ihm helfen kann. Er wirft sich vor ihm nieder in den Staub, bringt mit Zittern und Zagen sein Anliegen vor und Jesus sieht ihn an. Es jammerte ihn, schreibt Markus.

Einen Menschen beachten, ihn ansehen, ihn ernst nehmen und auf ihn eingehen. Das ist immer wieder die Art und Weise, wie Jesus mit denen umgeht, die ihm begegnen. Sie bitten ihn und drängen sich ihm zu, sie ziehen mit ihm, hören auf seine Worte, sehen seine Taten und folgen ihm.

Er sieht sie, Menschen in Not machen ihn betroffen, die altertümliche Redewendung: „Es jammerte ihn“ bringt das in unserer Geschichte heute zum Ausdruck.

Wir kennen das Gefühl: Ein Obdachloser bittet um eine Gabe. Das führt zu einem Jammergefühl bei uns im eigenen Körper und man möchte helfen. Dann kommen Zweifel: Braucht der Mann wirklich meine Hilfe, gibt es nicht die Sozialhilfe vom Staat, die Diakonie, die hilft, hat er nicht eine Familie, Menschen, die er kennt, die ihm helfen können?

Und je nach dem, manchmal verweigere ich mich, manchmal gebe ich etwas, je nach meiner Stimmung. Aber neben dem Gefühl des Jammers und des Elends, das mir in diesem Menschen entgegenkommt, ist da auch das Gefühl: Braucht der das wirklich? Zweifel nagen an mir.

Jesus hat keinen Zweifel, es jammerte ihn und er wendet sich dem Mann zu: Ich will‘s tun, sei rein, sagt er. Und das Wunder geschieht, die heilende Berührung, die liebevolle Umarmung, das heilende Wort. Das Wunder geschieht tatsächlich, der Mensch wird gesund. So beschreibt es der Evangelist Markus.

Noch einmal die Reihenfolge:

Der Mensch bittet Jesus kniefällig, von dem er glaubt, dass er helfen kann, Jesus sieht ihn an, er ist im Innersten angerührt. Dann erst hilft er, indem er ihn seinerseits anrührt. Er geht nicht segnend durch die Gegend und macht sich wahllos durch seine Wunder, durch Mirakel, einen Namen, er macht keine langwierigen Befragungen, Analysen und Ausforschungen, er hilft konkret und direkt auf seine Weise mit den Mitteln, die ihm zu Gebote stehen kraft seines Amtes, kraft seiner Fähigkeiten und kraft seiner Aufmerksamkeit, die konzentriert und vollständig auf den Menschen gerichtet ist, der vor ihm steht.

Die Geschichte nimmt eine eigentlich vorhersehbare Wendung: Jesus schickt ihn, den Geheilten, zu den Priestern, die ihn für gesund erklären müssen, das geht mit einem im Alten Testament vorgeschriebenen Opfer einher. Und er verbietet ihm, die Geschichte seines Wunders und der Begegnung mit dem Heiland Jesus weiterzusagen. Bescheidenheit? Demut? Oder einfach nur der Wunsch nicht als Wunderheiler bekannt zu werden, sondern als der Mensch und Prediger, der andere mit seiner Botschaft  auf einen vernünftigen, Gott gewollten Lebensweg bringen will?

Der Evangelist Markus versucht an vielen Stellen seines Evangeliums das Geheimnis des Messias, des von Gott erkannten Menschensohns, zu wahren. Immer wieder gelingt das einfach nicht, der Ruf des Heilands und Retters durchdringt die Lande und Jesus kann sich vor den Menschen nicht verbergen, selbst wenn er in die Einsamkeit flieht.

Die Auslegerinnen und Ausleger des Markusevangeliums sehen darin auch ein erzählerisches Mittel, um den Blick auf den heilenden Christus noch intensiver werden zu lassen. So entsteht mit diesen Geschichten mehr und mehr das Bild des Christus, dessen wahre Bestimmung erst mit seinem Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung deutlich wird.

Für uns heute ist diese Geschichte Hinweis darauf, dass wir auch für uns die Begegnung mit Jesus als eine Lebens-, manchmal sogar Überlebenschance begreifen können. Wir können mit unseren Nöten, unseren Leiden, unseren Hoffnungen und Gebeten und vor allem dann auch mit unserem Lob zu Jesus im Glauben kommen.

Er will gebeten sein, er nimmt sich unser an, er hilft auf seine Weise und was und wer er ist, das kann man in seinem Herzen bewahren, das muss man nicht herausposaunen. Es ist sein Geheimnis, dass er durch die Menschen wirkt, die sich ihm anvertrauen. Er vertraut ihnen und sie und wir ihm.

Aber sollen unsere Mitmenschen gar nichts mitbekommen von dem, was uns im Glauben bewegt.

Am letzten Wochenende war ich auf einer Tagung, die über das Verhältnis von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern in der Kirche nachdachte. Kirchenmitglieder in der evangelischen Kirche werden in Deutschland weniger und immer wieder taucht die Frage auf: Wie können wir kirchlichen Mitarbeiter, ob im Ehrenamt oder im Hauptamt, ob als Pfarrer oder Kindergärtnerinnen, ob als Bischöfinnen oder Hausmeister davon reden, dass wir der Kirche von Jesus Christus angehören und mit Gottvertrauen in seinem Geist leben wollen.

Von Pfarrerinnen und Bischöfen wird es erwartet, dass sie davon reden, es ist ja ihr Beruf. Aber das kann auch die Hemmung hervorrufen, ihrer Auslegung des Evangeliums wirklich zu trauen, denn sie sind ja „Amtspersonen“, dazu verpflichtet, davon zu reden.

In einer Arbeitsgruppe bewegte uns die Frage:

Wer weiß eigentlich, dass Sie ehrenamtlich in der evangelischen Kirche tätig sind? Wie oft werden Sie angesprochen?

Sind Sie authentischer Gesprächspartner in Glaubensfragen?

In unserer Gruppe waren die Antworten unterschiedlich. Keiner wollte andere Menschen mit Glaubensaussagen bedrängen, aber jeder kannte Situationen, in denen man durchaus die Chance hatte, darauf hinzuweisen, dass der Glaube eine ungeahnte Dimension von Hoffnung und Vertrauen eröffnen kann, die heilt, die hilft, mit den komplizierten Lebensumständen fertig zu werden, die einem tagtäglich begegnen.

Manchmal ist es auch wichtig, den Menschen, der unsere Hilfe braucht, einfach in den Arm zu nehmen und mit ihm zu fühlen ohne Worte. Manchmal ist es auch wichtig, einfach Musik wirken zu lassen, geistliche Musik wie von Bach, von Mozart, von Mendelssohn, oder auch von Jesus Christ Superstar, dem herrlichen Musical. Mehr muss es nicht sein und predigende Fundamentalisten richten oft mehr Unheil als Heil an. Also: man muss nicht jedem gegenüber das Geheimnis des eigenen Glaubens an Jesus als den Heiland und Retter lauthals predigen, aber davon spüren, das können unsere Mitmenschen, Nachbarn und Freunde schon.

Am nächsten Sonntag sind Bundestagswahlen. Alle Parteien posaunen ihre Botschaften auf grellen Wahlplakaten hinaus: Wir sind die, die für Gerechtigkeit eintreten, für Bildung, Integration und eine gelingende Zukunft, uns müsst ihr wählen.

Manchmal geht mir die aufdringliche Werbung auf den Geist und ich bin froh, dass dieses Theater der Selbstbeweihräucherung am nächsten Sonntag vorbei ist. Aber ich bin dankbar für unsere demokratische Grundordnung, für die Gelegenheit, zu wählen zwischen verschiedenen Parteien, Vorstellungen und Ansichten. Natürlich gehe ich von meinem Glauben, von meinem christlichen Selbstverständnis aus, das alle Menschen gleich behandelt sehen will, allen Menschen eine Chance zu einem menschenwürdigen Leben ermöglichen will, das keinen Menschen ablehnt, nur weil er aus einem anderen Land kommt, eine andere Hautfarbe oder eine anderen sexuelle Prägung hat und jedem Menschen gleich welcher Überzeugung seine Würde zugesteht.

Ich freue mich an meinem offenen Land, das auch geflüchtete und in Not geratene Menschen aufnimmt, sie sind eine Bereicherung, keine Last. Nehmt einander an, so wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob (Römer 15, 7) – die Jahreslosung von 2015 klingt immer wieder in mir nach.

Das gilt für den Aussätzigen, den Jesus geheilt hat, er hat sich von Christus angenommen erlebt, er wurde gesund.

Das gilt für uns in den demokratischen Auseinandersetzungen vor einer Wahl, wenn sie denn fair bleiben und nicht diffamieren oder ins Bösartige abrutschen. Eine solche Haltung der Achtung und der wertschätzenden Wahrnehmung im Geiste von Jesus Christus schlingt das Band der Liebe um uns und unsere Mitmenschen. Paulus spricht davon im Kolosserbrief (3, 14).

Das schließt allerdings Extreme und Extremisten aus, die immer wieder am Rande der demokratischen Ordnung ihren Unfug treiben. So hat sich Jesus von den orthodoxen Pharisäern und Schriftgelehrten abgesetzt, er hat auch die diesseitsgläubigen Menschen wie den reichen Jüngling oder den reichen Kornbauern als Musterbeispiel verkehrten Lebens gekennzeichnet, weil sie sich mit ihrem Reichtum eine falsche Sicherheit aufgebaut haben.

Aber er hat auch die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Zeloten und Sadduzäer, die Römer, Griechen und alle Menschen seiner Umgebung immer wieder zu überzeugen versucht, mit ihnen geredet, sie nicht einfach von vornherein ausgeschlossen.

So hoffen wir, dass wir immer wieder lernen, im Geiste von Jesus Christus miteinander zu leben, zu wachsen auf den hin, der uns und unser Leben segnet. Und so bete ich für die kommenden Entscheidungen, für gelingende demokratische Auseinandersetzungen im Geist des Friedens und der Liebe und dafür, dass wir bald schauen können, dass Gottes Liebe siegt und wir ihn schauen können von Angesicht zu Angesicht. Wie, das ist seine Sache, wir dürfen hoffen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN.

Perikope
Datum 17.09.2017
Bibelbuch: Markus
Kapitel / Verse: 1,40-45