Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt - Predigt zu Römer 8,18-25 von Stephanie Höhner
8,18-25

Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt - Predigt zu Römer 8,18-25 von Stephanie Höhner

Denn ich sage, dass die Leiden zu dieser Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der vorherbestimmten Herrlichkeit, die in uns offenbart wird. Denn das erwartungsvolle Harren der Schöpfung erwartet die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn grundlos ist die Schöpfung unterworfen, nicht freiwillig, sondern durch den Unterwerfer, auf Hoffnung hin, weil auch die Schöpfung selbst befreit werden wird aus der Sklaverei der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und in den Wehen liegt bis jetzt. Aber das nicht allein, sondern auch wir, die als Erstlingsgabe den Geist haben, auch wir selbst seufzen in uns (selbst), die Kindschaft erwartend, die Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin. Aber Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung, denn was kann man hoffen, was man sieht? Wenn wir aber hoffen auf das, was man nicht sieht, so warten wir darauf mit Geduld. (Röm 8,18-25, Übersetzung der Verfasserin)

Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Montagvormittag, Anfang September 2015. Ich sitze im ICE von Hamburg nach Kopenhagen. Mit mir im Zug: viele Flüchtlinge. Sie sind am Wochenende in Deutschland angekommen – endlich. Nach wochenlanger Flucht und schlaflosen Nächten. Jetzt sind sie auf dem Weg nach Schweden. In den Gesichtern sehe ich Müdigkeit, manchmal auch Unsicherheit. Mir schräg gegenüber sitzt eine Familie. Auf dem Tisch zwischen den Sitzbänken steht ein Tragekorb, in dem ein Säugling liegt. Wahrscheinlich ist er auf der Flucht zur Welt gekommen.
Die Familie hat keine Reservierung, der Zug ist überfüllt und darf nicht losfahren. Viele Menschen auf den Gängen müssen den Zug verlassen. Die Familie mit dem Baby darf bleiben.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Seit einem Jahr hat seine Frau die Diagnose Brustkrebs. Eine Chemotherapie folgt der nächsten, die Aussichten sind nicht gut. Ihr Körper ist schwach, ihr Kopf ist kahl.
Wie schöne wäre es, wenn dieser falsche Film endlich zu Ende wäre, denkt er. Alles wieder wie früher.
Doch seine Frau und er geben nicht auf. „Jeder Tag ein Geschenk“, so wollen sie die Zeit noch leben. Er nimmt jetzt vieles bewusster war. Versucht, jeden Moment auszukosten und nicht immer an den Krebs zu denken. Der Ausgang ist offen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Doch zu hoffen ist nicht immer leicht.
Es gibt so viel Seufzen in der Welt, im Leben.

Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und in den Wehen liegt bis jetzt.

Morgens seufzen die Zeilen in der Zeitung, wenn sie von Anschlägen in Paris und Afghanistan berichten.
Abends seufzen die Bilder sinkender Flüchtlingsboote in den Nachrichten.
Geschichten von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Tod – sie sind zahlreich. Und sie seufzen.
Gerade jetzt, wenn die Tage wieder kürzer werden, scheint das Seufzen noch deutlicher hörbar.
Wieder ein Jahr vergangen. Es scheint endlos zu sein, das Leid.
Die Schöpfung seufzt und wartet.

Denn wir sind gerettet auf Hoffnung hin.

Und doch leben wir weiter. Jeden Tag neu. Und es gibt Momente, in denen kein Seufzen liegt. Da sollte die Zeit stehenbleiben, weil es so schön ist. Könnte dieser Moment unendlich sein.

Zurück im ICE. Unser Zug erreicht den Hafen. Auf der Fähre nach Dänemark sehe ich die Kinder toben, lachende Gesichter, die Eltern machen Selfies vor der Reling. Das Ziel scheint zum Greifen nah, die Hoffnung scheint erfüllt. Das Baby schläft friedlich im Tragekorb.

Aber Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung, denn was kann man hoffen, was man sieht?

Die Fähre legt an. Wir sitzen wieder im Zug und halten im ersten Bahnhof auf dänischem Boden. Am Bahnsteig stehen Polizisten, aber auch ein Fernsehteam mit Kamera.
Stillstand. Nichts geht weiter, die Türen verschlossen. 3 ½ Stunden stehen wir dort. Ohne zu wissen warum. Ohne zu wissen, wie lange noch. Ratlosigkeit bei uns Fahrgästen.

Stillstand. Sinnlosigkeit. Resignation.
Das ist das Gegenteil von Hoffnung. Ohne Hoffnung geht es nicht weiter. Dann geht ein Leben nicht weiter. Es ist schon tot, auch wenn es physisch noch am Leben ist.
Hoffnung ist der Antrieb für das Leben, sie ist das Leben selbst.
Die Hoffnung ist Leben, weil sie auf das Leben setzt. Weil sie es nicht verloren gibt, auch wenn alles um das Leben herum seufzt.
Die Hoffnung blickt über das Jetzt hinaus. Auf ein anderes Leben in einer neuen Welt.

Jede Hoffnung braucht einen Grund. Sonst ist sie keine Hoffnung, sondern nur ein leeres Versprechen.
Der Grund der Hoffnung, von dem Paulus schreibt, ist Jesus Christus. Er hat am Kreuz gelitten und geseufzt. Mit ihm seufzen seine Jünger und die Frauen am Grab.
Er war tot, war am Endpunkt.
Doch an diesem Endpunkt wächst neues Leben. Aus dem Endpunkt wird ein Ausgangspunkt. Neues Leben bricht auf, wo keines mehr vorstellbar war. Es ist so ganz anders. Gegen jede Erwartung. Gegen jede Regel. Gegen allen Verstand.

Wenn wir aber hoffen auf das, was man nicht sieht, so warten wir darauf mit Geduld.

Die Flüchtlinge im ICE sind ins Ungewisse aufgebrochen, ohne genau zu wissen, wie es enden wird.
Die Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit treibt sie an. Sie warten geduldig im Zug, 3 ½ Stunden, ohne zu wissen wie es für die weitergeht. Sie kennen das schon.
Die dänische Polizei kontrolliert die Papiere, alle Flüchtlinge müssen aussteigen. Da helfen kein Betteln und keine Tränen. Auch die Familie mit dem Baby muss gehen. In ihren Gesichtern sehe ich Leere. Resignation. Sie wissen nicht, was sie erwartet. Ob sie zurückgeschickt werden, nach Deutschland oder in ihre Heimat. Oder ob sie doch noch Schweden erreichen werden.
Aus den Nachrichten erfahre ich am nächsten Tag, dass die Flüchtlinge in Turnhallen gebracht wurden, zur Registrierung. Doch ihr Ziel war Schweden. Und so machen sich mehrere hundert Menschen auf den Weg zu Fuß nach Schweden, entlang der Autobahn. Dabei bekommen sie Begleitschutz von dänischen Autofahrern. Eine Autobahn wird zur Wandertrasse. Hunderte Menschen machen sich auf den Weg.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Und doch bleibt ein Stachel.

Aber Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung, denn was kann man hoffen, was man sieht?

Hoffen ins Ungewisse, ohne Sicherheit. Ausgang offen?
Die Hoffnung muss lebendig bleiben, sie braucht Nahrung.
Da ist es gut, wenn wir uns immer wieder an ihren Grund erinnern. Und jetzt schon ein Stück erfahren von der Erfüllung.
Vor seinem Tod hat Jesus Abendmahl gefeiert. Ein Festmahl im Angesicht des Todes. Ein Abend voller Leben.
Wenn wir heute Abendmahl feiern, erinnern wir uns daran. An das Leben und an das Sterben Jesu. Wir hören seine Worte.
An seinem Tisch saßen seine Freunde und der Verräter. Hoffnungsvoll und hoffnungsleer. Jeder hatte einen Platz, keiner musste hungern.
Wenn wir heute Abendmahl feiern, erinnern wir uns auch daran.
Wir sind alle eingeladen an den Tisch Jesu Christi. Mit ihm beginnt neues Leben dort, wo alles hoffnungslos war. In seinem Namen sind wir zusammen, in seinem Sinne. Er ist uns nahe in seinem Geist.
Wir essen nur ein Stück Brot und trinken nur einen Schluck Wein. Es ist kein Festmahl. Wir werden nicht satt. Doch es ist ein Vorgeschmack auf das Kommende. Es ist eine Kostprobe. Darin können wir das neue Leben schmecken, das in Jesus Christus begonnen hat. Sie lässt uns nur erahnen, was wir erwarten, was wir erhoffen. Es ist ein Stück Wegzehrung auf einem langen Weg. Vielleicht reicht das nicht immer, um die Hoffnung wieder zu stärken. Aber es kann sie am Leben halten, wenn alles seufzt. So lange wir leben, haben wir Hoffnung. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Seine Frau hat gekämpft, doch sie hat es nicht geschafft. Jetzt ist er allein. Wenn er zurückschaut auf die Zeit, fällt ihm auf: Nie waren sie ohne Hoffnung. Immer hat er gehofft, die nächste Untersuchung bringt die Wende.
Bis zuletzt. Auch als es allen anderen klar war, dass seine Frau sterben wird, hat er gehofft, dass es einfach so wird wie früher. Völlig irrational. Aber das hat ihm Kraft gegeben, weiter zu machen, bis zum Schluss. Ein Leben ohne sie konnte er sich nicht vorstellen. Jetzt steht er mitten drin. Vieles hat er schon ohne sie erlebt. Es ist schwer. Sie fehlt ihm. Doch es gibt auch Momente, da ist sie ihm ganz nah. Sie ist nicht einfach weg. Etwas von ihr bleibt. Diese Momente geben ihm Kraft, weiter zu leben.
Die Hoffnung stirbt nicht zuletzt. Die Hoffnung lässt Leben wachsen – auch im Seufzen.