"Draußen vor der Tür" - Predigt über Offenbarung 3, 14-22 von Frank Fuchs
3,14

"Draußen vor der Tür" - Predigt über Offenbarung 3, 14-22 von Frank Fuchs

Offenbarung 3,14-22
14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: 15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!
  16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. 17 Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts! und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.
  18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.
  19 Welche ich liebhabe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! 20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. 21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
  22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
Liebe Gemeinde,
jemand steht vor der Tür und klopft an. Es ist ungewiss, ob geöffnet wird. Dies ist ein Bild aus dem Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea. Johannes bekommt auf Patmos diese Worte diktiert und sendet sie an die Gemeinde.
Die Erfahrung vor der Tür zu sein, hat nach dem Krieg Wolfgang Borchert in seinem Drama „Draußen vor der Tür“ verarbeitet. Er war selbst aus der Gefangenschaft entlassen worden, seine Gesundheit war durch die Strapazen ruiniert. In dem Kriegsheimkehrer Beckmann in seinem Drama verarbeitet er eigene Erfahrungen. Beckmann war im Krieg verletzt worden und kann nur noch humpelnd laufen.
Als er nach Hause kommt, stellt er zunächst erfreut fest: „Unser Haus steht noch! Und es hat eine Tür. Und die Tür ist für mich da. Mutter ist da und macht mir die Tür auf und lässt mich rein.“ Doch in der Wohnung seiner Eltern wohnt nun jemand Fremdes. Er erfährt, dass sich seine Eltern wegen ihrer Verstrickung in die Schuld der Nazis das Leben genommen haben, als es mit dem 3. Reich zu Ende ging. Genauso ergeht es Beckmann bei seiner Frau. Sie hat drei Jahre lang auf Beckmann gewartet, sich dann aber einen anderen gesucht, nachdem sie jahrelang von ihm nichts gehört hatte und er vermisst war wie so viele im Krieg. Beckmann versucht wieder auf die Beine zu kommen, sucht sich Arbeit, wird aber von einem Direktor wieder hinausgeworfen.
Schließlich resümiert er bitter:
  „Das ist das Leben! Ein Mensch kommt nach Deutschland, und der Mensch friert. Der hungert und der humpelt!
  Ein Mann kommt nach Deutschland! Er kommt nach Hause, und da ist sein Bett besetzt. Eine Tür schlägt zu, und er steht draußen. …
  Ein Mann kommt nach Deutschland! Er sucht Arbeit, aber ein Direktor ist feige, und die Tür schlägt zu, und wieder steht er draußen.
  Ein Mann kommt nach Deutschland! Er sucht seine Eltern, … und die Tür schlägt zu, und er steht draußen. …
  Wir stehen alle draußen. Auch Gott steht draußen, und keiner macht ihm mehr eine Tür auf.“
Dass auch Gott draußen steht, entspricht der Situation im Sendschreiben an die Gemeinde in Laodizea. Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an, heißt es da. Gott selbst ist vor der Tür. Er klopft freundlich an und möchte hereingelassen werden.
Nur ist die Situation der Menschen in Laodizea eine andere als die der Menschen im durch den Krieg zerstörten Deutschland. Nach dem Krieg waren viele Menschen arm und hungerten wie Beckmann. Sie hatten durch Flucht und Vertreibung alles verloren, kamen gebrochen aus der Gefangenschaft oder waren ausgebombt.
Dagegen entsprechen die Lebensumstände in Laodizea viel eher unserer heutigen Situation. Die Menschen von Laodizea sind wohlhabend und reich, wie es heißt: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts! Es gab schon damals Heilquellen in der Gegend von Laodizea in Kleinasien, das heute in der Türkei liegt. Diese Quellen sicherten einen regen Kurbetrieb. Warmes Quellwasser gab es, das zum Baden und Ausruhen einlud.
Wer reich ist, braucht nichts. So ist es auch heute manchmal schwer, jemandem mit einem Geschenk eine Freude zu machen, weil er oder sie alles hat und nichts braucht. Vielen Menschen geht es heute gut. Die meisten können sich nicht beklagen. Seit dem Krieg hat sich in Deutschland ein großer Wohlstand entwickelt. Natürlich gibt es noch genug Armut wie auch in unserer Stadt, aber insgesamt geht es vielen gut. Wer reich ist, kann zufrieden sein und hat wenig Lust, etwas in seinem Leben zu ändern.
Nun macht aber Reichtum nicht unbedingt glücklich, wie wir alle wissen. In der Glücksforschung wurde herausgefunden, dass Wohlstand durchaus zur Zufriedenheit und zum persönlichen Glück beiträgt. Ab einer gewissen Verdienststufe steigt der Grad des Glücksempfindens zwar kaum noch an. Wer gut verdient und das Nötige zum Leben hat, ist nicht unbedingt glücklicher, wenn er noch mehr verdient. Aber es ist beruhigend, über einen gewissen Wohlstand zu verfügen.
Mitten hinein in ihren beruhigenden Wohlstand wird den Laodizäern gesagt, dass ihr Geld nicht alles ist, ja dass sie in Wahrheit elend und jämmerlich sind, arm, blind und bloß. Anscheinend vergessen sie allzu leicht, dass ihr Reichtum zwar beruhigt und zufrieden macht, aber vor Gott nichts zählt. Vor Gott kommt es auf etwas anderes an. Es kommt auf die Haltung an, die demjenigen, der vor der Tür steht, freundlich öffnet.
Heute am Buß- und Bettag haben wir unsere Kirchentür geöffnet und feiern diesen Gottesdienst mit vier Gemeinden gemeinsam. Wir halten uns heute Abend gegenseitig die Tür offen und sehen vor allem, was uns verbindet und nicht was uns trennt. Heute wird uns das eher bewusst als am Sonntag, wenn jede Gemeinde ihren Gottesdienst in der eigenen Kirche oder im Gemeindehaus feiert. Und ich bin gewiss, dass wir so auch Gott etwas besser die Tür öffnen. Denn das entspricht dem Wort von Jesus Christus im Johannesevangelium, dass wir alle eins sein sollen wie auch Vater und Sohn eins sind (Joh 17,20f.). Wenigstens heute Abend wird das sichtbar. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. Das Abendmahl können wir hier zwar (noch) nicht gemeinsam feiern, aber wir können uns über ein sichtbares Zeichen der Einheit freuen.
Den Menschen in Laodizäa wird im Sendschreiben gesagt, dass sie Buße tun sollen. Das heißt, sie sollen umkehren von dem falschen Weg und den richtigen finden. Das ist auch uns heute in den vier christlichen Gemeinden gesagt. Dass wir bereit sind umzukehren, heißt doch, dass wir uns selbstkritisch sehen und dadurch bereit werden, auf den anderen zuzugehen. Ein ermutigendes Zeichen ist es da auch, dass sich die Gemeinden zusammengeschlossen haben, um gemeinsam als Fördermitglied die Tafel (LebensMittelPunkt) zu unterstützen.
Die Worte tue Buße gelten uns aber auch persönlich. Sie sind zu uns Menschen heute gesagt, die wir in einem guten Wohlstand leben dürfen. Wolfgang Borcherts Drama „Draußen vor der Tür“ führt uns vor Augen, wie schrecklich es ist, wenn jemand arm ist und hungert – und sich die Tür erst gar nicht öffnet – oder geöffnet wird, um möglichst schnell wieder verschlossen zu werden. Am Ende verzweifelt Beckmann und sieht keine Tür mehr, die sich für ihn in seiner Stadt noch öffnen könnte. Lassen wir es nicht so weit kommen und öffnen ihm die Tür, wie Jesus gesagt hat: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. (Mat 25,40) Er selbst klopft an. Er steht vor der Tür und will hereingelassen werden. Und wir öffnen gerne und lassen ihn herein.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Hinweise:
Der Gottesdienst an Buß- und Bettag wird zum ersten Mal mit allen vier Gemeinden in unserer Stadt gefeiert. Neben der evangelischen und katholischen Gemeinde gestalten auch zwei freie Gemeinden den Gottesdienst mit.
Schriftlesung: Matthäus 25,31-40