"Ein guter Christ – ein Gutmensch?" - Predigt über 1. Petrus 3, 8-17 von Wilhelm v. der Recke
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"Ein guter Christ – ein Gutmensch?" - Predigt über 1. Petrus 3, 8-17 von Wilhelm v. der Recke

Ein guter Christ – ein Gutmensch?
I.         Vertragt euch! Nehmt Rücksicht aufeinander! Lasst die anderen leben!
  In den Briefen des Neuen Testaments stoßen wir ständig auf solche Appelle. Offensichtlich gab es damals allen Grund zur Ermahnung. In den ersten Gemeinden ging es gelegentlich hoch her. Es gab Streit und Ärger. Und das ist kein Wunder, wenn man sich diese zusammen gewürfelten Haufen ansieht: Ein buntes Gemisch aus Hafenproletariat und besserer Gesellschaft. Herren und Sklaven, Juden und Nichtjuden, Männer – und Frauen, die sich nicht den Mund verbieten lassen. Und jeder verstand den neuen Glauben auf seine Weise. Die einen beriefen sich auf den Apostel Paulus, andere auf Petrus oder auf irgendeinen daher gelaufenen Missionar. Die einen waren radikal, die anderen gemäßigt. Die einen sahen das Ganze mehr geistig, die anderen wollten schon auf Erden das Himmelreich errichten. Und natürlich gab es zahlreiche Möchtegerns, die das Sagen haben wollten.
Sie waren Feuer und Flamme, als sie Christen wurden. Aber was das für den Alltag, für das Zusammenleben bedeutet, mussten sie erst lernen. Das geht uns ja bis heute so; das müssen wir immer wieder neu einüben. Nach außen sieht es bei uns vielleicht ganz zivilisiert aus; ja, es geht oft so friedlich zu, dass es geradezu langweilig wird. Aber unter der Decke gärt es manchmal und plötzlich fliegen die Fetzen. Pastoren und Kirchenvorsteher, Mitarbeiter, Jugendliche und die ganz Treuen in der Gemeinde kriegen sich in die Haare.
II.        Aber unter Christen sollte es doch anders zugehen – heißt es dann. Den Vorwurf kennen wir. Mal wird er laut und schadenfroh erhoben, mal steht er still im Raum und tut umso mehr weh. Unter Christen sollte es anders zugehen. – Warum? Sind wir besser als andere Menschen? Sollen wir besser sein? Und wenn, warum? Wo steht das geschrieben?
  Ein Blick in unsere nähere Umgebung, ein Blick in den Spiegel genügt: Wir Christen sind nicht schlechter, aber in der Regel auch nicht besser als andere. Weder durch die Taufe, noch durch die Konfirmation, nicht einmal durch ein Bekehrungserlebnis werden wir automatisch gut.
Christen sind nicht automatisch gute Menschen. Wir glauben nicht einmal an das Gute im Menschen. – Es ist merkwürdig, dass häufig geradedasfür typisch christlich gehalten wird. In der Bibel steht nichts davon, dass der Mensch von Natur aus gut ist. Ganz im Gegenteil – gleich am Anfang wird der Mensch sehr realistisch beschrieben: Er ist ziemlich egoistisch und denkt zuerst an sich. Er ist feige und schiebt die Schuld auf andere. Er verdreht die Wahrheit. Er ist treulos und neidisch, er ist unbeherrscht und machtgierig. Er ist böse von Jugend an, heißt es (1.Mose 8,21). Das klingt ziemlich resigniert.
Aber natürlich ist das nur die Hälfte der Wahrheit. Denn wir haben – Gott-sei-Dank – auch eine andere, bessere Seite. Liebe, Mitgefühl, Erbarmen, Treue sind ja keine leeren Worte. Selbst bei ganz hart gesottenen Burschen findet man Spuren davon. – Aus dieser unberechenbaren Mischung von hohen und niedrigen Gefühlen bestehen wir Menschen. Es passiert uns ja immer wieder: Wir wollen alles gut und richtig machen, aber es gelingt uns nicht, und am Ende geht es ganz schlimm aus. Wir scheitern an den Umständen, an den anderen, aber auch an uns selbst.
So sind wir Menschen, und so sind auch wir Christen. Und wir können nicht aus unserer Haut. Warum besteht dann allgemein die Erwartung, dass wir Christen besser sind? Diese Erwartung kann sehr belastend sein: Dass es in der Gemeinde immer friedlich und in der Familie immer harmonisch zugehen soll. Dass es unter kirchlichen Mitarbeitern nicht zu Konflikten kommt und wenn, dass sie einvernehmlich gelöst werden. Das führt dann dazu, dass die Dinge erst recht unter den Teppich gekehrt werden; dass falsche Kompromisse geschlossen werden; dass manche liebe Brüder und Schwestern als doppelzüngig und scheinheilig verrufen sind. Die Erwartungen sind zu hoch, sie gehen an der Wirklichkeit vorbei. Das kann ganz schön deprimierend sein.
III.      Und doch ist etwas dran an diesen Erwartungen. An den Erwartungen, dass Christen anders sind und dass sie besser miteinander umgehen. Das Gute gibt es tatsächlich bei uns, in unserer Kirche, in unserer Gemeinde. Aber man darf es nicht bei uns Menschen suchen, sondern bei Gott.  Gott ist gut. An die Güte Gottes glauben wir. Dieser Glaube verbindet uns Christen, er bewegt uns, er hinterlässt sichtbare Spuren in unserem Zusammenleben – er sollte es jedenfalls tun!
Wir glauben, dass Gott gut ist. Wir glauben, dass Gott es gut mit uns meint. Und nicht nur mit uns, sondern mit der ganzen Welt. – Der liebe Gott !? Das ist zu einer nichtssagenden Redensart verkommen. Damit wird ein harmloser alter Mann freundlich belächelt. Der liebe Gott, das klingt abschreckend. – Schade! Denn dass Gott überhaupt von uns Notiz nimmt, dass er sich für uns interessiert, dass er uns mag, ja liebt, das ist wirklich nicht selbstverständlich!
Wir haben einen guten Gott. Das ist unsere Überzeugung. Das ist die Erfahrung, die wir gemacht haben. Das müssen wir immer wieder klar stellen. Gerade weil viele das Gegenteil behaupten: Gott interessiere sich nicht für uns. Oder er sei ein böser, ja sadistischer Gott. Oder aber, er sei ja ganz nett, aber zu schwach, um etwas zu ändern. Vielleicht geht es uns in der Tiefe unseres Herzens ganz ähnlich: Wir sagen zwar, dass Gott gut ist; aber wir glauben es nicht wirklich. Wir glauben nicht, dass das irgendwelche Konsequenzen haben kann.
Wenn Gott wirklich Gott ist, dann hat er das Sagen und zwar in der ganzen Welt. Sonst träfe das Wort „Gott“ nicht auf ihn zu. Sonst hätte er nicht mehr Macht als die Königin von England. Sie führt den Ehrenvorsitz, aber herrschen tun andere. – Gott gibt die Richtung an, und nicht irgendwelche andere unbekannte Mächte; kein Schicksal, kein Zufall, keine gleichgültigen Naturgesetze. Gott ist der Herr. Und er ist ein guter Herr. Davon sind wir Christen überzeugt – auch wenn wir ihm so wenig in die Karten sehen können wie irgendjemand sonst.
IV.      Wir haben einen guten Gott. Wenn uns dieser Glaube durchdringt, dann müsste er Folgen haben. Dann müssten wir uns von der Güte Gottes anstecken lassen, sie müsste auf uns abfärben. Seine Güte kann es fertig bringen, dass wir nach Kräften den alten Adam (oder die alte Eva) in uns in Zaum halten. Dass wir unsere finsteren Instinkte beherrschen. Dass wir nicht auf Vergeltung aus sind, wenn wir Unrecht erleiden. Dass wir dazu stehen, wenn wir etwas falsch gemacht, ja böse gehandelt haben. Dass wir also wieder aus der Sackgasse herausfinden, in der wir uns verrannt haben. Dass wir nicht resignieren und sagen: Es hat alles keinen Zweck. Warum sollte ich mich noch anstrengen? Andere pfeifen auf Moral und Anstand – und leben offensichtlich ganz gut damit.
Wir glauben an das Gute. – Nein, das wäre zu wenig gesagt, das klingt zu theoretisch, zu unpersönlich. – Wir glauben andenGuten. Und das ist der Gott, der die ganze Welt in Händen hält. Gott ist mehr als ein unbestimmtes Göttliches. Er ist Person. Er ist ein Du.
  Er hat sich aufs engste mit einem Menschen verbunden, der vor 2000 Jahren im heutigen Palästina gelebt hat und Jesus heißt. Gott war am Werk bei dem, was Jesus damals gesagt und getan hat, was er erlitten hat und was schließlich mit ihm geschehen ist – zu Ostern. Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes heißt es im Kolosserbrief (1,15). Mit Jesus Christus zeigt Gott sein wahres Gesicht: Er ist ein guter Gott. Ein gerechter Gott und ein barmherziger, dem die Verwirrungen und Verirrungen seiner Menschen zu Herzen gehen; der sie davon befreien will.
Wir nähmen den Mund reichlich voll, wenn wir behaupten wollten, wir seien gut, von uns aus gut. Gott gibt uns die Kraft, er macht uns Mut, das Gute wirklich zu tun; alles, was das Zusammenleben leichter macht. Gut sein lohnt sich. Nicht weil es belohnt würde – das natürlich nicht. Es lohnt sich, weil wir damit auf der richtigen Seite stehen. Weil dem Guten die Zukunft gehört, auch wenn es manchmal gar nicht danach aussieht.
V.        Das ist kein Geheimtipp. Das müssen wir nicht für uns behalten. Das können wir laut sagen. Das können wir auch begründen, wenn wir gefragt werden. Keine Sorge, wir müssen nicht Straßenmission treiben oder zu den armen Heiden in den Urwald gehen. Wir sollen ganz einfach zu dem stehen, war wir glauben. Zum Beispiel, wenn jemand uns spöttisch anschaut und das Wort Gutmensch fallen lässt. Manchmal muss man seinen ganzen Mut zusammen nehmen, um die Dinge zurechtzurücken – insbesondere, wenn andere dabei sind. Wir sollen und wir können sagen, warum wir uns ernsthaft bemühen, das Gute und das Richtige zu tun. Auch wenn es anstrengend ist; auch wenn es nicht immer zum Erfolg führt; auch wenn es uns manchmal Nachteile bringt.
Wir sollen Rede und Antwort stehen, wenn wir gefragt werden. Das kostet vielleicht Mut, aber es stärkt auf die Dauer unser Selbstvertrauen. Ja, es stärkt unseren Glauben. Und vielleicht, vielleicht macht es auch Eindruck auf andere, und sie fragen sich: Irgendetwas muss doch an dem Glauben unserer Väter und Mütter dran sein.
Hinweis:
Dieser Predigt liegt der ganze Predigttext zugrunde. Wem diese zehn Verse zum Hören zu lang – und vielleicht auch zu langatmig vorkommen, der lasse evtl. den Psalm weg und vielleicht auch einzelne Verse, aber möglichst nicht den ganzen Vers 15.