Eine bessere Welt muss man selber machen - Predigt zu Lukas 18,28-30 von Dr. Martina Janßen
18,28-30

I. Heute findet die Bundestagswahl statt. In den Wochen zuvor prägte Wahlwerbung das Straßenbild -von hipp bis solide, zwischen psychedelischem Farbenspiel und smartem Schwarz-Weiß, überall vertraute Gesichter seriös-souverän in Szene gesetzt. Das gehört dazu. Ich lasse all die Slogans auf mich wirken.

„Zukunft kann man wollen. Oder machen" (Die Grünen)

„Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ (CDU)

„Sozial, gerecht, für alle“ (Die Linke)

„Für eine starke Wirtschaft und sichere Arbeit“ (CDU)

„Mit Mut für eine weltoffene Gesellschaft“ (Die Grünen)

„Denken wir neu“ (FDP)

„Zeit für mehr Gerechtigkeit (SPD)

„Zeig Stärke“ (Die Linke)

„Die Zukunft braucht Ideen und einen, der sie umsetzt“ (SPD)

„Ungeduld ist auch eine Tugend“ (FDP)

So in etwa klingt die Botschaft der Straße in diesen Tagen. Finde ich gut. Ja, da kann ich überall zustimmen. Zukunft, Sicherheit, Gerechtigkeit, Weltoffenheit. Das sind die Zutaten für ein Land, in dem ich gut und gerne leben will und kann. Und nicht nur ich, sondern alle. Auch der Weg dahin überzeugt mich: Mut, Stärke, Ideen und die nötige Portion Ungeduld, damit es auch bald so wird, wie es sein soll. Das klingt großartig – und alles, was ich dafür tun muss, ist heute zwei Kreuze zu machen. Das ist kein wirklich schlechter Deal, oder? Doch es bleiben ja Fragen: Halten die alle, was sie versprechen? Was versprechen die eigentlich genau? Beim ersten Lesen könnte ich bei vielem mein Kreuz machen, wenn es dann allerdings auf den zweiten Blick konkreter wird, scheiden sich die Geister. Und das ist gut so. Nur so funktioniert Demokratie.

II. Wem folge ich? Wem glaube ich? Das sind die Fragen der letzten Wochen. Ich stelle mir vor, auch Jesus stünde zur Wahl, wäre eines von den vielen Gesichtern, die mir von den Laternenmasten und Stellwänden entgegenlächeln. Wäre Jesus fotogen? Hätte er das Zeug zum smarten Posterboy? Wäre seine Partei reich genug Geld für große Wahlplakate? Gäbe es auch Kugelschreiber? Vor allem aber frage ich mich: Mit welchem Slogan würde Jesus werben? Ich blättere in der Bibel. Wie ist das, wenn man Jesus folgt? Da findet sich schon einiges, das nach Slogan klingt. „Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach“ (Lk 9, 23). „Verkauf alles, was du hast, verteil das Geld an die Armen (…); dann komm und folge mir nach“(Lk 18, 22)! „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, dazu auch sein eigenes Leben, der kann nicht mein Jünger sein (Lk 14,26)“. „Lass die Toten ihre Toten begraben. Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes (Lk 9,60.62).“

Nein, Jesus! – ruft der Wahlkampfmanager in mir – so doch nicht! So wird das nichts! Die Leute geben dir ihr Kreuz, weil sie ihrs ja gerade loswerden wollen. Die wollen nicht Haus und Hof und Familie oder gar ihr eigenes Leben verlieren, sondern Gerechtigkeit, Wohlstand und Sicherheit gewinnen! Du darfst doch nichts fordern, du musst versprechen, verheißen, verführen, mit einer frohen Botschaft locken. Und wenn sie sich nachher als Fake News erweist: egal! Nichts verlangen, sondern versprechen, verheißen - und wenn es dann nach der Wahl doch anders kommt: vertrösten! Wer soll dich denn wählen, wenn du von ihm mehr als zwei Kreuze auf dem Wahlschein forderst? „Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich.“ Ach, Jesus, die wollen ihr Kreuz loswerden und loslegen mit der Selbstverwirklichung, nicht ihr Kreuz tragen und sich verleugnen! So wird das nichts. Ich geb’s zu. Mit der 5%-Hürde würde es bei Jesus schwierig werden. Nachfolge Jesu ist kein Zuckerschlecken. Damit nimmt man kaum einen für sich ein. Menschen ticken anders. Was springt für mich dabei raus? Geht die Rechnung auf? So zu denken, ist menschlich. Allzu menschlich. So menschlich dachten damals vielleicht auch die Jünger Jesu.

Predigttext Lk 18,28-30: Da sagte Petrus: Du weißt, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben.

III. Denken wir neu! Loslassen und abgeben kann reich machen. Sein Leben in Gottes Hand geben, sich ganz Gott überlassen und von sich selber ablassen – wie befreiend, wie bereichernd kann das sein! Das ist ja im Grunde auch der Kern von Martin Luthers reformatorischer Erkenntnis. Sich nicht auf seine Kraft, sein Geld, seine guten Werke, seine Leistung, sich nicht auf sich selbst verlassen, sondern Gott machen und sich von ihm beschenken lassen. Dann kommt es – das ewige Leben in der kommenden Welt. Ganz leicht und wie von selbst…

Loslassen und abgeben kann reich machen. Das ist nicht nur was fürs Himmelreich. Das ist was auch für hier und jetzt. Wenn ich etwas gebe von meiner Zeit, meiner Kraft, meinem Geld, werde ich nicht schwächer und ärmer. Im Gegenteil: Ich gewinne etwas. Das merk ich nicht erst im Himmel. „Jeder wird schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten.“ Der Volksmund kennt das: „Geteilte Freude ist doppelte Freude.“ Die Bibel auch: „Geben ist seliger denn nehmen.“ Es gibt eine erstaunliche Studie von Forschern an der Universität Zürich. Verhaltens- und Neuroökonomen haben herausgefunden: Menschen, die großzügig sind und sich um ihre Mitmenschen kümmern, sind glücklicher. Geben, loslassen, teilen erzeugt ein wohliges Gefühl, einen „warm glow“. Anders gesagt: Altruismus stimuliert das Gehirn und setzt Glückshormone frei. Und noch etwas haben die Forscher herausgefunden. Es muss nicht die große Selbstaufopferung und Selbstverleugnung sein, ein bisschen von sich einzubringen und zu geben, ist auch schon gut. Man muss es nicht machen wie Jesu Jünger, die alles verlassen, alles aufgeben, nicht zurückschauen. Nachfolge Jesu geht nicht nur radikal. Das geht auch als Bürger in der Welt. Aber ein bisschen darf man sich schon anstecken lassen von dem Feuer des Anfangs: Ein bisschen von meinem Besitz den anderen geben, sich ein bisschen für das einsetzen, was einem wichtig ist, ein bisschen das Kreuz auf sich nehmen, damit es für andere leichter wird. Einfach nicht immer auf die Habenseite der Kosten-Nutzen-Rechnung schauen, sondern leben, geben. Nicht fragen: „Was bringt mir das?“, sondern sich einbringen. Ich bin mir sicher: Eh man sich versieht kommt der „warm glow“. „Jeder wird schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten.“

Jetzt mag so mancher denken: Klingt wie Wahlwerbung. Hohe Worte. Aber was bedeutet das konkret? Das Große wächst im Kleinen. Wie das Samenkorn, das reiche Frucht bringt. Es müssen keine Heldentaten oder die totale Selbstaufgabe sein. Es reicht z.B. schon einfach beim Kirchenkaffee mitzuhelfen. Etwas Zeit und Energie abzugeben und damit Gemeinschaft für viele zu ermöglichen. Das Große wächst im Kleinen, liebevoll handgestrickt bahnt sich Zukunft ihren Weg. Für ein Land und eine Kirche, in der wir alle gut und gerne leben, braucht es nicht nur Leuchtfeuer, Hochglanzevents und Strategiepapiere, es braucht dich und mich hier und jetzt. Es braucht Ideen und uns alle, die sie umsetzen.

IV. Was das konkret bedeutet, wird auch heute klar. Man kann viel über das politische System schimpfen. „Ich geh doch eh leer aus. Bringt doch nichts. Die halten ja eh nicht, was sie versprechen.“ Tja, können sie vielleicht auch nicht immer. Es ist immer leicht, mit dem Finger auf die da oben zu zeigen und zu sagen: „Wir haben euch gewählt, damit ihr dieses Land stärker, sicherer, gerechter und zukunftsfähiger und mein Leben besser macht – und jetzt: Kommt alles anders, kommt nix voran. Ihr seid schuld!“ Das geht nicht auf. Um Deutschland stark, gerecht und weltoffen zu machen, reicht es nicht, alle vier Jahre zwei Kreuze zu machen und andere machen zu lassen. Da muss man schon mitmachen, etwas geben und ein Stück sich selbst hineingeben. Zeig Stärke für das, was dir wichtig ist! Eine bessere Welt kann man nicht delegieren. Die muss man selber machen. Das fängt übrigens mit dem Wählen heute an. Sie müssen weder ihre Familie verlassen noch ihrem Besitz anderen überlassen oder gar ihr Leben lassen, sondern einfach nur zwei Kreuze machen. Dafür bekommen Sie zwar nicht den Himmel auf Erden – und glauben Sie bloß keinem anderem als Jesus, der Ihnen das verspricht! -, aber Sie sorgen dafür, dass Demokratie eine Zukunft hat. Wählen darf man nicht nur wollen. Das muss man machen. Heute.

Amen

Perikope
24.09.2017
18,28-30