„Er zog aber seine Straße fröhlich" - Lesepredigt zu Apostelgeschichte 8,26-39 von Peter Bukowski anlässlich der Einführung der neuen Lutherbibel
8,26-39

„Er zog aber seine Straße fröhlich" - darauf läuft's für den Kämmerer hinaus. Das ist die Frucht jener Wendung zum Glauben, dass er seinen Weg fröhlich fortsetzt. Etwas Besseres hätte ihm nicht geschehen können. Etwas Besseres kann einem Menschen überhaupt nicht geschehen, als dass es von ihm heißt: Er zieht seine Straße fröhlich.

Fröhlich, das meint mehr als ein kurzlebiges Stimmungshoch. Fröhlich, das greift tiefer als das Gefühl, das wir mit guter Laune bezeichnen. Fröhlich, so nennen wir den Menschen, der innerlich zur Ruhe gekommen ist, der heitere Gelassenheit ausstrahlt. Am besten umschreibt es vielleicht das Wort „zufrieden“: dass also einer zu seinem Frieden findet.

Solche Fröhlichkeit, solche Zufriedenheit bewährt sich gerade in Situationen, in denen zu Freude, zu überschwänglichem Glücksgefühl kein Anlass besteht.
Der Apostel Paulus konnte gerade in Zeiten äußerster Bedrohung von Fröhlichkeit reden. Aus dem Gefängnis heraus schreibt er den Philippern in jenem Tonfall. Sein Brief ist geradezu ein Plädoyer der Fröhlichkeit. Und wer von Ihnen je einem Menschen begegnet ist, der solche Fröhlichkeit, solche innere Zufriedenheit ausstrahlt, der wird erfahren haben: Fröhliche Menschen sind für ihre Umgebung etwas Kostbares.

Dass es sich hier tatsächlich um ein ganz besonderes Gut des Menschen handelt, hält die griechische Sprache bis heute fest: Aus dem Wort für "sich freuen" (chairein) ist die gängigste Form der Begrüßung gebildet: „chaire, chairete!“ – so begrüßt man sich, so prostet man sich auch zu und wünscht sich eben damit das Beste, was Menschen einander wünschen können: Fröhlichkeit. Zufriedenheit.
Vom Kämmerer hörten wir nun am Ende: „Er zog aber seine Straße fröhlich."Fast möchten wir den Mann darum beneiden, denn das gehört ja eben auch zur Fröhlichkeit: Man kann sie nicht machen, vor allem: Man kann sie sich nicht selbst verschaffen. Für Genuss kann man etwas tun. Gute Stimmung kann man erzeugen. Ein paar schöne Stunden kann man sich allenfalls mit Geld erkaufen. Aber Fröhlichkeit, Zufriedenheit? Fast sieht es so aus, als rücke sie immer ferner, je mehr man danach strebt.
Das mag uns gerade am Leben des Kämmerers deutlich werden, bevor es jene entscheidende Wendung nimmt: Er hat schon viel gemacht in seinem Leben, ja, wir können sagen: Er hat aus seinem Leben durchaus etwas gemacht. Bis zum Finanzminister der mächtigen Königin von Äthiopien hat er es gebracht. Möglicherweise hat er für diesen enormen gesellschaftlichen Aufstieg allerdings einen (unmenschlich) hohen Preis bezahlt. Im griechischen Text wird er „eunuchos“ genannt. Das kann einfach die Bezeichnung seines Titels sein, das kann aber auch wörtlich gemeint sein. Denn bisweilen mussten sich im alten Ägypten und Äthiopien die höchsten Beamten kastrieren lassen, um dem königlichen Hause nicht als Männer gefährlich werden zu können. Wir hätten dann eine besonders krasse Erinnerung daran, welchen Preis Menschen zu zahlen bereit sind, wenn es darum geht, die Spitze der Karriereleiter zu erklimmen.

Wie dem auch sei: Je länger, je mehr scheint dem Kämmerer sein Leben als Erfolgsmensch und sein Karrieredasein nicht genügt zu haben. Wir erinnern uns an das Jesuswort:
„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?" (Mt 16,26).
Für seine Seele will der Kämmerer etwas tun. Darum wendet er sich – was läge auch näher? – der Religion zu. Dabei scheut er weder Kosten noch Mühen. Er betreibt, wie's eben seine Art ist, auch diese Sache energisch und im großen Stil. 3000 Kilometer Pilgerfahrt nach Jerusalem legt er zurück. Und doch -–da, wo unsere Geschichte einsetzt, sehen wir ihn gleichsam unverrichteter Dinge zurückkehren: Er sitzt auf seinem Reisewagen, er liest in einem Buch der Bibel (wie gesagt, kaufen konnte er sich ja alles), er liest – und versteht doch nichts.

Ja, liebe Gemeinde, dass sich einem die Schrift öffnet, dass sie das Herz anrührt, so dass man zum Glauben findet und damit zu eben jener fröhlichen Zufriedenheit, das kann man nicht machen. Da ist selbst unser mächtiger Finanzminister aus dem Kabinett der Kandake am Ende seiner Möglichkeiten.
Und doch findet er schließlich, was er gesucht hat. Es wird später von ihm heißen:
„Er zog aber seine Straße fröhlich."
Und wie es eben doch noch zu jener Wendung kommt, das erzählt unsere Geschichte. Sie lässt uns teilhaben an den Stationen, die diese Wendung markieren. Und offensichtlich sollen wir sie zur Kenntnis nehmen, weil es keine beliebigen, keine zufälligen, sondern für den Weg zum Glauben notwendige Stationen sind.

 

1. Da kommt es erstens zu einer Begegnung.
Philippus kreuzt seinen Weg und spricht den Kämmerer an: „Verstehst du auch, was du liest?" (Apg 8,30)
Der Weg zum Glauben, der lebendige Kontakt zur Bibel sind kein Ein-Mann-Unternehmen. Da bedarf es der Ansprache, da braucht's den anderen, die Gemeinde. Allein hat sich der Kämmerer lange genug geplagt. Und das hätte noch lange so weitergehen können, aber jetzt tritt jemand an seine Seite und spricht ihn an, sagt: „Hör mal, verstehst du auch, was du liest, oder soll ich dir vielleicht helfen?"
Wer weiß, wie viele Menschen sich plagen, sich nutzlos abplagen, nur, weil niemand auf
die Idee kommt, sich ihnen zuzuwenden, sie anzusprechen und sich ihnen als Begleitung
und Hilfe anzubieten. Wer weiß, vielleicht wartet einer schon die ganze Zeit auf dich?

 

2. Dazu gehört nun andererseits auch vom Suchenden selbst der Mut, um Hilfe zu bitten. Wir hörten: „Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen." (Apg 8,31)
Können wir das? Tun wir das: uns ehrlich einzugestehen, wo wir auf uns alleine gestellt am Ende sind, und dann den Mut aufzubringen, jemanden um Hilfe zu bitten, zu sagen: „Setz´ dich mal mit mir zusammen" – selbst auf die Gefahr hin, eine Absage zu bekommen?
Ich glaube, vielen unter uns fällt das Erste, also das Helfen, noch leichter als das Zweite, das Um-Hilfe-Bitten. Und doch ist es so: Man mag es als Einzelkämpfer vielleicht bis zum Finanzminister bringen, zur Fröhlichkeit des Glaubens bringt man es allein schwerlich.
 

3. Nun ist es allerdings ganz wichtig zu sehen, dass die Gemeinschaft, die zwischen dem
Kämmerer und Philippus entstanden ist, als solche noch nicht die Wendung zum Glauben stiftet. Ich betone das, weil in der Kirche bisweilen andere Stimmen laut werden. Sie sagen: Die Gemeinschaft, also die Hinwendung des einen zum andern, das ist das Entscheidende. Wenn wir uns in unserer Gemeinde nur wohlfühlen und gegenseitig akzeptiert fühlen, wenn in der Seelsorge der Ratsuchende nur genug menschliche Annahme erfährt, dann ist das der notwendigste, weil Not wendende Schritt.
Aber wie soll das angehen? Soll der Kämmerer allein durch die Begegnung mit Philippus zur Zufriedenheit, zur inneren Ruhe finden? Würde das die Begegnung nicht maßlos überfordern? Philippus kann doch nicht mit seiner Person dem andern „Trost im Leben und im Sterben“ (Heidelberger Katechismus, Frage 1) sein!
Nein, die Gemeinschaft der beiden – so wichtig sie ist – , diese Gemeinschaft braucht ihr Thema, unter dem sich beide finden können.
Dieses Thema erschließt sich im Gespräch der beiden. Aber es geht nicht darin auf, es bleibt selbständiges Thema, in dem beide ihre Geborgenheit finden.
Und dieses Thema, das, was dem Kämmerer schließlich zu Herzen geht und ihn zum Glauben führt, ist die Botschaft von der Zuwendung Gottes, so, wie sie vom Propheten bezeugt und in Jesus erschienen ist.
Wir hörten: Philippus setzt ein mit der Schriftstelle, die der Kämmerer gerade gelesen hat. Sie redet davon, wie Gott sich zu uns auf den Weg gemacht hat, wie er uns gerade dort sucht und findet, wo uns unser Leben unerträglich ist: im Leiden, in Schuldverstrickung, in einem Leben, das ständig überschattet ist von der Macht des Todes.
Und so weit reicht Gottes hingebungsvolle Liebe, dass er gerade dort, wo kein Mensch, am allerwenigsten wir selbst, uns noch helfen können, an unsere Stelle tritt, unsere Not mit uns teilt, um uns aus den Fängen der Schuld und des Todes zu befreien.
Mit dieser Botschaft aus der Bibel setzt Philippus ein, aber er geht dann weiter, und zwar so, dass er nicht bei allgemeinen Worten bleibt, sondern dem Kämmerer die gute Botschaft persönlich zuspricht. Es heißt: „Er fing mit diesem Wort aus der Schrift an."
Und dann: „Er predigte ihm das Evangelium von Jesus." (Apg 8,35)
Wir erfahren nicht mehr den Inhalt dieses weiterführenden Zeugnisses, aber wir mögen erahnen, was es für den Kämmerer bedeutet zu hören: "Du bist nicht verloren. Bei Gott brauchst Du's nicht so zu machen wie in Deinem bisherigen Leben. Da brauchst Du nicht immer und immer noch etwas zu machen, nicht angestrengt nach oben zu kraxeln. Bei ihm bist Du schon am Ziel, denn er hat sich zu Dir hinabgeneigt. Du bist sein geliebtes Kind. Auch mit all Deinen hässlichen Seiten, mit all Deiner Verkehrtheit, mit all Deiner Unrast. Du bist, hörst Du: Du bist ihm recht, Du bist von ihm gewollt. Bei ihm wird Deine Seele Ruhe finden. Dein Leben ist nicht der Sinnlosigkeit preisgegeben, nein, es ist geborgen in Gottes gütiger Liebe, mit der er Dich, gerade so, wie Du jetzt dran bist, meint."
Mag die menschliche Zuwendung des Philippus irgendwann an ihre Grenzen stoßen – und auch die innigste menschliche Beziehung hat solche Grenzen –, Gottes Zuwendung ist grenzenlos. Er hält Bund und Treue ewiglich, und darum ist er „Trost im Leben und im Sterben“.

 

4. Eine Station ist noch zu nennen, eine letzte, aber eine, die wir besonders gerne vergessen.
Der Kämmerer hätte das alles hören können, es hätte ihm im Augenblick des Hörens auch zu Herzen gehen und ihn innerlich beflügeln können – und dann? Was ist morgen? Was ist, wenn die Worte verklungen sind und ihn der Alltag wieder eingeholt hat?
Sicher, die Worte bleiben auch dann noch wahr, aber werden sie für den Kämmerer auch lebendig bleiben, wenn der Kontakt mit dieser Botschaft vorüber ist?
Der Kämmerer scheint das zu ahnen, darum tut er den letzten Schritt: Er zieht aus dem Gehörten die notwendige Konsequenz: „Siehe, da ist Wasser, was hindert's, dass ich mich taufen lasse?" (Apg 8,36)
Dieser Schritt besagt: Der Kämmerer will fortan den Kontakt zu Gott nicht mehr abreißen lassen. Er will, auch über die Entfernungen hinweg, Glied in der Gemeinschaft derer sein, die sich als Gottes geliebte Kinder glauben. Es genügt ihm nicht, das Evangelium einmal gehört zu haben, er will in Zukunft wieder und wieder hinhören. Er will jetzt in seinem Leben die Wirkung des Evangeliums erproben. Er will, wenn ich es einmal so sagen darf, in seinem weiteren Leben die Probe auf's Exempel machen.
Und ebenda, wo das Evangelium ihn so angesprochen hat, dass er bereit wird, Konsequenzen zu ziehen und sein Leben darauf einzustellen, da heißt es von ihm: „Er zog aber seine Straße fröhlich."

 

Nachwort:
Es könnte jetzt einer denken: „Gut, beim Kämmerer hat das geklappt, aber bei mir nicht. Ich finde nicht zum Glauben, ich komme nicht zur Ruhe, ich ziehe meine Straße nicht fröhlich." Und auf meine Nachfrage hin könnte er vielleicht sogar glaubhaft versichern: „Ja, ich hab's mit diesen Stationen versucht: Ich habe Menschen um Hilfe ersucht, es haben sich auch welche um mich gekümmert. Ich habe die Botschaft gehört, ich bin auch bereit, Konsequenzen zu ziehen – aber trotzdem: Bei mir will's und will's nicht klappen."
Wer jetzt so bei sich fragt, dem möchte ich noch einen Hinweis geben und einen Rat.
Der Hinweis steckt in der Geschichte selbst.
Die Ausleger haben nämlich darauf hingewiesen, dass es im Grunde genommen eine Wundergeschichte ist. Wunderbar ist sie, weil sie uns Einblick nehmen lässt, wie hier Gott im Hintergrund wirkt: Da unternimmt der Kämmerer diese lange und für ihn zunächst ergebnislose Reise nur, um auf dem Rückweg Philippus zu begegnen. Und er wäre in dieser Einsamkeit ganz gewiss niemandem begegnet, schon recht keinem Missionar, wenn nicht ein Bote Gottes Philippus an diese einsame Stelle gewiesen hätte – und zwar gerade zu dem Zeitpunkt, wo der Kämmerer die entscheidende Stelle aus Jesaja liest, und gerade an der Stelle, wo dann auch das Wasser für die Taufe zu finden ist!
Damit zeigt uns die Geschichte: So viel setzt Gott ins Werk, so kunstvoll verknüpft er die Lebensfäden, damit am Ende ein fröhlicher Mensch dabei herauskommt.
Und diese Mühe gibt er sich mit jedem von uns, also auch mit Dir, der Du jetzt so fragst.
Und daher mein Rat: Hab noch etwas Geduld. Vielleicht bist Du – um's mit der Geschichte zu sagen – noch auf der Hinreise. Vielleicht braucht's noch eine Zeit, bis Du am richtigen Punkt angelangt bist.
Vielleicht hat Gottes guter Geist aber auch schon den auf den Weg geschickt, der sich Dir zuwenden und Dir in Deiner Unruhe zur Seite stehen wird.
Versuch's deshalb nicht zu zwingen! Vor allem: Quäl Dich nicht selbst. Fordere keinen Glauben von Dir, zwing Dich nicht zur Fröhlichkeit. Lass Dich in Deinem Unglauben, lass Dich in Deiner unzufriedenen Hast einmal gewähren. Ich weiß, wovon ich rede, ich weiß selbst, wie schwer das ist, aber womöglich ist das für Dich der erste Schritt, um zur Ruhe zu finden. Und wir wollen füreinander, also auch für Dich, Gott um seinen guten Geist bitten, dass er bei uns einkehrt, in uns Glauben weckt und uns zum Frieden bringt, damit es endlich von jedem unter uns heißen kann: „Er zog aber seine Straße fröhlich." Amen.

Perikope
30.10.2016
8,26-39