Familiengeschichten - Predigt zu 2. Samuel 12, 1-10, 13-15 von Lilith Becker und Stephan Krebs
Eine Predigt in der Reihe "Familiengeschichten". evangelisch.de-Redakteurin Lilith Becker predigte gemeinsam mit ihrem Vater, Stephan Krebs, in der Johanneskirche in Langen (Hessen).
Teil 1: Was und wer bringen mir den Glauben näher?
Lilith Becker: Ich nenne drei Erfahrungen, die mir den Glauben näher bringen:
- Biblische Geschichten, die mir etwas sagen, wie die Samuel-Geschichte
Geschichten wie die Samuel-Geschichte können mir den Glauben näher bringen. Die Geschichte erinnert mich selbst daran, von Zeit zu Zeit meine Selbstgerechtigkeit zu überdenken. Sie hält mir den Spiegel vor, beschämt mich – und dann bekomme ich das Versprechen, dass Gott mich anerkennt, wenn ich selbst erkenne, was ich tue – und mich annimmt. Gott kann leichter verzeihen als viele Menschen.
- Menschen, die sich engagieren, wie im Kirchenasyl
Bis Ende des Jahres 2015 werden wahrscheinlich weit mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland Asyl suchen – nur in diesem Jahr! Die Erstaufnahmeeinrichtungen sind völlig überbelegt und mittlerweile gibt es wahrscheinlich kaum eine Kommune, die nicht mindestens einen Flüchtling bei sich aufnimmt. Für meine Arbeit – als Redakteurin für evangelisch.de – höre und erzähle ich mittlerweile fast wöchentlich Geschichten aus christlichen Gemeinden, die sich für die Menschen in Not engagieren. Ohne Ehrenamt wäre es kaum möglich, so vielen Menschen zu helfen. Die Begeisterung, die ehrliche Anteilnahme und die Herzenswärme, die ich von vielen Christen erlebe, machen mich glücklich und bestärken mich selbst in meinem Glauben.
- Meine Kinder, die mich lehren, dass vieles nicht in meiner Hand liegt – Vertrauen
Dann lehren mich meine Kinder, dass ich nicht alles unter Kontrolle habe: mit der Schwangerschaft hat dieses Gefühl angefangen, als mein erstes Kind zur Welt kam, war es besonders schlimm: ich hatte ständig Angst und es gibt genügend traurige Geschichten.
Das Leben liegt nur zu einem ganz geringen Teil in meiner Hand. Wenn ich nicht ständig Angst haben will, muss ich vertrauen: in das Leben und in Gott – der mich auch lehrt zu bedenken, dass ich sterben muss.
Stephan Krebs: Alle drei Aspekte gelten auch für mich. Zusätzlich nenne ich drei weitere Erfahrungen, die mir den Glauben näher bringen:
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Meine Eltern, die ihr Leben dafür einsetzten
Mein Vater, der Pfarrer war, und meine Mutter, die eine klassische Pfarrfrau war. Beide sahen das ganze Leben als ein Christ-Sein, als einen Gottesdienst. Wie es der Reformator Martin Luther formuliert hatte „Euer ganzes Leben sei ein Gottesdienst“. Das prägt. Das färbt ab. Wie bei vielen. Fast jeder, der zum Glauben findet, kann eine Person nennen, die ihm den Glauben vorgelebt hat: Die Eltern, die Großeltern, Tanten und Onkel, Religionslehrerinnen und Pfarrer.
Das gelingt allerdings nur, wenn sich deren Glauben nicht auf äußerliche Rituale beschränkt, sondern wenn der an dem erkennbar wird, was die Menschen tun und was sie im Herzen tragen, wie es der Evangelist Lukas in der Geschichte vom Zöllner und vom Pharisäer darstellt.
Der Pharisäer mag mehr über Gott wissen und äußerlich die religiösen Vorschiften besser einhalten. Der Zöllner trägt Gott wirklich im Herzen. Und er legt sich einfach – ganz ohne Sicherheitsnetz - vertrauensvoll in Gottes Hände.
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Chor und Musik, die mich Hören und Denken lehrten
Musik hat mir manches vom Glauben eröffnet. Jahrzehntelang habe ich gesungen im Gottesdienst, in Kinderchor, später in Jugend- und Erwachsenenchören. Die Verbindung von Klang und Wort öffnet manche Tiefendimension des Menschseins. Es gibt Texte, manchmal nur kleine Textstückchen, die prägen sich tief in die Seele ein. Ein Beispiel will ich nennen aus dem Lied „Jesu meine Freude, meines Herzens Weide.“ (EG 396) Die letzte Strophe lautet
"Weicht, ihr Trauergeister,
denn mein Freudenmeister Jesus tritt herein.
Denen, die Gott lieben,
muss auch ihr Betrüben lauter Freude sein.
Duld ich schon hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide, Jesu meine Freude."
3. Das sind starke Worte, die trösten, die herausfordern, an denen ich mich reibe, an die ich mich schmiege. Die Natur, die mich das Staunen und die Dankbarkeit lehrt. Ich laufe durch die Natur, freue mich am saftigen Grün der Blumen, am Blau des Himmels, an den Farben der Blumen, an der Vielfalt der Tiere, an den Möglichkeiten des Menschseins. Ich möchte dafür danken – wem? Dem Schöpfer. Ich denke darüber nach: Wie und warum ist das alles geworden? Und lande im Denken wieder bei Gott. Ich bin froh in ihm jemanden zu haben, der die Welt nicht dem Zufall und der Beliebigkeit überlässt. Nicht ihren Anfang und auch nicht ihr Ende. Das Leben hat einen Sinn. Von Anfang bis Ende.Teil 2: Was und wer machen mir den Glauben schwer?
Lilith Becker: Kommen wir zu der Frage, Was und wer machen mir den Glauben schwer? Als wir beide darüber sprachen, waren wir überrascht: Wir kamen auf dieselben drei Punkte.
1. Wir sind aufgeklärt und abgelenkt
Die Naturwissenschaft versucht ohne Gott auszukommen. Sie bestimmt weithin unser heutiges Denken. Selten erlebe ich Momente, in denen kein Weg an Gott vorbei führt:
Der Blick in den sternenklaren Nachthimmel, der mir die Unendlichkeit vor Augen führt, die ich für mich gar nicht denken kann. Er wird weggeleuchtet vom ewigen Licht der Straßenbeleuchtung und vom Flackern der Bildschirme.
Die Begegnung mit dem Tod, die mich kompromisslos mit der Frage nach dem Sinn meines Lebens konfrontiert: von guter Medizin verdrängt – zum Glück, und zumeist weggesperrt in die Krankenhäuser.
Die Erfahrung des Ausgeliefert Seins, die Begegnung mit der eigenen Ohnmacht im Falle von Missernten, Stürmen, Blitzeinschlag, Feuer und anderer höherer Gewalt – zum Glück ferngehalten durch kluge Technik und abgefedert durch Versicherungen.
All das möchte ich nicht missen – aber es bringt ein eigenes Risiko mit sich: Den Irrtum, es ginge auch ohne Gott, allein aus eigener menschlicher Kraft.
Fazit: Oft habe ich das Gefühl keine Gott zu brauchen, weil der Mensch doch alles naturwissenschaftlich erklären kann und auch danach strebt alles allein im Griff zu haben.
2. Die Reizüberflutung des Alltags (Überflussgesellschaft)
Stephan Krebs: Eigentlich möchte ich gerne viel mehr beten, viel mehr an Gott denken, viel mehr ihn loben. Aber ich komme so selten dazu. Am Anfang eines Tages ist so viel zu tun. Am Ende des Tages ist immer noch so viel zu tun, so viele Telefonate zu führen, so viele Fernsehprogramme zu erleben, Bücher zu lesen, so viele interessante Veranstaltungen zu besuchen - fordernde Reizüberflutung Tag für Tag. Sie frisst die Zeit, sie verlockt mit leichtem Reizen. Wie oft stoße ich gar nicht mehr vor zu den Fragen, die die Tür in die Tiefe des Lebens öffnen und die zu Gott führen?!
3. Die Theodizee-Frage
Lilith Becker: Wenn ich sehe, wie ungerecht das Glück des materiellen Wohlstands auf dieser Welt verteilt ist, zweifle ich an Gott. Wenn ich mir bewusst werde, wie unverdient beschenkt ich bin, wie unverdient bedrückt andere sind. Dann erscheint mir ein Lied wie dieses als der reine Hohn:
"Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret,
der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet,
der dich erhält, wie es dir selber gefällt
hast du nicht dieses verspüret?"
Stephan Krebs:
Dieses Lied führt mitten hinein in einer der zentralen Fragen unseres Glaubens. Ist Gott wirklich beides: allmächtig und liebevoll? Joachim Neander hat das Lied geschrieben - 1680, in der Blütezeit des Absolutismus. Die Könige herrschten über alles, wohnten in Palästen, die mit Prunk und Herrlichkeit wetteiferten. Die Könige waren zugleich Gesetzgeber, Durchführer ihrer Gesetze und oberster Richter, zugleich Kriegsherren und Beschützer ihrer Untertanen.
Diese Rolle überträgt das Lied auf Gott, indem es den Absolutismus noch übersteigert. Es erklärt Gott zum Herrscher der Herrscher: „Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret“. In großartigen Momenten möchte man ihm auch heute noch Recht geben. In Momenten des Glücks, der Freude – da passen diese überschwänglichen Worte.
Aber es gibt auch andere Momente, in denen auch mir der Überschwang des Liedes ganz fremd ist. Dann widerspreche ich innerlich, wenn ich singen soll: „der dich erhält, wie es dir selber gefällt“.
Das Lied führt uns direkt in das Dilemma: Ist Gott allmächtig? Das sagt ja nicht nur das Lied, sondern auch unser Glaubensbekenntnis. Vorhin haben wir zusammen gesprochen „Wir glauben an Gott, den Vater, den Allmächtigen“. Also: Wenn Gott allmächtig ist, dann ist er auch verantwortlich für alles, was geschieht, für alles schöne, was wir ihm gerne zusprechen. Aber auch für alles grässliche, alles Grausame.
Natürlich kann man bei Vielem auf die Menschen verweisen, die einander vieles antun. Aber sie sind geschaffene Wesen, von Gott ausdrücklich gewollt. Deshalb muss gesagt werden: Gott verhindert all das nicht – zum Beispiel Kriege, Krankheiten oder Erdbeben. Er lässt es zumindest geschehen. Dann aber, so scheint es, ist er nicht mehr allein der liebevolle, freundliche und zugewandte Gott. Sondern noch etwas anderes. Also zugespitzt: So wie die Welt ist, ist Gott entweder liebevoll oder allmächtig. Aber nicht beides, jedenfalls nicht uneingeschränkt beides.
Gott ist nicht nur zum Lieben, sondern auch zum Fürchten. Daran haben Christen von Anfang an herumgegrübelt. Auch Luther. Und ehrlich, wie er war, hat er diesen Widerspruch nicht klein- oder weggeredet. Er hat ihn ganz glasklar beschrieben. Für ihn ist Gott ein „Backofen voller Liebe“ – ein herrlicher Begriff!
Daneben beschreibt Luther aber eben auch eine dunkle Seite Gottes. Sie ist uns nicht zugänglich, sie ist uns fremd und bedrohlich: Gottes dunkle und verborgene Seite. Luther nennt sie auf lateinisch deus absconditus, der verborgene, der geradezu abwesende Gott. Es gibt diese Erfahrung – schon immer und noch immer. Und sie bleibt bestehen, auch wenn sich Gott inzwischen in einem kleinen Kind selbst zum Menschen gemacht hat, um Mensch unter Menschen zu sein, um seine Liebe zu leben und in die Welt zu tragen.
Jesus Christus ist der Beweis für Gottes Liebe. In ihm teilt Gott den Lebenskampf von uns Menschen und bekommt ihn am eigenen Leben zu spüren. Das gilt – uneingeschränkt. Aber damit hat Gott die Welt nicht in ein problemfreies Schlaraffenland verwandelt und aus uns Menschen keine sanften Lämmer gemacht. Niemandem hat Gott ein sorgloses und schmerzbefreites Leben versprochen. Er hat nur versprochen: „Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ Das ist die Situation. Unverrückbar. Und sie kann hart sein, unglaublich hart. Daran haben viele unter uns zu tragen.
Daran erinnern uns in diesen Monaten nicht nur die Medien mit ihren Nachrichten aus den Elendsregionen dieser Welt. Nein, diese Nachrichten kommen inzwischen auch auf zwei Beinen zu uns, in Gestalt von Menschen, die um ihr Leben schwimmen und laufen – und vor allem: sie hoffen. Das alles geschieht – in der Welt, in der uns Gott zugleich als Weltherrscher und als bedürftiges Flüchtlingskind entgegentritt.
Schluss:
So steckt mitten in der Bedrohung des Glaubens durch das Elend in der Welt und durch die Ferne Gottes auch die entscheidende Quelle der Hoffnung unseres Glaubens: Gott bleibt nicht verborgen. Im Gegenteil. Er zeigt sich. Besser noch: Er kommt zu uns. Noch besser: Er wird einer von uns – in Jesus Christus. Wir nennen ihn Gottes Sohn, weil in ihm Gott ist. Und zugleich ist er ein Mensch, einer wie du und ich. Der zeigt der Welt, wie sie sein könnte und wie sie nach Gottes Willen werden soll. Das nächste Lied bringt das besser zum Klingen, als wir es predigen könnten. . "Einer ist unser Leben." Amen.