Feuer und Flamme für das Evangelium - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Michael Plathow
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Feuer und Flamme für das Evangelium - Predigt zu Apostelgeschichte 2,1-18 von Michael Plathow

Feuer und Flamme für das Evangelium

1. Liebe Gemeinde des Pfingstfestes,

die Gegenwart des Geistes Gottes wird uns verheißen mit dieser Ursprungserzählung von Pfingsten: der heilige Geist, der Neuschöpfer, der Tröster, der Lehrer, der Paraklet, wie er genannt wird, will zu uns kommen, uns inspirieren, dass wir Feuer und Flamme werden durch und für das Evangelium. Mit Ostern wird Pfingsten als eines der ältesten Kirchenfeste wie früher so auch heute gefeiert in freudigem Dank und bittendem Gebet -- hier bei uns in Deutschland, besonders in Europa -- an zwei Festtagen.

Gegenwärtig finden die pfingst-charismatischen Bewegungen  und Gruppierungen weltweit Zulauf. Dabei ist die Gewissheit der Wirklichkeit des heiligen Geistes und seines Wirkens heute das, was bei Differenzen und Kontroversen uns verbindet. Unterschiedliche Akzente zeigt die Zuordnung von Geisterlebnis und Geisterfahrung sowie das “Wie” des Geisterlebens.

Am jüdischen Wochenfest 50 Tage nach der Passahfeier, so wird erzählt, waren in Jerusalem viele Menschen zusammen gekommen. Plötzlich erleben sie die dynamische Bewegung stürmischer Winde und flammender Feuerzungen. Energetische Kraft erfüllt ihr Innerstes. Inspiriert vom Geist beginnen sie vom Geheimnis Gottes und von den “großen Taten Gottes” den Anwesenden aus 17 verschiedenen Nationen und Sprachen so zu reden, dass jeder sie in seiner Sprache versteht. Verwunderung und Bestürzung “Was will das werden?” ist einerseits die Reaktion, andererseits beißender Spott und skeptischer Erklärungsversuch. Nichtverstehen greift um sich; alles bleibt unklar und zweideutig.

Da tritt ”Petrus mit den Elf” auf, heißt es. Er predigt, d. h. er legt zunächst die Schrift aus in der jüdisch-prophetischen Verstehens- und Sprachtradition: Was der Prophet Joel als Verheißung vorausgesagt hat, das ist eingetroffen. Was ein jeder uneindeutig erlebt hat, ist die Gegenwart des Geheimnisses Gottes. Und wie Gott sich erlebbar gemacht hat, so hat er sich selbst offenbart und eindeutig gezeigt in Jesus; den habt ihr gekreuzigt, Gott hat ihn uns als “Herrn, Kyrios, und Christus” erkennbar und erfahrbar gemacht (2, 36). Und durch den heiligen Geist, dem Schöpfer neuen Lebens, der zu Christus führt, lässt er nun uns Feuer und Flamme sein für das Evangelium.

So ist es die Predigt, die die Glaubens- und Geistgemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus eröffnet.

Diese bewegte und bewegende Botschaft hören wir heute als gottesdienstliche, aber auch musik- und kulturgeschichtliche Ursprungserzählung von Pfingsten. Sie ist auch ein wichtiger Text der pfingstlich-charismatischen Frömmigkeit und Theologie. Diese Erzählung der Apostelgeschichte des Lukas erleben verschiedene Pfingstler unmittelbar als den mit Glossolalie verbundenen “Anfangserweis” der “Geisttaufe”. Indem sie den Text -- über den “garstigen Graben” hinweg -- zu sich sprechen lassen, erleben sie eine “Taufe mit dem heiligen Geist”; dessen Gegenwart läßt in den Wiedergeborenen Früchte des Geistes als verschiedene Gaben, Dienste und Wirkungen zur gegenseitigen Auferbauung und zum Dienst an der Welt erwachsen (BFP, 2003) (1. Kor 12, 4 - 12).

Nun ist ein unmittelbares Geisterlebnis für Andere zunächst kaum nachvollziehbar und Anderen auch kaum zu vermitteln. Erst im Deutungs- und Verstehenszusammenhang des biblisch bezeugten Glaubens kann ein Erlebnis Klärung finden und, in die eigene Lebens- und Glaubensgeschichte hineingenommen, vermittelbare Erfahrung werden. Das gepredigte Wort Gottes schafft den Glauben; dabei korrespondieren Verheißung des Wortes Gottes und unser Glaube.

So erfährt das Pfingsterleben in Apostelgeschichte 2 gerade mit der Predigt des Petrus und von der Predigt des Petrus her Klarheit und Eindeutigkeit.

2. Liebe Gemeinde,

in vielen Stimmen und Bildern verkündigen die biblischen Zeugnisse den heiligen Geist lebensfroh und Zukunft eröffnend als unverfügbaren schöpferischen “Atem des Lebens”, ohne dessen erhaltende Kraft und wundervolle Pracht nichts lebt was ist. Zugleich wird er als Neuschöpfer verheißen, der den Glauben an Christus wirkt, und als vorausgeschenkte Erstgabe die Zukunft Gottes eröffnet. Als “Kyrios, Herr” wird er bekannt, Geber und Gaben verbinden sich. Ganzheitlich “in Herz und allen Sinnen” bewahrheitet er sich mit seinen Gaben: die drei christlichen Kardinaltugenden Glaube, Liebe Hoffnung; die sieben Zeichen des Geistes, die wir mit der messianischen Verheißung von Jes 11, 2 in Luthers Choral “Komm, Gott, Schöpfer heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein” (EG 126, 3) erbitten, die acht Seligkeiten nach Jesu Glücks- und Heilsrufen der Bergpredigt; die neun Früchte des Geistes (Gal 5, 22); die zwölf Charismen zur Auferbauung der Gemeinde (1. Kor 12, 28f).

Zukunftsträchtig in der Glaubens- und Kulturgeschichte wirken die Bilder und Symbole des Pfingstevangeliums als dynamische und energetische Kraft des Neuschaffens, Heilens und Heiligens: Wasser, Feuer, Erde, Wind, womit die Urelemente der griechischen Naturphilosophen (Empedokles) angedeutet sind.

Bekanntlich erhellen und erstellen Bilder Wirklichkeit; sie erweisen sich als Brücken, die über sich hinausweisen und Neues erschließen. Hier repräsentieren sie Kraft und werden spürbar als lebensnotwendig erfahren; zugleich deuten sie auf die Diskrepanz von Gottes Geist und Ungeist: einerseits das Wasser als Lebensquell, das Feuer als Wärmespender, die Erde als Nährboden, der Wind als Atem des Lebens - mit Goethe gesprochen: “Im Atemholen sind zweierlei Gaben

                      Die Luft einziehen, sich ihrer entladen,
                      Jenes bedrängt, dieses erfrischt.
                      So wunderbar ist das Leben gemischt.
                      Du danke Gott, wenn er dich press,
                      Und danke ihm, wenn er dich wieder entlässt”.

Andererseits ist da die lebenszerstörende Sintflut, die vernichtende Feuerwalze, das zukunftverschließende Erdgrab, der leidbringende Tornado. Geist und Ungeist, Geist der Lebensfülle und Geist der Lebenszerstörung, Geistesgegenwart und Geistlosigkeit, befreiender Geist Gottes und Geist der Sünde und des Bösen erstellen diese Bilder.

In ihrer andeutenden und deutenden Funktion weisen sie über sich hinaus und im biblischen Zusammenhang werden sie als Bildkomplexe aufgebrochen durch ihren Fluchtpunkt Jesus Christus und durch die Grammatik der Liebe Gottes: die Kehre hin zur alles neu machenden Liebe Gottes, die sich in Jesus Christus offenbart uns durch den heiligen Geist. Denn der heilige Geist ist es, der “zu Christus bringt”, zum Glauben, der der Wirklichkeit des Geistes Gottes im Streit mit den Ungeistern der Menschen gewiss ist. Jesus Christus ist der “Ort”, wie Petrus in seiner Predigt verkündigt, der “Ort” der sich erkennbar- und erfahrbarmachenden schöpferischen und neuschaffenden Liebe Gottes; sie führt die Glaubenden geistesgegenwärtig in die Liebe zu Gott und zum nahen und fernen Nächsten und geistesmächtig ins kritische Unterscheiden der Geistes.

Diese Gewissheit bewahrheitet sich als Glaubens- und Geistgemeinschaft mit dem “eingeborenen Sohn Gottes unserm erstgeborenen Bruder”. Vom heiligen Geist berührt, bewegt, erfüllt - wie es in der Pfingstgeschichte heißt - wird das Herz, unser Personzentrum; denn nicht ich lebe aus mir selbst, sondern im Mich-ver-lassen lebt Christus im mir eigenen Selbst (Gal 2, 20): ein neues Menschen- und Wirklichkeitsverständnis in der Kraft des Geistes Gottes.

3. Liebe Gemeinde,

der heilige Geist ist es, der den Glauben schenkt und ins Leben zieht, gleich wie er -- gegen Individualisierungstrends -- Gemeinschaft und Gemeinde schafft und “bei Jesus Christus erhält im einige Glauben”. Mein Erleben und Erfahren erhält von ihm im Licht unseres auferstandenen Herrn Orientierung und Sinn.

Viele Jahre kam ich als Studienleiter in der Kapelle des Ökumenischen Instituts der Universität Heidelberg zu Gottesdienst und Andacht mit Studierenden aus verschiedenen Ländern und Kirchen zusammen. Unser Blick fiel auf das Glasfenster hinter dem kleinen Altar mit dem Kreuz: das Herabströmen des Geistes Gottes nach Apg. 2, verbunden mit der Belebung der Totengebeine nach Hes 37, von pfingstlichen Rotschattierungen inspiriert. Erkaltetes wird lebendig, Vertrocknetes saftig, Schwaches kräftig, Zerrissenes verbunden. Die Liebesflammen des heiliges Geistes streicheln und die Schwingen der Taube berühren. Und das im gegenüber zum antitypischen Glasfenster des Turmbaus zu Babel: Symbol der Hybris menschlichen Machens, Wollens und Erkennens in Gottes- und Geistvergessenheit mit Zerrissenheit, Hass und Tod in der Folge.

Der Gemeinde vermittelt die Verbindung der beiden Glasfenster Vergewisserung, Hoffnung, Inspiration: der heilige Geist “beruft, sammelt, erleuchtet und erhält” die Gemeinde und die weltweite Kirche Christi. Glut unter der Asche lässt Feuerzungen aufflammen; Gegenwind erweist sich als Aufwind; Feuer und Flamme für das Evangelium bricht hervor. Der heilige Geist verleiblicht sich in der Gemeinschaft der vielstimmigen Gemeinden als Resonanzboden des Wortes Gottes; als sein Charisma erweist sich die christliche Freiheit, grenzüberschreitend gegen Kleinglauben und Kleingeist, abgrenzend und kritisch gegen Geistlosigkeit und Ungeist. An den Früchten und Gaben des Geistes -- auch am “lebendigen Geist” der Wissenschaften -- lässt er teilhaben wie an der faszinierenden Pluralität kultureller und sprachlicher Milieus: konkrete Vielheit und vielfarbige Buntheit der Geistesgegenwart in der weltweiten Kirche. Sie lebt, wie D. Bonhoeffer zeigt, in der stellvertretenden Fürbitte, im Dasein und helfenden Dienst für einander und für Andere, grundgelegt in dem, was der gekreuzigte und auferstandene Christus immer schon “für uns“ getan hat. So “verbindet uns mehr als was uns trennt”.

Liebe Gemeinde des Pfingstfestes,

uns hier und der pluralen Weltchristenheit ist heute die Gegenwart des Geistes Gottes verheißen, Feuer und Flamme durch und für das Evangelium und für Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zu sein -- u. zw. konkret.. Und das wider Kleingeist, Trägheit und Gleichgültigkeit bei uns und wider die Ungeister der Hybris menschlichen Machens mit Ungerechtigkeit, Krieg und Leid um uns herum.

In kritischer Gemeinschaft mit den pfingstlich-charismatischen Christen in der Ökumene tun wir dies, indem wir den heiligen Geist preisen, “der Herr ist und lebendig macht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und zugleich verherrlicht wird”. Wir danken für seine Gaben bei uns und in den verschiedenen Kirchen. Wir beten sprechend und singend heute und immer neu: “Komm, Schöpfer, heiliger Geist” (EG 126, 1), “O heil´ger Geist, kehr bei uns ein” (EG 130, 1).

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne und euer Tun in der Gewissheit der Wirklichkeit und des Wirkens des heiligen Geistes in und bei uns. Amen.