Fürs Leben gern ein Paar - Predigt zu Markus 10,2-12 von Martin M. Penzoldt
10,2-12

Fürs Leben gern ein Paar

Liebe Gemeinde, diese Worte kennen wir gut:
„Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“
Bei jeder Trauung werden sie ausgesprochen.
Es sind gewichtige Worte des Zuspruchs, der Aufgabe und der Hoffnung
für einen gemeinsamen Weg, dessen Verlauf niemand kennt.
Aber sie haben auch einen strikten, einen bindenden Charakter:
Ehe ist eine Lebensgemeinschaft „auf Lebenszeit“.  
So steht es sogar im Bürgerlichen Gesetzbuch. (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB)

1.Aufgalopp
Aber im Gesetz steht auch, dass eine zerrüttete Ehe geschieden werden kann.
Schon die Bibel kennt Scheidungen. Jesus betont aber den ursprünglichen Schöpfungswillen Gottes und den Bruch, den jede Scheidung bedeutet.
Die Kirchen nehmen das ernst. Aber ziehen verschiedene Schlüsse daraus.
Die evangelische und die orthodoxe Kirche lassen erneute Heiraten zu.
Die Katholische Kirche nimmt Jesus - wie sonst nirgends - wortwörtlich
und lässt erste Ehen in hochnotpeinlichen Prozessen für ungültig erklären,
bevor sie in eine weitere Eheschließung einwilligt.
So wird unter kundigen Ökumenikern in späten Abendrunden gescherzt:
„Wann darf ein Katholik zum zweiten Mal heiraten?
Wenn er seine Frau umbringt!“
Ein Priester darf nämlich einen reuigen Mörder von seiner Sünde lossprechen.
Katholiken, die zum zweiten Mal heiraten, dürfen nicht einmal beichten.
Kein Wunder, dass in Rom Beratungsbedarf herrscht.
Parturiunt montes. Es kreist der Berg…
Ob freilich die Denkschriften der EKD zur Ehe ihrerseits substanzielle Aussagen und Lebensnähe vereinen, darüber ließe sich ebenso trefflich streiten.
Also langsam!

2.Erlösung aus Prägungen
Wir hören heute dieses Streitgespräch Jesu mit dem Wissen
- und vielleicht mit der eigenen Erfahrung - ,
dass Ehen in großer Zahl geschieden werden, Beziehungen zerbrechen,
dass Frauen wie auch Männer ihre Ehe nicht mehr aushalten
und die Scheidung einreichen,
und, dass manche Ehe erhebliches zerstörerisches Potential enthält
auch wenn sie äußerlich weiter besteht.

Krisen in der Beziehung und ihr völliger Kollaps sind häufig.
Wer möchte sich überhaupt in diesem Bereich etwas sagen lassen?
Zumal von der Kirche, evangelisch - oder gar katholisch? Nein, danke.
Natürlich erinnern die Kirchenleitungen
immer mal wieder an die Bedeutung der Ehe.
Lassen wir aber ruhig einmal die Bischöfe
mit ihrer Wertschätzung zur christlichen Ehe allein
und überlegen uns, was man eigentlich einem Paar –
außer Worten der Einfühlung und des Trostes - sagen könnte,
das man gut kennt und das auseinanderzudriften beginnt.

Was könnte ein Paar umstimmen, seine Beziehung aufrecht zu erhalten?
Was könnte Paare aus verhängnisvollen Prägungen befreien?
Ich möchte ein paar Gründe vorschlagen.
Damit gelangen wir nicht so weit zurück wie Jesus,
so dass wir sagen dürften:
es wäre die Schöpfungsordnung vor Mose wieder in Sicht.
Wenn freilich die Wirklichkeit des Scheiterns nicht ausgeklammert wird,
kann das das Freiheits- und Entlastungspotential der Ehe entfaltet werden.
Wir reden im Bewusstsein, dass es Brüche in unserer Existenz gibt,
die auch da wo wir die alte Ordnung verlassen, nicht ins Nichts führen,
sondern zum Eingeständnis der Zerbrechlichkeit aller Ordnungen
und zu der Hoffnung, dass sich Gott erneut seinen Menschen zuwendet.
Vor Gott und in der Gemeinde gilt kein Ansehen der Person.
Im Glauben kann man auch mit seinen Brüchen leben.

Aber muss es zwangsläufig immer dazu kommen?
Wir versuchen ein Wort für den Fortbestand einer Ehe einzulegen:
Gegen des „Herzens Härtigkeit“ und gegen den geheimen Wunsch
sein Leben mit dem Anfangszauber einer neuen Liebe zu befeuern,
aber auch gegen Resignation und flaue Müdigkeit.

3a.Kochtopf
Das bekannteste Argument stammt in heutiger Lesart
von Erich Fromm in seinem Buch "Die Kunst der Liebe".
Fromm schreibt, es wäre in der Beziehung eines Paars so,
dass manche rasche Gefühlsaufwallung vergeht,
aber der Rahmen ihrer Beziehung stabilisierend wirkt.
Also im Bild gesagt,
dass das liebende Paare oft wie ein heißer Topf sind,
den man auf einen kalten Herd stellt und der rasch an Hitze verliert,
während Paare mit stabilem Umfeld auch bei Kühle des Gemüts
eine langsame Entwicklung zur Wärme und Glut nehmen,
wie eben ein kalter Wassertopf von einem Herd dauerhaft warm gehalten wird.
Mit anderen Worten: Nach dem anfänglichen Drang,
sich durch seinen Partner bestätigen zu lassen,
was für ein toller Hecht man ist, wie attraktiv sie ist,
und dem Verschmelzungsvorgang,
zu dem es ein paar Grad erhöhter Liebestemperatur bedarf,
kommt ein langer gemeinsamer Weg,
auf dem die Eheleute sich einander anverwandeln.

Statt dann bei einer Beziehung immer gebannt auf den Gefühlspegel zu starren,
der doch nur die Folge einer Gesamtwärme ist,
sollte man sehen, ob der Herd funktioniert, ob der Rahmen stimmt,
ob jeder zu sich kommt, Platz für sich hat,
seinen Rückzugsraum, die Bestätigung,
das gute Gefühl eine Aufgabe zu haben, die zu ihm passt.
Oft ist der Tod im Topf, weil der Rahmen nicht stimmt.
Als Außenstehender hat man vielleicht den besseren Blick dafür.

Die Qualität einer Beziehung ist nicht definiert
durch die Tiefe der Liebesgefühle,
sondern dadurch was sie für Rollen bereithält:
ob man gebraucht wird oder Hilfe zulassen kann
und ob man über diese Zuschreibung Zufriedenheit gewinnt.
Man braucht einander, ist sich Stütze, übernimmt gemeinsame Aufgaben.
Das währt solange bis das Haus gebaut ist und die Kinder halbwegs flügge sind.
Das ist mit allen Einschränkungen an Selbstverwirklichung und Selbstfindung: ein Stück Stabilität. Entlastung. Freiheitsraum.
Das ist nicht wenig. Aber ist das nicht zu wenig?
Wollte man nicht mehr vom Leben?
Lockt da nicht die Möglichkeit die Biographie noch einmal ganz anders zu schreiben und am liebsten von vorne zu beginnen:
mit der erhöhter Ausgangstemperatur und besserem Wissen? (M. Frisch, Biographie ein Spiel)

3b. Ein fallender Ziegelstein
Deshalb ein zweiter Hinweis.
In einem seiner frühen Meisterwerke als Kriminalautor
hat der Amerikaner Dashiell Hammett von einem Detektiv erzählt,
der die Aufgabe hat, einen seit Jahren verschollenen Ehemann aufzuspüren.
Durch einen Zufall gelingt das auch und das Ergebnis ist frappierend:
Da lebt ein Mann in gutsituierter Situation,
mit geräumigen Haus und gepflegte Limousine, netten Kindern
und einer fürsorglich-sportlichen und blonden Frau,
zwei Vereine und Golf.
Eines Tages, auf dem Heimweg von seiner Arbeit, als er auf die Straße tritt,
löst sich ein Ziegelstein vom Dach, fällt knapp an ihm vorbei
und zerschellt auf dem Bordstein. Es hätte sein Tod sein können.
Alles wäre sinnlos gewesen, was er sich aufgebaut hatte.
So verlässt er tief bewegt, aber geordnet und ohne es böse zu meinen,
sein Zuhause und lässt sich in einem anderen Bundesstaat nieder.
Er findet eine Arbeit, eine Frau, kauft ein Auto, hat Kinder,
baut ein Haus und geht Golf spielen.
Die neue Frau ist fürsorglich-sportlich und blond,
die Kinder sind nett. Das Leben geht weiter wie zuvor.

Was soll das heißen?
Es soll heißen: keine Ehefrau und kein Ehemann kann uns
den Sinn unseres Lebens garantieren und
vor der Frage des Todes und des Älterwerdens eine Antwort sein.
Die Frage nach der Einmaligkeit meines Lebens und der verstreichenden Zeit
ist eine Frage an mich selber und ich muss sie auch selber beantworten.
Wo immer ich wohne und mit wem ich lebe:
Ich werde diese Fragen überall mit hinnehmen.
Eine neue Partnerschaft ist oft nur ein Trugbild,
denn ich bringe mich mit und damit die alten Probleme.
Oft geschieht eine Trennung, weil sich einer nicht wandeln möchte,
weil er Angst hat vor dem Ablauf des Lebens, vor dem ablaufenden Leben.
Er möchte nur immer, dass der andere sich wandelt.
Das ist des Herzens Härtigkeit, von der Jesus spricht.

3c. Philemon und Baucis
Das dritte ist ein Bild: Philemon und Baucis.
Das Bild einer alten Ehe. Gemeinsam sitzen sie auf der Bank.
Irgendwann wird eins sterben und das andere wird ihm alsbald folgen.
Alles haben sie überstanden, ihre Zänkereien, seine Untreue –
seine Nörgeleien und ihre Depressionen.
Es war nichts ideal an ihrer Ehe und sie haben viel füreinander aufgegeben.
Ja, auch ungerecht war es, denn sie hat mehr aufgegeben, damals.
Ihre Töchter haben das dann nicht mehr getan.
Aber nun ihre Enkelinnen und auch ihre Enkel,
die schauen auf dieses Bild der Alten auf der Bank
und wünschen sich auch einmal ihr Leben so gemeinsam zu bestehen.
Sie haben dabei auch ihre eigenen Eltern vor Augen,
deren Regale voll stehen mit den Selbsthilfebüchern:
"Die offene Ehe", "Spielarten und Spielregeln der Liebe" Willi`s "Zweierbeziehung", "Beim nächsten Mann wird alles anders", "Der Märchenprinz", "Einübung in die Partnerschaft durch Kommunikation und Verhaltenstherapie", "Männer lassen lieben", aber auch „Lasst die Männer in Ruhe“. „Männer sind vom Mars, Frauen sind vom Venus.“
Danach kam die Literatur über Unterhaltszahlung und Patchworkfamilien.
Diese Eltern können geläufig über komplementäre
und partnerschaftliche Paarbeziehungen parlieren und
bei Ausbruch offenen Zorns in aller Kühle sagen:
"Jetzt spüre ich ganz besonders intensiv, wie wütend du bist."

Die Enkel aber spürten, wie dünn die Oberfläche der Umgangskultur wird,
wenn es im Zuge einer ehelichen Auseinandersetzung
um Gefühle von Schuld, Angst, Eifersucht und Hass geht.
In der Ehe ist jeder, der Klügste und der Unwissendste ein nackter Mensch,
der wild um sich schlagen und der genauso tief verletzt werden kann.
In ihren jungen Jahren sind die Enkel schon sehr altklug.

Wenn sie dann selbst zum Traualtar kommen,
dann rührt sich auch in ihnen das Bild wieder
von Philemon und Baucis.
Und sie versprechen es sich sehr ernsthaft,
nämlich "Ja" zusagen, zueinander, für ein ganzes Leben  
und da schwingt sich dieses alte hohe Wort empor:
„Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“
und steht lautlos über der ganzen Feier.
Und dieses Wort heißt nicht Liebe allein,
sondern verlässliche Liebe: Treue. Utopie der Treue.

4.Fürs Leben gern ein Paar
Die Grundaussage christlichen Glaubens zur Ehe ist,
dass der Glaube Mut macht zur Treue und
die Möglichkeit menschlicher Untreue nicht als das Maß
für die Ehe anerkennen kann.
Die offene Frage Jesu, von der Schöpfung her an uns, lautet so:
"Ist es wirklich ein Gesetz, dass wir von Begierde zu Begierde hasten?
Kann man denn nicht dabei bleiben, die Frau, die man erwählt hat,
eine Landschaft, in der man lebt,
Verse, die man auswendig weiß, zu lieben und zu begehren?
Bei einem, der treu ist, sind die neuen Begierden den alten verwandt,
und die alten Begierden erlöschen nicht." (Georges Roditi)

Ist es so? Man kann hier nur fragen.
Dreimal habe ich angesetzt zu fragen: nicht nur nach Gefühlen,
sondern nach der nach der gegenseitigen Angewiesenheit,
dem gemeinsamen Rahmen. Man kann fragen,
ob die Ehe nicht mit der Suche nach dem Sinn meines Lebens überfrachtet wird, die sie nicht lösen kann und nicht lösen soll
und man kann fragen,
ob dieses alte Ideal der Treue nicht viel moderner ist als der breitgetretene Kommunikations-Quark, in den jede Generation erneut ihre Nase begräbt?
Also  m u s s  man nicht auch nachfragen als Freund den Freund,
als Freundin die Freundin?
M u s s  man nicht, so wie es Jesus tat, sagen,
dass es zwar immer Scheidungen geben wird,
aber das sie nur Statistiken sind und so wenig Aussagekraft haben
wie Kinder und Erwachsene, die jährlich als Verkehrstote in der Statistik erscheinen und doch keine Zahlen sind, sondern Menschen,
deren Leben auch hätte anders verlaufen können?

Jesus betont den Bruch, den das Ende der Ehe bedeutet.
Anders aber als die sauertöpfischen Moralisten und Steinewerfer,
liegt für ihn in der Anerkenntnis des Bruchs und
in der existentiellen Notwendigkeit von Reue
auch die Chance auf Gottes Vergebung
und die Möglichkeit eines neuen Anfangs.

Aufgabe von uns als Christen ist es allein,
von der Ehe her zu denken und nicht von ihrem Scheitern her,
ein Vorurteil für die Ehe zu haben,
so wie Jesus es hatte,
jenseits aller möglichen Klugheiten der Ehe- und Scheidungsliteratur
daran zu erinnern, wie sehr Mann und Frau,
Menschen überhaupt, aufeinander verwiesen sind,
wie sehr sie im Grund zusammengehören,
wie stark das Urbild ihrer Partnerschaft und Liebesgemeinschaft ist.
Sie sind ein Fleisch. Deutlicher kann man es nicht sagen.
Gehört die Einehe auch zu den Werten, die wir jetzt ansprechen müssen,
damit es nicht wie in den Banlieus um Paris zur Duldung
verschiedener Eheformen kommt, die sozial desaströs wirkten? (Aufstände2005)
Wer hätte nicht einmal gesehen
wie ein altes Ehepaar geht und spricht,
wie sich ihr Gang angenähert hat und die Weise zu sprechen,
wie ähnlich ihr Blick wurde und oft sogar das Gesicht:
sie sind ein Fleisch.

Es ist schön das zu sehen und zu beobachten,
es gibt den Dingen dieser Welt eine Selbstverständlichkeit zurück,
die sie lange entbehrt hat,
sie ist ein Bild von dem Verhältnis von Mann und Frau,
wie es einst war und wie es wieder werden soll,
ein Glanz vom ersten Schöpfungslicht.

5.Brechungen
Ein Licht aber, das in seinen vielen Brechungen
die vielen einschließt, die anderen Pfaden folgen.
Es gibt vielerlei Beziehung höchster Würde und Dignität;
Stellungen, Aufgaben und Ämter, die adeln.
Die Ehe ist nur eine von vielen Ordnungen,
die alle eine vorläufige Bedeutung haben.
Sie ist kein Allheilmittel und kein höchstes Gut.
Man muss nicht heiraten, hat Paulus gesagt.
Die Ehe mindert und potentiert die Gefährlichkeit des Lebens. 
Auf die Frage, ob sie angesichts ihres cholerische Ehemannes
Winston Churchill nicht öfters an Scheidung denken würde,
hat Mrs. Clementine Churchill mit biblischer Wucht erklärt:
„An Scheidung habe ich nie gedacht. Aber an Mord!“
Shakespeare wiederum stand die Szene vor Augen,
darin ein Delinquent vom Galgen erlöst werden konnte,
wenn eine Frau aus der Menge ihn heiraten wollte
und lässt ihn so souverän wie maliziös sagen:
„Gut gehängt ist besser als schlecht verheiratet.“ (Was ihr wollt I,5)
Fürwahr! AMEN.
 

Perikope
18.10.2015
10,2-12