Geständnisse im Licht der Gnade - Predigt zu 1. Timotheus 1,12-17 von Søren Schwesig
1,12-17

Geständnisse im Licht der Gnade - Predigt zu 1. Timotheus 1,12-17 von Søren Schwesig

12 Ich bin voll Dank gegenüber Jesus Christus, unserem Herrn, der mir für meinen Auftrag die Kraft gegeben hat. Denn er hat mich für vertrauenswürdig erachtet und in seinen Dienst genommen,
13 obwohl ich ihn doch früher beschimpft, verfolgt und verhöhnt habe. Aber er hat mit mir Erbarmen gehabt, weil ich nicht wusste, was ich tat. Ich kannte ihn ja noch nicht.
14 Er, unser Herr, hat mir seine Gnade im Überfluss geschenkt und mit ihr den Glauben und die Liebe, die aus der Verbindung mit ihm erwachsen ist.
15 Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der schlimmste bin.
16 Deshalb hatte er gerade mit mir Erbarmen und wollte an mir als erstem seine ganze Geduld zeigen. Er wollte mit mir ein Beispiel aufstellen, was für Menschen künftig durch den Glauben - das Vertrauen auf ihn - zum ewigen Leben kommen können.
17 Gott, der ewige König, der unsterbliche, unsichtbare und einzige Gott, sei dafür in alle Ewigkeit geehrt und gepriesen! Amen.
(Gute Nachricht Bibel)

 

Liebe Gemeinde,

ein schöner Gottesdienst, schöne Gesänge, eine schöne Atmosphäre. Aber dann dieses Predigtwort. Es trägt uns auf, über Sünde nachzudenken. Ausgerechnet über Sünde! Und das an diesem schönen Tag. Wollen wir uns darauf einlassen? Wollen wir uns aufs Neue diesem Thema stellen?

Das erinnert mich an den alten Kalauer, als der Vater den Sohn nach der Kirche fragt: „Wie war´s in der Kirche?“ - „Gut!“, sagt der. „Worüber hat der Pfarrer gepredigt?“ - „Über die Sünde.“ „Und", der Vater, “was hat er zur Sünde gesagt?“ – Der Sohn: „Er ist dagegen!

Lassen Sie uns aufs Neue über Sünde nachdenken. Was Sünde ist, was sie bewirkt und was wir tun können – auf dass dieses Nachdenken uns neue Impulse für unser Leben schenkt.

Sünde hat etwas mit Geständnis zu tun. Ein Mensch, der ein Geständnis ablegt, stellt sich dem, was er getan hat und bekennt seine Schuld.
Nun leben wir in einer Zeit massenhafter öffentlicher Geständnisse. Die Talkshows der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender überfluten uns mit Geständnissen: Da prahlt ein sichtlich angegrauter Mann damit, wie viele Frauen er schon gehabt hat. Ein Jugendlicher plustert sich auf angesichts der Vorstrafen, die er angesammelt hat. Eine dritte rühmt sich der Rücksichtslosigkeit, mit der sie durchs Leben geht und dabei auch die eigenen Kinder nicht verschont.
Geständnisse vom Niveau her oft nicht zu unterbieten. Geständnisse, bei denen der, der gesteht, sich nicht betroffen an die Brust schlägt, sondern lachend auf die Schenkel klopft: „Seht, was ich für ein toller Typ bin!“ Geständnisse nicht im Licht der Gnade, sondern im Licht der Einschaltquote.

Was geschieht bei einem richtigen Geständnis? Bei einem richtigen Geständnis stellt sich ein Mensch dem, was er getan hat – wie der Schreiber unseres Predigtwortes. Er sagt von sich: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der schlimmste bin.

Nun wollen wir nicht wie in den Talkshows voll plumper Neugier nachfragen, was dieser Mensch wohl angestellt hat, dass er meint, der schlimmste Sünder zu sein. Fragen wir lieber, was der Begriff „Sünde“ meint und wann ein Mensch als Sünder zu gelten hat.

Was ist Sünde? Martin Luther antwortet darauf so: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“ – und meint: Frage dich, wem du Raum gibst in deinem Leben und auf wen oder was du deine Hoffnung setzt. Frage dich, wem du in deinem Leben letztlich vertraust.

Sünde ist für Luther, wenn ein Mensch in der Überzeugung lebt, er hätte sein Leben im Griff, käme gut allein zurecht und bräuchte keinen Gott. Was aber, wenn etwas Unvorhergesehenes eintritt, was diese scheinbare Sicherheit erschüttert? Der Brief der Firmenleitung mit den Worten: Die momentane wirtschaftliche Situation unserer Firma … der harte Wettbewerb …sie müssen verstehen. Die völlig unerwartete Diagnose des Arztes bei einer Routineuntersuchung. Der plötzliche Tod eines lieben Menschen, mit dem wir doch gerade vor kurzem noch zusammengesessen und gelacht haben. Was dann? Dann begreifen wir, dass wir unser Leben eben nicht jederzeit im Griff haben; dass wir sehr wohl jemanden brauchen, der uns an der Hand nimmt und weiterhilft.
Leben ohne Gott – das ist für Luther Sünde.

Würden wir aber Menschen beim Einkaufsbummel mit der Frage überrumpeln, was für sie Sünde ist, wir würden Antworten bekommen wie: Wenn man zu tief ins Glas schaut. Wenn man zu viel in sich hineinfuttert, obwohl es der schlanken Linie nicht guttut. Sünde ist, wenn man zu schnell mit dem Auto unterwegs ist und dabei auch noch in eine Radarfalle gerät; wenn man dem Staat mit den Steuern erfolgreich ein Schnippchen schlägt.

Alle diese Antworten sind nur eine Aneinanderreihung menschlichen Fehlverhaltens. Sünde aber ist mehr als die Summe unserer Verfehlungen. Sünde geht tiefer. Sünde hat damit zu tun, dass Menschen ihre Bestimmung verloren haben und heimatlos geworden sind. Sünde hat damit zu tun, dass Menschen vom Weg abgekommen und in eine Sackgasse geraten sind. Menschen, die von sich sagen:

  • Ich bin mit mir selber unzufrieden. Ich kann mich manchmal selber nicht leiden. Ich weiß gar nicht wirklich, wer ich bin.
  • Oder: Was hat mein Leben für einen Sinn? Ich hänge an der Flasche. Dabei bin ich doch eigentlich nur süchtig nach Leben.
  • Oder: Ich will die Ekstase am Wochenende. Aber wenn ich nach dem Wochenende aufwache, ist wieder diese große Leere in mir.
  • Oder: Ich bin irgendwie immer traurig. Ich habe Angst - vor dem Altwerden, vor der Einsamkeit, vor einem einsamen Tod in irgendeinem Heim. 

Menschen, die ihre Bestimmung verloren haben und heimatlos geworden sind. Menschen, die vom Weg abgekommen und in eine Sackgasse geraten sind.

So hat Gott uns aber nicht geschaffen. Er hat uns geschaffen als freie Wesen. Als Menschen, die um ihre Heimat wissen. Menschen, die sagen können: „Was immer auch geschieht, ich bin auf einem guten Weg, denn Gott geht mit mir.“ Dass Menschen mit dieser Überzeugung leben können, ist sein Geschenk an uns. Mehr noch: Es ist unsere Bestimmung.

Warum hat der Mensch dieses Geschenk aus der Hand gelegt? Warum hat er seine Bestimmung verloren? Die Bibel antwortet darauf mit der Geschichte von Adam und Eva. Eine Geschichte von Freiheit und von Gottes Gebot, das den Menschen schützen soll. Aber der Mensch will seine Freiheit in die eigenen Hände nehmen und nach eigenen Regeln leben. Er empfindet Gottes Gebot nicht als Hilfe für ein gelingendes Leben, sondern als Einengung, Beschränkung, Zwang. Und so dreht er Gott den Rücken zu und lebt abgewandt von ihm.

Dieses von Gott abgewandt leben ist Sünde. Zu leben im Glauben: „Ich habe mein Leben im Griff. Ich komme gut allein zurecht. Ich brauche keinen Gott!“ – das ist Sünde. Und diese Sünde bringt den Tod. Nicht erst den biologischen Tod. Den Tod schon jetzt, mitten im Leben. Denn der von Gott abgewandte Mensch weiß nicht mehr um den Grund seines Lebens. Er weiß nicht mehr, was sein Ursprung ist und was sein Ziel. Weiß nicht mehr, woher er gekommen ist und wohin er geht. Der von Gott abgewandte Mensch ist vom Weg des Lebens abgekommen. Abseits dieses Weges lauert der Tod. Der Tod schon jetzt, mitten im Leben.

Wer zeigt uns wieder, wo unsere Heimat ist? Wer hilft uns zurück auf den Weg des Lebens?

Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder selig zu machen. Das ist die Antwort unseres Predigtwortes. Jesus zeigt, wo unsere Heimat ist. Darum hat Gott seinen Sohn gesandt, dass Menschen wieder zurückfinden auf den Weg des Lebens. Und Jesus hat Menschen diesen Weg gezeigt, indem er die Verlorenen um sich sammelte und ihnen Geschichten erzählte. Geschichten, die zu Herzen gingen: Vom verlorenen Schaf, vom wiedergefundenen Sohn. Jesus riss Menschen aus ihrer Verlorenheit, indem er mit Sündern tafelte und Feste feierte. Den Halsabschneider Zachäus wollte er bei sich haben, auch die Dirnen, auch die Zwielichtigen, auch die Abgebrühten. In seiner Nähe atmeten die Menschen auf, konnten sie selbst sein. In seiner Nähe lernten sie Liebe. Echte Liebe, keine verordnete Liebe, sondern Liebe, die von Herzen kommt. Darum ist Christus Jesus in die Welt gekommen - um die Sünder selig zu machen.

Sein Werk ist noch nicht zu Ende. Jesus will auch uns bei sich haben. Die Ausgeflippten und die Normalen, die Prahlenden und die Suchenden, die Starken und die Ermüdeten, die Selbstsicheren und die Orientierungslosen. Alle will er bei sich haben, damit wir nicht verloren gehen und um unsere Heimat wissen.

Jesus will auch uns bei sich haben. Nehmt das mit, wenn ihr diesen Gottesdienst verlasst mit seinen Gesängen und seiner Atmosphäre. Nehmt das mit in euren Alltag, damit ihr euch an den haltet, der euch auf dem Weg des Lebens haben will.

Amen.

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Stadtdekan Søren Schwesig
Büchsenstraße 33
70174 Stuttgart