Glauben Sie an Engel? - Predigt zu Lukas 1,26-33(34-37)38 von Christiane Borchers
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Glauben Sie an Engel? - Predigt zu Lukas 1,26-33(34-37)38 von Christiane Borchers

Liebe Gemeinde,
glauben Sie an Engel? Glauben Sie, dass ein Engel kommt und Ihrem Leben eine neue Per-spektive gibt? So wie Maria das erlebt hat?
Ursula wünscht sich eine neue Perspektive. Sie möchte, dass sie ihr Leben befreit führen kann. Ihre Tage verlaufen anstrengend, das geht schon Jahre so. Anstrengend sind sie, weil sie sich in ihrer jetzigen Rolle  unwohl fühlt. Die wurde ihr unfreiwillig zugeschoben. Das ist nicht immer so gewesen. Ursula hat einen verantwortungsvollen Posten in einer großen Fir-ma bekleidet. Sie hat wichtige Entscheidungen getroffen, wesentliche Impulse gesetzt, der Firma ein Profil gegeben. Dann kam ein neuer Chef, jung und unerfahren, mit neuen Ideen. „Räumen Sie Ihren Schreibtisch“, hat er schon bald nach der Übernahme der Firma angeord-net, „ab morgen arbeiten Sie in der unteren Etage.“ Diese Mitteilung des Chefs wirft Ursula völlig aus der Bahn. „Warum“, will sie wissen. „Was habe ich falsch gemacht? Womit sind Sie nicht zufrieden?“ Ohne ihr eine Antwort zu geben, verlässt der Chef überstürzt das Büro. Eine unheilvolle Stille legt sich schwer über den Raum. Mechanisch fängt Ursula an, ihren Schreibtisch zu räumen. Sie fühlt sich innerlich leer, auf eine merkwürdige Weise unbeteiligt. Als wäre es nicht sie, die hier wegräumt. Die Situation kommt ihr unwirklich vor. Die Herunterstufung des Chefs löst bei Ursula eine tiefe Krise aus. Sie darf nur noch untergeordnete Tätigkeiten ausführen. Sie wird zwar nicht entlassen -  dazu fehlen dem Chef die rechtlichen Möglichkeiten -  aber sie trägt keine Verantwortung mehr, hat keine Aufgaben mehr, die sie erfüllen. Ursula kommt mit ihrer neuen Rolle nicht zurecht. Sie ist unglücklich, wird trübsinnig. Ihr Ansehen sinkt. Ihr Selbstbild gerät ins Wanken. Das Schlimmste ist das Mitleid, das manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr entgegen bringen. „Nimm es dir nicht so zu Herzen“, tröstet sie ihr Mann. „Du wirst weiterhin gut bezahlt. Wenn der neue Chef deine Fähigkeiten nicht nutzen will, ist er selbst schuld.“ Das sagt Ursula sich selber, aber es hilft nicht wirklich. Ursula steht auf dem Abstellgleis. Sie kann keine Fahrt aufnehmen. Sie ist zum Stillstand verurteilt. Sie ist ausgemustert und abgeschoben. Das kränkt und tut weh. Es kostet Ursula viel Kraft, mit dieser unerträglichen Situation täglich umzugehen.
„Silke“, klagt Ursula ihrer besten Freundin „zu Maria ist ein Engel gekommen und hat ihr gute Botschaft gebracht. Kann nicht auch ein Engel zu mir kommen und mir gute Botschaft bringen? Oder kommen Engel nur in der Bibel vor? Es ist doch Advent! Wir warten doch auf Christus, den Retter und Erlöser.“ Ihr Wunsch kommt ihr selbst kindlich vor. Aber Ursula möchte nicht an den Rand gedrängt und ausgebremst werden. Sie wartet, dass einer kommt und sie herausholt aus ihrer beschämenden Situation. Sie braucht einen Engel, der ihrem Leben eine neue Perspektive gibt.
Engel sind Gottes Boten. Sie sind Wesen zwischen Himmel und Erde. Sie stellen die Verbin-dung zwischen oben und unten her. Engel bringen Gottes Wort zu den Menschen. Engel kommen in der Bibel vor. Engel gehen auch heute zu Menschen, die in Not und Bedrängnis sind.
Wenn Engel in das Leben eines Menschen eintreten, kann das nicht nur Freude, sondern auch Furcht auslösen. Maria erschrickt, als Gabriel sie anspricht. Sie ist eine einfache Frau, sie ist es nicht gewohnt, dass sich ihr der Himmel öffnet. „Sei gegrüßt, du Begnadete! Gott ist mit dir.“ (Lk 1,28b) Maria kann die Situation nicht einordnen. Der Engel erklärt sich, nimmt ihr die Angst, teilt ihr mit, was Gott mit ihr vorhat. „Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Den sollst du den Namen Jesus geben. Er wird der Sohn des Höchsten sein und den Thron Davids erben. Er wird König sein über Israel in Ewigkeit, sein Reich wird kein Ende haben.“ (Lk 1,31-33) Große Worte an eine einfache Frau gerichtet. Maria soll den Heiland gebären - ist so etwas möglich?
Maria ist eine gläubige Frau. Sie wartet wie alle frommen Jüdinnen und Juden auf den Hei-land. Die großen Worte für den Heiland und seiner Herrschaft sind ihr vertraut: Sohn des Höchsten, Davids Thron, König, Reich in Ewigkeit. Sie kennt diese erhabenen Ehrenbezeich-nungen für den Sohn Gottes von den Propheten. Sie erinnern besonders an die Schriften des Propheten Jesaja: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.“ (Jes 9,5a) In der Synagoge werden die Schriften regelmäßig gele-sen. „Und er heißt: Wunder-Rat, Ewig-Gott, Friede-Fürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er es stärke und stützte durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit (Jes  9,5bf).“
Maria ist auserwählt, das Kind zu gebären, von dem so Großes gesagt wird. Das kann sie kaum glauben. Werden andere es glauben? „Bei Gott ist kein Ding unmöglich“, besinnt sie sich. Letztlich vertraut sie der Botschaft des Engels, nimmt sie demütig an und spricht ehrfürchtig die Worte: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (Lk 1,38) Gabriel hat seine Aufgabe erfüllt und kehrt in den Himmel zurück.
Maria hat eine Botschaft aus dem Himmel vernommen, die keine Frau je vernommen hat und auch keine Frau wieder vernehmen wird. Gabriels Botschaft ist einmalig. Gott kommt in die Welt und wird geboren von einer Frau. Anders als durch weiblichen Schoß kann und will Gott nicht auf die Erde kommen.
Gott wird Mensch wie wir, geboren von einer Frau, sterblich wie wir.
Und doch ist Jesus anders als alle anderen Menschen. Er ist wie wir und zugleich der Heiland, der König auf dem Thron Davids. Sein Reich, sein Recht und seine Gerechtigkeit haben kein Ende bis in Ewigkeit. Jesus kommt mitten in der dunklen Nacht und erhellt die Finsternis. Zu den Mühseligen und Beladenen kommt er zuerst. Er bringt das Recht zu den Völkern, den glimmenden Docht löscht er nicht. Über denen, die im Dunklen wohnen, scheint es hell.
Maria ist die Frau, die auserwählt ist, Gott in die Welt zu bringen. Der Himmel bleibt nicht für sich. Gott teilt sich mit, überlässt Menschen nicht ihrem Schicksal.
Die im Dunkeln sitzen, erhalten ein Licht. Wer den Weg nicht weiß, bekommt eine helfende Hand, die ihn führt und leitet. Gott kommt, hilft, heilt, erleuchtet, tröstet. Menschen wie Ursula bleiben nicht in der Finsternis. Mit Weihnachten kommt ein Licht in die Welt, das auch ihr gilt. Es macht ihre Finsternis hell, schenkt Hoffnung und Perspektive.
Engel kommen auch heute noch und bringen Gottes frohe Botschaft auf die Erde. Gott spricht durch Menschen, die Trost geben, die helfen, unterstützen und ein verbindendes Wort finden. Gott sendet Menschen, die an unserer Seite stehen und uns nicht verlassen.
Glauben Sie an Engel, war meine Ausgangsfrage. Glauben Sie an Engel, die zu Ihnen kom-men und Ihnen eine neue Perspektive geben? Ich glaube daran. Engel kommen und bringen gute Botschaft. Sie richten auf und stärken, machen Mut und geben Hoffnung. Gott verbürgt sich dafür, dass sein Recht und seine Gerechtigkeit auf Erden Wirklichkeit werden und sein Reich kein Ende hat in Ewigkeit. Amen.