Gott hält was er verspricht – Predigt zu 1. Mose 8, 15ff von Frank-Nico Jaeger
8,15ff

Gott hält was er verspricht – Predigt zu 1. Mose 8, 15ff von Frank-Nico Jaeger

„Traut euch!“

Nach dem Krieg war alles wüst und leer, sagte meine Großmutter immer, wenn sie über diese Zeit sprach. Und als ich später die Geschichte über die Sintflut gehört habe, musste ich immer an diese Beschreibung denken. Nach dem Krieg war alles öde, das Land und die Menschen. Nach der Sintflut war alles vertilgt. Aber Gott sagt zu Noah, komm‘ raus. Nach dem Krieg hat meine Oma sich die alten Zöpfe abgeschnitten und ist raus aus ihrer schon längst nicht mehr vorhandenen Komfortzone. Traf meinen Großvater, der gerade aus der Kriegsgefangenschaft kommt, schwach, kraftlos und desillusioniert. Nimmt ihn an die Hand, führt ihn ein Jahr nach Kriegsende zum Altar und lehrt ihn wieder zu vertrauen.Und beide machen sich dran ihr Stück vom öden Land wieder aufzubauen. Haus, Garten, Tauben und ein Kind. Kommt ruhig, sagt Gott und die beiden sind ihm gefolgt.

„Komm ruhig!“

Die Erzieherin lächelt freundlich, hat beide Hände ausgestreckt und hält den Kopf schief. Hinter den Beinen meiner erwartungsvoll blickenden Mutter schaue ich unsicher hervor, nicht ganz sicher, ob ich der Situation trauen kann. Erst die Autofahrt über neue, noch ungewohnte Wege bis zum Kindergarten, dann das neue Gebäude und überall andere Kinder. Viele größer, manche kleiner. In mir ein Gefühl des Misstrauens. Gepaart mit viel Vorsicht. Es ist laut und ich befürchte, dass meine Mutter wirklich vorhat, ohne mich heimzufahren.Schließlich schiebt mich meine Mutter ein bisschen, während die Erzieherin immer noch freundlich lächelt und ich gehe missmutig einen ersten Schritt in einen unbekannten Raum, in eine neue Welt. Ängstlich, neugierig, misstrauisch. Schließlich gehe ich auf die Erzieherin zu. Etwas Neues kann beginnen.

„Mach ruhig!“

Es ist Sommer. Den ganzen Tag regnet es jetzt schon. Die Kinder sind quengelig und auch wir sind nicht mehr ganz so froh gestimmt. Die grauen Wolken drücken, auch auf die Laune. Dann die Lösung: Wir gehen ins Hallenbad. Stolz verkündet der Große, dass er heute vom 3m Brett springen wird. Egal was kommt. Im Hallenbad angekommen, erklimmt er schnell die Stufen zum Sprungturm. Als er dann oben steht, zögert er einen Augenblick zu lange. Das ist dieser eine Augenblick zu lang, in dem sich die Zweifel, die Sorgen und Ängste schlagartig zurückmelden, die man gerade noch so tapfer unterdrückt hat. Jetzt steht er da, mit den Fußspitzen am Ende des Sprungbrettes und traut sich nicht mehr. Ruhig rufe ich ihm zu: „Spring. Mit den Füßen zuerst!“ „Ich trau mich nicht“, jault mein Kind. Ich ermutige ihn weiter. Hinter ihm wächst die Schlange der Erprobten oder Noch-Mutigen. So genau ist das nicht zu unterscheiden. Ich ermutige, mein Junge zögert. Ich fordere ihn auf, mein Junge zögert. Irgendwann tippt ein Mädchen meinem Sohn von hinten an den Rücken und möchte an ihm vorbei. Sie ist kleiner als er, streicht die nassen Haare zurück, nimmt ein bisschen Anlauf und springt. Nach dem lauten „Platsch“, das Wasser spritzt fast bis hoch zum Sprungbrett, ist auch mein großer, kleiner Sohn soweit.Er nimmt Anlauf, federt sogar einmal und springt!

„Komm heraus!“

Noah steht auf dem Deck seiner Arche. Seiner „Truhe“, wie er dieses Monster von Schiff liebevoll nennt. Viel Zeit ist vergangen seit er, seine Lieben und viele, viele Tiere an Bord des Schiffes gegangen sind. Unzählige Tage und Nächte auf hoher See, rauer Wind, nur Sturm und Regen und immer wieder diese Fragen: Kann man diesem Gott noch trauen? Ob es wirklich wieder aufhören wird zu regnen? Ob sie jemals wieder festen Boden unter den Füßen spüren werden? Alles was Noah weiß ist, dass dieser Gott ernst gemacht hat: Die Erde ist wieder wüst und leer. Das Land ist öde. Er und alle, die sich in diesem Moment im Bauch seines Schiffes, im Inneren seiner Truhe befinden, sind die letzten. Und sie alle verbindet, dass dieses Schiff jetzt schon solange ihre Heimat war. Ihr schaukelnder Zufluchtsort vor rauen Winden und stürmischer See. Ihr Schutzraum vor einer unwirtlichen Welt. Also: Warum sollten sie, sollte Noah, diesen Ort verlassen?

Da macht Gott den Anfang. „Komm heraus!“ sagt er. „Du, deine Frau, deine Söhne und die Frauen deiner Söhne!“ Kommt!  Alle sollen raus. Sich anschauen, was die Welt wieder zu bieten hat. Sehen, was Gott ihnen zu bieten hat. Noah zögert. Den sicheren Hafen verlassen, allein auf das Wort eines Gottes hin, der gerade die ganze Welt vernichtet hat? Gegen den eigenen Verstand arbeiten? „Komm heraus!“ - Gott lässt nicht locker! Noah soll raus. Runter vom Schiff und rein in die Welt. Rein in eine Welt, die ganz anders ist als die, die er kannte. Nichts Vertrautes. Unbekanntes Neuland. Eine Welt von der er nicht weiß, wie sie ihm begegnen wird. Ob es gut wird oder schlecht. Wie viel in ihm jetzt auch in Bewegung, in Aufruhr  sein mag, Noah ist die Ruhe selbst. Er geht, vertraut, springt, machts. Mit Mut fangen die schönsten Geschichten an. Und mit Vertrauen. Und darum geht Noah los. Darum machen sich Menschen auf den Weg ins Unbekannte. Haben Vertrauen in Gottes Wort. Vertrauen seinem Bund. Sind überzeugt von seiner Erfahrung, verlassen die schützende Truhe und setzen den Fuß auf neues Land.

Und ich bin froh, dass es diese Menschen gibt und denke: Gott sei Dank ist Noah keiner von denen, die sich einigeln und mit der Welt da draußen nichts mehr zu tun haben wollen. Gott sei Dank ist Noah keiner von denen, die ihre eigenen Interessen voran stellen. Gott sei Dank Noah ist keiner von denen, die sich ängstlich auf sich selbst zurückziehen, in ihrem Schneckenhaus sitzen bleiben und glauben, draußen stünde der Feind. Gott sei Dank gibt es Menschen wie Noah. Die den sicheren Stand verlassen, raus kommen aus ihrem Versteck, die auch in der ödesten Landschaft einen Neuanfang hinbekommen wollen. Gott sei Dank gibt es Menschen wie Noah, der weiß dass man eine Arche, sein Versteck, seine Komfortzone, bei Zeiten auch wieder verlassen muss um neues zu entdecken. Damit es weitergehen kann.Gott sei Dank gibt es Menschen wie Noah, die mutig sind, wenn ich es nicht sein kann. Die weiter blicken als ich es kann. Die auch dann noch vertrauen, wenn ich verzage.

„Ich halte zu dir!“

Und Gott? Der ist illusionslos. Kennt die Menschen, aber er möchte nicht ohne sie sein. Reicht ihnen wieder die Hand und will noch einmal von vorne anfangen. Aber diesmal ist er besser vorbereitet. Und der Mensch? Der kann gewiss auf diesen worthaltenden, lernenden Gott bauen. Sei es auf hoher See oder im Alltag, vor Entscheidungen oder Neuanfängen. Auf dem Sprungbrett oder im Kindergarten. Egal wann, denn Gott sagt seinen Menschen in jeder Situation: „Komm‘ heraus, ich halte zu dir.“

Amen.