Hast du schon bemerkt - Predigt zu Jakobus 4,13-17 von Eberhard Schwarz
4,13-17

Hast du schon bemerkt - Predigt zu Jakobus 4,13-17 von Eberhard Schwarz

Hast du schon bemerkt ...

Hast Du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze?

Eine Kreiselfrage des Züricher Erzählers Hans Manz  - geschrieben für Kinder. Eine Kreiselfrage heute für uns geschrieben am Beginn dieses neuen Jahres 2016.

Der Predigttext: Jakobus 4, 13-15

13 Und nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen -,
14 und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.
15 Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.

Liebe Gemeinde,
"Inschallah" sagt man in der arabischen Welt, "Deo volente" im alten Latein. Früher hat man hierzulande die Briefe beendet mit den Buchstaben "s.c.j": sub conditione jacobea, oder mit "sGw" - zu deutsch: "So Gott will" - eben  mit dem berühmten Vorbehalt des Jakobusbriefes: "So Gott will und wir leben!“ 

"Inschallah, Deo volente. So Gott will und wir leben!“ Heute begleitet uns dieser Satz hinein in das neue Jahr. Was will er uns sagen?

Noch liegt dieses Jahr vor uns wie ein unbeschriebenes Buch, das darauf wartet, mit unserer Lebensgeschichte und mit der Geschichte dieser Welt gefüllt zu werden. Was erwarten wir? Was erwartet uns? Manches können wir bewirken. Anderes wird sich ohne unser Zutun ereignen. Wie gehen wir damit um? Was wird sich verändern? Werden wir uns im Kreis drehen, wenn es um Dinge geht, die verändert werden müssten? In unserem eigenen Leben? In der gewaltsamen Dynamik dieser Welt?  

Der Jakobusbrief, so scheint es, gibt eine empörend lapidare Antwort: "Inschallah, Deo volente.“ „Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun“. So sollen wir sagen. So sollen wir denken. So sollen wir in das neue Jahr gehen.

Der Jakobusbrief ist geschrieben auf der Schwelle zum zweiten christlichen Jahrhundert;  vielleicht in einer der großen Hafenstädte rund um das Mittelmeer, deren Namen uns wieder neu bekannt sind durch das Schicksal der vielen tausend Flüchtlinge – Kinder, Erwachsene jeden Alters auf der Flucht vor Gewalt und Fanatismus, vor verantwortungsloser Politik und vor nicht weniger verantwortungsloser Wirtschaft.

Äußerlich lesen wir an diesem ersten Tag des neuen Jahres das alte ‚Memento Mori‘, das zu den Lebensweisheiten so vieler Kulturen und Zeiten gehört. "Torheit ist es, über ein ganzes Leben zu verfügen, ohne auch nur des morgigen Tages Herr zu sein“. So räsoniert Zeit die Stoa, diese römisch-griechische Lebensphilosophie zurzeit des frühen Christentums. So sagen es bis heute die Skeptiker und Kritiker der menschlichen Vernunft:  Seid doch nicht blind! Lebt doch nicht töricht! Den Weg und Fortgang Eures Schicksals bestimmt am Ende niemals ihr. Setzt nicht auf falsche Sicherheiten.

Hast Du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze?

Der Jakobusbrief hat es deutlich bemerkt. Er zeigt uns Menschen, die in die großen Welt des Handels, des Kaufens und Verkaufens gehören, die sich rastlos drehen und bewegen in den Gesetzmäßigkeiten und Spielregeln einer Kultur, in der weit hinaus geplant wird, in der Gewinn und Risiko Gegenstände der Berechnung sind. In der sogar der Mensch ein Rechnungsfaktor ist. Damals nicht weniger als heute.

Wie Karikaturen sehen wir Kaufleute, die sich irgendwo für eine Weile niederlassen mit ihrem Handelsgut, um dort Filialen zu bauen und um dann wieder aufzubrechen. Immer wieder und immer wieder. „Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen". So sagen sie voller Optimismus und mit ökonomischem Sachverstand.  

So müssen sie sogar sagen und handeln, sonst verstehen sie als Kaufleute ihr Geschäft nicht. Im Grunde sind sie nur das Exempel für die planende Vernunft, mithilfe derer der Mensch sich seiner und seines zeitlichen und ewigen Schicksals mächtig zeigen will.

Solche Vernunft nimmt immer schon die Wirklichkeit vorweg. Sie muss sogar zukunftsmächtig sein und „Transzendenz“ produzieren. Das ist ihre große Begabung und zugleich ihre lächerliche Tragik. Denn das Leben funktioniert bekanntlich doch immer wieder nach eigenen Regeln – unvorhersehbar, es ist endlich, bewegt sich nicht wie der Kreisel.

Wie ein Spielverderber, so scheint es, schaltet sich der Apostel ein und sagt, was wir alle eigentlich schon wissen: „Ihr wisst nicht, was morgen sein wird“. „Was ist euer Leben?“ scheint er sauertöpfisch zu fragen und scheint sogleich die Antwort in der Tradition der großen Pessimisten zu geben: „Ein Dunst, ein Rauch seid ihr“. „Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.“

„Ich weiß schon, was mich, außer Regen, im November erwartet“, schreibt Michael Krüger, der Münchner Dichter und Übersetzer in seinem Gedichtband ‚Kurz vor dem Gewitter‘. „Die Zukunft kennt keine Lücke, auch die Sonntage belegt bis in den September. Man muss ein Kind sein, um sich auf den April zu freuen, und auch der gemessene Mai ist voll von falschen Erwartungen. Der Juni? Vollgeschmiert von den Skrupeln, den Begleitumstanden des Lebens. Stundenweise verbraucht sich meine Zeit, auch im August. Bleibe ich am Leben, werden wir uns im Dezember sehen, vergiss nicht, was du mich fragen wolltest. Ein Tag ist noch frei, kurz vor dem Ende des Jahres. Immer wird der Wunsch bleiben, nicht wissen zu wollen, wann uns das Unglück erreicht, das nicht im Kalender steht.“   

Liebe Gemeinde,
auch wenn es vielleicht so scheint: es ist nicht die Botschaft und auch nicht die Absicht des Jakobusbriefes, uns das Leben sauer zu machen! Nach dem Motto: freut euch nicht zu früh. Es kommt alles sowieso anders. „Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun“.

Zuerst kaum erkennbar, aber dann doch in allen Äußerungen dieses Briefes greifbar, steht über diesem Satz ein anderer Satz und ein anderer Gedanke. Es ist kein Bedingungssatz, sondern es ist eine unumstößlich österliche Aussage. Sie heißt: Wir sollen leben! Der Kyrios will (!), dass wir leben.

Der Autor des Jakobusbriefes ist selber Zeuge dieses Willens und dieses Lebens: „Jakobus, ein Diener Gottes und des Herrn Jesus Christus.“ Er ist nichts weniger als ein Botschafter und Zeuge des Auferstandenen!  Was er schreibt, ist alles andere als pessimistisch und sauertöpfisch.

Es ist voller Achtsamkeit, Wahrnehmungsfähigkeit und Respekt für das Leben und ganz besonders für Menschen, die im Mangel und in Armut leben, für Kranke und für Sterbende.

Mehr als in vielen anderen Texten des Neuen Testaments hören wir in diesem Brief nicht den Pessimisten, sondern Jesu ureigene hoffnungsvolle Stimme. Allem voran die Botschaft der Bergpredigt!

„Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?“ (Matthäus 6,25f)

Das ist es, was hinter den Worten des Jakobus steht, was er hineinruft in unsere Kreiselexistenzen. Das ist nicht nur "Inschallah, Deo volente. So Gott will“.

Es ist Jesu Gottvertrauen hereingeholt in den Alltag von Menschen, die leiden unter sozialen Spannungen, die erschüttert sind von Gewalt, von Ungerechtigkeit, von Mechanismen, denen sie nicht mehr entfliehen können.

Lasst euch nicht von diesen Kreisläufen lähmen, sondern lebt in dem Vertrauen, dass Gott uns ins weite Leben führt.

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Das ist die Hintergrundmusik der Worte des Jakobus. Es ist Jesus selber: Bedenke, dass du leben sollst!

Liebe Gemeinde,
Die russische Dichterin Marina Zwetajewa, auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert, hat auf berührende Weise beschrieben, dass es nicht einfach eine Schwäche, sondern im Tiefsten eine Stärke ist: Dinge meines Lebens aus den Händen zu geben. Wir begegnen uns dabei auf eine unvorhergesehene Weise selber. Mehr noch: Wir begegnen dabei einer anderen Lebendigkeit, die über uns hinausreicht:

„Mein „ich kann nicht“ ist am allerwenigsten Schwäche. Im Gegenteil: es ist meine Hauptstärke. Es gibt also etwas in mir, das trotz all meinem Wollen (meiner Gewaltanstrengungen mir selbst gegenüber!) dennoch nicht will, trotz all meinem wollenden Willen, der gegen mich selbst gerichtet ist. Das nicht will, um meiner selbst willen; es gibt also (außer meinem Willen!) ein „in mir“, „mein“, „mich selbst“, - es gibt mich.“

Es gibt mich! Ja, es gibt mich. Es gibt mich, auch weil ich meine Ohnmacht spüren kann und weil ich meiner eigenen Geschichte nicht mächtig bin. Es gibt mich, weil ich mich immer wieder selbst empfange. Es gibt mich, weil ich mir immer wieder neu begegne. Es gibt mich – nicht, weil ich mich selber erfunden oder geschaffen habe, sondern, weil ich mir geschenkt bin.

Darum geht es an einem Tag wie diesem ganz besonders. Darum geht es in diesen pessimistsich anmutenden Worten aus dem Jakobusbrief.

"Öffnen, öffnen, öffnen", hat Peter Handke Ende der Neunziger Jahre in seine Wege-Notizen notiert. Und er hat damit gemeint, dass wir die Weisheit des Fragens wieder entdecken müssten. Dass wir uns öffnen: unsere Augen, unsere Horizonte, unsere Sprache, unsere Sinne; damit wir uns nicht vom Sorgen lähmen und uns so das Leben stehlen lassen.

Er war übrigens der Ansicht, dass solches Fragen so etwas wie ein Schütteln am Phänomen Gottes sei.

Hast Du schon gesehen? Hast Du bemerkt? Bitten, Beten und Fragen - das ist eine einzige Lebensbewegung. In diese Lebensbewegung zieht uns der Jakobusbrief am Anfang dieses Jahres hinein.

Hast Du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze? Und hast du schon bemerkt, dass sich die Menschen wie Kreisel drehen in der täglichen Hetze?

Haben wir es bemerkt? Und haben wir bemerkt, dass es ein anderes Leben gibt als sich im Kreis zu drehen. Und dass dieses Leben mit Ostern zu tun hat? Und mit der gesammelten Hoffnung, die wir als Christinnen und Christen in dieser Welt bezeugen.

Fragen wir am Anfang dieses Jahres.  Befragen wir diese törichte Welt, befragen wir unsere eigene angefochtene Lebendigkeit mit der Weisheit Jesu Christi, mit seinem Gottvertrauen, mit seiner Zuversicht. Wir werden durch ihn sehen: Gott will, dass wir leben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Literatur:
Hans Manz, Hast du schon bemerkt..., http://www.lyrikline.org/de/gedichte/hast-du-schon-bemerkt-167#.VoF4Sfk4gyI
Michael Krüger, Kurz vor dem Gewitter. Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003
Marina Zwetajewa, aus: Lektüre zwischen den Jahren. Rainer Weiss (Hg.), Frankfurt 1994