Herr, gib uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für dein Wort. Amen.
Alexander ist ein aufgeweckter Junge. Begeisterter Fußballspieler und freundlicher Schüler. Mit seinen 11 Jahren ist er auffällig reif. Vielleicht liegt das an seinen besonderen Lebensumständen. Seine Eltern sind vom Balkan nach Deutschland gekommen. Weil der Vater gewalttätig ist, hat sich die Mutter von ihm getrennt. Um ihren Sohn kümmert sie sich vorbildlich. Die Beiden lieben einander sehr, leben aber in ständiger Angst vor dem Ehemann und Vater. Und eines Nachts geschieht es. Er kommt in die Wohnung und tötet seine Ehefrau. Der Junge hat alles mitbekommen. Der freundliche Polizist Carlos Benede begleitet ihn in der nächsten Zeit. Der Junge sagt auf eigenen Wunsch im Prozess gegen seinen Vater aus, der ihm das Liebste im Leben genommen hat. Nie will er ihn wiedersehen. Aber er hat keinen Menschen mehr, er muss ins Heim. So richtig gut geht es ihm dort nicht. Eines Tages bittet der Heimleiter den Polizisten, ins Heim zu kommen. Er teilt ihm mit, Alexander habe den Wunsch geäußert, einen Vater zu haben, der so sei wie der Polizist. Ob er ihn nicht als Pflegesohn aufnehmen wolle. Der Polizist, unverheiratet und alleinlebend, nimmt den Jungen zu sich und kümmert sich um ihn. Eines Tages klingelt das Telefon, der Junge geht ran. Als er aufgelegt hat, spricht der Polizist ihn an: Du hast Dich mit meinem Nachnamen ‚Benede‘ gemeldet. Ja, sagt der Junge, ich möchte so heißen wie Du. Das geht aber doch nur, wenn ich dich adoptiere. Das will ich, sagt Alexander. Du sollst mein Vater sein.1
Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!
Was für eine Aussage. Oder besser noch: Was für eine Zusage. Da ist von Liebe die Rede. Und wer würde von sich sagen, die bräuchte er nicht? Bei allem guten Essen und Trinken in diesen Tagen. Es geht uns ja gut, wir müssen nichts entbehren, müssen auf nichts verzichten, können uns einiges leisten. Bei allen Geschenken, die wir bekommen haben, über die wir uns gefreut haben. Die größere Wirkung darauf, ob wir uns wohlfühlen, ob es uns gutgeht, hat die Liebe. Dass wir spüren, wir sind mit Menschen zusammen, die uns wichtig sind, die uns am Herzen liegen. Wir haben uns schon lange auf das Fest gefreut, weil wir dann wieder mit denen zusammen sind, mit denen wir zutiefst verbunden sind. Wir genießen die Zeit miteinander, essen, trinken, reden, spielen; wir erzählen voneinander, lachen miteinander, geben Ratschläge und Hilfe, wenn sie gewünscht sind. Wir sind Familie. Freuen uns darüber und sind dankbar. Wenn es denn so schön ist, wie gehofft.
Und wenn es denn so nicht ist, dann leiden wir darunter. Weil wir es gerne so hätten, weil wir uns danach sehnen, geliebt zu sein, wert geachtet zu sein, Teil einer Familie zu sein, in der man sich versteht, in der man füreinander da ist, sich zusammengehörend weiß und auch so erlebt, wo man zusammengehört, ohne etwas leisten und beweisen zu müssen. Die Verbindung ist die Liebe. Nichts als die Liebe. Darum freuen wir uns mit, wenn es einem gut geht. Darum haben wir Teil daran, wenn eine sich Sorgen macht. Darum leiden wir mit, wenn einer leidet; sind traurig, wenn es einer schlecht geht, weinen, wenn eine Beziehung endet, wenn einer geht. Wir sind verbunden im Guten und im Unangenehmen. Wir gehören zueinander – Mutter, Vater, Kinder.
Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!
An Weihnachten macht Gott diese Zusage an uns. Und spricht damit die an, die dankbar sein dürfen für ihre guten Erfahrungen mit ihrer Familie. Und er spricht die an, die das vermissen, die gerade keine gelingende Familie erleben; Weil sie gar keine haben und einsam sind. Weil sie keine wollen, es verbindet uns ja doch nichts, wir streiten uns nur oder gehen uns aus dem Weg. Heile Familie? Heile Beziehungen? Da sind die Hoffnungen größer, als die Erfahrungen, das Scheitern zahlreicher als das Gelingen. Gute Aussichten für die Sehnsucht. Offene Ohren und Herzen für die Botschaft?
Heil ist das auch mit der so genannten Heiligen Familie nicht. Maria und Josef - noch nicht verheiratet. Maria - schwanger, aber nicht von Josef. Und als er es erfährt, plant er, sie heimlich zu verlassen. Geburt - in einer Notunterkunft. Fremde Hirten als erste Gäste an der Krippe. Ich kann mir heile Familie schon auch anders vorstellen.
Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!
Johannes verkündigt seiner Gemeinde eine Zusage, die wenig mit dem zu tun hat, was die Menschen erleben und kennen. Er verkündigt ihnen etwas, was sie ungläubig staunen lässt. Das passt mit ihrer Erfahrung gerade nicht zusammen. Weder in der Familie, noch in der Gemeinde. Unsere Liebe, unser Gefühl von Zusammengehörigkeit sind sehr bruchstückhaft; Verbindungen und Beziehungen sind sehr zerbrechlich, immer wieder bedroht. Wir wünschten es uns anders.
So wie Alexander, dem alles zerbrach, was ihm Sicherheit gegeben hatte, die Erfahrung geliebt und angenommen zu sein. Und dann erlebt er in dem Polizisten Carlos Benede einen Menschen, der einfach nur für ihn da ist, egal, was die anderen denken und sagen, egal, wie unsinnig das ist, wie unrealistisch. Er erlebt neu Geborgenheit und Liebe. Am Ende gibt Carlos Benede seinen Beruf als Polizist auf und leitet ein Heim für Jugendliche, die wie Alexander vor den Scherben ihres Lebens stehen und sich nach Liebe sehnen.
Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!
Wie schön oder belastend, wie gelingend und gestört Beziehungen und Familien sein mögen, an Weihnachten wird es vielleicht deutlicher als sonst im Jahr: du bist und bleibst Gottes Kind. Du bist geliebt. Du bist angenommen. Niemand macht Dir Deinen Platz in dieser Familie streitig, niemand nimmt Dir, was Dir geschenkt ist. Das ist seine Botschaft an diesem Tag. Was für eine Liebe! Unbeschreiblich, grenzenlos. Zu sehen in diesem Kind in der Krippe, geboren, für dich, aus lauter Liebe. Damit dein Leben gut wird. Sehet – sagt Johannes; ihr, die ihr zum Gottesdienst am Weihnachtsfest gekommen seid. Schmecket und sehet. An seinem Tisch, in seiner Familie sind alle willkommen, haben alle Platz, die die Einladung hören, sich freuen und kommen.
Wie immer die persönliche Lebenssituation ist, wie gelungen oder enttäuschend der gestrige Abend war. Hier gibt es für alle zu schmecken und zu sehen von der Liebe Gottes. Du bist gemeint, du bist geliebt, du bist eingeladen, du gehörst dazu, du bist Teil dieser Familie, bist Gottes Tochter, Gottes Sohn, sein Kind.
Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!
Das ist Weihnachten – und schöner kann es nicht sein, als geliebt zu sein, angenommen, wertgeachtet. Schade, dass Johannes nun auch noch von der Sünde redet. Muss das sein? An Weihnachten? Es hätte so ungetrübt sein können. Ist es aber ehrlicherweise nicht. Bei Alexander nicht. Bei der Gemeinde nicht, an die Johannes schreibt. In unseren Familien und Gemeinden nicht. Doppelt nicht. Missverständnisse bleiben nicht aus. Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Verstehen einander nicht, enttäuschen Erwartungen und Hoffnungen. Machen einander Vorwürfe, gesagt oder verschwiegen. Der Zusammenhalt ist bedroht und brüchig, bleibt an der Oberfläche. Vielleicht wird es nicht laut, wenn man zusammen ist, sondern eher ganz leise, weil man lieber schweigt, als zu streiten und dann wieder seine eigenen, ganz anderen Wege geht. Wie leicht gehen Dankbarkeit und Freude darüber verloren, Gottes Kinder zu sein. Als könnten wir Weihnachten machen oder retten oder sichern. Als müssten wir bestätigen, würdig zu sein, beschenkt zu werden. Wenn es an uns läge und was uns gelingt, nie würde Weihnachten werden. Wie in der Heiligen Nacht in Bethlehem, so wird heute nicht Weihnachten, weil Menschen zielsicher ein großes Fest vorbereitet haben. Es kam, weil er kam und darüber haben sich Menschen gefreut. Menschen, die mit nichts gerechnet hatten, die nicht erwartet hatten, dass sie jemand sieht, sie wahrnimmt, geschweige denn, sie liebt, die waren auf einmal gemeint und mitten drin und voller Freude. Unheile Familien wie Maria, Josef und das Kind. Die doch eine heile Familie wurden, weil sie von Gottes Liebe lebten.
Als Alexander auf grausame Weise seine Mutter verloren hatte, da erinnerte er sich daran, dass sie ihn jeden Morgen vor dem Weg in die Schule mit einem Kreuz auf der Stirn gesegnet hatte. Nachdem sie beerdigt war, ließ er sich taufen. Ich will dazu gehören. Beschenkt werden mit einer Liebe, die mir niemand nehmen kann. Nicht durch Gewalt, nicht durch Sünde und Schuld.
Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!
Amen.
1 I nach der Verfilmung der wahren Begebenheit von Carlos Benede https://www.zdf.de/filme/der-fernsehfilm-der-woche/der-polizist-der-mord-und-das-kind-100.html ausgestrahlt am 11.12.2017 um 20.15 Uhr