Heiligen Geist antrainieren? - Predigt zu 1.Korinther 12,4-11 von Thomas Volk
12,4-11

Heiligen Geist antrainieren? - Predigt zu 1.Korinther 12,4-11 von Thomas Volk

Heiligen Geist antrainieren?

Liebe Gemeinde,

auf das Konzert der Band mit dem besonderen Namen MoZuluArt sind viele gespannt gewesen. Bei der Programmankündigung „Zulu-Music meets Mozart“ habe auch ich mich gefragt: „Wie lassen sich traditionelle Zulu-Klänge mit klassischer Musik, vor allem mit Mozart-Kompositionen, verschmelzen? Wie wird es sich anhören, wenn Sänger aus Südafrika mit einem klassischen Wiener Ensemble musizieren?“

Dann war der Abend da. Das Konzert in der Kirche fast ausverkauft. Am Anfang gespanntes Staunen, wie drei Sänger aus Simbabwe zu klassischer Musik aus Wien mit Violine, Cello und Klavier traditionelle Kompositionen singen und zu einer Einheit werden, die beeindruckt. Als dann einer der drei Sänger nach einer halben Stunde seine Trommel auspackt und den Takt schlägt, sitzt niemand mehr ruhig auf dem Platz. Hände klatschen und schnipsen. Schultern bewegen sich hin und her. Viele möchten am liebsten aufstehen und zu den Klängen tanzen. Aber wer traut sich als Erstes? In einer evangelischen Kirche? In einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt?

Alle bleiben sitzen. Am Ende des Konzerts bedankt sich einer der Sänger für den langen Applaus und fragt in das Publikum hinein: „Wie könnt ihr bei dieser Musik sitzen bleiben? Wir Afrikaner könnten das nicht!“ Darauf ruft einer aus der Zuschauermenge heraus: „Das Sitzenbleiben? Das haben wir über Jahre hinweg eisern trainiert!“

Alle müssen herzhaft lachen. Der Sänger äußert charmant seinen Wunsch, dass er sich sehr freuen würde, wenn das Publikum zum letzten Lied doch aufstehen könnte. Niemand lässt sich das zweimal sagen. Alle tanzen zur Musik und lassen die letzten Lieder zu einem ganz besonderen Moment werden. Diese Musik bringt einfach in Bewegung und es ist großartig.

Das ist eigentlich eine Geschichte zum heutigen Fest. Ganz egal ob wir uns das vorstellen könnten, bei einem Konzert in einer Kirche aufzustehen und uns schwungvoll zu bewegen: Pfingsten will uns auf alle Fälle beweglich machen. An Pfingsten soll auch so manches gelöst werden, was wir uns im Laufe des Jahres oder der Jahrzehnte antrainiert haben, was uns ganz starr und unbeweglich gemacht hat.

Vielleicht ist jemand ganz unbeweglich geworden, weil er nicht über seinen Schatten springen kann.

Das Schielen auf jeden Cent, den man zu viel ausgeben könnte. Das Knausern, obwohl man sich so manches leisten oder anderen gegenüber großzügig geben könnte.

Das viele Saubermachen im Haus, obwohl Bewegung draußen viel besser für den Rücken wäre.

Es allen recht zu machen und nicht „Nein!“ sagen können oder wollen, weil man nicht anecken will und damit jedem Streit aus dem Weg geht, um am Ende gar nicht mehr „man selbst“ zu sein.

Dabei raubt gerade dieses sich ständige Anpassen und Verbiegen alle Lebendigkeit. Wie vieles ist antrainiert, ist uns anerzogen worden und irgendwann kommt man einfach aus seiner fest gewordenen Haut nicht mehr heraus.

Bei manchen ist auch im Glauben vieles starr geworden. Manche spüren gar nicht, dass die Gebete und die Besuche im Gottesdienste einfach keinen Halt mehr geben.

Und wie ist es in der Kirchengemeinde?

Warum kommen zu unseren Gruppen und Kreisen immer weniger Menschen? Weil alle zu Hause vor dem Computer sitzen? Oder sollten wir uns vielleicht mal andere Themen überlegen, andere Musik auswählen oder vielleicht mitreißende Referentinnen und Referenten von außerhalb einladen?

Gottesdienste müssen nicht immer nach dem gleichen Muster mit den immer gleichen Worten abgespult werden. Wir dürfen nach Formen und Inhalten suchen, die uns berühren? Auch die Gottesdienstzeit kann hinterfragt werden. Es muss nicht immer der Sonntagmorgen sein. Man darf auch ruhig mal eine andere Uhrzeit ausprobieren.

Pfingsten ist das Fest, das die Menschen schon damals in Bewegung gebracht und aus aller Erstarrung befreit hat.

Lukas schreibt von einem gewaltigen Wind, der alles durcheinanderwirbelt. Von Feuerzungen, die sich auf jeden der Jüngerinnen und Jünger verteilen, ohne dass jemand verletzt wird. Wie Fenster und Türen aufgerissen werden. Wie die Menschen aufstehen, hinauseilen, und - das ist das größte Pfingstwunder - wie sie andere Menschen bewegen, wie sich am Ende sogar Fremde verstehen.

Deshalb feiern wir jedes Jahr Pfingsten, weil dieses Fest uns erinnert: „Gott möchte dich bewegen. Festgefahrenes soll sich lösen. Durch seinen Geist. Damit du bei anderen etwas lösen kannst.“

Als der Apostel Paulus den heutigen Briefabschnitt geschrieben hat, kann er schon auf manches zurückblicken, was dieses erste Pfingstfest ausgelöst hat. Viele Menschen haben sich damals in Jerusalem taufen lassen. Auch an vielen anderen Orten sind kleine christliche Gemeinden entstanden. Immer mehr Christen wollen ihr Leben miteinander teilen. Sie feiern gemeinsam Gottesdienst. Sie unterstützen sich. Sie beten miteinander (vgl. Apostelgeschichte 2,42).

Pfingsten wird deshalb auch der Geburtstag der Kirche genannt, weil an diesem ersten Pfingstfest in Jerusalem - so schreibt es die Bibel - Menschen in Bewegung kommen. Und mit ihren jeweils besonderen Fähigkeiten, die Gott jeder und jedem einzelnen mitgegeben hat, werden sie Teil eines großen Ganzen.

So schreibt Paulus an die Korinther:

„Es sind verschiedene Gaben;
aber es ist „ein“ Geist.

Es sind verschiedene Ämter;
aber es ist „ein“ Herr.

Und es sind verschiedene Kräfte;
aber es ist „ein“ Gott, der da wirkt alles in allen“ (V.4-6)

Auch deshalb brauchen wir Pfingsten, brauchen wir Heiligen Geist, brauchen wir neue Bewegung in unserem Leben, damit uns die Augen geöffnet werden: „Siehst du nicht, was Gott dir mitgegeben hat? Was dich einzigartig macht? Und was dich, nur dich, auszeichnet? Weißt du eigentlich, zu was du imstande bist, wenn du dich bewegen lässt?“

Natürlich sind wir immer auch darauf geeicht, das andere zu sehen: Das, was uns fehlt. Was wir nicht können. Und bei den anderen merken wir sehr schnell: Die können das besser. Die sind erfahrener. Die sind jünger. Die sehen besser aus. Die sind einfach schlagfertiger.

Schon für die Korinther damals sind solche Äußerlichkeiten wichtig gewesen.

Sie haben auf wortgewaltige Redner in ihrer Gemeinde geschaut, die alleine mit ihrer äußeren Erscheinung imposant gewirkt und somit den Eindruck erweckt haben, als ob sie vom christlichen Glauben eine ganze Menge verstanden hätten, jedenfalls mehr als viele andere.

Es hat Stress gegeben, weil es deshalb Grüppchen gegeben hat, die aufgrund von solchen Äußerlichkeiten sich haben beeindrucken lassen. Keine Frage, dass man solchen Persönlichkeiten mehr abnimmt und mehr glaubt.

Und es hat solche gegeben, die über außerordentliche Gaben verfügt haben. Paulus führt einige davon auf: Der eine kann gute Ratschläge geben, die jemandem wirklich weiterhelfen (V.8a). Eine andere kann eine besondere Einsicht vermitteln, mit dem jemand etwas Entscheidendes aufgeht (V.8b). Jemand wird im Glauben gestärkt und weiß sich Gott ganz eng verbunden(V.9a) und wieder jemand anderes hat die Fähigkeit, Kranke zu heilen (V.9b). Schließlich gibt es die besondere Fähigkeit, Wunder zu tun (V.10a) und wieder jemand anderes kann prophetische Worte empfangen, die wie eine Ansage Gottes zu Missständen in der Zeit klingen (V.10b).

Der Abschnitt des Apostels Paulus aus dem 1.Korintherbrief klingt, als müsste eine Kirchengemeinde heute eine Zukunfts-Visionär-Behörde, Therapiestation, Reha-Zentrum und ein Ärztehaus in einem sein.

Und wer bei dieser Auflistung auf die eigene Kirchengemeinde blickt, wird sofort feststellen, dass es bei uns diese außergewöhnlichen Gaben nicht gibt, jedenfalls nicht in dieser vollständigen Aufzählung.

Und wer im zweiten Moment dann auf die Nachbargemeinde schaut, wird vielleicht sehen: Bei denen ist der Bus beim Seniorenausflug immer voll. Die schaffen es immer, einen Jugendgottesdienst auf die Beine zu stellen. Und dann ist die Verkrampfung schnell da. Alles wird unbeweglich, weil man neidisch wird und der Heilige Geist keine Chance mehr hat zu wirken. Dabei haben alle Gemeinden ein eigenes Profil und es bringt gar nichts, sie zu vergleichen.

Neid ist an Pfingsten völlig fehl am Platz. Weder das Schielen auf andere Menschen, die es besser erwischt haben noch auf andere Kirchengemeinden, in denen scheinbar alles besser und harmonischer abläuft.

Pfingsten ist das wunderbare Fest, das uns verhelfen will, dass wir unseren Wert neu entdecken können. Dazu will der Gottes Geist uns die Augen neu öffnen. Damit wir uns von Äußerlichkeiten nicht blenden lassen und vor allem nicht immer nur vergleichen. Etwa unsere Lebensgeschichte mit denen von anderen messen. Auflisten, wie andere doch bessere Startbedingungen damals gehabt haben. Bejammern, dass die besten Jahre schon hinter uns liegen. Oder auf die Kirchengemeinden schauen, die mehr Geld haben oder von denen öfters Bilder in der Zeitung sind.

Ob man Heiligen Geist antrainieren kann? Nein, denn er weht, wo er will. Aber Pfingsten kann wieder die Verhältnisse zurechtrücken: „Gott hat mir viel mitgegeben. Auf mich kommt es an. Ich werde gebraucht. Ich habe einen Wert.“

Mit diesem Blick können wir auch auf unsere Kirchengemeinde schauen und wir werden entdecken: Überall gibt es Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen, über deren Vielfalt wir nur staunen können:

Menschen, die andere besuchen.
Die den Schaukasten Woche für Woche liebevoll bestücken.
Die anderen eine Tafel zubereiten.
Die zuhören können.
Die Kranke besuchen.
Die Flüchtlingsfamilien Deutschunterricht geben.
Die das Abendmahl im Gottesdienst liebevoll austeilen.
Die sich um bauliche Angelegenheiten kümmern.

Für mich bedeutet gilt das Bild von den vielen Gaben und dem einen Geist, dass es im dritten Jahrtausend nicht mehr nur darum gehen kann, nur auf die eigene Gemeinde zu schauen. Es tut gut, über den eigenen Tellerrand zu sehen, in die Region oder in einen Stadtteil. Wir können anfangen zu überlegen, wo jede einzelne Gemeinde ihren Schwerpunkt setzen kann, die anderen dazu einlädt oder wie wir auch gemeinsam Aufgaben schultern können.

Ganz egal, ob wir beim nächsten schwungvollen Konzert, das wir erleben, aufstehen oder erst dann mitmachen, wenn alle schon stehen - Gottes guter Geist weht nicht nur an zwei Pfingsttagen. Er weht das ganze Leben lang. Und will uns bewegen, damit wir andere bewegen können.

Und die Weite Gottes, die umfassender und höher und um-fangreicher ist als alles was uns in seinen Bann ziehen will, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.