Hier stehe ich - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Dorothee Hermann
Röm 7, 14-25

Hier stehe ich - Predigt zu Röm 7, 14-25 von Dorothee Hermann

Liebe Gemeinde,

vor einem Jahr haben wir groß gefeiert: 500 Jahre Reformation. Inzwischen ist das Verfallsdatum von Lutherbonbons, Lutherlutschern, Lutherkeksen und Luthernudeln abgelaufen, die Luther-Playmobilfigur ist vom Schreibtisch aufs Regal oder in die Spielkiste gewandert. Doch die Luthersocken ziehe ich immer wieder gerne an.

„Hier stehe ich und kann nicht anders" heißt es darauf. Ich weiß, dass dieser Satz mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht von Luther stammt. Dennoch gefällt mir die Luther-Socken-Idee. Standhaftigkeit war ja eines der Anliegen der Reformation. Standhaftigkeit im Glauben, Eindeutigkeit. Was ich sage und tue, soll sich an meinem Glauben an Christus messen und davon erzählen. Luthers reformatorische Gedanken bleiben wichtig, auch nach dem Jubiläum.

Ich ziehe die Socken an, spüre ihre Wärme. Heute möchte ich eindeutig mein Christsein leben. Ich habe Lust, mich in den Begegnungen und Aufgaben des Tages am Leben Jesu zu orientieren. Heute wird es klappen!

Ich kenne die zehn Gebote, das Gebot der Nächstenliebe. Ich bin fasziniert von Jesu Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen, ihre Sehnsucht zu erkennen und ihnen neue Lebensmöglichkeiten zu öffnen. Wenn viele das auch so machen oder wenigstens versuchen würden – wie einfach könnte Leben sein, wie gerecht und gut, leicht und voller Freude.

Das Telefon klingelt. Eine Freundin ruft an. Ihre Stimme zittert. „Kommst du heute mal vorbei? Nur ganz kurz. Das wäre schön." Das hatte ich nicht eingeplant. „Vielleicht", sage ich. Und denke: Wie soll das gehen? Ich werde es nicht schaffen. Hier stehe ich und kann nicht anders. Wenn das doch sein einfach wäre.

Warum fällt es mir so schwer zu tun, was mein Herz mir sagt, was dran wäre in Jesu Sinn?

Frustriert möchte ich die Socken wechseln. Ich habe ja doch keine Chance. Ich weiß, was ich tun sollte, doch fast immer kommt was dazwischen. So oft mache ich es anders als ich will.
Doch halt. Könnte es sein, dass der Widerspruch zwischen dem, was ich will und dem, was ich tue, zum Leben als Christ, als Christin dazugehört, unvermeidlich ist? Schließlich bin ich nicht die Erste mit diesen Fragen. Schon der Apostel Paulus kannte sie. In seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom denkt er intensiv darüber nach. Später werden seine Überlegungen Grundlage der reformatorischen Erkenntnisse Martin Luthers.

Ich lese den Predigttext aus dem 7. Kapitel des Römerbriefs:
14 Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.
15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich.
16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist.
17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht.
19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
21 So finde ich nun das Gesetz: Mir, der ich das Gute tun will, hängt das Böse an.
22 Denn ich habe Freude an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen.
23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Verstand und hält mich gefangen im Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.
24 Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem Leib des Todes?
25 Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn! So diene ich nun mit dem Verstand dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde.

„Kommst du heute?" Ich weiß, dass ich kommen sollte.

Ich weiß so oft, was ich tun sollte, wie ich leben sollte: Wie ich gesund leben kann, wie ich mich für eine gerechtere Welt einsetzen und wo ich mich einmischen sollte und wo nicht. Ich weiß etliches über Beziehungen und wie sie gelingen könnten. Und doch klappt es oft nicht. Ich sündige und weiß davon.

Paulus schildert die Sünde wie etwas, das in ihm sitzt und gegen das er keine Chance hat.
Ich brauche mich also gar nicht anzustrengen. Ich werde ja doch immer wieder scheitern. Vielleicht wäre es sogar besser, das Gesetz Gottes gar nicht zu kennen. Denn erst wenn ich ein Gespür, eine Ahnung von Gottes neuer Welt habe, leide ich darunter, dass sie noch nicht da ist.

„Nein, so nicht!" höre ich Paulus sagen. Gott will, dass wir sein Gesetz erfüllen. Gott will, dass es allen seinen Geschöpfen gut geht. Wir scheitern, immer wieder. Doch: Uns daran gewöhnen, abstumpfen, ist nicht sein Wille. Gott ruft jede und jeden beim Namen, ruft jede und jeden in der Taufe als einzigartigen Menschen. Ruft uns in die Nachfolge Jesu Christi, in seine Spuren. Gott möchte, dass wir uns an seinem Gebot orientieren, so dass unser Leben gelingt.
Paulus stellt sich der Zerrissenheit, seiner Unfähigkeit, dieses Gebot zu erfüllen. Er wendet sich an Gott. Nur Gott, der Schöpfer des Gesetzes, kann in dieser komplizierten Zwickmühle helfen. Paulus ruft, schreit: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen?"
Es ist, als ob sich im Rufen schon die Antwort öffnet:

Paulus jubelt: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!"

Christus kann mich erlösen. Christus verwandelt die Zerrissenheit in Frieden. Ich bin ein Kind Gottes – so wie ich bin. Mit meinen Irrwegen und Umwegen und Fehlern und Schwächen. Und mit all dem guten Willen. Mit Kopf und Herz, Geist und Körper. Christus macht, dass ich vor Gott bestehe. Allein aus Gnade.
Martin Luther fasste das wie eine Formel zusammen: Simul iustus et peccator. Zugleich gerecht und Sünder. Als getaufte Menschen, als solche, die zu Christus gehören, sind wir nicht nur Sünder, sondern gleichzeitig Gerettete.
Als sündige Menschen tut der Zwiespalt zwischen Wollen und Tun weh. Als Gerettete und Befreite setzen wir uns immer neu dafür ein, dass unser Wollen zum Tun des Guten führt – mit Gottes Hilfe.

Am nächsten Tag gehe ich bei meiner Bekannten vorbei. Ihre Tochter ist seit Kurzem ein Krabbelkind. Das öffnet der Kleinen neue Möglichkeiten. Kaum ist sie einen Moment unbeobachtet, robbt sie schon auf die nächste Schublade in Greifhöhe zu. Verschämt, verschmitzt, mit einem Lächeln, schaut sie sich nach der Mama um. Sie weiß, dass sie jetzt was Verbotenes machen wird. Sie weiß, dass sie die Schublade nicht ausleeren darf. Es geht ganz schnell. Ich räume Fadenrollen, Knöpfe, Strickzeug wieder zurück, nehme die Kleine auf den Arm. Wir lachen. Ich gebe ihr einen Kuss.

Jeden Tag darf ich aus Gottes Gnade neu anfangen. Jeden Tag darf ich neu für Gerechtigkeit einstehen, und versuchen, Gottes Willen ins Leben zu bringen. Ein riskantes Unterfangen, doch ich darf Fehler machen. Denn: Meine Fehler sind nicht das Letzte. Gott selbst wird alles Recht machen, auch mit mir.

Dazu stehe ich und kann nicht anders.

Dank sei Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn!

 

Amen

 

Gebet:

Gott, du hast uns gesagt, was gut und was böse ist.

Wir wünschen uns, dass wir das Gute tun und das Böse lassen. Wir möchten, dass das Gute über das Böse siegt. Doch unsere Möglichkeiten sind klein. Wir sind oft schwach und tun das Falsche.

Wir bitten dich: Lass uns nicht nur auf unsere Fehler achten, sondern auch sehen, was gelingt. Gib uns Mut, im Vertrauen auf deine Gnade jeden Tag neu anzufangen und dir zu überlassen, was wir nicht schaffen.