Jesus erhebt das Schwert - Predigt zu Matthäus 10, 34-39 von Prof. Dr. Reinhold Mokrosch
10,34-39

Jesus erhebt das Schwert - Predigt zu Matthäus 10, 34-39 von Prof. Dr. Reinhold Mokrosch

  1. Ein erschreckender Text

„Brutal! Schrecklich! Grässlich! Widerwärtig!“ reagierte mein atheistisch gesonnener Freund, als ich ihm diesen Text vorlas. „Da sieht man’s mal, dass auch Euer angeblich so friedlicher Jesus ein Spalter gewesen ist! Wie alle Religionsverkünder und Religionsgründer! Wiederhol noch mal: Was sagte er?“ Ich wiederholte: ‚Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert!‘

„Sieh mal an“, wütete er, „Sicher wirst Du gleich beschwichtigen: Damit ist ja kein reales Schwert gemeint, sondern das ‚Schwert der Zunge‘ oder gar noch das ‚Schwert der Wahrheit‘! Egal! Jesus spaltete die Familien, denn - wie heißt es dann noch weiter im Text?“  Ich zitierte: ,Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter!‘  „Und dann ging’s doch noch weiter! Lies mal weiter!“  Ich rezitierte: ‚Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer Sohn und Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert! ‘  „Und noch weiter?“ Ich las den letzten Vers: ‚Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden! ‘

„Grauenhaft!“ wiederholte mein Freund; „Grässlich, brutal, widerwärtig!“ Er ließ nicht locker. „Weißt Du was, woran mich das erinnert? Ich will’s Dir vorlesen.  Er nestelte auf seinem Handy herum. Einige Minuten vergingen. Dann legte er los:

„Ihr alle seid Kinder Gottes, Children of God! Ihr seid hierher gekommen in unser Gemeinschaftszentrum, in Eure neue Welt, um Euer altes Leben abzulegen und ein neues Leben zu führen! Nehmt die Lehren Eures Heilands Moon an! Liebt ihn, sucht ihn. Wenn Ihr um seinetwillen Euer altes Leben aufgebt, dann werdet Ihr ein neues Leben finden.  -  Brecht alle Brücken zu Euren Familien ab. Wenn Ihr Euch mit Euren Eltern und Schwiegereltern um meinetwillen entzweit, dann seid stolz darauf. Ihr könnt nicht Vater und Mutter lieben und gleichzeitig mich, Euren neuen Heiland!“

Ich erstarrte. „Von welcher Sekte stammt denn das?“ fragte ich erschrocken. „Von der Moon-Sekte, den Children of God“ antwortete mein Freund brav und heimlich triumphierend.

  1. Abmilderungsversuche

Ich stehe, ehrlich gesagt, vor einem Scherbenhaufen. Ich will nichts und kann nichts beschönigen. War Jesus Christus nicht nur ein Friedensstifter, sondern auch ein brutaler Spalter? Oder war er gar ein Revolutionär? Wollte er bewusst Streit und Krieg in die jüdischen Familien bringen? Oder war das nur Matthäus, der diese Worte Jesus in den Mund legte? Wie können wir mit diesem Text fertig werden?

Es hat viele Versuche gegeben, ihn abzumildern, wie mein atheistischer Freund bereits erahnt hat:

  1. Der erste Versuch sagt aus, dass nicht die Jünger und wir Christen das Schwert ziehen und gebrauchen sollen, sondern dass das Schwert gegen uns gerichtet ist. Christen mit ihrer Ethik der Feindesliebe und ihrem Glauben an Gottes Nahes Reich werden verfolgt. Sie müssen leiden, - oft sogar das Schwert erleiden.
  2. Der zweite Versuch, Jesu Rede abzumildern, redet vom Geistlichen Schwert, das unseren inneren Kampf zwischen Fleisch und Geist führen soll. Wir müssten, so erwartet es Jesus Christus von uns, uns immer wieder nötigen, den Feind zu lieben, nicht zu verurteilen und auf Gottes Nahes Reich zu vertrauen. Und dazu bräuchten wir ein Geistliches Schwert, um unseren inneren Widerspruch zu überwinden.
  3. Ein dritter Versuch interpretiert „Mutter und Schwiegermutter“ symbolisch, nämlich als jüdische Synagoge. Jesus wollte sagen: Vom jüdischen Glauben und von der jüdischen Synagoge müsse man sich trennen. Mit den Feinden des Christentums kann es keinen Frieden geben.
  4. Schließlich meinten – viertens – einige, dass Jesus mit dem Satz „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen“ zum Ausdruck bringen wollte: „Ich bin nicht der erwartete Friedensfürst“. Ich bin nicht die Erfüllung der jüdischen Erwartungen.

Wir können es nicht ausschließen, dass einige dieser vier Abmilderungsversuche tatsächlich zutreffen: Jesus sagt Verfolgungen durch das Schwert voraus. Oder: Jesus ruft zum inneren Kampf mit einem Geistlichen Schwert auf. Oder: Mutter, Schwiegermutter usw. sind symbolisch zu verstehen. Oder: Jesus lehnt die Rolle eines Friedensfürsten ab. Es mag sein, dass einige dieser vier Interpretationen zutreffen.

  1. Matthäus sieht Jesus in der Endzeit

Aber ich verstehe es anders: Matthäus sieht, so meine ich, seine eigene Gemeinde nämlich in der Endzeit. Der endzeitliche Kampf zwischen Gott und Teufel hat begonnen. Und: Der Messias steht vor der Tür. Dazu kam, dass die jüdische Tradition besagte, dass es z.Zt. der Ankunft des Messias Spaltungen und Konflikte in den Familien und in der Gesellschaft geben werde.  

Genau diese Erfahrungen machte die Gemeinde von Matthäus reichlich: Ihre Glieder wurden von jüdischen Behörden verfolgt; und die Familien zerstritten sich, weil sich einige ihrer Mitglieder der neuen christlichen Sekte angeschlossen und von der Synagoge Abstand genommen hatten.  Das war im Orient besonders bitter, da dort die Familienbande viel enger waren als bei uns heute. Wenn da eine Familie zerbrach, dann war das eine apokalyptische Katastrophe.

Jesus hatte sich ja selbst von seiner Familie getrennt. Als seine Mutter und seine Geschwister vor der Synagoge standen, während er drinnen lehrte, da machten ihn einige darauf aufmerksam, dass seine Familie draußen wartet: „Deine Mutter und Deine Geschwister warten draußen auf Dich“.  Aber Jesus antwortete nur abweisend: „Wer sind meine Mutter und meine Geschwister? Ihr seid meine Mutter und meine Geschwister!“ (Mk 3,31-35) 

Und als Zwölfjähriger entschwand er seinen Eltern, die tagelang nicht wussten, wo er abgeblieben war. Sie suchten ihn drei Tage, bis sie ihn im Tempel fanden. Und auf die Frage der erschrockenen und erschöpften Mutter, warum er so lange weggeblieben sei, antwortete er nur: „Wisst Ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ Er hatte sich schon früh von seiner Familie getrennt. (Lk 2, 41-52) Jesus selbst hatte eine Spaltung seiner Familie in Kauf genommen.

Warum? Weil die Endzeit angebrochen war. Und da ging es um das Bekenntnis zur Wahrheit, welches immer Streit und Konflikte hervorruft, zumal in der Endzeit.

  1. Auch Martin Luther fühlte sich in der Endzeit und provozierte familiäre u.a. Konflikte

Vor wenigen Tagen haben wir den 500. Reformationstag begangen. Ich fragte mich den ganzen Tag: Hätte auch Martin Luther diese Sätze sprechen können „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert! Der Vater wird sich vom Sohn, die Mutter von der Tochter trennen. Familien werden zerreißen!“ Er hatte sich ja selbst von seinem Vater getrennt, als er gegen dessen Willen Mönch wurde. Und er nahm es in Kauf, dass auch andere Familien aufgrund seiner neuen Lehre zerbrachen. Er fühlte sich – wie Matthäus – in der Endzeit. Außerdem: gegen die Bauern, gegen die sog. Wiedertäufer und gegen die Juden hatte er staatliche, obrigkeitliche Gewalt befürwortet. Der Fürst dürfe und solle gegen Bauern, Täufer und Juden Gewalt anwenden, diese aber nicht gegen die Fürsten, - so lautete sein mittelalterliches Obrigkeits-Credo.

Trotzdem vermute ich: Er hätte diese Sätze nicht im realen Verständnis des Schwertes gesprochen. Die Wahrheit, - z.B. dass jeder durch Gottvertrauen, nicht aber durch Bußübungen gerecht und gut werde -, solle man, so Luther, allein mit dem Wort und nicht mit dem Schwert bezeugen. Insofern hätte er wohl von einem „inneren, geistlichen“ Schwert des Wortes reden können, das Christen gegen sich selbst, aber auch gegen werkgerechte Falschgläubige führen sollten; nicht aber von einem realen Schwert.

Aber man hätte diese Sätze im Realsinn Luther in den Mund legen können. Denn Kriege hat die Reformation hervorgebracht.  Kriege – die allerdings nicht um der Wahrheit, sondern um der Macht willen geführt wurden. Und das widersprach Luthers Reform des Glaubens und der Kirche vollkommen.

Nein,  Luther ging es um die Wahrheit des Evangeliums, nämlich, dass Gott uns gut und gerecht macht und dass nicht wir selbst uns gut und gerecht machen. Luther hätte, trotz Endzeit und Apokalypse, diese Sätze nur im Sinne eines „Geistlichen, inneren“ Schwertes sprechen können.

  1. Für die Wahrheit muss gekämpft und gestritten werden

Mit Blick auf Luther kann ich diese erschreckenden Sätze Jesus Christi im Matthäus-Evangelium deshalb auch nur als Bekenntnis verstehen, dass wir für das Evangelium kämpfen und streiten sollen. Es gibt Streit, wenn wir meinen, dass der Feind geliebt und nicht bekämpft werden soll. Es gibt Streit, wenn wir uns für Gewaltlosigkeit einsetzen. Es gibt Streit, wenn wir uns nicht nur für Nächsten- sondern auch Fernstenliebe einsetzen. Es gibt Streit, wenn wir uns gegen Obergrenzen und für eine friedliche Integration friedlicher (!) Flüchtlinge einsetzen. Es gibt Streit, wenn wir uns für die Gottebenbildlichkeit auch des Verbrechers einsetzen. Und es gibt Streit, wenn wir uns für kritische (!) Toleranz auch gegenüber uns fremden Religionen einsetzen.

Ich sehe keine andere Möglichkeit, als Jesu Worte in diesem Sinn eines Kampfes und Streites um des Evangeliums willen einsetzen. Dafür gibt Gott uns den Geist Jesu Christi, der bis zum Tod für das Reich Gottes gekämpft und gestritten hat.

Der Friede Gottes – ohne jegliches weltliche Schwert -, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.  Amen