"Kann es noch etwas Neues geben?" - Predigt über Jesaja 40, 1-11 von Sibylle Reh
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"Kann es noch etwas Neues geben?" - Predigt über Jesaja 40, 1-11 von Sibylle Reh

Kann es noch etwas Neues geben?
Liebe Gemeinde, kann es noch etwas Neues geben?
Manch einer ab 40 würde das verneinen, sagen: „Nein, ich renne wie ein Hamster im Hamsterrad herum, alles wiederholt sich endlos. Geburtsnachrichten, Todesnachrichten, Katastrophenmeldungen, Bundestagswahlen, Geburtstagsfeiern, Weihnachtsfeiern, Lindenstraße, Tatort…: Ich will hier raus!“
Kennen Sie den Film: „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (von 1993)?
Ein griesgrämiger, schlecht gelaunter, zynischer Journalist ist für eine Reportage zum Drehen in eine Kleinstadt in den Bergen gekommen. Er findet dort alles furchtbar, die Geschichte, wegen der er kommt, ein Murmeltier, das am 2. Februar den Frühlingsbeginn voraussagt, findet er lächerlich, die Menschen in der Stadt provinziell. Und dann bleibt er noch wegen eines Schneesturmes dort hängen und kommt nicht weg. Dann passiert etwas Merkwürdiges: Als er am nächsten Morgen aufwacht, ist nicht etwa der nächste Tag, nein, er wacht am Morgen dieses einen für ihn nervigen Tages, des 2. Februars, wieder auf. Und auch an allen folgenden Tagen, egal was er am Vortag getan hat, wenn am nächsten Morgen der Radiowecker in seinen Hotelzimmer angeht, ist nicht der nächste, sondern immer wieder derselbe Tag, der 2. Februar, Murmeltiertag. Er versucht wirklich alles, was ihm einfällt, Zeit hat er ja genug: das Murmeltier zu klauen, Selbstmord zu begehen, die Frau zu erobern, mit der er am ersten Tag erfolglos geflirtet hat, zu verhindern, dass an diesem Tag jemand stirbt. Aber was den Tag über auch geschieht, immer wenn morgens der Radiowecker angeht ist, wieder derselbe Tag, der 2. Februar, Murmeltiertag. Er weiß allmählich genau, was irgendwo in der Stadt passiert, wo er was zu tun hat, um Menschen zu helfen, er repariert eine Reifenpanne, bevor der Autofahrer sie bemerkt. Es dauert lange, bis er anfängt, die Menschen um ihn herum zu lieben und selber liebenswerter zu werden, bis endlich für ihn der nächste Tag anbricht, der 3. Februar.
Ich denke, dieser Film ist deswegen so erfolgreich gewesen, weil dieses Festhängen an ein und demselben Kalendertag so ein gutes Bild für das Leben in festgefahrenen Bahnen abgibt. Oder eher stellt es ein Bild für eine negative Vorstellung von der Welt dar. Der Titelheld hat, was viele sich wünschen: das ewige Leben, er wird nicht einmal älter oder krank, und dennoch, er will nichts als da heraus.
Aber wie das im Leben so ist, wer das Gefühl hat, nicht festzuhängen, sondern gerade das Gegenteil, den Eindruck, alles ändert sich, und es ändert sich viel zu schnell, der ist auch nicht gerade glücklich. Als das Volk Israel nach der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei sich plötzlich in der Wüste wiederfand, da wünschte sich noch manch einer lange Zeit: „Ach wären wir doch bei den Fleischtöpfen Ägyptens geblieben.“ Parallelen zur Situation bei uns heute mag ein jeder selbst ziehen…
Schnelle Änderungen erschrecken, besonders, wenn sie unerwartet kommen. Auch wenn sie nicht erschrecken, du bringen sie durch aus oft eine Menge Trubel: Die Ankunft eines heiß ersehnten Kindes in einer Familie zum Beispiel stellt das ganze bisherige Leben der Familie auf den Kopf.
Jesaja ist nun ein Bote Gottes, der das Volk Israel nach einer langen Zeit des Festhängens im Exil auf eine Veränderung einstimmen soll.
Unser Predigttext ist der Beginn des zweiten Teils des Jesaja-Buches. Hier spricht ein Prophet in einer anderen Situation als im ersten Teil des Buches.
Im ersten Teil trat der Prophet in Jerusalemgegen Ende des 8. Jahrhunderts vor Christus auf. Damals war bereits das Nordreich Israel, das etwa das Gebiet von zehn der der zwölf Stämme Israels umfasste, von den Assyrern erobert, und ein großer Teil der Bevölkerung in die Verbannung geführt worden, von ihnen hat man nie wieder etwas gehört.
Geblieben war in der Zeit von Jesaja der Staat Juda, ein kleiner Staat, dessen Gebiet größtenteils Gebirge und Wüste war, der aber nach wie vor von einem Nachkommen Davids regiert wurde. Jesaja warnte die Bevölkerung Judas vor einem ähnlichen Schicksal, wie es das Nordreich Israel hatte. Es scheint aber, dass Gott Erbarmen hatte, zwar nicht der gesamte Staat Juda blieb erhalten, aber ein kleiner Rest um Jerusalem herum blieb noch etwas mehr als 100 Jahre lang selbstständig. In diesem kleinen Staat treffen nun die Traditionen aller Priester- und Prophetenschulen aus ganz Israel zusammen. In dieser Zeit gewann die Vorstellung von der Besonderheit Jerusalems ihre Bedeutung. Zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus wurde Jerusalem dann von den Babyloniern eingenommen, und ein großer Teil der Bevölkerung wurde ins Exil nach Babylon geführt. Im Exil ging es den Juden zum großen Teil nicht schlecht. Auch die jüdische Religion lebte dort weiter. Viele Teile der Bibel entstanden dort, andere erhielten hier ihre endgültige Form. Die meisten lebten nicht schlecht in Babylon, jedoch blieb die Sehnsucht nach Jerusalem, auch wenn sich im Exil die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass der biblische Gott überall verehrt werden kann und auch seinem Volk überall helfend zur Seite steht.
Gegen Ende der Exilzeit trat nun ein Prophet auf, dessen Worte auch im Jesajabuch überliefert sind. Die moderne Wissenschaft hat ihm einen schwer auszusprechenden Namen gegeben, die jüdische Tradition nennt ihn „Jesaja den Tröster“: ein Name, der zu seinem Programm passt, denn in diesem Teil des Jesajabuches sind viele Trostworte überliefert. Der Prophet scheint einem Volk gegenüberzustehen, das sich zwar einerseits nach Freiheit und nach Jerusalem sehnt, aber andererseits schon in der zweiten und dritten Generation im Exil lebt und sich da ganz gut eingerichtet hat. Dieses Volk bereitet er nun auf die Rückkehr nach Juda vor.
Er tut das mit so starken Worten, Worten, die auch nach 2500 Jahren nichts von ihrer Kraft verloren haben. Ich lese die Verse, die für den heutigen Sonntag als Predigttext vorgeschlagen sind, noch einmal, weil sie einfach so schön sind:
Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott.2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.
  3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden;5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet.
  6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk!8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
  9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott;10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.
Was kann ich als Predigerin diesen Worten noch hinzufügen? Sie sprechen für sich. Das Hereinbrechen Gottes in den Alltag des Exils wird angekündigt, so klar, dass auch wir, die wir zwar nicht im Exil, jedoch jenseits von Eden leben, ihre Kraft spüren.
Anders als in dem Film, den ich zuvor erwähnt habe, wird die Befreiung hier allerdings von Gott geschenkt, sie muss nicht verdient werden. Gott führt sein Volk nach Hause wie ein Schäfer seine Schafherde. Alle Menschen, die der Heimkehr entgegenstanden, vergehen, wie auch diejenigen, die die einst aus Jerusalem weggeführt wurden, längst gestorben sind.
Die Ankunft Christi an Weihnachten löst für uns Christen die Versprechen Jesajas ein. Zeichenhaft wird Gottes neue Welt durch das Kind in der Krippe sichtbar. Das Kind in der Krippe ist ein Zeichen für das Aufbrechen des Alltags. Das Aufbrechen kann ersehnt und erhofft sein, erschreckend ist es doch. Darum brauchen wir beim Warten und beim Eintreffen von Erwartungen den Trost Gottes, übermittelt durch Jesaja den Tröster.
Perikope
Datum 16.12.2012
Bibelbuch: Jesaja
Kapitel / Verse: 40,1
Wochenlied: 10
Wochenspruch: Jes 40,3.10