Kanzelgedanken eines Schwermütigen - Predigt zu Lukas 5,1-11 von Stefan Henrich
5,1-11

Kanzelgedanken eines Schwermütigen - Predigt zu Lukas 5,1-11 von Stefan Henrich

Kanzelgedanken eines Schwermütigen

Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze.

Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.
Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.
Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken.
Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten.
Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Liebe Gemeinde,

Sonntag morgens, fünf vor zehn: die Glocken läuten, die Kirchentüren stehen offen, kaum einer tritt ein.
Wenn jetzt nicht noch ein Bus kommt, denkt der Pastor und begrüßt die Gemeinde doch freundlich mit den Worten Jesu: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Eine Kirchenvorsteherin liest den Wenigen in den Bänken die Geschichte von dem wunderbaren Fischzug des Petrus als Evangelium und Predigttext, als gute Botschaft.
Dem Pastor wird weh zumute, als er hört: Eine große Menge drängt zu Jesus, um das Wort Gottes zu hören.
Er wünscht sich dabei gewesen zu sein an jenem Anfang, als Jesus sich das Fischerboot zur Kanzel macht und Simon den Fang seines Lebens fischt.
Trübe Gedanken umspülen diese Sehnsucht.
Hat er selber nicht dem Simon Petrus gleich auch die ganze Nacht gearbeitet? Die Nachbarn wissen immer zu erzählen, dass das Licht im Arbeitszimmer am Samstagabend vor der Predigt lange leuchtet.
Nur an Erleuchtung fehlt es ihm. Unzufrieden ist er mit der Predigt. Hölzern und wenig inspiriert kommt sie ihm vor, als er sie vorträgt auf der Kanzel. In seinem tiefsten Herzen kann er ganz gut verstehen, dass die Leute nicht in Scharen gekommen sind. Er fragt sich, ob er sich selber zuhören wollte, sonntags morgens um zwanzig nach zehn?
Vor der Antwort drückt er sich, fragt sich aber, was ist denn mit den Liedern und den Gebeten und der Gemeinschaft? Und wir haben öfter auch mal Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst, das ist doch immer ganz schön.
Seine Frau sagt immer, er habe zur Zeit wohl eine ausgesprochene Midlife-Crisis. Andere sprechen von Burnout, jetzt aber plagt ihn eine Schwitzattacke oben auf der Kanzel.
O Je, denkt der Pastor, die Schwiegermutter des Simon Petrus hatte auch Fieber gehabt und Jesus war zu ihr eingekehrt und hatte das Fieber vertrieben. In Simons Haus war das passiert.
Jesus und  Petrus  hatten sich vermutlich von daher schon gekannt, bevor sie sich wieder begegnen an jenem Morgen am Strand bei den Schiffen vor den leeren Netzen.
Jetzt aber blasen Petrus und seine Kollegen Trübsal, während sie die Netze säubern von dem Schmutz der See. Die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen, da fangen andere Glocken an zu läuten. Existenznot und Hunger heißen die, kein schöner Morgen ist das.
Andere Leute kommen, Strandgänger. Was oder wen suchen die? Sie finden Jesus. Der bittet Simon, ihn ein wenig hinauszufahren auf seinem Boot.
Von Boot aus predigt er den Vielen. Ach, denkt der Pastor, die Kanzel hat was. Jesus sitzt wahrscheinlich im Bug des Schiffes, lässt sich von den Wellen schaukeln, über ihm die Weite des Himmel, vor ihm der Strand. Bilder von Urlauberseelsorge, inszenierten Piratenfahrten und Strandgottesdiensten tauchen auf vor des Pastors inneren Augen.
Jetzt aber kämpft er sich weiter durch seine Predigt, die ganz bei Petrus gelandet ist.
Dem fühlt er sich nah, so viel vergebliche Mühe in der Nacht und kaum noch Kraft jetzt am Tag.
Was aber sagt Jesus ihm? Fahr hinaus auf die Tiefe.
Es ist, als sei das ein Sinnbild für das Leben schlechthin: Gib nicht auf, schürfe tiefer, fische frischer, verlass dich nicht auf eigene Weisheiten, vertraue dich jemand anderem an.
Natürlich, Jesus hat einen Vertrauensvorschuss gehabt. Mit der Schwiegermutter hatte das ja auch geklappt, und Versuch macht klug, so denkt der Pastor, dass Petrus vielleicht gedacht haben könnte.
Was aber, wenn Petrus gedacht hätte, dieser Jesus ist doch nur eines Zimmermannes Sohn und ansonsten ein Klugschwätzer? Ich selber weiß, wie man fischt und da lass ich mir nicht dreinreden. Ja, wenn Petrus so gedacht hätte, dann wäre es wohl nichts geworden mit erstens reichem Fang und zweitens mit der Kirche.
Denn, und das sagt der Pastor auch auf seiner Kanzel im Kirchenschiff, dieses Fischerboot auf dem See Genezareth, das war die erste Kirche, die zur Freude Gottes sich gründete.
Im wahrsten und positiven Sinne des Wortes neugierige Ohren hören Worte Jesu, welche die Herzen erreichen. Strandläufer und erfolglose Fischer hören, was Gott zu sagen hat durch Jesu Mund. Auch wenn leider kein Wort der Predigt Jesu überliefert ist, eines weiß der Pastor: So viel bewirkt die Predigt, dass mindestens einer einen neuen Anlauf nimmt, dem Mangel seines Lebens abzuhelfen. Mit Jesu Hilfe, das ist genaugenommen das Hören und Befolgen seines Wortes, gelingt das.
Petrus macht den Fang seines Lebens. Die eben geflickten Netze reißen, die zur Hilfe herbeigekommenen Boote schaukeln bedrohlich ob der Menge des Fanges, all das ist mit Sinnen und Verstand nicht zu fassen.

Petrus geht in die Knie, Schrecken und Furcht werden zum tiefen Graben, in dem er zu versinken droht. Ein weiter Sund tut sich auf zwischen ihm und Gott. Ich bin ein sündiger Mensch, der über diesen Graben nicht springen kann, du aber kommst zu mir.
Was für eine Erkenntnis auf der Tiefe des Wassers! Und daraufhin lösendes Wort Jesu, seit jeher Gottesbotenformel dem Menschen zugut: Fürchte dich nicht!
Jesus traut Petrus schlussendlich uranfänglich Großes zu. Du, Petrus, wirst Menschen für Gott und seine Güte begeistern. Von diesem wunderbaren Fischzug an wirst du Menschen fangen, damit du das Gefängnis ihrer Seelen aufbrichst und sie glücklich machst als Kinder Gottes, die glauben, hoffen und lieben gegen alle Not der Welt gegen an.
Der Pastor denkt angesichts der Menschenfischerfangworte unwillkürlich erschüttert an die übervollen Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer. Hier sind Menschen in Todesgefahr gefangen, die von verbrecherischen Menschenschleppern und Schleusern erst um ihr Erspartes gebracht und dann auf todesgefährliche Fahrt geschickt werden.
Die Menschenfänger und Menschenjäger im sicheren Hintergrund sind das zerstörerische Zerrbild dessen, wozu Petrus beauftragt ist. Petrus stünde wohl auf den Seiten der Fischer, die als Sea-Watchleute sich aufmachen, um den Flüchtlingen zu helfen sicher an die Küsten Europas zu kommen zu neuem Anfang und neuem Leben , nachdem das vorherige zusammengebrochen ist unter Krieg, Vertreibung oder existentieller Not.
Der Pastor spürt, wie nah der Text geht, mitten hinein in die Tiefe des Lebens. Bevor er die Kanzel verlässt, sagt er: Jesus ist gekommen die Fülle des Lebens zu bringen (Joh. 10,10) den Fernen und den Nahen.
Am Ausgang bedankt sich eine der Getreuen bei ihm für die Predigt. Er habe so  müde gewirkt und doch sei im Widerschein seiner Anstrengung ein anderer Geist zu spüren gewesen. Das war  petrus- und christusnah, sagt sie, und doch authentisch.

Der anschließende Kaffee war heiß und gut.

Amen

 

Anmerkung: In der Predigt klingt auch titelmäßig an die Auslegung zur Stelle in dem wunderbaren wiederentdeckten Kommentar von Helmut Gollwitzer, Die Freude Gottes. Einführung in das Lukasevangelium, 9. Auflage 1979, Burckhardthaus-Laetare Verlag, Gelnhausen u.a., S.68ff.