Leben „ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt“ sein, das macht Demut aus – Predigt zu 1.Petrus 5,5-11 von Dieter Koch
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Leben „ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt“ sein, das macht Demut aus – Predigt zu 1.Petrus 5,5-11 von Dieter Koch

Liebe Gemeinde,

die gehörten Worte aus dem 1. Petrusbrief bilden den Schlusspunkt einer groß ausgeführten Einweisung in die christliche Demut, formuliert in einer Situation schwerer, wenn nicht allerschwerster Verfolgung. Gesellschaftliche Ausgrenzung zeichnet das Leben der Gemeinde: Marginalisiert, an den Rand gedrängt, vielfach verleumdet und von Richter und Henker bedroht. So leben zu müssen zehrt an den Nerven der Glaubensfamilie.
In dieser Lage mahnt der Verfasser des 1. Petrusbriefes zur Demut und erinnert an den Grund der wahren Demut: die Demut Christi. Folgt nicht der Rache, gebt dem Zorn keinen Raum, haltet still, bleibt ruhig und einander zugetan. Jetzt ist die Zeit des Wartens, einst wird die volle Zeit des Jubels sein – so lassen sich seine Worte umschreiben. Übergebt euch nur Gott, lasst ihn nur walten.
Wie kann man die Schmähungen aushalten, wie im Schmerz durchhalten, ohne nicht innerlich von Eifer und Vergeltungssucht zerrieben zu werden? Allein, wenn die Demut uns trägt, die Demut uns Form gibt!
Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.

Doch was bedeutet uns Demut? Uns, die wir zumindest in Westeuropa als Christen frei leben können, wohl wissend, dass an anderen Orten dieser Welt Christen schweren Verfolgungen und noch schwereren Verleumdungen ausgesetzt sind.
Demut, die in der Demut Christi gründet, ist eine überaus wertvolle Gabe. Demut zu leben, ist eine Lebensaufgabe und zugleich ein geistiges Geschenk.
Doch was ist Demut? Lassen Sie uns heute der Demut in drei Szenen, einem Gedanken und der darin liegenden Botschaft etwas Raum geben.


Demut – die 1. Szene (entnommen Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ nach der Taschenbuchausgabe Frankfurt 1964, 720.Tsd. 1989):
Wir schreiben den 5. April 1453. „Wie eine plötzlich vorgebrochene Sturmflut überschwillt eine unübersehbare ottomanische Armee die Ebene von Byzanz bis knapp an dessen Mauern. An der Spitze seiner Truppen, prächtig gewandet, reitet der Sultan, Mahomet der Türke, um sein Zelt gegenüber der Lykaspforte aufzuschlagen. Aber ehe er die Standarte vor seinem Hauptquartier sich im Winde bauschen lässt, befiehlt er, den Gebetsteppich auf der Erde zu entrollen. Barfüßig tritt er hin, dreimal beugt er, das Antlitz gegen Mekka gewandt, die Spitze, bis zum Boden, und hinter ihm – großartiges Schauspiel – sprechen die Zehntausende und aber Tausende seines Heeres mit gleicher Verneigung in gleicher Richtung, im gleichen Rhythmus das gleiche Gebet zu Allah mit, er möge ihnen Stärke und den Sieg verleihen. Dann erst erhebt sich der Sultan. Aus dem Demütigen ist wieder der Herausfordernde geworden, aus dem Diener Gottes der Herr und Soldat, und durch das ganze Lager eilen jetzt seine Ausrufer, um beim Trommelschlag und Fanfarenstoß weithin zu verkünden: Die Belagerung der Stadt hat begonnen!“(S. 41f).
In wenigen Wochen wird Konstantinopel fallen. Es wird ein einziges Blutbad werden und die schönste aller Kirchen wird zur Moschee werden. Ein frommer Herrscher, ein demütiger Beter, Mahomet, ein grausamer Schlächter allemal. Doch ich frage: Ist das Demut, diese aus Gottergebenheit sprossende Bereitschaft zur absoluten Grausamkeit?


Demut – die 2. Szene (wieder aus Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“):
Wir schreiben den 31.10.1910, Schlusspunkt eines einzigartigen Dramas, Schlusspunkt im Ehekrieg zwischen Leo Tolstoi und seiner Frau Sofia Andrejewna. „Es ist mir nicht länger möglich, dieses Leben, das ich seit 16 Jahren führe, fortzusetzen, ein Leben, in dem ich einerseits gegen euch kämpfe und euch aufreizen muss. So beschließe ich zu tun, was ich längst hätte tun sollen, nämlich zu fliehen…. Verzeiht mir, ich bitte euch darum wenn mein Schritt euch Schmerz bereitet, und vor allem, Du, Sonja, entlasse mich gutwillig aus deinem Herzen, suche mich nicht, beklage dich nicht über mich, verurteile mich nicht.“(S.194) So schreibt er in einem letzten Brief seiner Frau. Worte voller Demut, zugleich voller Anspannung fließen in die Feder. Alles geschieht verstohlen in der Nacht, bevor die Flucht beginnt. Endlich Klarheit! Endlich Ehrlichkeit. Mit 83 Jahren darf man nicht länger die Augen schließen, nicht vor der Wahrheit, nicht vor dem Tod. Die Flucht beginnt, Tolstois letzte Etappe in seiner Flucht zu Gott, die drei Tage später, am 31.10.1910, im Bahnhof zu Astapowo endet. Er stirbt, innerlich erschöpft, äußerlich ohne jede Kraft. Der Graf, der sich zum Bauern machte, aber ein Herr blieb, der Apostel der absoluten Gewaltlosigkeit und reinen Gottesliebe, der doch bis zuletzt gepeinigt war von seinen inneren Dämonen. Der um die Demut wusste, sie lehrte, aber die Gier nicht los wurde. Darum immer fort sich selber demütigte, kasteite - und die Seinen mit. „Zu lange, viel zu lange habe ich es besser gehabt als die andern! Je schlechter jetzt, umso besser für mich! Wie sterben denn die Bauern? ... und sterben doch auch einen guten Tod.“(S.194) So quält er sich noch in den letzten Momenten.
Ich frage: Muss Demut zwingend sich mit Qual verbinden oder auch nur mit Trauer angesichts des Menschen Los?


Demut – die 3. Szene: Sie bleibt unausgeführt. Sie steht für die vielen, bisweilen unscheinbar kleinen, bisweilen tief ins Herz stechenden Demütigungen in unserem Alltag. Da ist ein schnell hingeworfenes Wort, da ein aufgeloderter Streit, da merkt einer wie er im beruflichen Alltag übergangen wird, weil andere unverschämt sich in den Vordergrund spielen. Da ist einer, der rackert und rackert, und so scheint es ihm, der Dank bleibt aus. Da fällt einer in die tiefe Erschöpfung, weil er es demütigen Sinnes nie vermochte sich zu wehren, Nein zu sagen, seinen Kopf hochzuhalten. Jeder mag an eigene erlittene Verletzungen denken. Muss man alles im Namen der Liebe, zu der wir angehalten sind, aushalten?  Ich frage: Ist das Demut: Leben müssen, gar leben wollen unter den wiederkehrenden Wellen der Erniedrigung.

3 Szenen, liebe Gemeinde, die uns ein verzerrtes Gesicht der Demut zeigen. Aber was ist sie nun, die wahre, die wohltuende Demut, diese bescheidene, unbestechliche Tugend? Ein kluger Denker unserer Zeit, André Comte-Sponville, hat sie in seinem wertvollen Buch „Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben – ein kleines Brevier der Tugenden und Werte“ (Hamburg 1996) eingeordnet zwischen die Dankbarkeit und die Einfachheit. Das ist in sich schon wertvoll.
Die Demut ist tief gelebte Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst. Sie schwingt zwischen Dankbarkeit und gelassener Schlichtheit, zwischen grundloser Freude und dem durch und durch feinen Jubel über die stille Güte im Täglich-Alltäglichen: das Glas Wasser, die Blumen vor dem Fenster, ihr Lächeln – geschaut, geliebt, gekostet. Viel braucht es nicht, um im Glück zu sein: Demut, gelebte Bescheidenheit, eingebunden in Dankbarkeit und gelassene Schlichtheit. Der entscheidende Gedanke:Sich annehmen – aber sich nichts vormachen“(S.170), so schreibt Comte-Sponville. Er weiß mit Descartes zu sagen: „Die Großherzigsten sind gewöhnlich die Demütigsten“(S.172), denn sie wissen, wie es um uns steht. „Ehrlichkeit und Demut sind Schwestern“(S.174). Vor allem: „Demut führt zur Liebe und alle wirkliche Liebe setzt sie wohl voraus. Ohne Demut füllt das Ich allen Raum aus, und den andern betrachtet es nur als Objekt (der Begehrlichkeit, nicht der Liebe!) oder als Feind. Die Demut ist dieses Bemühen des Ichs, sich von den Illusionen über sich selbst freizumachen“(S.174f), sich von sich selbst zu lösen, lösen zu lassen. Leben „ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt“(S.175) sein, das macht Demut aus. Sich annehmen – aber sich nichts vormachen.

Leben „ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt“ sein, das macht Demut aus.

Die Botschaft also: Setze dich aus! Setze dich nur der Liebe und dem Licht aus. Werde frei von der Maskerade des Lebens. Trau der Verheißung, Gottes geliebtes Kind zu sein. Trau dem stillen Segen, der dich trägt, und lass dein Herz ehrlich sprechen, vor dir, vor Gott, so wie es um dich steht. Die Freude am Morgen, die Arbeit am Tage, die Dankbarkeit des Abends, die Ruhe der Nacht - nimm sie einfach an! Wachse an ihnen, mit ihnen, ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt – ehrlich und warmen Herzens.

Sei ehrlich mit dir, sei ehrlich mit den Deinen, ehrlich zu denen, die der Fluss der Tage dir entgegenträgt, dir vorüberträgt. Heuchle keine falschen Gefühle! Lerne warten! Aber quäle dich nicht! Halte dich zur Erde und halte fest an Gott! Höre auf zu rennen: „Wenigstens nachts lass dein Herz ruhen … Wenigstens nachts hör´ auf zu rennen, besänftige die Wünsche, die dich verrückt machen, versuch, deine Träume schlafen zu lassen. Gib dich preis, Leib und Seele, gib dich preis, endgültig, ohne Rückhalt in Gottes Hände“ (Helder Camara, Der Traum von einer anderen Welt, München 1987, S. 140).

Demut, die in der Demut Christi gründet, ist eine überaus wertvolle Gabe. Demut zu leben, ist eine Lebensaufgabe und zugleich ein geistiges Geschenk. Der Gott aller Gnade möge uns zur wahren, echten, warmen Demut führen. Der Gott aller Gnade, er möge uns aufrichten, stärken, kräftigen, gründen, dass wir leben ohne Maske, nur der Liebe und dem Licht ausgesetzt.