Lichtspiele - Predigt zu Johannes 8,12-16 von Wolfgang Vögele
8,12-16

Lichtspiele - Predigt zu Johannes 8,12-16 von Wolfgang Vögele

Vorbemerkung: Es ist möglich, diese Predigt einfach als Text zu übernehmen. Aber es kann auch hilfreich sein, mit Hilfe eines Blattes oder einer Projektion einige Bilder zu zeigen. Diese habe ich unter folgender Adresse zusammengestellt: https://wolfgangvoegele.wordpress.com/2016/12/20/lichtspiele-predigt-und-fotos

Man kann sie von dort herunterladen. Alle gezeigten Bilder sind gemeinfrei und dürfen übernommen werden.

 

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr. Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme oder wohin ich gehe. Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. Wenn ich aber richte, so ist mein Richten wahr, denn ich bin's nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat. (Joh 8,12-16)

Liebe Schwestern und Brüder,
nicht zufällig fällt das Weihnachtsfest in die Zeit kurz nach der Wintersonnenwende. Das Morgengrauen beginnt nach dem Frühstück und die Nacht bricht vor dem Abendessen herein. Die Menschen sehnen sich nach Licht. Die Spaziergänger genießen die Nachmittagssonne im verlassenen Park. Die Kinder freuen sich über das warme Kerzenlicht des Adventskranzes im Wohnzimmer. Wer den Hund ausführt, der staunt über den bunten Lichterkranz am Tannenbaum in Nachbars Vorgarten.

In der winterlichen Dunkelheit von Weihnachten wird der geboren, der als erwachsener Prediger von sich sagen wird: „Ich bin das Licht.“ Und das Licht klärt auf. Die hilfsbedürftigen Menschen, die sich orientieren wollen, brauchen Licht, das Schatten wirft, beleuchtet, aufklärt, die Dinge in besondere Farben taucht. Ein Philosoph hat das Licht so gepriesen: „Das Licht […] ist Verschwendung ohne Schwund. Licht schafft Raum, Distanz, Orientierbarkeit, angstloses Schauen, es ist Geschenk, das nicht fordert, Erleuchtung, die ohne Gewalt zu bezwingen vermag.“ [1] Ohne Licht keine verständnisvolle Aufklärung und keine gewaltfreie Erleuchtung. Trotzdem kann niemand das Licht mit Händen greifen.
Deswegen habe ich mir als Kind den Jesus, der von sich sagt, er sei das Licht, immer wie die amerikanische Freiheitsstatue vorgestellt: eine riesige Figur in einer Art Talar, mit einer Fackel in der Hand. Diese Fackel streckt die Figur in die Höhe. Ich bin das Licht.
Die Statue auf Liberty Island vor dem New Yorker Hafen stellt nicht Jesus, sondern die Freiheitsgöttin dar. Der offizielle Titel lautet: „Die Freiheit erleuchtet die Welt.“ Und als solche erblickten die Auswanderer aus Bremerhaven, Le Havre und Southampton als erstes diese Statue, wenn sie aus Europa in der Neuen Welt ankamen. Die Statue stellte ihnen die frohe Botschaft einer neuen, wahren Demokratie, von Menschenrechten und Gleichheit vor Augen. Die Freiheitsgöttin – ein Geschenk der Franzosen an die Amerikaner – ist mit der Marianne verwandt, die auf den Barrikaden der Französischen Revolution gegen Absolutismus und Unterdrückung gekämpft hat. Die Fackel der Freiheitsstatue leuchtet in den politischen Raum. Es bleibt abzuwarten, ob der Traum der Freiheit sich weiter bewährt, wenn Mitte Januar der Milliardär seinen Eid als neuer amerikanischer Präsident ablegt. Denn die Freiheitsgöttin mit der erhobenen Fackel – wenn sie ihren Namen verdient – leuchtet für Verantwortung, Respekt und Würde. Sie stellt Populismus, Lüge und Machtgier in den Schatten.
Die aufrechte Freiheit mit der Fackel ist eine von vielen Göttinnen. Darin liegt ein Unterschied zu Jesus, der das Licht ist. Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus. Und er meint: Ich bin das einzige Licht. Aber er sagt auch: Der Vater und ich gehören zusammen. Nichts kann uns trennen. Jesu Vater ist der, der das Licht am Anfang der Schöpfung allererst geschaffen hat. „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.“ (Gen 1,3-5) Gott ist das Licht und gleichzeitig schafft er das Licht.

Jesus und der Vater sind eins und gleichzeitig schickt dieser Vater seinen Sohn auf die Erde. In jenes kleine Israel, damit die Menschen zum Glauben kommen. In Jesus Christus fällt ein neues Licht auf die Erde. Man kann nun großformatige Unterscheidungen treffen: Vom Licht der Welt und vom Licht des Glaubens sprechen und daraus entwickeln, was die Theologen eine „Lichterlehre“ genannt haben. Für Johannes, den Philosophen unter den Evangelisten, gehört beides zusammen. Alles Licht kommt von einem Ursprung und der liegt in Gott, dem Vater. Er ist der einzige Gott – im Gegensatz zum übervölkerten Götterhimmel der Antike und des heutigen Pluralismus.

Mit den antiken Göttern ist die Freiheitsstatue auf der New Yorker Hafeninsel verwandt. Denn sie trägt nicht nur eine Fackel. Auf den Kopf hat ihr der Bildhauer eine Strahlenkrone gesetzt – in der Antike das wichtigste Attribut des Sonnengottes Helios. Sieben Strahlen symbolisieren sieben Kontinente, sieben Weltmeere und sieben Tage, an denen die Sonne scheint. Nach antiker Vorstellung sieht die Sonne alles und darum weiß sie auch alles. Sie kennt die Verbrechen, die Morde und Untaten, die die Menschen am liebsten verbergen wollen. Das Licht der Sonne leuchtet überall hin. Es klärt auch alles auf, was die Menschen am liebsten im Dunkeln behalten würden. Das Licht der Sonne sorgt dafür, dass sich die Menschen frei und ohne Angst vor Angriffen aus dem Hinterhalt bewegen können. Deswegen wurde dem Sonnengott in Rom größte Verehrung zuteil.
Und Jesus sagt nun: Ich bin das Licht. Dieser Jesus des Johannesevangeliums nimmt es mit dem antiken Sonnengott und der Freiheitsgöttin auf. Johannes stellt ihn auf Augenhöhe mit dem Licht der Sonne und dem Licht der Freiheit.
Weihnachten ist ein Fest des Lichtes. Es fällt in die Tage nach der Wintersonnenwende und es fällt genauso in die Tage nach dem Fest des römischen Sonnengottes, des Sol invictus.
Die Krippe wird zum kleinen leuchtenden Punkt in der Dunkelheit. Das haben die Maler und Künstler besonders gut wahrgenommen, weil sie die Bibel mit ihren vielen Verweisen auf das Licht genau lasen. Was sie im Text an Lichtbildern gesehen hatten, konnten sie in Bilder umsetzen. Spätestens mit dem Maler Rembrandt van Rijn haben sich Krippenbilder etabliert, die ganz wunderbar leuchteten. Josef, der Ochse und der Esel, die anbetenden Hirten, die von der Weide herübergekommen waren, standen im Halbschatten oder ganz in der Dunkelheit. Rembrandt malte die Krippenszene so, dass er mit einer Lichtquelle auskam. Es war das Besondere, dass dieses warme, gnädige Licht von der Krippe mit dem Baby selbst auszugehen schien. Auf diese Weise verwandelte Rembrandt Theologie in Malerei. Er machte deutlich, was es heißt, wenn schon von diesem kleinen schlafenden Baby, das noch gar nicht sprechen oder krabbeln kann, zu sagen ist: Das ist das Licht der Welt, von dem das Heil für die Menschen kommt.
Weihnachten kehrt die Lichtverhältnisse von oben nach unten um. Mit der Geburt des kleinen Babys wechseln die Perspektive und die Orientierung. Der Mensch, der sich verloren hat, versucht, sich zu orientieren. Ursprünglich hieß das: Der verirrte Mensch blickt nach Osten, wo die Sonne aufgeht. Danach kann er die Himmelsrichtungen bestimmen und einen Weg aus seiner Verlassenheit finden.
Der Christus, der von sich sagt „Ich bin das Licht der Welt“, spielt eine neue Orientierung ein. Wer ihm glaubt und sich verirrt hat, der blickt nicht mehr nach Osten, sondern der blickt auf die Krippe, auf das Baby, von dem das Licht kommt. Von der Krippe geht ein Licht aus, das auf Lebenswelt und Alltag eine völlig neue Perspektive wirft. Alle anderen Lichtquellen – das kommende Feuerwerk an Silvester, die Scheinwerfer der Aufklärung, das Abblendlicht des Populismus, die Wunderkerzen der Unterhaltung – treten demgegenüber zurück.
Rembrandt hat das Licht, das von der Krippe ausgeht, warm und zurückhaltend gemalt. Von diesem Licht holt sich niemand einen Sonnenbrand. Es ist möglich, dieses warme, beinahe unscheinbare Licht in die Gegenwart von Weihnachten hinein zu holen. Jede Bienenwachskerze, jedes billige Teelicht aus Stearin vermittelt etwas von diesem lebendigen Licht der Krippe, das sich von der Kälte von LED-Leuchten, Neonröhren der Krankenhaus-Säle und Xenon-Scheinwerfern aufblendender Autos grundlegend unterscheidet.

Jesus sagt: Ich bin das Licht. Schon das Kind in der Krippe ist das Licht. Und genau diese Lichtquelle hilft den glaubenden Menschen, die Dinge und die Wirklichkeit in einem – im wahren Sinn des Wortes – anderen Licht zu sehen. Das klingt so ungeheuer aufwendig, dabei leuchtet die Krippe mit geringer Lichtstärke. Und das hat zu tun mit Würde, Respekt, Annahme, Hilfe, Barmherzigkeit und Rücksicht. Denn all das drängt sich im Blick auf das kleine Kind in der Krippe gerade zu auf. Jeder, der selbst einmal Vater oder Mutter war, weiß, dass solch ein Baby vorsichtig und liebevoll behandelt werden muss. Wenn man so will wäre das die Politik und die Ethik der Weihnachtsbeleuchtung: im anderen Menschen ein klein wenig von dem schutzlosen Kind zu sehen, das er oder sie kurz nach der Geburt einmal war. Wem dieses neue Licht zu idyllisch und zu naiv ist, der sei daran erinnert, dass das unbeleuchtete und unaufgeklärte Verständnis von Politik als reinem Kampf unterschiedlicher Interessen, von Politik als bestmöglicher Marketing-Täuschung der Wähler, von Politik als Überleben der Stärksten und am meisten Angepassten auch nicht viel weiter geführt hat, wie uns viele Erfahrungen gerade des letzten Jahres gelehrt haben.

Jesus sagt: Ich bin das Licht. Das soll die Menschen nicht zur Naivität verführen. Der Glaube an die Gnade des unscheinbaren Kindes überbietet die Vernunft nicht, sondern arbeitet mit ihr zusammen. Das Licht des Glaubens bricht sich in ein Spektrum mit drei Farben. Zuallererst lenkt es den Blick auf den Gott, der die Welt erschaffen hat und der sie in Jesus erlösen will. Gott kommt den zweifelnden Glaubenden entgegen. Zum zweiten wird der Blick auf das Unscheinbare gelenkt. Das lernen wir an Weihnachten: Das kleine Kind in der Krippe verdient mehr Aufmerksamkeit als jeder Politiker, jeder Unterhaltungsstar, jeder A-, B- und C-Prominente. Batterien von Scheinwerfern und Blitzlichtern lenken in der Regel den Blick von Fans, Gaffern und Begeisterten in die Irre. Gott ist nicht im Scheinwerferkegel der Aufmerksamkeit, sondern im Licht des Kerzenscheins zu treffen. Drittens: Das Licht des Glaubens, von dem Jesus spricht, löscht andere Lichter nicht aus, sondern es verstärkt sie noch: besonders das Licht der Vernunft, das die Politik so nötig hat. Besonders das Licht der Barmherzigkeit, das diese Gesellschaft, in der Hilfe benötigt wird, erst lebenswert macht.

Ich bin das Licht der Welt, sagt Jesus von Nazareth. Als Kind in der Krippe konnte er das noch nicht aussprechen – das Baby konnte sich nur schreiend zu Wort melden. Gott war Mensch geworden und benötigte selbst die Aufmerksamkeit seiner Eltern. Ich bin das Licht der Welt. Das sagt der erwachsene Jesus. Er ist Licht, weil Gott selbst als Licht vorzustellen ist. Der italienische Dichter Dante Alighieri wusste das schon im 14. Jahrhundert. Im dritten Teil seines Hauptwerkes, der „Göttlichen Komödie“ wird der Dichter ins Paradies geleitet, wo die Engel, die Heiligen, die Apostel, berühmte Theologe leben. Nur die Päpste, die die Politik wichtiger als den Glauben nahmen, blieben für Dante ausgeschlossen. Je näher der Dichter im Paradies Gott kommt, desto mehr verwandelt sich alles ins Immaterielle. Gott ist Licht, er ist die erste und wichtigste Lichtquelle, in die niemand hineinblicken kann, weil sie dem Betrachter die Augen blenden würde. Auch Dante, der Dichter im Paradies, muss die Augen niederschlagen. Gott ist Licht. Dieses Licht ist für Menschen nicht mehr zu fassen.
In Jesus Christus, im Kind in der Krippe, in diesem predigenden, heilenden und barmherzigen Menschen ist Gott Gestalt geworden. Und das wirft auf die ganze Welt ein neues Licht. Ein Licht des Glaubens, ein Licht der Barmherzigkeit und ein Licht der Gnade.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alles, was wir uns denken und vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne erleuchtet in Jesus Christus. Amen.

 

 

 

[1] Hans Blumenberg, Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung (1959), in: Ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, hg. von Anselm Haverkamp, Frankfurt/M. 2001, 139-171, hier: 140.