Liebe – und tue, was Du willst - Predigt zum 1.Thessalonicherbrief 4,1-8 von Sven Evers
4,1-8

Liebe – und tue, was Du willst - Predigt zum 1.Thessalonicherbrief 4,1-8 von Sven Evers

Predigttext (1. Thess 4,1-8, Bibel nach Martin Luther):

Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus – da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut –, dass ihr darin immer vollkommener werdet.
Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus.
Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.
Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.
Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt
.

Liebe Gemeinde,

„Das Christentum ist die Summe dessen, was man nicht darf. Moralin, verbohrt, leibfeindlich, spießig“ – haben Sie das schon mal gehört? Ich muss bei der Lektüre dieses Abschnitts aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki zumindest sofort an genau solch eine Charakterisierung des Christentums denken. Und seien wir ehrlich: Oft wird das Christentum in der Tat ja genau so verstanden. Nicht nur in manchen christlichen Splittergruppen, die – so würde ich es jedenfalls sagen – Christsein mit der Einhaltung irgendwelcher moralischen Regeln verwechseln. Sondern auch von denen, die immer mal wieder nach der Kirche rufen, wenn sie angesichts der angeblichen Verrohung und Ausschweifung der Jugend die Besinnung auf angeblich christliche Werte fordern.

Und Paulus gibt ihnen allen auch noch Recht!
Wobei: Tut er das wirklich?
Ich will gar nicht in die Diskussion einsteigen, ob Paulus nun wirklich leib- und sexualfeindlich war, wie viele ihm immer wieder vorwerfen, oder nicht, wie viele Theologen dann immer verteidigend darzulegen versuchen. Ich denke, er hatte in der Tat mit Körperlichkeit und allem, was dazu gehört, so seine Probleme. Aber darum geht es hier gar nicht.
Worum es Paulus geht, schreibt er ganz deutlich: Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung. Punkt. Damit ist eigentlich alles gesagt, zumindest aber das Entscheidende.

Ich versuche einmal, das zu übersetzen:
Lebt so, liebe Gemeindeglieder von Thessaloniki, wie es der Gemeinschaft mit Gott, die doch Euer Leben trägt, angemessen ist.
Stellt Euch nicht einfach der Welt um Euch herum gleich. Lasst Euch nicht vom Zeitgeist treiben oder von dem, was gerade in Mode ist.
Benutzt nicht andere Menschen als Mittel zum Zweck, ganz gleich, ob Eure Frau, Euren Mann oder wen auch immer. Reduziert andere Menschen nicht auf die Frage, welchen Vorteil sie Euch bringen oder wie Ihr sie instrumentalisieren könnt.
Übervorteilt niemanden. Seid nicht immer nur auf Euch selber bedacht, sondern lebt so, wie es der Gemeinschaft mit Christus entspricht.
Lasst Euren Glauben nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, begrenzt auf die Zeit des Gottesdienstes oder wenn Ihr Euch gerade mal besonders spirituell fühlt oder mit Gleichdenkenden unterwegs seid.
Glauben ist mehr als das Fürwahr-Halten irgendwelcher Dinge.
Glauben ist eine Art und Weise zu leben.
Das, liebe Gemeinde in Thessaloniki, das liebe Gemeinde hier und jetzt, soll in Eurem Denken, in Euren Worten und auch in Euren Taten sichtbar werden.

Doch – ich will ehrlich sein: Wie oft lasse ich mich treiben von dem, was „man“ so tut. Wie oft mache ich mit in dem ständigen Kreisen um sich selbst. Ob im Straßenverkehr, bei der Steuererklärung, ob im Meckern über die Fehler anderer, während ich selber natürlich alles – naja, fast alles – richtig mache und alles – naja, fast alles, viel besser könnte als andere und so weiter.
Einfach, weil es so bequem ist zu tun, was alle tun. Weil dann niemand fragt, ich mich nicht rechtfertigen muss, ich nicht erklären muss, was mich in meinem Handeln antreibt. Weil ich nicht auffalle, sondern einfach mitschwimmen kann im Strom der Masse, des „man“.

„Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist“ (Mi 6,8). Das haben wir zu Beginn des Gottesdienstes als Wochenspruch gehört.
Doch: Wie oft versuche ich mich rauszureden?
Da stehe ich in einer konkreten Situation, weiß eigentlich, was genau hier und genau jetzt das richtige zu tun wäre, und sage mir: Ach, darüber muss ich noch einmal nachdenken.
Die Situation ist komplex, ich muss mal genau überlegen, was das Richtige wäre. Dabei weiß ich ganz genau: Dieser Mensch braucht mich jetzt. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Aber natürlich habe ich gerade jetzt keine Zeit, habe so viel Wichtigeres zu tun und verdaddel damit die Zeit, mir einzureden, dass es ja auch ganz legitim und richtig ist, dass ich jetzt doch nicht helfe.
„Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist.“ (Mi 6,8)

Ich merke, dass ich Gefahr laufe, einen anderen Menschen zu instrumentalisieren. Ich rede mit ihm – aber eigentlich rede ich gar nicht mit ihm, sondern überlege, wie ich ihn für meine Sache einspannen kann. Am besten natürlich so, dass er es gar nicht merkt – der Schein soll ja wenigstens gewahr bleiben. Aber er hat ja auch selber Schuld. Kann ja fragen. Jetzt ist er halt einfach mal Mittel zum Zweck.
„Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist.“ (Mi 6,8)

Und eigentlich weiß ich es – aber eben nur eigentlich.
Ich denke, das ist genau das, worum es Paulus geht. Wenn ich mir das vor Augen halte, wenn ich mir bewusst mache, dass ich mich selber verleugne und dass ich Gott verleugne, wenn ich meinen Mitmenschen zum Mittel für meine Zwecke mache, dann habe ich Paulus richtig verstanden. Dann habe ich ihn vielleicht auch besser verstanden als er sich selber versteht. Denn in der Tat wird das, worum es ihm geht, im wahrsten Sinne des Wortes verkehrt, wenn es sich in konkreten Regeln niederschlägt. Vor allem, wenn diese Regeln sich dann verselbständigen gegenüber ihrer Wurzel: Dem Leben in Heiligkeit oder in Gemeinschaft mit Gott, um es weniger pathetisch auszudrücken.

Richtig ist: Missbrauche nicht Deine Mitmenschen als Mittel zum Zweck. Falsch ist: Tue in dieser und jener Situation immer genau dieses oder jenes. Das eine bindet uns zurück an Gott und sein Wort, das in jedem Augenblick neu gesagt, neu gehört, neu konkret werden will.
Das andere gibt uns starre Regeln an die Hand und macht uns über kurz oder lang dogmatisch, wenn nicht gar fundamentalistisch.

Christentum ist eben nicht die Summe dessen, was man nicht darf. Christentum ist nicht eine Ansammlung von moralischen Verhaltensmaßregeln, die wir losgelöst von konkreten Situationen uns und unserer Welt überstülpen.
Christentum ist lebendiger Glaube, der immer wieder und immer wieder neu fragt: Was ist hier und jetzt, was in dieser Situation und diesem Menschen gegenüber das Richtige?
Oder noch handlicher formuliert: Was würde Jesus jetzt tun? Was ist das, was meiner Gemeinschaft mit Gott entspricht? Der Gemeinschaft, aus der heraus ich meine Mitmenschen als Schwestern und Brüder erkenne.

Konkreter geht es nicht.
Keine Regel ohne Ausnahme, keine Regel ohne einen denkenden Menschen, der nicht blind gehorcht, sondern immer wieder fragt: Ist es das, was jetzt passt? Ist diese Regel hier wirklich die richtige Richtschnur oder braucht es vielleicht etwas ganz anderes?
Das nämlich ist der Wille Gottes: unsere Heiligung.
Oder auch: Es ist uns gesagt, was gut ist.
Oder auch, mit den Worten des großen Augustinus: Liebe – und tu, was Du willst.
Und damit hier nicht der Anfang des Satzes überhört wird oder in Vergessenheit gerät (oder auch einfach mal bewusst unterschlagen wird): Liebe Gott und Deinen nächsten wie Dich selbst. Und aus dieser Liebe heraus tue dann, was Du willst. Es wird das richtige sein.
Amen.

Perikope
Datum 09.10.2016
Bibelbuch: 1. Thessalonicher
Kapitel / Verse: 4,1-8