Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt - Predigt zu Markus 8,31-38 von Markus Kreis
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Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt - Predigt zu Markus 8,31-38 von Markus Kreis

Messiastest mit Doppelfehler - oder – Gottes Meinungsfreiheit ist der Hammer, der Fundamentalismusfelsen zerschmeißt.

Liebe Gemeinde,

er hat es uns leicht gemacht. Wir Christen können gut lachen. Gott hat uns in eigener Sache eine Karikatur seiner selbst geliefert. Kein Mensch könnte dazu ein treffenderes Gebilde anfertigen: die Gestalt Jesu, die am Kreuz hängt. Da können die Spitzfederbuben von Charlie Hebdo noch ganz schön was lernen für ihr Geschäft:

Der Allmächtige ganz wehrlos– der Gerechte gedemütigt – der Herrliche abscheulich – der Heilige angeschlagen – der Ewige am Ende desillusioniert.

Und zugleich zeigt uns dieses Gebilde - anders als andere Karikaturen – die  Wahrheit: Gottes täuschungsfreie Meinung, Gottes wahre Wertschätzung, Gottes wahres Tun, nämlich:

Wehrhaftigkeit für Wehrlose – Gerechtigkeit für Gedemütigte - Herrlichkeit für Abscheuliche - Heiligkeit für Angeschlagene – Ewigkeit in Wahrheit für Desillusionierte am Ende...

Von dieser täuschungsfreien, göttlichen Meinungsfreiheit hat Petrus in Jesu Worten profitiert. Als er von seinem Leidensweg erzählte, hat Jesus sich bereits privat vor seinen Jüngern zur Karikatur gemacht. Petrus verspürte beim Hören auf Jesu Worte in sich zunächst nur einen Hauch von Wehrlosigkeit, Demütigung, Abstoßung, Angeschlagen sein, Desillusionierung.

Er kann nicht glauben, was er da hört. Also nimmt er Jesus zum Vier Augen Gespräch beiseite - er will ihn nicht öffentlich blamieren – er will es wissen: Hab´ ich Jesus recht verstanden? Nach der Reaktion und Antwort Jesu hat es mit dem verspürten Hauch ein Ende: Geh weg von mir Satan, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Das hat Petrus bis ins Mark erschüttert. Jetzt hat er sich gewiss nicht nur gehaucht, sondern gänzlich wehrlos, gedemütigt, abgestoßen, angeschlagen und desillusioniert gefühlt. Denn die Zurechtweisung erfolgte von höchster Stelle, durch Jesus, nicht durch irgendeinen nur mehr oder weniger bedeutenden Mitmenschen. Was ist Petrus da widerfahren?

Petrus wollte sich selbst testen, und zwar auf zweierlei hin. Er wollte sein Gehör prüfen. Und falls mit dem Hören alles in Ordnung war, seinen Einfluss auf Jesus, seine persönliche Nähe zu ihm und sein damit ermöglichtes Einwirken.

Jetzt stand er plötzlich da – eben als der Getestete - aber nicht durch sich selbst, nicht im Autodiagnoseverfahren wie beim PC, welcher selbst ein Testprogramm aufruft. Sondern unvermutet getestet durch einen Anderen, durch Gott in Jesus. Und eben mit dessen Attest: Falsch negativ.

Petrus meinte zuvor, er sei alles andere als ein Sünder, er sei kein Widersacher Jesu. Und bekam von Jesus die Meinung gesagt: Weiche hinweg, Widersacher! Satansliebchen und Schlangenbrut statt Gottes Duz- und Seelenfreund.

Falsch negativ, was heißt das? Wenn man Blut spendet, dann ist ein HIV-Test hinter sich zu bringen. Und man erwartet von zwei möglichen Antworten, positiv oder negativ, die eine - negativ nämlich.

Aber bei solchen Tests gibt es eben vier Antwortmöglichkeiten, nicht nur zwei. Und die zwei weiteren neben positiv und negativ lauten falsch positiv und falsch negativ.

Diese zwei weiteren gründen in der Fehlerhaftigkeit allen menschlichen Tuns; auch ausgetüftelte Tests sind da nicht frei von: falsch positiv heißt: ich hab das Leiden laut Test, obwohl ich es in Wahrheit doch nicht habe. Und falsch negativ bedeutet: ich bin laut Test frei davon und leide in Wirklichkeit doch darunter.

Petrus sah sich frei von Widergöttlichkeit und litt in Wirklichkeit doch darunter ohne es zu wissen. Er fühlte sich ganz sicher wehrlos, gedemütigt, abgestoßen, angeschlagen und desillusioniert-vergänglich. Angesichts der Zurechtweisung durch Jesus, dieser niederschmetternden Antwort von allerhöchster Stelle - kein Wunder.

Ein Wunder aber ist, und daran besteht kein Zweifel, folgendes: Petrus gibt trotz des schlechten Attests von allerhöchster Stelle nicht nur die Karikatur eines wehrlosen, gedemütigten, abgestoßenen, angeschlagenen und desillusionierten Fundamentalisten ab. Das Wunder ist, dass er an Gottes wahrem und wirklichem Tun großen Anteil gewonnen hat, dass die Zurechtweisung Jesu ihm neue Möglichkeiten fürs Leben zugewiesen hat, neue Rechte und Ansprüche – natürlich nicht ohne Pflichten: Wehrhaftigkeit für Wehrlose – Gerechtigkeit für Gedemütigte - Herrlichkeit für Abstoßende - Heiligkeit für Angeschlagene - Ewigkeit für Desillusionierte.

Irgendwie muss das mit der Selbstverleugnung und mit dem Kreuz auf sich nehmen also immer wieder geklappt haben. So dass das bisschen von zwischenmenschlicher Seite verabreichte Quantum an Wehrlosigkeit, Demütigung, Abstoßung, Verletzung und Desillusionierung ihm nichts mehr angehabt hat – welch ein Mensch aus ihm doch noch geworden ist:

Märtyrer des Glaubens, Gründungsbischof von Rom und Stuhldesigner, Parteifreund von Paulus, Dauerdiskutierer bei Versammlungen, für seine Überzeugung ins Gefängnis Geher, Entfesselungskünstler, heimlicher Jesusfreund angesichts weiblicher Avancen... an volatiler Gottesbeziehung und Selbstverleugnung in der Bibel nur überboten von David.

Gottes Meinungsfreiheit in Jesus überzeugt sogar felsenfeste Widersacher, zerbröselt ihre Zweifel, kapert ihre kontroverse Kommunikation, stärkt sie zur Selbstverleugnung, befreit sie von blinden Flecken, transformiert ihre Träume, wechselt Weltanschauungen aus, schmiedet neue Pläne.

Dank der Meinungsfreiheit sieht man sich nicht mehr als Gottes Hausfreund und geht mit der eigenen Nähe zu ihm hausieren. Dann verdreht man nicht mehr die Verhältnisse und vermeint, Gott die eigene Meinung einflüstern zu können. Sondern man bittet und betet darum, dass Gott einem etwas flüstern möge, dass Gott einem seine Meinung geige in ewiger Wahrheit.

Dann glaubt man, dass Gott in Jesu Weg zum Kreuz das Leiden nicht auslassen konnte. Will und muss er doch das Leiden überwinden in seiner liebenden Allmacht. Dann versteht man, dass Gottes Kommen mit Macht in Ohnmacht anheben muss. Alles andere hieße nämlich Böses mit Bösem vergelten und nicht mit Liebe. Dann weiß man, dass Macht echte Ohnmacht erleiden muss, um wahre Abhilfe daraus zu wissen und zu geben: durch liebendes Dienen nämlich.

Wenn Jesus sich den menschlichen Machtinstanzen ausliefert - hier der Anhänglichkeit des Petrus - dann ist der Begriff von Macht nicht mehr der alte, sondern neu definiert. Verkehrt sind dann die bislang geltenden Mächte und die wahre Macht zeigt sich durch diese Umkehrung ins Gegenteil: sich zu befähigen - das heißt liebendes Dienen.          

Im Dienen ist wahre Macht duldsam gegenüber eigenem Leiden und unduldsam gegenüber dem Leiden der Mitwelt. Mit fremdem Leid geduldig und mit eigenem ungeduldig zu sein, das ist das Unvermögen unbeugsamer Macht, wie wir sie oft spontan anbeten und erbeten, wie sie manchmal in unseren Köpfen und Körpern herum spukt.

Wer meint, unter der Meinungsfreiheit habe das Christentum ansonsten nur  gelitten - sei sie hier von Gott in Jesus sozusagen ausnahmsweise in Anspruch genommenen – wer das meint, der irrt und täuscht sich:

Der christliche Glaube hat in echter Nachfolge von Meinungsfreiheit profitiert, ja selbst ursprünglichen Gebrauch davon gemacht.

Stellen doch die Reformation und der Protestantismus eine wirkungsvoll ausgedrückte Meinungsfreiheit in theologischen und religiösen Fragen dar. Und in den Fragen, die das Leben in Gottes Schöpfung den Menschen stellt. Ursprünglich christliche Mindermeinung blieb sie nicht reiner Geist, sondern wurde Fleisch und nahm Gestalt an bis heute in evangelischen Kirchenorganisationen überall auf der Welt.

Das wird gerne vergessen. Evangelischer Glaube beruht ursprünglich auf Meinungsfreiheit. Worin mag dieser Gedächtnisverlust gründen? Vielleicht darin: Die evangelische Kirche gab ziemlich schnell der Meinungsfreiheit feindlichen staatlichen Gebilden ihren Segen. Entweder war der weltliche Fürstenstaat quasi unangreifbar wie bei Luther. Oder man machte wie Calvin in Genf gleich selber Staat: eine ausgewachsene Theokratie, die der des heutigen Irans nicht ganz unähnlich gewesen ist.

Aber auch das hinderte nicht die irrtumslose Meinungsfreiheit Gottes in Jesu, ihr gutes Werk zu tun. Es entstanden alsbald neue evangelische Kirchen, die mit den Formen der staatstragenden Kirche nicht einverstanden waren: in Deutschland zum Beispiel die Mennoniten und Hutterer, in Großbritannien die independant oder dissenting churches. Diese Christen, die wegen ihrer Meinungsfreiheit im Glauben allerlei Einschränkungen in Kauf nahmen, hatten maßgeblich Anteil an der Gründung und Gestaltung der Vereinigten Staaten von Amerika getragen.

Ein weiterer Meilenstein des segensreichen Tuns der Meinungsfreiheit Gottes in Jesus stellt das Barmer Bekenntnis dar. Hier wehrten sich einige evangelische Christen erfolgreich gegen die Deutschen Christen der Nazizeit und gegen deren Glaubensirrtümer und Illusionen.   

Gut für die, welche sich getäuscht haben und falsch positiven oder falsch negativen Meinungen aufgesessen sind über Gott oder die Welt: Wir Christen dürfen und müssen angesichts Gottes illusionsloser Meinungsfreiheit zuweilen ein schlechtes, falsches Bild abgeben. Wir dürfen und müssen manchmal wie weiland Petrus Karikaturen für andere sein.

Wir wissen nämlich: Das Bild korrigiert sich. Gleichen und folgen wir doch gerade darin Gottes schönem und herrlichem Ebenbild, ja werden selbst dazu. Da macht Satire doch nichts aus, im Gegenteil. Vielleicht entdecken wir darin eigene blinde Flecken und unvermutete Fehler. Und so können wir in Jesu Nachfolge deren bösen Folgen entgehen. Amen.

Perikope
Datum 15.02.2015
Bibelbuch: Markus
Kapitel / Verse: 8,31-38
Wochenlied: 413 384
Wochenspruch: Lk 18,31