1. Strahlende Gesichter und müde Füße
So viele strahlende Gesichter, so viele müde Füße – heute Morgen. Viel gehört, gesehen, geredet, gebetet. Und – jetzt: hier in Stuttgart oder bei Ihnen zu Hause nehmen wir uns Zeit für Salomos Traum. Ich möchte von ihm hören, was er sich wünscht.
2. Salomos Traum
Salomo, einen Wunsch hast Du frei! Alles könntest du dir wünschen: Reichtum, Macht, ein langes Leben. Aber du, Salomo, du gibst dich mit so etwas nicht zufrieden. Du denkst nicht an dich sondern an die, deren Herrscher du sein sollst. Du weißt: Solange Menschen ihrer Würde beraubt werden, stimmt etwas nicht! Das war damals vor 3000 Jahren so, das ist heute nicht anders. Schaust du dir unsere Gesellschaft heute an, siehst du vielleicht:
Die Frauen, Männer und Kinder, die von weit her nach Europa kommen, aber ohne Gepäck reisen. Die ihre Tage in Flüchtlingsheimen verbringen – wo sie zwar ein Bett haben, aber kein Zuhause …
Die vielen Jugendlichen, die keine Perspektive haben. Manche leben länger bei ihren Eltern, als ihnen gut tut. Niemand wartet auf sie, höchstens die Sachbearbeiterin im Jobcenter. Aber die hat auch keine gute Nachricht für sie.
Und du, Salomo, nimmst diese Bilder mit in deine Träume. Du kannst nicht ruhig schlafen, solange Menschen wie Nummern behandelt werden im Bundesamt für Migration oder bei der Agentur für Arbeit.
Dein Name, Salomo bedeutet: Schalom. Friede. Und du weißt: In deinem Land wird es erst dann Frieden geben, wenn jede und jeder sicher und in Würde leben kann.
3. Ein hörendes Herz
Einen Wunsch hat Salomo frei. Und er wünscht sich von Gott: Ein hörendes Herz.
Hören. Mich den Klängen dieser Welt hingeben. Den dröhnenden Bässen und zarten Oberstimmen. Ähnlich wie eben, beim Körpergebet. Gerade heute Morgen genieße ich diesen Wohlklang. 4000 Bläser. Es sind Friedenstöne, die hier auf dem Canstatter Wasen erklingen. Und weil sie in ihrer Schönheit mein Herz berühren, kann ich die bitteren Klänge, die Schmerztöne, nicht ausblenden: Diese Zwischen- und Untertöne, die meist nicht die lautesten sind.
Auch ich weiß: Das ist noch kein Frieden, wenn ich am Strand Siziliens mit einem guten Rotwein den Sonnenuntergang genieße und dabei verdränge, dass jenseits meines Wohlstandshorizonts Flüchtlinge jämmerlich sterben. Die Wellen ziehen ihre Geschichte, ihre Hoffnungen unbarmherzig in die Tiefe. Gut, dass Italien gesunkene Flüchtlingsboote jetzt bergen will. Diejenigen, die ihre Sehnsucht nach einem Leben in Europa mit dem Tod bezahlen, gehen uns etwas an!
Hinhören. Mit Sinn, Herz und Verstand. Salomo weiß, dass Frieden mit zarten, leisen Begebenheiten beginnt. Gestern Morgen erzählte mir eine Freundin: Sie hat im Gemeinschaftsquartier beim Abwaschen nach dem Frühstück zwei syrische Flüchtlinge kennen gelernt. Sie leben seit ein paar Wochen hier in Stuttgart. Nun helfen sie ehrenamtlich beim Kirchentag mit und sind mit voller Energie bei der Sache. Meine Freundin war ganz erfüllt von dieser Begegnung. Sie sagte mir: So kann Kirchentag auch sein. Eine Alltagsbegegnung, die etwas geöffnet hat. Für beide Seiten.
4. Ein Traum wird wahr in Israel
Oft ganz klein, unscheinbar. Aber er kann über sich hinaus wachsen. Salomos Traum vom Frieden wird während seiner Regierungszeit Wirklichkeit. Er sorgt dafür, dass „die Frauen und Männer in Juda und Israel in Sicherheit wohnten, ein jeder unter seinem Weinstock, eine jede unter ihrem Feigenbaum“. (1. Kön 5,5). Auch wenn das heute angesichts der so hoffnungslos verfahrenen Situation im Mittleren Osten unerreichbar scheint: Hinter dieses Friedensbild können wir nicht zurück, nehmen wir Salomo nicht als romantisierte Kunstfigur einer vergangenen Zeit, sondern als unbequemen Weisen ernst. Sein Schlüssel zum Frieden: Er hört auf sein Volk. Bezieht alle mit ein, jeden nach seinen Fähigkeiten: Amtsleute, Tischlerinnen, Bauern, Priesterinnen. Niemand ist überflüssig.
Weinstock und Feigenbaum. Für jeden ist Platz, jede wird gebraucht. Leben in Fülle ist für alle möglich.
5. Ein Traum wird wahr unter uns
Wie kann sie aussehen, die gelebte Vision des salomonischen Friedens? Hier auf dem Kirchentag haben wir schon davon gekostet. Über 4000 Stuttgarterinnen und Stuttgarter haben ihre Wohnungen für fremde Gäste geöffnet. 200 Schulen wurden zu Gemeinschaftsquartieren. Wir sind zusammengerückt – fünf Tage lang. Junge und Alte, an Bildung oder Geld ärmere oder reichere nebeneinander. Auf Isomatten, Feldbetten, Schlafsofas. Nicht immer geräuscharm – jedenfalls bei uns in der Burgschule in Esslingen – aber sehr herzwarm. Mit 25 Leuten in einem Klassenzimmer schlafen, da helfen manchmal auch keine Ohrenstöpsel und die Augenränder sind morgens beim Frühstück etwas größer als gewöhnlich. Aber das macht nichts. Auch ungeschminkt sind alle schön. Weil sie sich vertrauen und mehr von sich zeigen als sonst. Alt und jung erzählen sich nachts um halb eins, was sie am Tag erlebt haben.
Hier, im Kleinen, zwischen Luftmatratzen und beim Frühstück schien in den letzten Tage auf, wovon Salomo träumt: Eine Gesellschaft, die Raum hat für alle und jeden. Menschen, die aufeinander achtgeben, sich zuhören. Klar. Das war auch anstrengend. Die Gemeinschaftsquartiere werden morgen wieder Klassenzimmer sein, die Betten im Gästezimmer sind vielleicht schon abgezogen. Alles wieder wie vorher? Was wäre – auch wir träumten zwischen Tag und Nacht, zwischen Kirchentag und Alltag und Gott sagte: Fordere. Und wir hätten ihn frei, diesen Wunsch.
Was wäre – wir wünschten uns ein hörendes Herz – wie Salomo?
Wenn du mit dem Herzen hörst, lässt du dich berühren von denen, die ein Zuhause suchen. Du kannst erst dann ruhig schlafen, wenn auch deine Nachbarn im Flüchtlingsheim nebenan willkommen sind.
Wenn du mit dem Herzen hörst, glaubst du an das Gute, ohne gutgläubig zu sein. Du bist klug genug zu wissen: Für jeden Menschen auf dieser Erde gibt es einen Platz, eine Aufgabe. Niemand ist dazu geboren worden, auf der Flucht zu sein!
Wenn du mit dem Herzen hörst, siehst du die, die durchs Netz unserer Wohlstandsgesellschaft gefallen sind. Du entdeckst ihre Talente und suchst mit ihnen nach einer Perspektive, die ihnen einen Sinn im Leben gibt.
6. Träume haben Bestand
Salomos Traum vom hörenden Herzen gibt uns den Vorgeschmack auf einen Frieden, der realisierbar ist, weil er im Kleinen beginnt. Nicht nur die Politiker beim G7-Gipfel, wir alle stehen in der Verantwortung: An unseren Orten, mit unseren Möglichkeiten. Trauen wir Gott mehr zu als ein bisschen Sozialromantik: Einen Frieden, der die Welt umfasst.
Amen.