Moral - Predigt zu Epheser 5,1-8 von Jens Junginger
5,1-8

Moral - Predigt zu Epheser 5,1-8 von Jens Junginger

Moral

Ohne Moral kann Zusammenleben nicht gelingen.
Wir sind derzeit Zeugen dafür,
wie die Moral schwindet
innerhalb Deutschlands
innerhalb Europas.
An uns selbst können wir das vielleicht nicht .
 
Als Einzelne handeln wir nämlich intuitiv nach einem moralischen Code.
Wir helfen, wenn jemand in Not ist.
Wir verurteilen sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung.
Wir verurteilen Habgier und Unterdrückung.
Wir lehnen dummes Geschwätz und eine herabsetzende und menschenverachtende Sprache ab.
 
Woher haben wir unsere moralische Haltung?
Was beeinflusst unsere Moralvorstellungen, wodurch werden sie geprägt?
Es ist nicht allein die Vernunft, die unser moralisches Handeln steuert.
Da ist weit mehr Unbewusstes im Spiel, Erfahrung, Erziehung und Bildung. 
Die zunächst intuitive moralische Verantwortung zu helfen, zu beschützen kann sich mit einem Mal ändern. Dann, wenn wir uns selbst gefährdet sehen, wenn wir Verzicht oder persönliche Nachteile befürchten.

Stimmungen, Meinungen, Medien haben ihre Wirkungen und lassen uns abwägen ob sich unsere moralische Einstellung für uns selbst lohnt.
Wurden wir mit Liebe beschenkt und haben ein starkes Selbstwertgefühl, Selbstachtung. Können wir uneigennützig Liebe weitergeben.
Das sind Aspekte und Prägungen, die unsere Wert- und Moralvorstellungen wesentlich beeinflusst haben.[1]

Und genau da spielt die christliche Religion und ihre Werte und wie wir sie vermittelt bekamen eine nicht unwesentliche Rolle.

Moralapostel haben da ihre ganz eigenen auch n Dienste geleistet.
Wie glücklich und zielführend die waren, darüber kann man streiten. Sie haben auf jeden Fall nachhaltig gewirkt - positiv und negativ.

Auch deshalb hat der Titel „Moralapostel“ keinen sonderlich guten Klang.
Er steht für kleinkariertes mahnendes Belehren bei Fragen des individuellen Verhaltens.
In Teilen des folgenden Briefabschnitt wird ein solcher Tonfall angeschlagen:
Im Brief an Glaubensgenossen in der Stadt Ephesus liest ein Moralapostel seinen Adressaten die moralischen Leviten:
Hören Sie selbst die Zeilen aus dem 5. Kapitel des Epheserbriefs:

Nehmt euch also Gott zum Vorbild!
Ihr seid doch seine Kinder,
denen er seine Liebe schenkt.
2Und führt euer Leben so,
dass es ganz von der Liebe bestimmt ist.
Genauso hat auch
Christus uns geliebt
und sein Leben für uns gegeben –
als Gabe und als
Opfer,
das Gott gefällt wie wohlriechender Duft.
3Über Unzucht,
jede Art Unsittlichkeit
oder Habgier
sollt ihr nicht einmal reden.
Denn das gehört sich nicht für
Heilige.
4Ihr sollt nichts sagen,
das andere herabsetzt,
nicht dumm daherreden
und keine zweideutigen Witze machen.
Das ist nicht angemessen!
Bringt vielmehr euren Dank zum Ausdruck.
5Denn eines müsst ihr wissen.
Jede Art von Unzucht,
Unsittlichkeit und Habgier
– die ist ja nichts anderes als Götzendienst –
verhindert,
dass jemand seinen Anteil am
Erbe erhält:
dem Erbe in dem
Reich,
wo
Christus zusammen mit Gott herrscht.
6Niemand soll euch mit leeren Behauptungen täuschen.
Denn wegen solcher Dinge
bricht der Zorn Gottes über die Menschen herein,
die ihm nicht gehorchen.
7Mit solchen Leuten dürft ihr nichts zu tun haben!
8Denn früher wart ihr Teil der Dunkelheit.
Aber jetzt seid ihr Teil des
Lichts,
denn ihr gehört zum
Herrn.
Führt also euer Leben wie Menschen,
die zum
Licht gehören!

„Führt eure Leben so, dass es ganz von Liebe bestimmt ist, mit Hingabe“. Das ist ein Teil der Botschaft.
Der wohlklingende Teil. Und dass den Gott wie einen feinen wohlriechenden Duft wahrnimmt.

Dann jedoch folgen Zeilen, die sich als eine Zitatenfundgrube für puritanische Redenschreiber eignen.
Eine kleinteilig mahnende Aufzählung, die ein körper- und genussfeindlich, verbiestertes Leben propagieren und Moral auf individuelle Sexualmoral reduzieren.

Man sieht zugeknöpfte, enthaltsame, leicht verbiesterte aber dafür umso tüchtigere und fleißigen Arbeiter im Weinberg des Herrn vor sich. Den Prototyp, der das protestantische Arbeitsethos verkörpert.

Lassen wir aber zunächst die Wirkungsgeschichte beiseite und blicken auf die Umstände, auf die diese Briefzeilen ursprünglich getroffen sind.
 
Da haben wir vor uns die quirrlige Kulturhochburg Ephesus:
Mit 200.000 Einwohner war sie eine der größten und bedeutendsten und reichsten Städte des Römischen Reiches in der Provinz Asia. Eine für ihre Zeit gewaltige, aufblühende Weltstadt, mit großen öffentliche Prachtbauten und Prachtstraßen, einer einmaligen Bibliothek, mit Theater und einer namhaften Marktbasilika, sowie Tempel für einen aktiven Kaiserkult und mit dem Weltwunder des Tempels für die viel-brüstige Artemis. [2]
Vieles davon kann man heute noch besichtigen.

Hier – wie überhaupt in der nicht-jüdisch und nicht- christlichen Antike – war die griechisch-römische Religion und Kultur bestimmend. Religion und Glaube beschränkte sich auf eine rein kultische Verehrung von Göttern und Herrschaften.
Opfer- und Festriten waren, ohne jeglichen Bezug zum sonstigen Lebensalltag. 
Geopfert wurde der Vorstellung entsprechend:
Ich gebe – damit du Göttin Artemis gibst.
Ich hofiere dich, damit du mir wohlgefällig bleibst.

Anders war es für die Gläubigen in der jüdischen und dann auch in der christlichen Religion. Und ist es eigentlich bis heute.
Glaube und Werte. Glaube und Haltung. Glaube und Handeln hängen da aufs engste miteinander zusammen.

Gottesliebe ist zeigt sich in der Nächstenliebe.
Das ist die Kernaussage von Jesu Bergpredigt.
Der Gottesdienst setzt sich im Alltag der Welt fort.
Christlicher Glaube wirkt sich aus in der Übernahme moralischer Verantwortung.
Und die will Gültigkeit erlangen, relevant werden.
„gehet hin und tuet desgleichen“ ruft Jesus. 
„Wir können es nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“ (Apg 4,20) bricht es aus Petrus und Johannes gegenüber den Bürgern in Jerusalem heraus.

Die Mehrheitsgesellschaft jedoch, in Kleinasien und im römischen Reich, die tickte damals so völlig anders.
Moral spielte keine Rolle, der einzelne einfache Mesnch nicht , schon gar nicht der, der Hilfe brauchte, ungerecht behandelt oder versklavt wurde.
Es galt zu schuften, zu gehorchen, irgendwie durchzukommen den Göttern und Herrschern zu opfern.
Man musste sich als Mensch schlicht prostituieren.
Wer es nicht tat, gar einen anderen Glauben vertrat, eine andere Haltung zeigte und eine moralische Verantwortung zeigte, die jeden Menschen als Ebenbild Gottes verstand, sich hingab, der landete wie Paulus, immer mal wieder im Kerker.

In dieser Situation sagten sich manche unter den Christen:
Was solls!
Ich kümmere ich mich lieber um mich selbst, um mein persönliches Leben, mein persönliches Seelenheil,
meine Glaubensfestigkeit und meine inneren Glaubensgehorsam.

Durchhalten in der Zurückgezogenheit. Leben in der Distanz zur Gesellschaft. Konzentration auf Selbstdisziplin und eine asketische Lebensweise,[3] das war angesagt.

Diese individuelle Distanzierung und Abgrenzung spiegelt sich in den Zeilen des Briefschreibers wider, wenn er die verbreitete Unzucht, Unsittlichkeit und Habgier anspricht und die entwürdigende menschverachtende Sprache.
Wo wir derartiges heute wahrnehmen distanzieren wir uns. 
Sie bleibt jedoch vielfach unaufgedeckt, weil es weniger auf öffentlichen Plätzen als im engsten familiären Umfeld passiert. Die biblische Moral ist hat jedoch mehr im Blick als nur die Sexualmoral.      

Der züchtigend mahnende Tonfall, das ist das Markenzeichen eines kleinteiligen Moralisten. Der wohlriechende Duft den die Moral der Hingabe verbreitet hat sich verflüchtigt.

Der Briefabschnitt ist Zeugnis für eine Phase des Umbruchs in der Zeit der ersten Christenheit.
Die jesuanisch geprägte moralische Verantwortung für die Mitmenschen reduzierte auf die individualistische Askese, auf eine enge Körper- und Sexualmoral.

Wenn in diesen Tagen der Film Spotlight in die deutschen Kinos kommt, dann erinnert der an die bis heute gerne verdrängten Auswirkungen einer verdrängten Sexualität in christlichen Heimen, in Knabenchören, unter den zölibatär lebenden männlichen Mitchristen.
Sie erinnern an die nachhaltige Wirkung gestörter körperfeindlicher  Moralpredigten, die in einer konkreten Phase ihren Sitz im Leben hatten.

Daraus hat sich eine lieblose Morallehre und eine dunkle Pädagogik entwickelt, die gerade den sexuellen Missbrauch mit hervorgerufen hat und viele Menschen in beschämender Weise nachhaltig verstört, entwürdigt, verkorkst und auch kaputt gemacht hat.

Der Film „Das weiße Band“ aus dem Jahr 2009 gibt einen unerfreulichen Einblick in jene Epoche speziell protestantisch- pietistisch geprägter Kultur. In die ausgewiesene und erschreckende Sittenstrenge des 19 und beginnenden 20 Jahrhunderts.
Dargestellt wird, wie ein Pfarrer seine Kinder mit äußerster Härte erzieht, auch kleine Vergehen gnadenlos mit Prügeln bestraft und streng auf tugendhaftes Verhalten achtet. Des Nachts werden dem Jungen die Hände straff am Bettgestell festgebunden, damit er nicht länger seinen Körper erkundet.[4] Zur stetigen Ermahnung lässt er seine Kinder ein weißes Band als Symbol der Unschuld an der Kleidung tragen.

„Nehmt euch also Gott zum Vorbild!
Ihr seid doch seine Kinder,
denen er seine Liebe schenkt.
Und führt euer Leben so
dass es ganz von der Liebe bestimmt ist“

 
Das ist die Richtung und das Ziel, auf das der christliche Kompass ausgerichtet ist. Nicht die kleinteilige Landkarte, die alle Wege, Abkürzungen und Umwege zu diesem Ziel schon enthält“[5] (F.W.Steinmeier)

Gleichzeitig sind und bleiben wir als Menschen fehlerhaft, aber eben auch begnadet. D.h wir sind Teil des Lichts.
Wir können gar nicht anders als am Anspruch einer moralischen Perfektion zu scheitern.[6]
M. Luther wusste warum er für die Abschaffung von Klöstern und zölibatärer Geistlichkeit eintrat.
Wenn der jetzige Papst ein zölibatäres Leben mancher Amtsträger in Lateinamerika nicht mehr als ganz so verpflichtend verstehen will, dann scheint sich auch dort ein bisschen reformatorische Erkenntnis durchzusetzen.

Die Moralpredigt unseres Briefabschnitts gibt einen Kompass vor: Die liebevolle Hingabe Jesu.
Sie schärft den Blick,
Anzeichen sexuellen Missbrauchs aufmerksamer wahrzunehmen
Männern jedweder Herkunft und jedweden Alters klare Grenzen aufzuzeigen 
Sexualität in der Erziehung und Schule gerade nicht zu tabuisieren
Sprachlichen Entgleisungen klar und deutlich zu Einhalt zu gebieten 
Habgier nicht nur als individuelle Untugend sondern als Motor eines ungerechten Wirtschaftens zu identifizieren, das Fluchtursachen hervorruft 

Christliche Moral ist geprägt von Respekt und Solidarität!
Dem wohlriechen Duft, der Gott gefällt.
Amen
 


[1] R.D.Precht, Wer bin ich und wenn ja wie viele, München 2007, Vgl.S.132-176

[2] Art. Ephesus, in: Neues Bibellexikon, Zürich 1990, S.551

[3] Vgl. Jörg Lauster Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München 2015³