Nicht nur Hörer des Wortes - Predigt zu Matthäus 7,24-27 von Claudia Trauthig
7,24-27

Nicht nur Hörer des Wortes - Predigt zu Matthäus 7,24-27 von Claudia Trauthig

1
„Wieder mal geschafft!“, denkt sie im Stillen für sich, atmet tief durch und will die schwere Holztür „ihrer“ alten Kirche gerade kräftig hinter sich schließen. Der heutige Predigttext, das Schreiben der Predigt, haben ihr einiges abverlangt, sie regelrecht ins Schwitzen gebracht. Wieder und wieder hat sie die Worte leise murmelnd abgeklopft, die Löschtaste ihres Computers benutzt, eine Idee verworfen - und eine andere probiert.
Aber jetzt liegt der Gottesdienst hinter ihr und die junge Vikarin freut sich auf das Mittagessen zuhause mit ihrem Mann und der kleinen Tochter. Sie ist gut in der Zeit.
Als sie die Tür schließt, fällt ihr Blick unwillkürlich noch einmal auf das Bibelwort, das über dem Spitzbogen des Seitenportals angebracht wurde:

Seid Täter des Wortes und nicht bloß Hörer allein. (Jak 1,22)

„Wohl wahr“, denkt sie und läuft mit federndem Schritt die wenigen Meter bis zu ihrem kleinen Auto auf dem Gemeindeparkplatz. Da sieht sie Frau Braungart stehen. Am Rande des Parkplatzes und mit suchender Miene. Heute hat Frau Braungart ihren Rollator nicht dabei, nur einen Stock, auf den sie sich wackelig stützt. „Einen schönen Sonntag, Frau Braungart“, will die Vikarin grade wünschen, da seufzt die alte Dame: „Auf meinen Enkel ist doch kein Verlass! Nun warte ich schon über eine Viertelstunde - und er ist immer noch nicht da.“ Verunsichert und müde blickt Frau Braungart die Straße hinunter. „Wohnt sie nicht ganz hinten im Neubaugebiet, bei ihrer Tochter?“, überlegt die Vikarin, während sie Frau Braungart sanft an der Schulter berührt und tätschelt. „Das ist genau die entgegengesetzte Richtung von mir.“

2
Hören wir den Predigttext für den heutigen 9. Sonntag nach Trinitatis:

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß. (Mt 7,24-27)

Liebe Gemeinde, nur vier Verse sind es heute, aber die haben es in sich.
Vermutlich ist Ihnen klar, dass es Worte Jesu sind, (den Konfirmanden und Konfirmandinnen sei es hiermit gesagt) und vielleicht fällt Ihnen auch ein, wo diese Beispielgeschichte im Evangelium steht? Richtig - am Ende der Bergpredigt - also jener langen und vielschichtigen Rede, die Jesus oberhalb vom See Genezareth dem Volk gehalten haben soll. Manche sagen, diese Bergpredigt sei so etwas wie „die Regierungserklärung“ Jesu, „die neue Verfassung für das Reich Gottes“. Wer diese meine Rede hört – und tut sie (…). Wer diese meine Rede hört – und tut sie nicht (…). (Mt 7,24.26)
Durch zwei unmissverständliche Bilder veranschaulicht Jesus am Ende seiner „Regierungspredigt“, was es bedeutet, danach zu handeln – oder eben nicht: Da ist das eine Haus, das auf festem Grund gebaut, allen Stürmen und Wettern standhält. Und da ist das andere, das -wenn das Leben tobt- wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt, weil das Fundament nicht trägt.
Nicht nur im Lande der Häuslebauer erschließt sich dieser Gegensatz ganz von allein: Ein sicheres Zuhause ist eines der tiefsten Grundbedürfnisse jedes Menschen.
Wer diese meine Worte hört und tut sie…Wer diese meine Worte hört und tut sie nicht…(Mt 7,24.26)

 

3
„Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen.“
Diesen schroffen Satz, des von mir eigentlich verehrten Kanzlers Helmut Schmidt, habe ich noch im Ohr. „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen!“
Der Kanzler sprach jene Worte auf einem Kirchentag in den 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts, in jener Zeit, in der nicht nur ich, sondern viele junge Menschen in West und Ost für den Frieden auf die Straße gingen, Menschenketten bildeten und gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss protestierten. Fragen Sie mich jetzt bitte nicht, was das genau war. Unzweifelhaft ging es um eine Welt, in der Menschen friedlich zusammenleben, ohne immer weiter Milliarden in Rüstung und Abschreckungspolitik zu pumpen.
„Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen.“
So sehr ich mich als Studentin über diese simple Schroffheit geärgert habe, so sehr, ich gestehe es, habe ich sie doch im Laufe der Jahre übernommen - und irgendwie zu meiner eigenen Haltung gemacht.
Die Bergpredigt ist in der Tat die andere Welt Jesu, ein schöner Traum vom neuen Leben bei Gott, vom Reich der Himmel, in Ewigkeit. Amen.
Außerdem sind wir doch schließlich evangelisch, wie ja auch der Altkanzler, trotz aller Zweifel, bis zum Schluss seiner evangelischen Kirche in Hamburg treu blieb.
Evangelisch und damit bewahrt vor der seltsamen Vorstellung, man müsse sich durch gutes Leben und Tun einen Platz im Himmel verdienen.
Wir Evangelischen sind doch Kirche der Freiheit, wir müssen gar nichts, weder sonntags in die Kirche gehen noch werktags die Bergpredigt tun. Das ist es doch, was Luther vor 500 Jahren mit starker Hand an die Schlosskirche zu Wittenberg gehämmert hat. Oder nicht?

 

4
Zu Beginn der Bergpredigt sagt Jesus seinen Zuhörerinnen und Zuhörern:
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen um aufzulösen, sondern um zu erfüllen. (Mt 5,17)
Auf Schritt und Tritt durch die Evangelien und sein Leben begegnet uns in Jesus ein Mensch mit einem unvergleichlichen Respekt vor der Heiligen Schrift, den Propheten, dem Gesetz.
Jesus ist Jude, und wie alle Juden sieht er „das Gesetz“, also die Tora mit ihren Geboten, nicht als ein Joch, das auf dem Menschen lastet, belastet, gar erdrückt. Für Juden und Jüdinnen wohnt Gott selbst in den Geboten, ist dort zu finden. Sie sind die Brücke zum Himmel.
Wussten Sie, dass die gesamte Tora, also die fünf Bücher Mose, und damit „das Gesetz“ im Laufe eines Jahres weltweit in allen jüdischen Gemeinden im Gottesdienst gelesen und wieder gelesen und ausgelegt werden - für heute?
Die Gebote Gottes und nicht weniger die Bergpredigt Jesu sind also ganz und gar keine Last auf meiner Schulter, sondern der Weg des wahren Lebens.
Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. (Mt 7,24)

 

5
Liebe Gemeinde, nicht falsch verstehen: Es ist und es bleibt richtig, fest zu vertrauen, dass ich mir Gottes Liebe nicht durch ein angespanntes Abarbeiten der Gebote verdienen kann oder muss. Davon ist auch an keiner Stelle der Bergpredigt die Rede. Allein der Gedanke ist ganz absurd. Für jeden Juden und für Jesus erst recht. Für Luther natürlich auch.
Wir sind und bleiben Menschen, Menschen, die jenseits von Eden, als Christenmenschen hoffentlich ihr Bestes versuchen, aber dennoch immer wieder scheitern, vermutlich jeden Tag.
Wir sind Menschen, die angewiesen bleiben auf jenen viel Größeren, dem wir die Letztverantwortung für alles und alle auch getrost übergeben.
Das gibt uns aber nicht das Recht, mit den Schultern zu zucken und zu resignieren. Es gibt mir nie das Recht zu denken: „Ich Einzelne kann ja doch nichts machen.“
„Selbst wenn morgen die Welt unterginge, soll Luther ja auch gesagt haben, „will ich noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“ So wollen auch wir nicht nachlassen, Hoffnung zu pflanzen, dem Leben zu dienen, den Frieden auf Erden zu suchen und die Liebe zum Nächsten zu üben. Denn wo immer Gottes gute Gebote zum Leben missachtet werden, da wird Gott an den Rand geschoben und die Nächsten missachtet, vor allem die Schwachen. Oder die Natur. Schöpfung, die sich nicht wehren kann oder sich so wehrt, dass wir erst nicht begreifen und dann in Panik geraten.

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß. (Mt 7,24-27)

 

6
Darum: Lassen Sie uns mit diesem Vertrauen in die neue Woche gehen. Jesu Wort trägt. Es trägt uns ins Leben - und im Tun. Gottes Gebot ist der feste Grund unseres Lebens. Durch den Heiligen Geist zielt es immer wieder nicht nur auf unseren Kopf, sondern will im Herzen wohnen, damit es in die Hände fließt.
„Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“, will die Vikarin grade vorschlagen, als vor ihrem inneren Auge erneut die Losung vom Kirchenportal aufersteht: Täter des Wortes, nicht bloß Hörer allein. (Jak 1,22)
Wir müssen uns nicht den Himmel verdienen. Aber ein Stück Himmel auf Erden kann es sein, wenn Menschen auf der Basis guter Gebote liebevoll miteinander umgehen. Es sind die kleinen alltäglichen Entscheidungen, die darüber Auskunft geben, wie ernst es uns ist mit dem Glauben.
Beherzt hakt die Vikarin Frau Braungart unter. „Wissen Sie was - ich fahr Sie jetzt heim.
Und Sie erzählen mir ein wenig von Ihrem Enkel - und warum Sie eigentlich im Neubaugebiet wohnen.“ „Einverstanden.“  
Frau Braungart nickt und kann erst gar nicht viel sagen. Aber im Auto, da löst sich die Zunge. „Also, Ihre Predigt, Frau Vikarin, die hat mir heute ganz besonders gut gefallen.“

 

 

Perikope
Datum 13.08.2017
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 7,24-27