"Partizipation ist der Schlüssel" - Predigt über 4. Mose 11, 11-25 von Claudia Trauthig
11,25

"Partizipation ist der Schlüssel" - Predigt über 4. Mose 11, 11-25 von Claudia Trauthig

Partizipation ist der Schlüssel
  
  Liebe Gemeinde,
  
  in unserer Gesellschaft, zu Beginn des 3. Jahrtausends, gibt es ein neues Zauberwort.
  
  Bestimmt haben auch Sie es schon gehört…
  Ich selbst habe es mir vor einigen Jahren das erste Mal in mein Merkbuch notiert –
  den Zusammenhang weiß ich heute nicht mehr.
  Aber mein Merksatz steht da noch, und den habe ich im Kopf:
  „Partizipation ist der Schlüssel.“
  
  Partizipation, Beteiligung – das neueZauberwort, um verfahrene Dinge -wie den Streit um Stuttgart 21- zu schlichten,
  familiengerechte KiTas zu bauen oder um Arbeitsplätze zu schaffen, die nicht nur Lohn und Brot, sondern auch Lebensfreude befördern.
  
  Partizipation ist der Schlüssel, so die neue Erkenntnis. Doch vielleicht ist die gar nicht so neu?
  Blättern wir in der Bibel – und schlagen den Predigttext für den heutigen Pfingstsonntag auf. Ich lese Verse aus dem 4. Buch Mose, Kapitel 11:
  
  Und Mose sprach zu dem Herrn:
  Warum bekümmerst du deinen Knecht?
  Und warum finde ich keine Gnade vor deinen Augen, dass du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst?
  
  Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Kindern zugeschworen hast? Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer.
  Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss.
  
  Und der HERR sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtsleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst.
  
  Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des HERRN und versammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte.
  
  Da kam der Herr hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war und legte ihn auf die siebzig Ältesten.
  
  Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.
  
  Mose – ein Held befreit von der Rolle
  
  Liebe Gemeinde,
  dass die Bibel alles andere als verstaubt ist, wissen Sie als zuverlässige Gottesdienstbesucher und bekennende Christinnen hoffentlich längst. Aber dass sie –in ihren ältesten Überlieferungen wohlgemerkt!- so frisch und so dynamisch neue Wege einschlägt, wird durch das modische Hinterfragen dieses „uralten Schinkens“ leider Gottes verdeckt.
  
  Der heutige Predigttext offenbart uns neben einem liebevoll beweglichen Gott zugleich ein verblüffendes Muster für Führung. Auch wirft er Rollenerwartungen, die bis heute prägen, auch belasten, über den Haufen. Er steht für ein neues Bild vom „starken Mann“, und für Partizipation als Weg aus einer schweren Krise.
  Aber lassen Sie uns all´ das im Einzelnen anschauen:
  
  Da haben wir zunächst Mose. Eigentlich ist Mose doch ein „Held“: Er hat das Volk bei der Befreiung aus Ägypten angeführt. Er hat sich dem Pharao entgegen gestellt und seine Leute ermutigt, Freiheit zu wählen.
  Mose ist ein Mann zum Hochgucken. Seine Geschichte macht sich gut auf der Kinoleinwand, im Gospelklang oder auch im biblischen Bilderbuch.
  
  Unsere Pfingstverse aber zeigen den Volkshelden Mose ganz anders –
  und vielleicht braucht es gerade diesen anderen Mose, damit das Bild überhaupt stimmt und seine Geschichten uns auch weiter voran bringen.
  
  Erinnern wir uns: Mose war schon zu Beginn seiner Mission nicht ganz überzeugt, dass er der Richtige ist. Zunächst hat er sich gegen seine Rolle gewehrt - und schließlich waren ihm gerade seine Geschwister, Aaron und auch Mirjam, zur Seite gestanden. So hat er mit Gottes Hilfe tapfer eine Herausforderung nach der anderen gemeistert, meistern müssen.
  Jetzt aber, an diesem kritischen Punkt des weiten Weges, an dem man nicht allein die Fleischtöpfe, sondern sogar das Gemüse Ägyptens vermisst und infantil quengelt, hat Mose endgültig genug:
  
  Ich kann nicht mehr…, das Volk wird mir zu schwer.
  Lass mich einfach sterben – oder tu endlich was, Gott!
  
  „Burn Out“ – würde ein Hausarzt heute auf das Patientenblatt Mose schreiben: typisch für Menschen in Führungsverantwortung, symptomatisch für Leute, die sich zu lang verausgaben, nicht auf ihre work-life-balance achten. Mose ist depressiv, lebensmüde. Schluss mit der Heldenrolle. Mose fleht um Befreiung von den Rollenerwartungen an seine Person.
  
  Wie schwer Mose dieser Schritt gefallen ist, ahnen alle, die aus dem eigenen Leben, Vergleichbares kennen. Es ist schließlich schön, Verantwortung zu tragen, für andere da zu sein, Leitung zu übernehmen: Als Elternbeirätin oder Vorsitzender im Verein, als Abteilungsleiterin, Pfarrerin oder Klassensprecher.
  Meist liegt in jedem Anfang auch der Zauber, den Hermann Hesse preist, die Begeisterung des Aufbruchs. Aber niemand kann alle Erwartungen erfüllen. Unerwartet liegen Steine im Weg. Die Begeisterung, die eben noch über dem neuen „Führer“, der Leiterin zusammenschwappte, ist schnell verebbt: Der kocht auch nur mit Wasser. Die hat auch dunkle Flecken in ihrem Lebenslauf.
  
  Macht teilen, damit der Weg gelingt
  
  Schnell sehnt sich dann mancher lautstark zurück, schaltet den Verstand aus, reagiert infantil. Das ist heute nicht anders als damals: War es nicht doch besser…?
  In der DDR war auch nicht alles schlecht. Unter Mubarak hatten wir wenigstens, was man täglich braucht.
  Enttäuschung ist wie ein Ölteppich im Meer der Hoffnung. Schnell sind Schuldige gefunden. Im Zweifelsfall immer „die da oben“, denen man vertraut hat, denen man gefolgt ist und nun? Die Unterstützung schwindet. Jeder und jede aber bleibt angewiesen auf Unterstützung, nicht zuletzt von oben.
  
  In dieser Situation zögert Gott ganz und gar nicht.
  Der Hilferuf des Mose lässt ihn Neues schaffen. Nicht einen Freund, nicht zwei Geschwister werden Mose zur Seite gestellt. Nein: 70. Stark sein heißt hier: auch schwach sein können.
  
  Was es mit der Zahl 70 genau auf sich hat, darüber können wir nur spekulieren. Zur Zeit Jesu sind es 70 Mitglieder im Hohen Rat, dem Sanhedrin. Auch entsendet Jesus 70 Jünger: 70 Völkern sollen sie die frohe Botschaft weitersagen.
  
  Vielleicht auch gar nicht wichtig – wichtig ist:
  Mose hat seine Schwäche eingestanden, sie ungeschminkt Gott offenbart: Hier – sieh meine Wunde. Ich kann´s nicht mehr! Das läutet die Wende ein. In die Starre der Überforderung kommt neue Dynamik: Dynamik im eigentlichen Sinne des Wortes, denn das heißt: Kraft - Gottes Kraft, die nun auf viele übergreift.
  
  In unserer Geschichte sind es 70 Männer, 70 alte Männer. Alter wird hier nicht als Last und Einschränkung gesehen. Alter gerät nicht unter Demenzverdacht. Alter verleiht stattdessen eine besondere Qualität: die der Lebenserfahrung und Reife, die der abgestoßenen Hörner und Weisheit. So sehr es mich anspricht, dass es 70 alte Männer sind, so bedauerlich ist doch, dass keine einzige Frau erwähnt ist. Spötterinnen frotzeln: Na, auf eine Frau hätten die damals eh nicht gehört. Was den Männern zwar nicht gerecht wird, aber wohl der patriarchalischen Welt vor Jahrtausenden. Umso erstaunlicher bleibt, dass Mose in seiner klagenden Selbstoffenbarung ein weibliches Bild verwendet:
  
  Hab ich denn all das Volk empfangen oder geboren, dass du zu mir sagen könntest: Trag es in deinen Armen, wie eine Amme ein Kind trägt, in das Land, das du ihren Kindern zugeschworen hast?
  
  Gott und Mose haben jetzt, was sie brauchen: kritische Begleitung. Das Volk kann, wird weiter gehen: das gelobte Land fest im Blick. Die Macht, die uns in das Land, da Milch und Honig fließen, führt, ist eine geteilte Macht, angewiesen auf Gottes Geist: Partizipation ist der Schlüssel.
  
  
  Der Geist hilft unserer Schwachheit auf
  
  Liebe Gemeinde,
  diesen Geist feiern wir heute.
  Auf ihn hoffen wir, um ihn bitten wir, gerade da, wo wir nicht mehr können.
  Wir erkennen, ohne diesen Geist wären wir Widerständen nicht gewachsen, zahllosen Ängsten ausgesetzt, wäre unser Leben grau und leer.
  Pfingsten ist recht besehen täglich – dem Himmel sei Dank!
  Denn aus dieser Kraft leben wir…
  wenn wir morgens aufstehen und in den Tag aufbrechen.
  Wenn wir uns abends ins Bett legen und auf Ruhe hoffen.
  Paulus hat das sehr schön und oft beschrieben:Gottes Geist hilft unserer Schwachheit auf.
  Er wirbelt in unserer Kirche und im persönlichen Leben unverschämt Staub auf. Er weht auch heute noch, wo er will und streicht Sätze wie: Das schaff ich nicht oder Das haben wir ja noch nie gemacht… aus unseren Köpfen. Gedanken, die das Leben behindern, unsere Lebendigkeit rauben, lenkt er um, setzt ihnen Neues entgegen, das neue Lied, das klingt, bis wir einst alle uns wiederfinden in seinem Klang.
  Wo kämen wir denn da hin – steht nicht in seinem Regierungsprogramm, sondern: komm mit,
  die Tore stehen offen,
  das Land ist hell und weit.
  
  Ja - Pfingsten ist jeden Tag -
  wenn die Lehrerin ihren Schultern strafft und ein Lächeln aufsetzt. Wieder neu probiert sie es mit dieser Klasse, die ihr Mühe macht, die scheinbar nicht lernen will, nur Super RTL im Kopf hat.
  
  Pfingsten ist, wenn die Schwerstkranke mitten in der Chemo, wo alles wie zum Kotzen ist, spürt: mir fließt doch Kraft zu, ich komme weiter.
  
  Pfingsten ist, wenn der Chef sagt: Leute, ich bin ratlos, ich komme nicht zurecht– helft ihr mir weiter?
  
  Pfingsten ist jetzt und hier. Auch in Dir und mir. Wenn das kein Grund ist, in Verzückung zu geraten!
  
  Amen.