Perpetuum Mobile - Predigt zum 1.Johannesbrief 4,7-12 von Nico Szameitat
4,7-12

Perpetuum Mobile - Predigt zum 1.Johannesbrief 4,7-12 von Nico Szameitat

Es ist faszinierend. Und zugleich superschwer zu basteln. Denn bei so einem Mobile muss alles im Gleichgewicht sein.
An der Schnur hängt der Holzspieß, an dessen beiden Enden wiederum Schnüre hängen.
Diese müssen aber gleich schwer sein, oder man verschiebt die obere Schnur ein Stück.
Und was man dranhängt, muss ja auch gleich schwer sein oder man schiebt wieder etwas hin und her.
Oh ja, so ein Mobile fordert viel Geduld. Und doch ist es so faszinierend, wenn es erst einmal hängt: Scheinbar schwerelos schweben und drehen sich die kleinen Wolken. Umeinander. Ineinander. Und kommt ein leichter Wind, so wirbelt es fröhlich herum, bevor es wieder zur Ruhe kommt. Perfekte Harmonie.

Ihr Lieben, wir wollen einander lieben. Denn die Liebe kommt von Gott. Und wer liebt, hat Gott zum Vater und kennt ihn. Wer nicht liebt, kennt Gott nicht. Denn Gott ist Liebe. So ist Gottes Liebe bei uns sichtbar geworden: Gott sandte seinen einzigen Sohn in die Welt, damit wir durch ihn das Leben bekommen. Die Liebe besteht nicht darin, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat. Er hat seinen Sohn gesandt, der für unsere Schuld sein Leben gegeben hat. So hat er uns mit Gott versöhnt.
Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Aber wenn wir einander lieben, ist Gott in uns gegenwärtig. Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.
(1.Joh 4,7-12 BasisBibel)


Was für ein Mobile!
Fünfzehn rosa Wattebäusche, auf denen Liebe steht, elf weiße Wattebäusche, auf denen Gott steht. Dazwischen Stäbe und Schnüre: der Sohn, wir, das Leben. Perfekte Harmonie.

Und die Schnellfeuerwaffe im Einkaufszentrum zerschießt die rosa Watte.
Und die Axt im Regionalzug zertrennt die Fäden, die alles zusammenhalten.
Liebe – wo soll die sein?
Bis vor ein paar Monaten erschrak ich immer nur für ein paar Tage, wenn irgendwo im Ausland ein Attentat verübt wurde. Aber dann kam dieser Sommer. Und irgendwo in mir drin ist der Schrecken geblieben. Ich erschrecke, weil die Gewalt in meinem Alltag angekommen ist. Hier in unserem Land. Dabei ist es vollkommen egal, ob es ein Attentat oder ein Amoklauf ist, ob der junge Mann islamistisch ist oder nicht. Hass und Angst. Darum dreht es sich bei diesen Gewalttaten. Und leider funktioniert es. Der Hass der Männer erzeugt Gegenhass und Angst.

Da klingt die Rede aus dem Johannesbrief von Gott und seiner Liebe schnell wie ein rosa Mobile, wie ein billiger Traumfänger: harmlos und lächerlich. Also hänge ich dieses Watte-Mobile lieber gleich wieder ab. Ich geh´ zum großen Glaubensschrank in der Ecke und lege es in die zweite Schublade von links. Da, wo auch schon die Rede vom lieben Gott liegt. Die habe ich nämlich schon vor einiger Zeit aussortiert.

Jahrhunderte lang hat die Kirche den Menschen Angst gemacht mit einem strafenden und alles sehenden Gott. Im 20. Jahrhundert kam dann der Umschwung und aus dem strafenden Gott wurde plötzlich der liebe Gott. Ich mag ihn nicht. Der liebe Gott wird nämlich schnell zum lieben Hund: Der sieht aber lieb aus. Ist der brav? „Ja, der ist ganz lieb, der tut nichts. Ganz harmlos.“
Ich will keinen lieben, harmlosen Gott, der nichts tut. Der nur spielen will.
Natürlich will ich auch keinen strafenden Gott. Ich will einen ganz anderen Gott. Und den finde ich in der Bibel.
Und weil das rosa Mobile nun schon mal in der zweiten Schublade von links liegt, lasse ich die Wörter „lieb“ und „Liebe“ gleich mit drin und erzähle in anderen Worten von Gott.

Es war einmal ein Gott, der hatte sein Herz an die Menschen gehängt. Alles tat er für sie. Die Engel, die himmlischen Heerscharen, schüttelten schon den Kopf. Dieser Gott schloss sogar einen ewigen Bund mit einem Menschenvolk: dem Volk Israel. Er tat alles für sie. Er befreite sie aus der Sklaverei. Er zeigte ihnen neue Wege, er gab ihnen Regeln fürs Zusammenleben. Und wenn andere Völker das kleine Volk bedrohten, dann schützte und rettete er es. Notfalls mit Gewalt.
Später ging dieser Gott noch andere Wege, um den Menschen zu zeigen, wie wichtig sie für ihn waren. Er schickte immer wieder Menschen mit Botschaften, manchmal sogar Engel, um ihnen den richtigen Weg zu zeigen. Denn Menschen neigen nun einmal dazu, alles selbst am besten zu wissen.
Zum Schluss aber wagte Gott sein größtes Kunststück: Einen salto mortale, einen tödlichen Sprung kopfüber in das Menschenleben. Und plötzlich lag er da und schrie in dieser Krippe. Aus dem Schrei wurde ein Leben. Er wurde größer und lernte die Menschen von Angesicht zu Angesicht kennen. Er lachte mit seinen Freunden, weinte in Jerusalem und zitterte in Gethsemane. Und schließlich beendete er seinen salto mortale am Kreuz, „damit wir durch ihn das Leben bekommen“.
Mit gefangen, mit gehangen.
Mit gestorben, mit erstanden.

Seitdem kennt Gott uns durch und durch. Er weiß aus eigener Erfahrung, was wir oft durchmachen. Er kennt die Schmerzen und die Angst. Und noch immer hört er nicht auf, für uns Menschen da zu sein.
Gott hat uns nicht einfach lieb. Seine Liebe ist kein rosa Plüsch. Nein, Gott brennt für uns.
Seine Liebe ist brennendes Feuer und rauschendes Wasser. Kraftvoll, auch gefährlich. Und nicht zu bremsen.
Und wir?

Am Montag stand es in der Zeitung: Dass es am Wochenende am ZOB eine Schlägerei gegeben hatte. Und dass einer verletzt liegen geblieben war. Viele Passanten gingen vorüber. Der hat wahrscheinlich zu viel getrunken. Bestimmt so eine Familienfehde, bloß nicht einmischen.
Endlich rief einer die Polizei, es war der Mitarbeiter vom Döner-Laden. Der Verletzte wurde ins Krankenhaus gebracht, die Täter sind noch nicht gefasst. Als der Mann aus dem Döner-Laden gefragt wurde, warum er Hilfe gerufen hat, verstand er die Frage nicht.

Es geht um eine Grundhaltung, eine selbstverständliche Grundhaltung. „Liebt einander!“ meint nicht, ein warmes Gefühl gegenüber der Menschheit im Allgemeinen zu hegen und wöchentlich seine zwei Euro in die Kollekte zu werfen.
„Liebt einander!“ meint eine Grundhaltung, aus der Taten wachsen können.
Öffnet Euer Herz so weit, dass Ihr jederzeit bereit seid, wenn tatkräftige Hände gebraucht werden. Oder eine ehrliche Zunge.
Bezieht klar Stellung, wenn beim Bäcker morgens wieder ein dummer Spruch über Flüchtlinge fällt.
Haltet euch bereit für Tat und Wort.

Ich schlendere noch einmal am Glaubensschrank vorbei. Die zweite Schublade von links lasse ich zu. Es mag andere Zeiten geben, wo federleichte Watte-Mobiles wieder nötig sind.
Dafür höre ich es drei Schubladen weiter pochen und stampfen. Ich öffne die Schublade und sehe ein ganz anderes Mobile: Ein Perpetuum Mobile. Eine Maschine, die ohne einen Anstoß und ohne, dass man neue Energie hineingibt, sich von alleine immer weiter bewegt. Die sich nie abnutzt und nie zur Ruhe kommt.

Und ich erkenne: Das ist die Liebe Gottes. Eine ewige Bewegung, eine Kraft, die nicht schwächer wird. Auch wenn ich schwach werde, weil ich einfach nicht mehr kann und die Angst stärker ist als mein Herz.
Die Liebe Gottes pulsiert weiter und weiter. Eine Kraft, die ausstrahlt und trägt, die unsichtbar auch dich trägt.

Niemand hat dieses Perpetuum Mobile je gesehen. Aber du kannst sehen, was es in Kraft setzt.
Letzten Samstag am ZOB und morgen beim Bäcker um die Ecke. Amen.