Predigt für einen Wunschliedergottesdienst von Claudia Bruweleit

Predigt für einen Wunschliedergottesdienst von Claudia Bruweleit

Predigt für einen Wunschliedergottesdienst

Bild Flüchtlingskind Mohammed, zehn Tage alt[1]

(Download des Bildes hier: www.ekd.de/download/20151202_gdm_mohammed_zehn_tage.jpg, Foto: © Nicole Schneidmüller-Gaiser, Hattingen 2015)

Liebe Gemeinde,

in Bethlehem kehrte wieder Ruhe ein nach der Heiligen Nacht. Die Engel mit ihrem Glanz und die Hirten mit ihren Schafen sind weitergezogen. Maria und Josef haben sich mit Jesus auch wieder auf den Weg machen müssen – aus Angst vor König Herodes flohen sie nach Ägypten.

Auch in unseren Häusern ist es ruhiger jetzt, am Sonntag nach Weihnachten. Ich denke darüber nach, was dieses Kind in der Krippe heute mit uns zu tun hat. Dieser Gottessohn, den Gott selbst uns geschickt hat. Was nehme ich mit von diesem Kind?  Dabei fällt mein Blick auf das Bild eines zehn Tage alten Flüchtlingsjungen – in Nordrhein-Westfalen ist es entstanden. Dort hatten am Martinstag dieses Jahres 50 syrische Flüchtlinge Schutz in der modernen Kirche gefunden. Mohammed heißt der kleine Junge, er liegt in einer Baby-Tragetasche neben Feldbetten vor dem Kreuz und dem verhüllten, zur Seite geschobene Taufbecken und Altar dieser Kirche.

Seine Mutter wird es dort zum Schlafen gelegt haben. Sie hat vielleicht in der Kirche ein wenig Ruhe gefunden, bevor sie sich weiter aufmachen musste oder auch durfte, um einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Das Kind zieht meine Gedanken an. Es strahlt Ruhe aus. Nichts ist so friedlich wie ein Baby, das schläft. Seine Zukunft ist mehr als ungewiss, doch in diesem Moment  scheint es geborgen in seiner Tragetasche, im großen Kirchraum. Ich hoffe, dass es auch jetzt, wenige Wochen nachdem dieses Bild entstanden ist, ein Dach über dem Kopf hat und ein Gesicht, das sich liebevoll zu ihm beugt.

Der Gottessohn in Bethlehem und das Flüchtlingskind in dieser Kirche sind beide verletzlich und zart – zu klein, um allein ihr Leben zu bestehen. Sie sind angewiesen auf andere Menschen. Ein solcher Mensch hat dieses Foto gemacht – berührt von diesem kleinen Wesen. Viele Menschen nehmen in unserem Land Anteil am Schicksal der Geflüchteten. Das Schicksal dieser Menschen verändert uns. Wir werden empfindsamer, mitfühlender. Viele von uns setzen sich ein für Fremde.  Manchmal denken sie nicht lange darüber nach, was geschehen könnte, sondern springen unmittelbar den Menschen zu Hilfe. Wie ein Mann in einer Hafenstadt im Norden.  Als ein kleines Mädchen nahe der Flüchtlingsunterkunft an einem späten Herbstabend in das eiskalte Wasser des Bootshafens fiel, zögerte der Mann vom Sicherheitsdienst nicht lange, sondern sprang ihm nach und rettete das Kind. Er wird lange noch an dieses Mädchen denken.[2] „Nicht auszudenken, was geschehen wäre…“ sagt er nachdenklich.

Ich glaube, dass das Kind in der Krippe in Bethlehem bis heute uns anstößt,  uns anzieht. Wir sehen dieses Kind, das wie jedes andere Kind aussieht. Wie ein Mohammed oder eine Annie – und es kann sein, dass in der Tiefe etwas in uns antwortet.

Wenn ich dieses Bild anschaue, spüre ich, dass ich mir für mein Leben wünsche, dass auch ich geborgen bin, auch wenn die Zukunft ungewiss bleibt. Wenn ich an Jesus in der Krippe denke, spüre ich, dass ich aufgehoben bin – in allem, was mich als Mensch bedrängt, bin ich nicht allein. Gott selbst ist darin.

Das Gotteskind in Bethlehem kann uns dazu bringen, über unser Leben nachzudenken. So wie der König in dieser Geschichte:

Er war ein König, der alles hatte, was sich ein Herrscher wünschen kann. Doch er fühlte sich müde und allein. So viele Jahre hatte er die Krone nach außen vertreten, hatte verhandelt und gekämpft und sich dabei den Menschen entfremdet. Er besaß Wissen und Erfahrung und war allen überlegen. Vor lauter wichtigen Dingen sah er nicht mehr, was um ihn geschah. Er spürte nur, dass er in seiner Würde immer einsamer wurde.

Eines Tages erinnerte er sich, dass er von drei Königen Kunde bekommen hatte, die einem Stern gefolgt waren und an einem abgelegenen Ort einen kindlichen König gefunden hatten, der ihr Leben völlig verändert hatte. Er entschloss sich, auch dorthin zu gehen. Vielleicht würde er dort finden, was ihm Reichtum und Würde versagten. Er sagte niemanden ein Wort, legte alle Zeichen seiner Stellung ab und machte sich heimlich auf den Weg.

Er nahm nur seinen Stab mit sich, der ihm am liebsten war. Er war aus edlem Holz gefertigt und mit vielen goldüberzogenen Figuren verziert, die seine Kämpfe und Siege darstellten. Er bestrich ihn unterwegs mit Erde und Asche, damit er seinen Träger nicht verriete. Nachdem er am Ort angekommen war, der ihm aus der Kunde der drei Könige bezeichnet worden war, stand er vor einer armseligen Hütte. Er stieß die Holztüre auf, die nur angelehnt war, damit auch ein Schwacher sie öffnen könnte, und trat ein. Er blickte um sich. Niemand war da. Nichts war da.

Nur eine Krippe stand da, sie war leer. Der Boden unter ihr war von vielen Füßen zertreten. Nachdem sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, bemerkte er einen alten Hirten, der vor der Krippe kniete und in seine Gedanken und Träume versponnen schien. Sein Stab lag neben ihm auf der Erde. Er bemerkte den Eingetretenen nicht. Seine Augen waren weit und offen und schauten dahin, wo nichts mehr zu sehen war. Von der seltsamen Kraft dieser Andacht betroffen, blieb der König regungslos stehen. Er betrachtete lange die Krippe, in der einst der kindliche König gelegen hatte. Ihre Leere begann wie ein Sog auf ihn zu wirken und holte aus dem Verborgenen seines Herzens empor, was ihn seit langem bewegt und unruhig gemacht hatte. Seine Herrscherkraft und seine Menschenscheu, seine Würde und seine Einsamkeit, sein Amt und seine Müdigkeit stiegen in ihm hoch, fielen von ihm ab und sanken in die Krippe, dorthin, wo der versunkene Blick des alten Hirten ruhte.

Ein leiser Wind strich über die Hütte, und es war, als ob er in einem sanften Wirbel die Nöte des Königs und die Andacht des Hirten vermischte. Beider Herzen füllten sich mit dem, was in der Krippe lag. In die Augen des Hirten kam ein wissender Glanz und in die Augen des Königs ein milder Schein.

Der Hirte erkannte plötzlich die Größe der Verantwortung und die Not der Macht, die hinter dem Unbekannten aufstiegen, und der König spürte die Tiefe und Güte des Friedens, der vom Knienden ausging.

Erschrocken schauten sie einander an. Der König ließ seinen Stab aus der Hand fallen, kniete neben dem Hirten nieder, umarmte ihn und wurde von ihm umarmt. Lange verharrten sie schweigend nebeneinander, jeder spürte die Nähe des anderen. Dann erhoben sie sich, nahmen ihre Stäbe, verließen die Hütte, und jeder ging nachdenklich seines Weges. Erst nach einiger Zeit merkte der König, dass sein Stab anders in der Hand  lag als sonst.

Er schaute ihn an und sah, dass er den Stab des Hirten mit sich genommen hatte. Er stütze sich kräftig auf ihn und wanderte mit wachen Augen durch sein Land. Zum ersten Mal sah er, wie die Menschen lebten, litten, arbeiteten und miteinander umgingen.

Er ließ den Stab auch nicht aus der Hand, als er wieder zu Hause war und den Geschäften seines Amtes nachging. Alle verwunderten sich über den unköniglichen Gegenstand und wollten ihm etwas Würdigeres aufdrängen. Er aber lächelte nur und sagte: „Mein Stab ist in rechten Händen, und der Stab in meiner Hand ist der rechte Stab. Es genügt, dass irgendwo jemand ist, der an mich denkt und Königliches sinnt, wie es genügt, dass ich weiß, für welche Menschen ich königlicher Hirte bin.“ Er herrschte friedlich über sein Volk und dankte dem Geheimnis der Hütte, das diesen Tausch zustande gebracht hatte.[3]

Liebe Gemeinde, wo Gott uns nahe kommt, kann es geschehen, dass wir tiefer zu uns selbst finden – und zu anderen. Das wünsche ich uns in dieser Weihnachtszeit und auch in dem, was im Neuen Jahr auf uns zukommt. Amen

[1] www.ekd.de/gottesdienst-und-migration

www.ekd.de/download/20151202_gdm_mohammed_zehn_tage.jpg

Foto: © Nicole Schneidmüller-Gaiser, Hattingen 2015

11.11.2015  -  50 Flüchtlinge wohnen vorübergehend in der Kirche Winz-Baak in Nordrhein-Westfalen. Ein Bericht zur Kirche als Herberge am Martinstag 2015 von Nicole Schneidmüller-Gaiser steht auf den Internetseiten des Kirchenkreises Hattingen-Witten:

http://www.kirche-hawi.de/gemeinden/hattingen/winz-baak/aktuelles/2015-11-feldbetten-stehen-im-altarraum/

So sieht die Kirche von Winz-Baak gewöhnlich aus:

http://www.baukunst-nrw.de/bilder/full/2205_058711.jpg

[3] Leicht abgeändert nach: Werner Reiser in: Marita Koerrenz, Entdeckungsreise Kirchenjahr. Unterrichtsmaterialien für die Grundschule

© 2013, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co.KG, Göttingen ISBN Print: 9783525776650 — ISBN E-Book: 9783647776651

http://www.onleihe.de/static/content/vandenhoeck/20130108/978-3-647-77665-1/v978-3-647-77665-1.pdf besucht am 21.12.2015 16.35h