Predigt: Schaut nach oben
9,1-6

Es war eine klare Winternacht im Schwarzwald. Ich hatte mir eine Nachtwanderung gewünscht, mit meinem Mann Peter: ein glitzernder Sternenhimmel, frische Luft und ein Hauch vom harzigen Duft der Nadelbäume, doch als wir durch den Wald stiefelten, nahm ich diese Schönheit gar nicht wahr. Meine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, den Weg zu finden. Es war richtig dunkel. Immer wieder schlugen mir Zweige der Bäume ins Gesicht, wenn ich von der Mitte des Pfads abgekommen war.

Mit den Händen tastete ich mich vorwärts. So eine dumme Idee, nachts in den Wald zu gehen, wenn man den Weg nicht sehen kann.

Da rief mir Peter zu: Schau nach oben.

Nach oben schauen? Was soll denn das? Ich will doch sehen, wohin ich gehe.

Aber noch einmal forderte Peter mich auf: Schau nach oben.

Also gut. -- Und? Über mir der sternklare Himmel, ein Streifen zwischen den Bäumen, hell genug, um zu erkennen, wo der Pfad verlief. Jetzt, wo ich die Sterne über mir sah, war es nicht mehr schwierig, voranzukommen. das Gehen fiel mir leichter, weil ich eine Orientierung hatte.

Heute, am zweiten Advent, mitten in der Zeit, wo es früh dunkel wird, hören wir die Aufforderung, nach oben zu schauen: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“

Die Aufforderung, nach oben zu schauen, liegt nahe. Denn meistens blicken wir nach unten, wenn wir unseren Weg in der Dunkelheit suchen. Der Prophet Jesaja hat davon gesprochen, als er sagte: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Und es war wirklich eine finstere Zeit für Jesajas Volk. Es gab Hunger, Ungerechtigkeit, Gewaltherrschaft der feindlichen Mächte. Gott schien weit weg. Ein Messias, ein Erlöser war versprochen worden und die Leute warteten, ohne dass etwas geschah. Sie wandelten wirklich in der Finsternis.

Auch wir sind Menschen, denen Finsternis und Dunkelheit nicht fremd ist. Unsere Welt ist nicht so, wie wir sie uns wünschen würden. Es gibt so viel Krieg und Ungerechtigkeit, Terror und Gewalt. Auch die Wahlergebnisse in den Vereinigten Staaten – meinem Heimatland – haben viele Menschen betroffen gemacht und verunsichert. Wir fragen uns, wie wird es weitergehen?

Und auch im eigenen Leben erleben viele Menschen Dunkelheit: Sorgen, Enttäuschung, Einsamkeit... Wie oft haben wir das Gefühl, den Anforderungen nicht zu genügen: nicht gut genug zu sein, nicht leistungsfähig genug, nicht selbstbewusst genug, nicht schlank genug, nicht schön genug... Wir sind auf der Suche nach einem Ort, wo unser Leben etwas bedeutet, und fühlen schmerzhaft, wenn wir versagen. Wir machen uns Sorgen um unsere Kinder und welchen Weg sie einmal einschlagen werden. Es bedrückt uns, wenn wir daran denken, wie vielen Gefahren und Versuchungen sie ausgesetzt sind. Auf welche Stimme werden sie hören, welchen Parolen werden sie folgen?

Auch wir sind ein Volk, das in der Finsternis wandelt, wir halten Ausschau nach einem Licht, nach Hoffnung am Horizont, das das Licht einen neues Tages bringt, den Beginn eines neuen Königsreichs von Frieden und Gerechtigkeit.

Ich erinnere mich an eine Erfahrung vor vielen Jahren in den USA, als ich einmal auf einen Berg stieg, um den Sonnenaufgang zu erleben. Cadillac Mountain liegt ganz im Osten an der Küste, so dass dort der allererste Tagesanbruch in den Vereinigten Staaten ist. Am Vorabend stieg ich hinauf, suchte mir im Dunkeln einen Platz im Schutz eines Felsens, und hüllte mich in eine Decke gegen die Kälte der Nacht. Und, liebe Gemeinde, bald wurde es wirklich kalt und dunkel. Während die Stunden vergingen, hatte ich Gedanken, die ich Nacht-Gedanken nennen möchte. Solche Gedanken, die einem in der Nacht kommen und am Einschlafen hindern, wo die Probleme ins Unermessliche wachsen und man sich ganz klein und verloren fühlt. Wie wird es bloß weitergehen? Und was ist mein Leben überhaupt wert? Ja, fragte mich sogar, ob die Sonne überhaupt wieder jemals aufgehen würde, als ... als sie es wirklich tat.

In diesem Moment waren alle dunklen Gedanken wie verflogen. Und ich machte eine erstaunliche Entdeckung: Ich war nicht allein auf dem Berg. Dutzende anderer Menschen hatten sich ebenfalls einen Platz zwischen den Felsen gesucht, um den Sonnenaufgang zu erleben, und im heller werdenden Morgenlicht erkannte ich, dass ich auf meiner Reise Weggefährten hatte. Dadurch war alles anders.

Auch wir sind auf einer Reise. Die Adventszeit ist wie eine Reise. Wir sind alle eingeladen, unseren Weg nach Bethlehem zu gehen und in unseren Herzen und unserem Leben einen Platz vorzubereiten, wo Christus geboren werden kann. Wir sind gerufen, den Dunkelheiten in unserer Welt und in unserem eigenen Leben entgegenzutreten und eine Hoffnungsflamme in unserem Herzen anzuzünden, und das Licht Christi, das in die Welt kommt, zu empfangen. Die Adventszeit ist eine Zeit, in der wir uns an Gottes Verheißungen erinnern. Wir feiern, dass Gott mit uns ist. Er ist der Gott, der zu uns kommt, dorthin, wo wir sind, in die Mitte unserer Dunkelheit. Und er bietet uns einen Weg an voranzugehen, in Frieden und Wahrheit, um der gequälten Welt Hoffnung zu bringen. „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“

Heute sind wir unter einem Stern versammelt, der gemeinsam von vielen Menschen aus der Gemeinde gebaut wurde, von jungen und alten, von Menschen mit einer Behinderung und von Menschen, die als Flüchtlinge in unserer Stadt leben. Das Basteln des Sterns hat uns näher zusammen gebracht und ist ein Hoffnungszeichen, dass wir gemeinsam etwas Gutes bewirken können. Mehr noch, der leuchtende Stern über uns sagt: wir sind nicht allein, Gott ist mit uns. Wir haben einen Begleiter auf dem Weg. Von diesem Stern empfangen wir Hoffnung, dass wir nicht allein sind. Denn er weist uns den Weg nach Bethlehem, wo Gott in die Welt kommt, um unser menschliches Schicksal zu teilen und mit uns zu sein.

Wenn wir uns nun unter dem Licht des Sterns versammeln, wenn wir den Blick nach oben richten, bringt er Wärme und Licht in unsere Herzen. Dass wir zusammen sind, gibt uns die Kraft, die Orte der Dunkelheit zu benennen - in unserer Welt und in unserem Herzen. Wir können der Dunkelheit mit Mut entgegentreten und das Licht Christi in der Welt anzünden und die Schatten austreiben.

Als ich vor vielen Jahren in einer dunklen Winternacht im Schwarzwald gewandert bin, hörte ich die Aufforderung „Schau nach oben“. Das hat mir damals geholfen, den Weg zu finden.

Und diese Botschaft ist auch heute noch wichtig: schaut nach oben. Es sind Worte, die zu uns sprechen, wenn unser Weg durch Dunkelheit führt. Es sind Worte, die wir weitergeben können, wenn wir Menschen treffen, die ebenfalls auf dunklen Wegen unterwegs sind.

Hoffnung empfangen. Hoffnung weitergeben. Vielleicht ist dies unsere Aufgabe in der Adventszeit, darauf hinzuweisen, dass über uns ein Stern scheint, der in der Dunkelheit leuchtet und uns den Weg weist.

Lasst uns Hoffnungsboten sein. Christus kommt in die Welt, wie ein Licht in der Dunkelheit. Lassen wir sein Licht in der Welt scheinen. So wie es der Prophet Jesaja sagt: Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt. Amen.

Perikope
04.12.2016
9,1-6