Predigt über 1. Korinther 2, 12-16 von Rudolf Rengstorf
2,12

Predigt über 1. Korinther 2, 12-16 von Rudolf Rengstorf

Liebe Gemeinde!
  
  Im Evangelium des Pfingstfestes (Apostelgeschichte 2) wird uns eine hinreißende Geschichte erzählt. Wie der Geist Gottes stürmisch und feurig in die kleine Jüngerschar fährt,
  Fenster und Türen aufreißt und sie nach draußen fegt. Wie sie - die bis dahin so Ängstlichen und Verzagten - ohne jede Scheu auf wildfremde Menschen aus aller Herren Länder zugehen, alle Sprachbarrieren spielend überwinden und das Evangelium so unter die Leute bringen, dass es bei denen auch sofort ankommt. Wie mit einem Schlag die Kirche da ist. Was gäbe ich dafür, dabei gewesen zu sein!
  Es sieht so aus, als habe der Heilige Geist in  der langen Zwischenzeit  gewaltig an Schwung verloren, als sei aus dem  Sturm des Anfangs ein kraftloser Hauch geworden. Bis hin zur Ord-
  nung unserer Gottesdienste, die Kirchenbesucher ja nicht gerade aus den Bänken reißen, sondern dem Bedürfnis stiller Sammlung entgegenkommen. Und wenn ich dann noch an die wohl abgewogenen Erklärungen von Synoden und Kirchenleitungen denke, an die gründlichen Protokolle von Kirchenvorstandssitzungen und die harmlosen Texte in unseren Gemeindebriefen - wo ist da noch eine Spur von Sturm und Feuer!
  
  Der Bibeltext, der der heutigen Predigt zugrunde gelegt werden soll, kann uns helfen, neu hinzuschauen. So schreibt Paulus  im 2 Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther:
           
        Wir haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern des Geist aus Gott,
        dass wir wissen, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht  
        mit Worten, wie es menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist    
        lehrt und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen.
        Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes. Es ist ihm eine Torheit,   
        und er kann es nicht erkennen, denn es muss geistlich beurteilt werden.
        Der geistliche Mensch aber beurteilt alles, und wird doch selber von niemandem beurteilt.   
        Denn wer hat des Herren Geist erkannt, oder wer will ihn unterweisen?
        Wir aber haben Christi Geist.
  
  Im Unterschied zur Pfingstgeschichte werden uns hier keine packenden Bilder vor Aiugen gestellt. Dafür viele abstrakte Begriffe, zwischen denen man sich schnell verloren vorkommt. Doch zwei Elemente  des Textes  fallen sofort auf und verdienen festgehalten zu werden:
  
  Zum einen wird deutlich gesagt, was der Geist Gottes in Mernschen bewirkt: Sie  wissen, was uns von Gott geschenkt ist.  Von Natur aus  lassen Menschen sich  vom Blick auf sich selbst leiten, also von dem, was sie können, leisten, sich verdient haben oder auch von dem, was andere ihnen voraus haben und worin sie selber benachteiligt sind. Von Natur aus sagt der Mensch: Ich bin mir selbst der Nächste, muss  sehen, wie ich gut durchkomme, habe nichts zu verschenken, denn mir wird auch nichts geschenkt. Und daraus – so scheint es natürlich -  bildet sich eine Gesellschaft, in der nur noch das Geld und die Ellenbogen zählen. Dass Menschen sich diesem natürlichen Geist des Egoismus entziehen und anders ticken, weil sie  beherzigen, dass  ihr Leben  vom ersten Atemzug an reines Geschenk ist und sie nur deshalb zu Eigenem kommen konnten, weil andere  für sie da waren – das bewirkt der Geist dessen, dem sie sich verdanken.
  
  Zum andern fällt an diesem Text sofort die Schwarz-Weiß-Malerei ins Auge: Hier der Geist Gottes mit Menschen, die  von ihm durchdrungen und geleitet werden – also „geistlich“ reden urteilen und handeln – dort  der Geist der Welt, der vom Geist Gottes nichts mitbekommen kann und  ihn zur Torheit erklärt. Und die Christen? Wir – sagt Paulus haben den Geist Gottes und stehend er Welt  gegenüber, sind sozuagen das Licht im Dunkel dieser gottvergessenen Welt.
  
  So hilfreich ich das erste Element, den Geist Gottes als Geist der Dankbarkeit zu begreifen, empfinde, so wenig kann ich mit dem zweiten Element – hier die geistlichen Christen, dort die geistlose Welt – anfangen. Im Anfang mögen die Chrisen das so erlebt haben, dass sie sozusagen als Verkörperung des Geistes Gottes einer gottlosen Welt gegenüber standen. Doch inzwischen – und das kann ich hier an diesem Zwei-Fronten-Text von Paulius besser erkennen als  in der  Feuer- und Sturm-Erzählung des Lukas – ist der Geist nicht etwa verschwunden. Der Geist ist  gewandert in die Welt hinein. Verschwunden ist er nur bei denen, die meinen, ihn zu haben. Das lässt der Geist Gottes sich nicht gefallen, dass Menschen meinen, ihn vereinnahmen und in der Kirche kasernieren zu können. Bei ihm geht es nicht um Sein oder Haben, bei ihm geht es immer ums Kommen. Deshalb  wird in allen Pfingstliedern um das Kommen des Geistes  gebeten, ja gefleht. Und das ausgerechnet  am sogenannten Geburtstag der Kirche  Denn Kirche lebt nun einmal nicht davon, dass sie schon so lange da ist, was übrigens bewi den „Geburtstagskindern“ selbst auch nur zu müdem Lächeln führt. Kirche lebt davon,  dass der Geist Gottes  kommt und  Herz und Denken auf das Danken und Schenken ausrichtet. Und das geschieht weiß Gott nicht  nur innerhalb der verfassten Kirche oder ihrer „Kerngemeinden“,
  
  Dass der Geist Gottes kommt, geschieht unübersehbar auch in gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen.  Oder woher kommt es, dass unser Grundgesetz  vom Geist  seines Anfangssatzes geprägt ist: „Die Würde des Menschen unantastbar“, das heißt: letztlich bleibt der Mensch  menschlicher Verf+ügung und Beurteilung entzogen. Und wir leben davon, dass das da nicht nur steht. Wir leben davon, dass  es überall in unserer Gesellschaft in Parteien und Gewerkschaften,  Wirtschaftsunternehmen und Banken immer von neuem Menschen gibt, die sich davon entzünden lassen, dass Eigentum verpflichtet und starke Schultern die Lasten der anderen mittragen.
  Und Kirche ist nur Kirche, wenn und solange sie die Bewegung des Geistes Gottes hin zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aufmerksam verfolgt. Vorantreiben kann sie ihn nur, wenn der Geist Gotes kommt und  sie mitnimmt dahin, wo auch andere am Werke sind. Aber  klar und  strittig Stellung beziehen und eindeutig  die Richtung aufweisen, das kann man von ihr  verlangen. Denn zumindest das müsste sie von Jesus gelernt haben. Amen.