Predigt über 1. Mose 4, 1-16a von Rainer Kopisch
4,1

Predigt über 1. Mose 4, 1-16a von Rainer Kopisch

Liebe Gemeinde,
Es ist kein Geheimnis, dass wir Menschen versuchen, Gott durch unseren menschlichen Blick zu erkennen. Was passiert dabei?  Wir erkennen ihn dann mit menschlichen Eigenschaften ausgestattet. Das macht es uns überhaupt erst möglich, Ideen und Einfälle über Gott aus unserer Sicht zu entwickeln. Ob das Vorgehen erfolgreich ist, ob wir damit Gott wirklich besser kennenlernen und ihn besser verstehen können, kann sich zeigen.
Lassen Sie uns dies an der Geschichte von Kain und Abel versuchen, in der Gott eine wichtige Rolle spielt.
Wir hören die Geschichte aus dem ersten Buch Mose 4,1-16a
Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN.
  Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.
  Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes.
  Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett.
  Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
  Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.
  Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick?
  Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben.
  Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen;
  du aber herrsche über sie.
  Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen!
  Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot.
  Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel?
  Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?
  Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.
  Und nun: Verflucht seist du auf der Erde,
  die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen.
  Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben.
  Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.
  Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte.
  Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und
  muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.
  Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden.
  Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände.
  So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN.
Adam und Eva kennen wir schon: aus dem Paradies vertrieben und mit den Beschwerden eines menschlichen Lebens versehen und mit einem verfluchten Acker.
Eva gebiert zwei Söhne. Kain, den ersten begrüßt sie mit den Worten: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn. Sein Name weist auf die Tätigkeit eines Schmieds hin. Wir werden sehen, was das für Folgen hat.
Danach gebar Eva Abel. Ein Begrüßungswort für den Zweitgeborenen ist nicht überliefert.
Sein Name hat zwei Wendungen Haupt, Führer einer Herde und Windhauch, Hauch, Nichts, Täuschung wie es in Psalm 39, dem Psalm mancher Trauerfeier, heißt:
  Siehe, meiner Tage sind einer Hand breit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!
  So scheint sich schon in der Namensvergabe die Entwicklung der Geschichte angelegt.
Abel wurde ein Schäfer und Kain ein Ackermann.
Sie bringen Gott ein Opfer, Kain von den Früchten seines Feldes, Abel von den Erstlingen seiner Herde. Die Reaktion Gottes auf diese Opfergaben: der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
Schon als Kind habe ich mich vergeblich gefragt: „Woran erkennt Kain den ungnädigen Gott?“ Kain ergrimmt  sehr und senkt seinen Blick. Das verstand ich als Kind gut, da ich es als Körpersprache verstand. Ich denke, dass wir alle die Erfahrung teilen. Du fühlst dich ungerecht behandelt, Ärger und Wut steigen in dir auf und du neigst den Blick und den Kopf, um zu verstecken, was in dir kocht.
Auch die andere Erfahrung werden einige von ihnen mit mir teilen können. Die väterliche Belehrung, deren Inhalt  bereits bekannt war, bringt nicht wirklich eine Besserung der Lage. Vielmehr kommt die Wut dazu, erkannt worden zu sein, obwohl man sich so viel Mühe gegeben hat, dann auch noch die Wut über die Worte ‚ein artiges und frommes Kind kann einem ohne Scheu in die Augen gucken‘. Dann die Erwähnung der Sünde, die vor der Tür steht,  gepaart mit dem Auftrag, über sie zu herrschen. Das alles zu hören, wenn man ohnehin an der Grenze der Selbstbeherrschung steht. Eine Stinkwut auf den Vater, der offenbar ein Kommunikations-Versager ist.
Warum das Gespräch zwischen Gott und Kain hier abbricht, ist nicht bekannt. Es entspricht aber dem bekannten Muster: Vater lässt Sohn strammstehen, sagt seinen Spruch; meistens endet der mit der Frage: Hast du mich verstanden? Das ist dem Vater nämlich wichtig, dass er verstanden wird. Ob sich der Sohn von ihm verstanden fühlt, ist bei dem Erziehungsstil eine überflüssige Frage.
Der Grimm des Kain entwickelt sich zu einem grenzenlosen Ausmaß, als er mit dem kleinen Bruder aufs Feld geht, um auf seinem Acker seinem Leiden ein Ende zu setzen. Das Böse in Kain hat gesiegt und ein Opfer bekommen.
Was geht Gott das an, wird der Hintergrund der Antworten sein, als Gott ihn fragt: Wo ist dein Bruder Abel? Ich weiß nicht; sollte ich meines Bruders Hüter sein?
Gott jedenfalls ist entsetzt über den ersten Mord seiner Geschichte mit den Menschen. Die Stimme des Blutes Abels hat ihn aus der falschen Annahme geweckt, Kain wäre in sich gegangen und hätte die Worte Gottes beherzigt.
Er verhängt sofort das Urteil über Kain. Wie er die Eltern aus dem Garten Eden vertrieben hat, so vertreibt er Kain vom Acker, der für ihn unfruchtbar sein wird. Dazu verurteilt er ihn dazu, unstet und flüchtig zu sein.
Kain versteht, dass er für den Brudermord betraft werden muss. Das ist in der alten Luther-Übersetzung deutlicher: Meine Sünde ist größer, denn daß sie mir vergeben werden möge. In der neuen Übersetzung Luther 1984 kommt die Angst des Kain zu Tage, dass er erschlagen werden könnte von irgendjemand, der ihn findet. „Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.“
Gott entschließt sich, bei seinem Urteil zu bleiben. Er gibt aber Kain ein Zeichen mit auf den Weg, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. Und er verspricht ihm, einen Mord an ihm siebenfältig rächen zu lassen. „So ging Kain hinweg vom Angesicht Gottes.“
Entsprechend der anfänglichen Ankündigung, Gott aus menschlicher Perspektive verstehen zu wollen, haben wir die Geschichte angeschaut. Wir erkennen: Gott kommt mit Kain erst in ein richtiges Gespräch, als der Mord geschehen ist.
Kain versteht seine Strafe als folgerichtig. Er versucht aber, das Herz des göttlichen Vaters zu erreichen. Was ihm auch gelingt. Er darf auf Gottes Schutz vertrauen und ohne Angst leben, erschlagen zu werden. Sein Name wird ihm nicht genommen. Er bleibt der Schmied seiner Pläne in seinem Leben.
Martin Luther hat in der Erklärung der Anrede im Vaterunser gesagt, dass uns Gott damit locken will, anzunehmen er sei unser wirklicher Vater und wir seine wirklichen Kinder.
Damit hat er gleichzeitig deutlich gemacht, dass diese Vorstellung aus unserem mitmenschlichen Umfeld uns hilft, Gott auch im Verstehen nahe zu kommen, und dass diese Annahme nur eine Hilfsmaßnahme ist, unser Gottvertrauen zu entwickeln und zu stärken. Martin Luther wusste:
Die Menschen, die in der langen Geschichte Gottes mit den Menschen auf ihn ihr Vertrauen gesetzt haben, konnten immer wieder Bestätigung und Neues von Gott erfahren.
Gott hat es verstanden, neue Wege und neue Gedanken für uns zu eröffnen.
Im 55. Kapitel des Buches Jesaja in Vers 8.9 hören wir Gott sagen: „8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR,  9 sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“
Gott ist für uns nicht so verfügbar, wie wir es denken und nicht so begreifbar, wie wir es gerne hätten. Aber wir dürfen seinen Angeboten für unsere Wege vertrauen.
Es ist an uns, sie zu finden und zu gehen.
Einer der Wege ist Luthers Erklärung des fünften Gebotes:
Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Nöten.
Entscheidend ist, dass wir uns dem Weg der Liebe Gottes öffnen.
Gehen Sie mit Gott.
Amen