Predigt über 4. Mose 6, 22-27 von Reinhard Brandt
6,22

Predigt über 4. Mose 6, 22-27 von Reinhard Brandt

 
 

  
    
      
        יְבָרֶכְךָ יְהוָה וְיִשְׁמְרֶךָ
      
      
        jewarechecha Adonai vejischmerecha
      
    
    
      
        ‏יָאֵר יְהוָה פָּנָיו אֵלֶיךָ וִיחֻנֶּךָּ
      
      
        ja'er Adonai panaw eleicha wichuneka
      
    
    
      
        ‏יִשָּׂא יְהוָה פָּנָיו אֵלֶיךָ וְיָשֵׂם לְךָ שָׁלוֹם
      
      
        jissa Adonai panaw eleicha wejasem lecha schalom
      
    
  

(evtl. zuerst auf hebräisch rezitieren)
Der HERR segne dich und behüte dich.
  Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
  Der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Liebe Schwestern und Brüder,
das ist das wichtigste von allem: dass der Segen zugesprochen und gehört wird, dass Sie mit dem Segen Gottes gehen und leben.
Das ist wirklich das Wichtigste: dass ich am Schluss den Segen auf Sie lege und Sie heute gesegnet ins Leben gehen.
Wenn wir zuvor über den Segen als Predigttext nachdenken, ihn gliedern und im Einzelnen befragen, dann hat das auch sein Recht. In der Tat, es gibt eine Reihe von Fragen, zu denen die drei Verse zu hören und zu bedenken sind. Aber wichtiger, viel wichtiger ist, dass Sie den Segen am Ende hören und mitnehmen und gesegnet leben.
Ein paar Fragen an den Segen als Predigttext! Ich nenne die wichtigsten: wer? wem? wann? und warum bzw. inwiefern? Und dann die beiden großen Fragen: was und wer!?!
wer?
Gehen wir die Fragen der Reihe nach durch. Zuerst die Frage: Wer spricht den Segen?
„Aaronitischer Segen“ heißt dieser Segen. Nach der biblischen Überlieferung im 4. Buch Mose gibt Gott der Herr dem Mose die Anweisung an dessen Bruder Aaron:
22 Und der HERR redete mit Mose und sprach:
23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:
24 Der HERR segne dich und behüte dich;
25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
27 Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
Ein priesterlicher Segen ist das, denn Aaron und seine Söhne waren die Priester im alten Israel. Bis heute ist es im Judentum im orthodoxen Synagogengottesdienst so, dass nur die „Nachfahren“ der Priester den Segen sprechen dürfen, also Männer mit dem Nachnamen Cohen (Cohen = Priester) oder abgeleitet Kohn (oder Katz, Katzmann o.ä.).
Ein Segen des Priesters ist es also. So spricht im Gottesdienst der Pfarrer, die Pfarrerin am Schluss den Segen. Doch wenn wir das Neue Testament und Luther ernst nehmen, dass wie allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht sind (wie es im 1. Petrusbrief heißt: „Ihr seid ein königliches Priestertum“), dann kann und darf diesen Segen jeder, „der aus der Taufe gekrochen ist“, einer dem anderen zusprechen: „Der Herr segne dich und behüte dich ...“!
wem?
Wem? Wem gilt der Segen? - ist die Frage, die sich anschließt. Die biblische Antwort und der Auftrag Gottes sind eindeutig: dem Volk Israel gilt der Segen! „So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: … Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“
Der Segen gilt dem Volk Israel. Und in der christlichen Kirche gilt er nicht ohne oder gegen Israel, sondern nur so, dass sich die Christen in dem Juden Jesus von Nazareth mit Israel mitgesegnet wissen. In die Verheißung für dieses Volk sind wir Christen durch Christus eingebunden; damit aber auch in die Verpflichtung vor dem gemeinsamen Gott (Gal. 3,8.15ff.).
Der Segen gilt dem Volk, den Israeliten, der Gemeinde - und dem einzelnen Menschen in der großen Gemeinschaft. Das „dich“ und „dir“ in diesem Segen ist nach dem hebräischen Sprachgebrauch eine kollektive Anrede. Sie gilt „euch“ als Gemeinde und „dir“ je als Teil der Gemeinschaft. Also auch, wenn ich jemanden persönlich anrede und ihm den Segen zuspreche, ihm dabei vielleicht ein Kreuz auf die Stirn zeichne, auch dann stelle ich ihn in die Gemeinschaft der Gemeinde, in der er den Segen empfängt. Der Segen vereinzelt nicht, sondern verbindet. Er gilt im Plural.
wann?
Wann? - lautet die dritte Frage, eigentlich zwei Fragen: Von wann stammt dieser Segen? Und wann wird er heute sinnvollerweise gesprochen?
Nach der Erzählung im 4. Buch Mose war es in der Frühzeit des Volkes Israel, bei der Wüstenwanderung, vor dem Einzug in das gelobte Land, als Gott dem Mose und durch ihn dem Aaron diesen Segen aufträgt.
Der Wortlaut des Segens verrät davon nichts, keine Bezüge speziell auf Wanderschaft und Wüste, sondern allgemein das ganze Leben: „behüte dich, …, gebe dir Frieden“.
Ein alter Segen ist es, uralt, mit zusätzlichem Beleg: Bei Ausgrabungen in Jerusalem hat man in einer Grabhöhle zwei aufgerollte Silberstreifen gefunden, die wohl in das 7. Jahrhundert vor Christus zu datieren sind. Auf denen steht, fein eingeritzt: eben dieser Segen, als ältester Beleg eines Bibelverses überhaupt.
Die Frage hat noch eine andere Dimension: Wann?: Wann hat der Segen seine rechte Zeit? Wann ist er sach- und zeitgerecht zu sprechen?
Am Uranfang der Zeit, als Gott den Menschen schuf zu seinem Bild als Mann und Frau, da segnete er sie! So steht der Segen am Anfang allen menschlichen Lebens. Und der Segen steht am Schluss: Den Abschieds- oder Valetsegen sprechen wir dem Verstorbenen zu.
Jedenfalls: der Segen gilt. Wenn er zugesprochen und empfangen wird und bekräftigt durch das „Amen“, dann muss er nicht mehr ergänzt werden. Darum wird er im Gottesdienst ganz am Schluss gesprochen. Er muss nicht mehr ergänzt oder kommentiert werden. „Komm, Herr, segne uns“ ist als Bitte vor dem Segen sinnvoll, aber nicht mehr, nachdem der Segen im Vertrauen auf die Wirkmacht Gottes zugesprochen wurde.
warum und inwiefern?
Warum und inwiefern wirkt und gilt der Segen? Der aaronitische Segen speziell, unser Segen?
Warum gilt der Segen?: Weil Gott den Segen wirkt! Und inwiefern gilt dieser Segen?: Er gilt unbedingt und ohne Vorbehalt, er gilt „allem Volk“.
Der Unterschied wird deutlich, wenn wir einen anderen, im Wortlaut ähnlichen, aber anders akzentuierten Segen daneben stellen. In der Sektenregel aus Qumran (die Einzelheiten erspare ich Ihnen) lautet eine Segensformel so:
Und die Priester sollen segnen alle Männer des Gottesloses [also nicht alle, sondern nur wenige: einige Bestimmte, Auserwählte], die vollkommen wandeln in seinen Wegen [also eine Bedingung; den anderen gilt der Segen nicht] und sprechen: Es segne Dich mit allem Guten und behüte Dich vor allem Bösen und erleuchte Dein Herz mit Einsicht des Lebens und sei dir gnädig mit ewigem Wissen [also der Segen als Mittel zum Zweck für etwas anderes: Einsicht und Wissen]und er erhebe sein Angesicht auf dich zu ewigem Frieden [der ewige Frieden wird gewünscht, ein Frieden in dieser Zeit ist aus dem Blick geraten].
Genau anders der Segen, den Gott dem Mose und dem Aaron aufträgt und den ich Ihnen zuspreche heute am Ende des Gottesdienstes: Dieser Segen gilt allen und er gilt ohne Bedingungen, er gilt für das ganze Leben in unserer Zeit und für immer.
was?
Was? Was wird zugesprochen mit diesem Segen?
Aus drei Verse mit je zwei Halbsätzen besteht der Segen. Jeweils im ersten Halbvers wird beschrieben, was Gott tut: Er segnet, er lässt sein Angesicht leuchten, er wendet sein Angesicht zu.
Starke Bilder sind das, die auf Gott übertragen werden, Bilder wie bei einer Audienz beim König:

  Wie der König lächelt, wie er in lichter, strahlender Zuwendung dem Bittsteller die Annahme seiner Bitte signalisiert!
  Und schon wie der König sein Haupt hebt, nicht abfällig wegsieht, sondern wie er seinen Blick dem zuwendet, der vor ihm steht!

Starke Bilder, noch gesteigert und auf Gott übertragen: „Jahwe Adonaj, Gott der Herr lasse leuchten sein Angesicht und er wende es dir zu!“
Im jeweils zweiten Halbvers blicken wir auf den, der den Segen empfängt, bei dem er „wirkt“:

  „Der Herr segne Dich und behüte dich“ - das Leben des Einzelnen ist hier im Blick, vielleicht eine Gefahr, die ihm droht und vor der er behütet sein soll.
  „Der Herr … sei dir gnädig“ - um die Gottesbeziehung geht es da, um Schuld und Vergebung, um Gnade vor Gottes Angesicht, um den lichten Moment der Gottesbegegnung.
  Im dritten Segensvers weitet sich der Horizont noch einmal: nicht nur „ich“ als behütetes Geschöpf, nicht nur „ich“ in der Beziehung zu meinem Gott, vielmehr „ich“ in der Vielfalt der Sozialbeziehungen: „… und gebe dir Frieden!“ Die Zuwendung Gottes zu uns wirkt Frieden! In Frieden und zufrieden mögen die Gesegneten leben im geregelten, gerechten Miteinander.

Ein Segen als Beziehungsgeschehen ist es jedenfalls. Der Gesegnete, der Segnende und Gott, in dessen Namen der Segen gesprochen wird, stehen in enger, engster Beziehung.
wer?
Dies führt schließlich zur Frage: Wer segnet? In wessen Namen spricht der Segnende den Segen? „Gott der Herr, Jahwe Adonaj segne dich und behüte dich!“
Gott der Herr, Jahwe Adonaj! Wenn man es nicht ganz so dogmatisch streng nimmt, dann mag man im dreifach gegliederten Segen

  das Erhalten und Behüten Gott als dem Schöpfer zuordnen, dem „Vater“.
  Das „leuchtende Antlitz“, das Gnadenhandeln: dafür mag Jesus Christus, Gott als der „Sohn“ stehen.
  Und die Kraft Gottes, die den Schalom, gerechten Frieden wirkt, mag man auf den Heiligen Geist beziehen.

Im Loblied hat das seinen guten Ort und seine Melodie, wie wir es nachher singen: „der Schöpfer segne uns nach Seel und Leib / der Heiland, unser Licht, uns leuchten lass sein Angesicht / der Tröster geb uns Frieden unverrückt“.
Wobei: streng dogmatisch wirkt Gott nach außen immer als der eine, ein Gott, der eine einzige Gott, der Segen und Gnade und Frieden wirkt und alles in allem.
Das ist das Thema des Trinitatis-Sonntags heute: dass wir einen Gott haben, der aber vielfältig in Beziehung tritt! Einen Gott hoch erhaben im Himmel, sein Angesicht verborgen manchmal, aber zugleich ein Gott, der nicht unbewegt für sich und bei sich bleibt, sondern der sich den Menschen zuwendet, der sein Angesicht sehen lässt, der in Beziehung zu den Menschen tritt.
In Jesus Christus wird das deutlich, Gottes leuchtendem Angesicht. Deutlich wird es, wenn Gottes Geist über einen Menschen kommt und ihn erfüllt. Und es wird deutlich, wenn Gott seine Geschöpfe segnet.
Ein Gott, aber ein Beziehungsgott! Das ist - in aller Kürze - das Thema des Trinitatisfestes.
So in Beziehung zu dem einen Gott, zu einem Gott in Beziehung treten wir, wenn wir den Segen zusprechen und empfangen:
Der HERR segne dich und behüte dich.
  Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
  Der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Amen.
Predigtlied: EG 140,1-5